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Wenn wir es mit Inklusion in der Bildung wirklich ernst meinen, wird es nicht reichen, an einzelnen Schrauben zu drehen. Und wenn an Schrauben im System gedreht wird, muss immer mitbedacht werden, was die Veränderung für bestimmte Gruppen – zum Beispiel Kinder mit Behinderung – bedeutet.

Die Vision:
Eltern kommen mit einem Kind, das nicht in die Schublade „NORMAL“ passt, zur Schuleinschreibung in die Schule, für die sie sich entschieden haben.
Sie werden freundlich begrüßt und willkommen geheißen. Die Schule macht sich ein Bild von den Bedürfnissen des Kindes und schafft Bedingungen, damit das Kind sich in einer Gruppe von Kindern gut weiterentwickeln kann. In der Schule gibt es gut ausgebildete Pädagog:innenteams mit der Haltung, jedem Kind einen guten Platz zum Lernen zu bieten. Diese Teams begleiten eine Gruppe von Kindern kontinuierlich. Der Personalschlüssel ist so, dass genügend Ressourcen da sind, um Beziehung zu den Kindern aufzubauen und jedem einzelnen Kind, ob „tief-, mittel- oder hochbegabt“ (frei nach Andreas Steinhöfel: Rico, Oskar und die Tieferschatten, 2008) einen guten Platz zum Lernen zu schaffen.
Wenn es eine kleinere Gruppengröße als die übliche braucht, kann die Schule das im Rahmen ihrer Autonomie ermöglichen.
Wenn Unterstützungspersonal notwendig ist, kann das zur Verfügung gestellt werden.
Wenn es fachliche Expertise braucht (z.B. unterstützte Kommunikation, Gebärdensprache, Brailleschrift), wird sie zur Verfügung gestellt, so viel und so lange wie nötig – darüber kann die Schule entscheiden.
Die Schule bietet ganztägige Betreuung für ALLE Kinder an.
Die Schulverwaltung vertraut darauf, dass die Schulleitung mit ihrem Team gute Entscheidungen trifft und sich Unterstützung holt, wenn sie welche braucht. Es muss nicht ständig alles kontrolliert und gerechtfertigt werden.
Es gibt unbürokratischen Austausch auf Augenhöhe mit der nächsten Hierarchieebene.

Derzeitiger Stand der Dinge ist jedoch:
Es gibt Integrationsklassen mit motivierten Lehrer:innen. Teams mit langjähriger Erfahrung und guten Unterrichtskonzepten. Sie tun was sie können, unter Rahmenbedingungen, die ihre Arbeit zunehmend erschweren.
Im Rahmen unserer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema in der Initiative Bessere Schule Jetzt! tauchte der Leitfaden für Inklusion, Integration und Sonderpädagogik in Wien (Hrsg. Stadtschulrat für Wien, 2014) auf. Hier sind die Rahmenbedingungen für die Integration von Kindern mit Behinderungen klar formuliert. Darauf konnten sich Pädagog:innen jahrelang stützen.
Ein Schelm, wer glaubt, die Bedingungen hätten sich in Richtung Inklusion verbessert. Nein, der Leitfaden hat keine Gültigkeit mehr.
Die Regelungen ändern sich so schnell, dass es fast unmöglich ist, am neuesten Stand zu sein.

