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Wie wird mit dem Thema psychischer Gesundheit an deiner Schule umgegangen?

Sarah*: Unsere Direktorin hat sich darum bemüht, Unterstützungspersonal an die Schule zu holen und auch zu halten. An jeweils 3 Tagen pro Woche ist eine Schul-Sozialarbeiterin sowie eine Beratungslehrerin und an 3-4 Tagen eine Jugend-Coach da. Dieses Personal beschäftigt sich auf Anfrage der Lehrpersonen und/oder in Absprache mit der Direktion mit Schüler:innen. Anlässe dafür gibt es viele, meistens kommt das Unterstützungspersonal meiner Wahrnehmung nach aber dazu, wenn es einen negativen Vorfall mit den betreffenden Kindern und Jugendlichen gab. Dies ist meiner Einschätzung nach auf die begrenzten Ressourcen, die dem Unterstützungspersonal zur Verfügung stehen, zurückzuführen, obwohl Prävention in der emotionalen und sozialen Arbeit effektiver als Reaktion ist.

Seit April kooperieren wir außerdem einmal wöchentlich mit einem Verein, der mit Kindern arbeitet, die durch Krisen und Krieg eventuell traumatische Erfahrungen gemacht haben.

Zudem arbeiten an unserer Schule 4 Integrationslehrer:innen, die sich in Integrationsklassen um besondere Lernbedürfnisse der Schüler:innen kümmern. Diese Klassen sind im besten Fall kleiner als die anderen Klassen, damit die I-Lehrer:innen sich wirklich mit den Kindern beschäftigen können.

Last but not least kommt einmal pro Woche Personal vom MIT (= multikulturelles Integrationsteam) an unseren Standort.

Elisabeth*: Wir haben 12 Wochenstunden Unterstützung von einer Psychagogin und genauso viele von einer Schulsozialarbeiterin. Wir haben ca. 270 Schüler:innen und mindestens ein Drittel würde permanente Betreuung brauchen. Die Gründe sind unterschiedlich. Entschieden wird bei Erstgesprächen nach Dringlichkeit. Aus der Sicht der beiden Fachfrauen durchaus einleuchtend, weil die Ressourcen beschränkt sind. Aus der Sicht der Schüler:innen, denen es schlicht und einfach nicht gut geht, warum auch immer, eine Katastrophe. Auch wenn uns als Lehrer:innen auffällt, dass es einem Schüler oder einer Schülerin nicht gut geht, müssen wir damit rechnen, dass nicht zeitnah geholfen werden kann.

Im Kollegium sind die Ansichten in Bezug auf psychische Erkrankungen durchaus geteilt. Es gibt jene, die nur wenig Einfühlungsvermögen haben. Die im Jahr 2024 immer noch der Meinung sind, die Schüler:innen sollen sich einfach zusammenreißen. Genau bei diesen Kolleg:innen wird die Arbeit der Beratungslehrerin meistens argwöhnisch betrachtet. Auch der Verdacht wird laut geäußert, dass sich die Kinder nur vor den Unterrichtsstunden drücken wollen. Andere Kolleg:innen erkennen die Nöte der Mädchen und Jungen und agieren dementsprechend.

Hat sich dabei in den letzten Jahren etwas verändert?

Sarah: Ich bin erst seit 3 Jahren an der Schule. Seitdem arbeiten die selben Unterstützungspersonen an unserem Standort. Das ist natürlich sehr hilfreich, weil ich glaube dass eine gute Zusammenarbeit Zeit und Routinen braucht.

Vorher wechselten die Unterstützungspersonen nach Angaben von Kolleg:innen häufiger, auch weil z.B. die Sozialarbeit an einer Schule andere Rahmenbedingungen vorgibt als die Arbeit in einer betreuten Wohngemeinschaft.

