Den Wunsch Lehrer zu werden, sehe ich als eine Art Berufung. Auch wenn sich dies jetzt komisch anhört, kann ich nur von meiner Erfahrung sprechen. Die Schule war für mich immer ein wunderbarer Ort. Ich konnte dort meine Freunde treffen, jeden Tag gab es Abwechslung und meine Neugier wurde gestillt. Ich hatte wirklich nette Lehrerinnen und Lehrer, die mich unterstützten und mir in allen Lebenslagen halfen. Es war ein Ort zum Wohlfühlen, zum Lernen, zum Wachsen und zum Erwachsen werden. Mein Wunsch Lehrer zu werden begann in der Oberstufe und wurde durch nichts ersetzt, es gab nur einen Weg für mich: das Lehramtsstudium zu absolvieren und Lehrer zu werden. Ich wollte zu einer von den Personen werden, die mich unterstütz, mir die Welt erklärt und mich vor allem zu dem gemacht hatten, was ich heute bin, zu einem gewissen Teil jedenfalls. Also zwei Fächer wählen, die man gerne unterrichten möchte und von denen man eine gewisse Ahnung hat, gepaart mit Pädagogik und ein paar Praktika und mein Traum in der Klasse zu stehen und Lehrer zu sein würde sich erfüllen. Dachte ich jedenfalls.
Fachwissen statt Pädagogik und Didaktik
Schnell erkannte ich, dass ich hier nicht das Unterrichten meiner Fächer lernen würde, sondern die Fächer selbst. Viele Germanistik-, Philosophie- und Psychologiestudierende waren in meinen Seminaren, und auf meine Frage, ob ich mich im richtigen Raum befand, nickte man nur und sagte, es sei normal, dass Lehramtsstudierende und reine Fachstudierende gemeinsam in einem Seminar sind. Nun gut, dachte ich mir, mehr Wissen kann mir ja nicht schaden, und ich hatte selbst großes Interesse an diesen Fächern. Doch schnell merkte ich, dass ich Dinge lernte, die ich in meinem Unterricht nie brauchen würde. Eines der schwierigsten Seminare war „Einführung in das Mittelhochdeutsche“. Ein ganzes Semester mühte ich mich durch diese Sprache, lernte Grammatik, Lesen und Sprechen. Der Aufwand wurde mit 3 ECTS belohnt, und ich fragte mich, wozu mir das nützen sollte, wenn ich vor einer Schulklasse stehe.
Ausbildung nicht praxisrelevant
Das Studium gab mir leider nicht die nötige Ausbildung, die ich gebraucht hätte, was mir nach einem Jahr Arbeit an einer Mittelschule in Wien klar wurde. Bevor man jedoch in die Schule darf, muss man noch fünf Tage an der sogenannten Induktionsphase teilnehmen. Diese umfasst eine Einführung in Themenbereiche wie Recht, Strukturen des Schulwesens, Professionsbewusstsein und Kommunikation. Warum hat man solche Inhalte nicht ausführlich und während des Studiums vermittelt, anstatt sie in einem fünf Tage langen Schnellverfahren abzuhandeln? Dann ging es los in die Schule, und plötzlich passierten tausend Dinge gleichzeitig. Ich erfuhr, dass ich Co-Klassenvorstand (Co-KV) einer Klasse werde – aber was ist ein Co-KV? Ich kannte nur den Klassenvorstand. Außerdem sollte ich in eine I-Klasse kommen. Was ist eine I-Klasse? Und natürlich hatte ich auch noch einen AO-Schüler in meiner Klasse. Was bitte sind AO-Kinder? Meine wenigen Vorlesungen und Seminare in Pädagogik hatten mir darüber nichts erzählt. Doch als ein Kind auf mich zukam und mir zwei Wörter sagte, wusste ich, was gemeint war: „Arabisch, Toilette.“
Fächer und Fachbegriffe
Ich hatte auch sechs Integrationskinder in der Klasse. Also durfte ich Unterricht planen – für ein AO-Kind, das nur zwei Wörter Deutsch sprach und mich nicht verstand. Gleichzeitig musste ich für die I-Kinder planen, die ihre eigenen individuellen Schwächen hatten. Ohne die Unterstützung der I-Lehrerin wäre ich überfordert gewesen. Ach ja, und natürlich gab es den anderen Unterricht auch noch. Insgesamt hatte ich drei verschiedene Unterrichtspläne zu erstellen. Da es keine Psychologie oder Philosophie in der Unterstufe gibt, unterrichtete ich außerdem Textiles Werken, Bildnerische Erziehung, Soziales Lernen sowie Lern- und Betreuungszeit. Nicht nur weil ich an einer verschränkten Ganztagsschule arbeite, gehören auch solche Aufgaben zu meinem Alltag.
So viele Fragen
Mein Jahr begann mit vielen Fragen, und ich war froh, ein nettes und hilfsbereites Kollegium zu haben, denn es tauchten ständig neue Fragen auf. Doch ich konnte mich nicht immer auf diese Fragen konzentrieren, weil ich gleichzeitig unterrichten musste. Obwohl ich einige Praktika absolviert hatte und versucht hatte, so viel Praxiserfahrung wie möglich zu sammeln, fühlte ich mich auf das, was mich erwartete, nicht vorbereitet. In meinen ersten Wochen hatte ich den Eindruck, dass es nur verhaltensauffällige Kinder in meiner Klasse gab. Die Schüler schienen das Konzept von Unterricht nicht verstanden zu haben: Sie standen mitten im Unterricht auf, waren laut und lenkten sich gegenseitig ab. Es wirkte, als hätten manche von ihnen noch nie eine Schule besucht.
Kontrolle und Konsequenzen
Zuerst musste ich die Klassen unter Kontrolle bringen und ihnen die grundlegenden Verhaltensregeln beibringen, bevor an Unterricht überhaupt zu denken war. Es folgte viel Erziehungsarbeit, bei der ich mir Unterstützung von Expertinnen und Experten und dem Kollegium holte. Ein langer Weg lag vor mir: Elterngespräche – worüber an der Universität nie gesprochen wurde –, Konsequenzen setzen und Beziehungsarbeit. Einer der größten Kämpfe war das Smartphone, an dem die Kinder regelrecht klebten. Zielsetzungen waren ein Schlüssel für guten Unterricht, denn viele der Kinder wussten nicht, warum sie überhaupt in der Schule waren oder warum sie etwas lernen sollten. Viele träumten davon, Influencer, Profifußballspieler, Youtuber oder Rapper zu werden. Als diese Illusion der Realität weichen musste und die Kinder erkannten, dass ihre Chancen auf diese Berufe nicht sehr groß waren, war das ein Schock für sie. Doch genau dafür kämpfe ich: für Chancengerechtigkeit, für Bildung und dafür, dass jedes Kind seine Ziele erreichen kann – realistische Ziele. Mein Traum als Lehrer ist in Erfüllung gegangen, und auch wenn die andere Seite der Klasse viel mehr Nerven und Geduld benötigt als gedacht, bin ich froh, diesen Weg gegangen zu sein. Kein Job könnte mir mehr Sinnhaftigkeit, Erfüllung und Spaß bereiten, als mit Schülerinnen und Schülern zu lernen die Welt zu verstehen, menschlich eine Beziehung aufzubauen und die Gesellschaft etwas besser zu machen.
Michael Murauer, Lehrer an einer Wiener Mittelschule.