  • Höchstens 21 Kinder in der Integrationsklasse – Geschichte
  • Verminderung der Klassenschüler*innenhöchstzahl abhängig vom Grad der Behinderung – diese Zeiten sind vorüber
  • Regelung, wie viele Kinder mit Behinderung höchstens in einer Integrationsklasse sein dürfen – nicht vorhanden
  • Schulleiter:innen, die die Zusammensetzung der Klassen ihrer Schule genau kennen, entscheiden, wie viele Kinder mit welchen Beeinträchtigungen neu aufgenommen werden können – vorbei
    Jetzt werden Schulplätze zentral vergeben, aufgrund der Zahlen im Schulverwaltungsprogramm, ohne die Situation vor Ort zu kennen.
  • Klar zusammengefasste Information für Schulen mit Integrationsklassen über derzeitige Regelungen – gibt es nicht
  • Ansprechpersonen, die schnell und unbürokratisch Auskunft geben – wir warten auf Rückruf
  • Plätze für Kinder mit schwereren Beeinträchtigungen am Nachmittag – mit viel Glück ein paar Bezirke weiter
  • Teamstunden in Integrationsklassen für Kinder, die zusätzliche Förderung brauchen, aber keine Behinderung haben – wieso? „Da sind eh 2 Lehrer:innen drin.“
  • Möglichkeit der alternativen Beurteilung für Kinder, die Fortschritte beschreibt, den konkreten Leistungsstand widerspiegelt und sie nicht an einer vorgegebenen Norm misst – nein, Ziffernnoten ab Ende der 2. Schulstufe auch für Kinder mit Lernbehinderung
  • Schulpsychologische Gutachten, die eindeutig aussagen, dass ein Kind dringend individuelle Unterstützung braucht, um die Anforderungen des Volksschullehrplans erfüllen zu können – Ressourcen dafür? mit viel Kreativität und Verhandlungsgeschick – unter Umständen
  • Verdacht auf Autismus Spektrums Störung – 12 Monate Wartezeit auf einen Termin zur Abklärung – außer es kann privat bezahlt werden
  • Kinder mit Behinderung, die bisher keine Entwicklungsdiagnostik hatten – alle kostenfreien Angebote über Monate ausgebucht, bitte warten, wenn Sie nicht privat bezahlen
  • Kinder mit Lese-Rechtschreibschwäche in der Klasse: Die Schule muss durch gezielte und regelmäßige symptomspezifische Fördermaßnahmen reagieren (vgl. Rundschreiben Nr. 2021-24, Rundschreiben Datenbank bmbwf.gv.at) – Ressourcen gibt es dafür keine
  • Vertretung für Pädagog:innen im Krankenstand – niemand da, muss irgendwo anders abgezogen werden und fehlt dann dort

Diversität und Inklusion erfordert vor allem eines: Flexibilität, die Fähigkeit, sich auf unterschiedliche Bedürfnisse einzustellen – die Neuerungen im Schulsystem der letzten Jahre haben die Spielräume der einzelnen Schule, der einzelnen Pädagog:innen zunehmend beschränkt.

Innovative Schulkonzepte dürfen nicht zum Etikettenschwindel werden

Gerade Wien nimmt hier als Großstadt eine Sonderstellung ein. Die Bevölkerung wächst, sie ist bunt und heterogen. Es gibt viele Familien mit besonderen Herausforderungen. Das spiegelt sich auch in den Schulklassen wider.
Gleichzeitig werden die Klassen größer, die Personalressourcen weniger. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Das steht einem zeitgemäßen Unterricht entgegen.
Viele innovative Schulkonzepte wurden in Wien entwickelt und erfolgreich gelebt, zum Beispiel die verschränkte Ganztagsschule oder integrative Mehrstufenklassen. Ohne genügend Personalressourcen werden sie verschwinden oder zum Etikettenschwindel.

Wenn der Computer nicht mehr funktioniert, hilft manchmal ausschalten und neu starten.
Was hilft im Schulsystem???

Die Autorinnen sind eine Sonderpädagogin in einer Wiener Volksschule und eine Mutter, die ein IT-Unternehmen und eine inklusive Familie managt. Beide sind engagiert in der Initiative Bessere Schule Jetzt!

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Aus meiner Sicht ist die präsenzunterrichtsfreie Zeit gut mit einer unbefriedigenden Achterbahnfahrt vergleichbar – Es gab mehr Tiefen als Höhen. Die Höhen kamen vor allem durch einzelne besonders engagierte Lehrpersonen. In meiner Klasse hat der Fernunterricht in Mathe beispielswiese großartig funktioniert. Wir haben immer genau gewusst, was zu tun ist, unser Lehrer hat uns Fragestunden angeboten und uns sogar gebeten, mittels Umfragen Feedback zu geben. In anderen Fächern sah das jedoch nicht so aus. Der digitale Teil des Unterrichts bestand oft darin, Arbeitsblätter vom Computer aus auszudrucken, die erledigten Arbeitsblätter dann wieder zu fotografieren und zurückzuschicken. Einige Lehrpersonen waren in ihrer Überforderung mehr darauf bedacht, ihre eigene Arbeit so unkompliziert wie möglich zu gestalten, als das Lernsetting für uns Schüler*innen. Mit einer Lehrperson hatten wir Schwierigkeiten, da sie nahezu jedes Wort in ihren E-Mails abgekürzt hat und wir so nicht verstehen konnten, was sie uns vermitteln wollte. Doch solche Probleme konnten wir meistens mit der betreffenden Lehrperson lösen. Die wirklichen Tiefen waren die unlösbaren Probleme, vor die viele Schüler*innen durch das Agieren des Bildungsministeriums gestellt worden sind.