Es fällt uns schwer zu beurteilen, ob die psychische Belastung von Kindern in den letzten Jahren, z.B. durch die Schulschließungen durch Covid-19, zugenommen hat. Unverändert hoch ist jedenfalls die psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen, die von sozialer Ungleichheit und Rassismus betroffen sind. An einer Schule wie unserer, wo über 90% der Kinder Erfahrungen mit Migration und Armut haben, konzentrieren sich diese beiden Lasten leider auf den Schultern vieler Schüler:innen.

Elisabeth: Ja, die psychischen Probleme werden mehr. Ich persönlich glaube, dass das immer noch die Nachwirkungen der Corona-Zeit sind. Aber auch die Bereitschaft unserer Schüler:innen offen über psychische Probleme zu reden, ist gewachsen. Umso schlimmer ist, dass wir sie oft auf einen späteren Zeitpunkt vertrösten müssen. Oder wir verweisen auf Fachleute, die nicht in der Schule arbeiten. Das stellt aber für viele ein Hindernis dar. Außerhalb der vertrauten Umgebung wird nicht gerne um Hilfe gebeten.

Bekommt ihr die (externe) Unterstützung, die ihr benötigt?

Sarah: Es ist sehr gut, dass wir das genannte Unterstützungspersonal an der Schule haben. Allerdings wäre es wichtig, dass dieses Personal genügend Stunden, Räume und Ressourcen zur Verfügung hätte, um bereits präventiv, nicht erst in Reaktion auf einen negativen Vorfall, zum Einsatz zu kommen. Denn es muss betont werden, dass Kinder, die ihre psychische Belastung nicht durch auffälliges Verhalten äußern, sondern sich zurückziehen, eventuell von Lehrpersonen und Unterstützungspersonal übersehen werden.

Elisabeth: Wir bräuchten einfach mehr niederschwellige, mehrsprachige Hilfsangebote an der Schule. Externe Hilfe zu bekommen, darf nicht „ewig“ dauern. Wir brauchen in dieser Richtung auch gezielte, mehrsprachige Elternarbeit. Viele unserer Eltern haben große Scheu, wenn es um die psychische Gesundheit ihrer Kinder geht. Auch da fehlt es an Unterstützung. Im Übrigen bin ich der festen Überzeugung, dass Mehrsprachigkeit bei den Beratungslehrer:innen und Schulsozialarbeiter:innen enorm wichtig ist.

Wie siehst du deine Rolle als Lehrperson, um deine Schüler:innen in ihrem Wohlbefinden zu unterstützen?

Sarah: Ich denke, dass ich als Lehrperson im Klassenzimmer auf Struktur, Sicherheit und ein wertschätzendes Klima achten muss, damit die Belastungen, die Kinder von außen mitbringen, nicht noch durch den Besuch der Schule verstärkt werden. Das bedeutet zum Beispiel, dass es im Unterricht und in den Pausen so ruhig sein soll, dass sich alle wohl und sicher fühlen. Lernen ist neurowissenschaftlich gesehen übrigens überhaupt erst dann möglich. Ich bemühe mich, den Kindern den Unterrichts- und Schularbeitsstoff transparent, verlässlich und auf Augenhöhe zu vermitteln, um ihnen Stress durch Schularbeiten zu ersparen. Es muss darüber hinaus Raum für Kinder geben, ihre Persönlichkeit zu entwickeln, kleine Fehler im Sozialverhalten zu machen und aus ihren Fehlern zu lernen. Soziales Lernen ist ebenso ein Schulfach wie Mathematik und wird im besten Fall fächerübergreifend vermittelt.

Zu meinem Selbstverständnis als Lehrperson gehört außerdem die Kooperation mit dem Unterstützungspersonal. Das heißt zum Beispiel, dass ich mir Zeit nehme, um über Fälle in der Klasse zu sprechen, mir anzuhören, was Sozialarbeiterin und Beratungslehrerin berichten und Erkenntnisse gegebenenfalls im Umgang mit dem Kind oder Jugendlichen zu implementieren. 

