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Die Evaluierung 

Vor fast zwei Monaten fand in der Arbeiterkammer Wien die offizielle Präsentation der Evaluierung der Deutschförderklassen statt. Es wurde erhoben, wie sich das Modell bis jetzt bewährt hat. Das Ergebnis ist wenig überraschend. Das System, so wie es zurzeit besteht, bringt nicht die erwarteten Ergebnisse.

Der Blick zurück

98 % Prozent der Schulleiter:innen und 91 % der Sprachförderlehrer:innen sehen Optimierungsbedarf*. Das System erlaubt wenig Freiheiten im Umgang mit den Schüler:innen. Zum Einstieg in die Klasse erfolgt die Sprachstandserhebung mittels MIKA-D-Test. Dann die Zuteilung in die Deutschförderklasse. Nach einem halben Jahr wird erneut getestet. Wenn der Sprachstand, wenig überraschend, ungenügend ist, dann folgt ein weiteres halbes Jahr in einer Extra-Klasse bis zur nächsten Testung. Dazwischen gibt es nicht viel. Mal abgesehen davon, dass das Messinstrument an sich einer grundlegenden Überholung bedarf. Die Klassen sind mancherorts viel zu groß, der Pool an Kolleg:innen, die berechtigt sind in diesen zu unterrichten, zu klein. Bis heute gibt es keine Klassenschüler:innenhöchstzahl. An manchen Standorten, vornehmlich in Wien, sitzen bis zu zwanzig Schüler:innen in einer dieser Klassen.  Selbst begnadete Pädagog:innen haben einem solchen Setting kaum eine Chance die erwarteten Erfolge zu liefern. Dazu gibt es eine Vielzahl an Schüler:innen, die im Alter von vierzehn oder dreizehn Jahren nach Österreich kommen. Die, bis der Spracherwerb vielleicht abgeschlossen ist, im zehnten oder elften Schuljahr sind. Denn der Verbleib von nur neun Stunden in den Stammklassen gewährt keinen Zugang zum Regelunterricht. Die achte Schulstufe muss im schlechtesten Fall drei Mal wiederholt werden, sollte ein elftes Schuljahr gewährt werden. Das folgt keiner Logik sondern einer persönlichen Einschätzung, die wiederum stark an das Verhalten der Schüler:innen anknüpft. Nicht jedem fällt es leicht in einer Klasse mit Kolleg:innen zu sitzen, die drei Jahre jünger sind. Die Aussicht auf einen positiven Schulabschluss ist gering.

Das System ist nicht flexibel. Von den Kolleg:innen, die in der Deutschförderklasse unterrichten, wird das aber im hohen Maß verlangt. Nach mehr als vier Jahren Erfahrungen mit diesen Klassen weiß ich, dass sich die Schüler:innenzahl innerhalb weniger Tage ändern kann und damit das gesamte Setting. Wir haben schon oft erlebt, dass endliche alle die Basics des Schulbetriebs kannten und genau zu diesem Zeitpunkt uns zwei neue Schüler:innen zugeteilt wurden.

Was in den Deutschförderklassen auch fehlt ist muttersprachliches Unterstützungspersonal in Form von Psychagog:innen, Beratungslehrer:innen und Schulsozialarbeiter:innen. Wir wissen nicht mit welchen Blessuren die Kinder und Jugendlichen zu uns gekommen sind. Wir haben mit wenig Ausnahmen keine Ahnung von Flucht und Krieg. Und es ist eine Farce zu verlangen, dass große Dankbarkeit und Anpassung von Seiten der Schüler:innen zu erfolgen haben. Ehrlich, wäre ich ein Mädchen, das gar nicht in dieser Schule sein möchte; wäre ich ein Kind, das auf der Flucht hungern musste; wäre ich ein Teenager, der viele Nächte immer wieder in einen Keller flüchten musste, wäre das letzte Gefühl, das in mir hoch käme, dass ich dankbar sein muss. Und ich hätte auch keinen Kopf vier Stunden am Tag Grammatik abzuspeichern. Ich würde wahrscheinlich nur auf meinem Sessel sitzen und warten, dass der Tag vergeht. Dass ich nach Hause komme und die Sicherheit habe, dass meine Eltern noch am Leben sind. Aber das darf alles in diesem System nicht sein. In zwei Jahren muss die Sprache beherrscht werden, der Rest ist „Nebensache“.