Falscher Fokus

Vor den Schulschließungen hieß es erst, der Inhalt des Distance Learnings solle nicht in die Leistungsbeurteilung einfließen. Das wurde dann noch am allerletzten Schultag geändert. Anschließend gab es immer wieder Pressekonferenzen mit eher geringem Informationsgehalt. Auf Instagram gingen etliche Memes über Minister Faßmann viral, also sich über seine Planlosigkeit lustig machende Postings. So etwas ist für das „Opfer“ nie ein gutes Zeichen. Als dann die Entscheidung über die Matura verkündet wurde, offenbarten sich grundsätzlich falsch gesetzte Prioritäten. Statt nämlich den Fokus darauf zu legen, die Eltern jüngerer Schüler*innen schnellstmöglich in der Betreuung zu entlasten, sollten als allererstes die Abschlussprüfungen abgehalten werden. Dass die Megaprüfung Matura hier wichtiger war als die politische Verantwortung gegenüber den Hunderttausenden Eltern, ist ein Armutszeugnis für das Krisenmanagement des Bildungsministeriums.

Platz und Sicherheit

Zu guter Letzt wurde nun auch der Präsenzunterricht für die Sekundarstufe 2 wieder aufgenommen. Die dafür benötigten Räumlichkeiten der Oberstufenklassen hätten auch verwendet werden können, um mehr Platz und Sicherheit für die Schüler*innen der Unterstufe zu schaffen, oder sie an mehreren Tagen in die Schule zu holen. So wäre auch die Ansteckungsgefahr deutlich geringer, sie könnten mit gutem Gewissen in die Schule gehen. Wir als Oberstufe, die ja keine Betreuung durch Eltern mehr brauchen, hätten dann die letzten Schulwochen wie inzwischen gewohnt von zuhause aus absolvieren können.

Notwendige Anpassungen

Klar ist: Das nächste Schuljahr kann nicht ohne Anpassungen im Bildungssystem stattfinden. Wir brauchen flächendeckende Schulungen zum digitalen Lernen für Lehrpersonen, die Lehrpläne müssen angepasst werden, wir müssen unsere Bundesschüler*innenvertretung endlich selbst wählen können, damit sich in solchen Situationen wirklich jemand für uns einsetzt. Außerdem sollen auch künftig Leistungen der Oberstufe ins Abschlusszeugnis einfließen.

Der Autor ist Schüler an einem Gymnasium in Wien.

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Die aktuellsten PISA-Ergebnisse sorgen mal wieder für Verwunderung, Empörung und zu Recht auch für jede Menge Diskussionsstoff. Wie kann es sein, dass eines der teuersten Bildungssysteme der Welt bestenfalls durchschnittliche Ergebnisse erzielt? Wo muss angesetzt werden, um den Bildungserfolg aller Kinder in Österreich nachhaltig sicherzustellen? Wir hätten da ein paar Vorschläge:

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Ja, ich weiß schon, plötzliche Fragen können einen aus dem Konzept bringen. Das beweist der Ö3-Mikromann regelmäßig und anschaulich. Man amüsiert sich köstlich über die scheinbare oder tatsächliche Beschränktheit seiner Mitbürger*innen, doch eine Frage könnten viele von uns ad hoc garantiert nicht beantworten:

Worin besteht der Unterschied zwischen Bildung und Ausbildung?

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Ich bin Klassenvorständin einer ersten Klasse an einer Wiener Mittelschule. Unlängst habe ich mit den zwei externen Mediator*innen, die meine Klasse die letzten Monate über begleitet haben, ein Abschlussgespräch geführt. „Noch nie haben wir eine Gruppe gesehen, wo der Unterschied zwischen Anfang und Ende des Miteinanderarbeitens so groß war. Wir sind beeindruckt!“, bekam ich von ihnen zu hören. Ich war mindestens genauso beeindruckt, vor allem bekam ich in diesem Gespräch noch etwas Unglaubliches zu hören. Aber dazu später. Erst: Wie hat alles begonnen?

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