Ein echter Spagat ist es, auf Kinder und ihre individuellen Bedürfnisse einzugehen und trotzdem Schritt mit Schularbeiten und Abgabeterminen zu halten. Diesen Spagat schaffe ich manchmal nicht und verlasse das Klassenzimmer in dem Wissen, dass ich den Kindern Unmögliches abverlange. Aber statt mich selbst zu kasteien habe ich begonnen, meine Kritik am Schulsystem, nicht an Individuen, zu formulieren. Die fällt immer drastischer aus und reiht sich in einen seit Jahren bestehenden Kanon ein. Das Schulsystem in Österreich gehört zu den teuersten auf der ganzen Welt, bringt aber nur mangelhafte Ergebnisse.

Elisabeth: Klar gehen Lehrer:innen auch an ihre Grenzen, wenn Schüler:innen, die psychische Probleme haben, in ihren Klassen sind. Es erfordert ein hohes Maß an Sensibilität von Seiten der Lehrkräfte. Und die Frage aller Fragen, die wir uns stellen müssen, ist, ob wir im Stande sind zu helfen. Ich persönlich hole mir in solchen Fällen Rat von Expert:innen. Klar, ich will helfen. Ich kann zuhören und auch vermitteln. Ich verbalisiere das auch, wenn Schüler:innen sich mir anvertrauen. Ich sage klar, wenn ich mich überfordert fühle. Und in Wahrheit zeige ich damit, dass es okay ist, sich Hilfe zu holen.

Wir haben viel Nachholbedarf in Bezug auf die psychische Gesundheit unserer Schüler:innen. Es gibt viel zu tun.

*Namen von der Redaktion geändert.

Beide Lehrer:innen unterrichten an Mittelschulen in Wien.

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Der Nahost-Konflikt, der zweite blutige Krieg innerhalb von zwei Schuljahren, prägt derzeit nicht nur die Nachrichten sondern oft auch Klassenzimmer und Schulhöfe. Was müssen, können, sollen und dürfen Lehrer:innen leisten? Was beschäftigt die Schüler:innen und wie kann man dem begegnen? Wir haben Lehrkräfte dazu befragt. Sie unterrichten an verschiedenen Wiener Mittelschulen und haben eigentlich andere Namen. 

1. Ist der Konflikt bei euch in der Schule ein Thema? 

Claudia: Ja, sogar ein sehr großes. In den 2., 3. und 4. Klassen hört man regelmäßig Getuschel darüber.

Martin: Der Konflikt ist bei uns soweit Thema wie wir es zulassen. Es kommen Aussagen von den SuS. Es ist nur so, dass diese zum Teil ignoriert werden oder von vorne herein als „radikal“ abgeschmettert werden. Und das wiederum checken die SuS. Sie reden dann eben nicht offen sondern tauschen sich über Social Media aus. 

2. Wie äußert sich das? Was sagen die Schüler:innen?

Claudia:  Aufgrund meines Aussehens werde ich meistens für muslimisch gehalten. Viele SuS fragen mich in der Stunde und am Gang „für wen“ ich in diesem Konflikt bin und hoffen als Antwort „Palästina“ zu hören.

Viele SuS verspüren starken Rede- und va. Äußerungsbedarf.

Die SuS, die darüber sprechen, sind zu 100 % gegen Israel, sehen in diesem Konflikt nicht die Hamas, sondern „Palästina“ als Kriegspartei und wissen oft gar nicht, dass es einen Terrorangriff der Hamas gab.

Martin: Ja klar, viele sind für die „Hamas“ ohne zu bedenken, dass diese ja nicht Palästina sind.

Mir haben SuS gesagt, dass man nicht alles glauben darf, was man im Fernsehen sieht. Und das finde ich insofern bedenklich, weil das klar macht, welcher Quellen sie sich bedienen.

Ein Mädchen hat mir gesagt, dass das alles gar nicht so stimmt. Und dass ihr Mutter gemeint hat, sie soll ihre Kette vom Hals geben. Es ist eine Kette auf der Palästina steht. Diese Kette trägt sie schon seit Schulbeginn. Aber, wie gesagt, die Mutter hat Angst.