Woran es auch fehlt? Es gibt tatsächlich Kolleg:innen, die immer noch nicht bereit sind, für diese Kinder und Jugendlichen Empathie zu entwickeln. Denen müssen wir nämlich jedes Jahr vom Neuen erklären, dass jedes Kind ein Recht auf eigene Schulbücher habe, unabhängig von der Zeit, die es in der Klasse verbringt. Es sollte selbstverständlich sein, dass alle Kinder der Klasse an einem Ausflug oder einem Projekttag teilnehmen. Und schon gar nicht okay ist, die Schüler:innen auf ihre Herkunft oder auf ihre Religion zu reduzieren. Im „normalen Klassenverband“ kann das schon auch passieren. Aber viel leichter ist es natürlich Schüler:innen auszugrenzen, die ohnehin durch das System segregiert wurden. Es muss endlich eine Sensibilisierung dieser Kolleg:innen erfolgen.

Der Ausblick

So, nun weiß man also, dass dieses System nicht die erwarteten Ergebnisse bringt. Welche Lehren werden daraus gezogen? Kaum welche.

Die Deutschförderklassen werden bestehen bleiben. Sie haben sich zwar nicht bewährt, aber das ist allem Anschein nach egal. Schließlich handelt es sich um ein Prestigeprojekt der damaligen schwarz-blauen Regierung. Schule ist also ein Politikum. Kinder und Jugendliche spielen in diesem Zusammenhang eine untergeordnete Rolle. Wie so oft geht es in der Schule nicht um sie.

Es gibt Zugeständnisse von Seiten des Bildungsministeriums. So hat man finanzielle Ressourcen freigeschalten, um zum Beispiel die Betreuung durch mehr Kolleg:innen gewährleisten zu können. Dieses Angebot liest sich in Zeiten des akuten Personalmangels wie ein schlechter Witz. Eine Schulleiter:in kann nicht irgendwelche Kolleg:innen zum Unterricht in die Deutschförderklasse einteilen. Theoretisch ist es gar nicht erlaubt, dass ohne DAF/DAZ- Ausbildung in diesen Klassen unterrichtet wird. In der Praxis sieht es allerdings anders aus, denn es gibt viel zu wenige Kolleg:innen mit diesem Studium. Daher können alle in die DKL eingeteilt werden. Die Vermittlung einer neuen Sprache erfordert didaktische Höchstleistungen. Wenn jemand das nicht beherrscht, wird es problematisch. Außerdem brauchen wir in diesem Zusammenhang Kolleg:innen, die empathisch genug sind zu verstehen, was es heißt keine Heimat mehr zu haben. Was sich also ändern wird? Nichts, so einfach ist das.

Vor langer Zeit habe ich hier mal einen Beitrag geschrieben, in dem ich den Verdacht geäußert habe, es soll Menschen, die in Österreich Arbeit oder Schutz oder beides suchen, nicht zu gemütlich gemacht werden. Ich sehe das nach wie vor so.

Eine mögliche Zukunft, die immer mehr zur Utopie wird

Nach der Bekanntgabe der Evaluierungsergebnisse fand eine Podiumsdiskussion statt. Was klar zur Sprache kam, wäre ein möglicher Lösungsweg. Es ist an der Zeit, dass wir uns von dem monolingualen Schulsystem verabschieden. Gerade im urbanen Raum ist Mehrsprachigkeit stark vorhanden. Nein, es handelt sich nicht um einen Makel, sondern um ein Geschenk. Wir haben Kinder und Jugendliche an der Schule, die drei oder vier Sprachen sprechen. Auch diese, die noch nicht lange in Österreich leben, beherrschen zumeist mehr als eine Sprache. Aber anstatt dem Rechnung zu tragen, reduzieren die Behörden sie auf die fehlende Sprachkompetenz in der Unterrichtssprache Deutsch. Gerade im urbanen Raum könnte man mit einem Umdenken Neues und Großartiges schaffen.  

Quelle: https://www.lv-wien.at/downloads/Quo vadis Deutschförderklassen-kurse.pdf

Maria Lodjn, Lehrerin an einer MS in Wien