Ein anderer Junge wollte wissen, für wen ich bin. Das war in der Straßenbahn und ich habe ihm erklärt, dass ich gerne rede, aber nicht in einer Situation, in der kein Diskurs möglich ist.

Prinzipiell wollen die SuS wissen, was wir denken. Und ich glaube, wir sind verpflichtet ihnen diesen Raum zu geben. Denn sie wollen, wie immer, gehört werden. Die Gefahr ist, wenn wir sie nicht hören, dann gehen sie dorthin, wo man ihnen vermeintlich zuhört, aber sie nur instrumentalisieren will.

Ich glaube, wenn sich Kolleg:innen nicht zutrauen darüber zu reden, dann muss man Expert:innen ins Haus holen. 

3. Behandelt ihr das Thema? Wenn ja: Warum – Wenn nein: auch warum?

Claudia: Ja, in den Geschichtestunden. Ca. 2h pro Klasse (3. Klassen)

Ich habe selbst einen Bezug, da ich ca. ein Jahr in Jerusalem gelebt habe und dort einige Freunde habe.

Das Thema Antisemitismus prägt bei uns den Schulalltag.

Wir haben  auch beim Thema Mittelalter gerade über Pogrome gesprochen.

Viele SuS fühlen sich als Muslime davon betroffen und haben Redebedarf.

Ich habe das große Bedürfnis, zumindest die Fakten zu klären um ein wenig gegen die vorhandene Einseitigkeit bei den SuS gegenzusteuern.

Ich möchte den SuS besser vermitteln, dass es nach solchen Aktionen und Kriegen, niemandem besser geht.

Ich versuche auch ein wenig Sachlichkeit in das Thema zu bringen: Historisch aufrollen: Was war dort vor Israel? Warum gibt es den Konflikt? Wo ist Gaza? Was ist die Hamas? Was ist eigentlich passiert? Welche Länder könnten involviert werden? Was tue ich, wenn ich Angst habe nach solchen Nachrichten?

Martin: Ich behandle das Thema, wenn der Bedarf danach ist, aus den Gründen, die ich oben erwähnt habe. Das kann in der Pause sein, oder in einer Stunde, auch in der Mathematikstunde. Wir reden viel über Frieden, und dass der Krieg viele von ihnen vertrieben hat. Dass Krieg der Grund ist, warum sie hier sind. Und dass Krieg nur Verlierer/innen hat und keine Sieger/innen. Auch wenn sie diese Aussagen manchmal belächeln, es macht etwas mit ihnen. Sie denken zumindest kurz nach. Abschließend möchte ich schon noch schreiben, dass gerade die Jugendlichen ihre Meinung im Internet bilden. Und dass oft die Eltern keine Ahnung haben, wo die SuS ihre Infos herhaben. Wie schon ganz oben erwähnt, viele Eltern haben Angst noch mehr ausgegrenzt zu werden, aufgrund ihrer Religion. 

Ein wichtiger Hinweis noch seitens der Redaktion: Wenn es Euch zu viel wird, ihr Hilfe und/ oder Unterstützung benötigt, dann gibt neuerdings es die Lehrer:innen-Telefonhotline: www.wirkt.eu/teachersupport des Vereins wirkt.

Unterrichtsmaterial zum Thema gibt es z.B. hier: 

https://www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/das-junge-politik-lexikon/320826/nahostkonflikt/

https://www.erinnern.at/lernmaterialien/lernmaterialien/themenheft-fuer-paedagoginnen-nahost-geschichte-konflikt-wahrnehmungen

https://www.bildung-vbg.gv.at/service/schulinfos/nahost.html

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Die Wochen vor den Ferien sind immer besonders nervenaufreibend. Ein ganzes Semester, welches von Vorbereitungen, Nachbereitungen, Elterngespräche, Vorkommnisse in der Klasse, Einzelgesprächen, schwierigen, aber auch wundervollen Situationen geprägt war, neigt sich dem Ende zu. Wir sind nun an der Reihe die Kinder und Jugendlichen zu benoten. Ihnen so objektiv wie möglich zu bescheinigen, wie viel sie geleistet haben. In den letzten Wochen vor den Ferien wird die Anstrengung, die sich über mehrere Wochen aufgestaut hat, oft noch deutlicher. Viele Kolleg:innen sind ausgelaugt, freuen sich auf die Ferien, freuen sich darauf, einmal „den Kopf frei zu bekommen“. Es scheint, als würde in den Wochen vor den Ferien alles Negative, das wir erleben, nochmal intensiviert werden.

Ja, eine Lehrkraft zu sein ist anstrengend. Es gibt – so denke ich – nur wenige Jobs, in denen man bis 10:00 Uhr früh so viele verschiedene Emotionen durchlebt hat, wie als Lehrkraft. Aber es sind nicht nur negative Emotionen, mit denen wir konfrontiert sind. Unsere Arbeit birgt so viel mehr. Sie birgt wunderschöne, lustige und stolze Momente.

Ich habe mich im letzten Monat jeden Tag gefragt, was ich an meinem Job eigentlich so liebe. Jeden Tag habe ich mindestens eine Situation gefunden, die in mir positive Gefühle ausgelöst haben. Und ich würde behaupten, dass wir Lehrkräfte alle solche Momente durchleben. Ich plädiere dafür diese wieder in den Vordergrund zu stellen und wertzuschätzen, was für einen besonderen, wunderschönen, nervenaufreibenden und wichtigen Job wir tagtäglich machen.

Wochenende:

07.01.2023 Ich unterrichte Deutsch und Mathematik. Gerade verbessere ich die Deutscharbeitspläne. Die Aufgabe lautet: „Schreibe einen Satz mit dem Wort ‘Viertel’.“ Die Antwort der Schülerin lautet: „Ein Viertel ist ein Bruch.“ Sie vereint beide Fächer – ich bin stolz.

08.01.2023: In drei Tagen ist Mathematik Schularbeit. Letztes Jahr hat meine Schülerin Mathematik gehasst. Sie hatte regelrecht Angst davor und hat eine große Abneigung entwickelt. Sie entschied sich demonstrativ nicht für die Schularbeit zu lernen. Ich habe die Klasse dieses Jahr in Mathe übernommen. Heute schreibt sie mir, dass sie das gesamte Wochenende für die Schularbeit gelernt habe und ob ich ihr noch eine Frage beantworten könne, da ihr nur mehr eine Sache unklar sei. Ein Erfolgserlebnis ♥️

Woche:

9.01.2023: Es ist Montag nach den Ferien. S. ist am Vormittag wegen eines Termins nicht in der Schule, kommt aber vor der fünften Stunde. Ich stehe am Gang und warte darauf, dass sich meine Klasse für den Turnunterricht anstellt. Sie sieht mich, kommt mir entgegengerannt, umarmt mich und ruft: „Ich bin so froh wieder in der Schule zu sein. Ich hab´ Sie vermisst.”

Ich bin wirklich froh, dass meine Schüler:innen gerne zur Schule kommen und sich hier wohl fühlen. 

10.01.2023: Mein Schüler vertraut sich mir an. Er meint ihm gehe es nicht gut und er macht sich immer große Sorgen über viele Dinge, sodass er nicht einschlafen kann. Ich schlage ihm vor mit einer Psycholog:in darüber zu reden und frage ihn, ob ich das mit seiner Mama Besprechen soll. Er bedankt sich.

11.01.2023: Ich verbessere den Deutscharbeitsplan zum Thema „Gefühle“. Die Aufgabenstellung lautet: „Besprecht gemeinsam welche Gefühle ihr heute hattet. Habt ihr Gemeinsamkeiten? Schreibt diese auf und begründet.“ Als Antwort stand:  „Wir sind beide glücklich, weil wir heimlich in der Pause Süßes gegessen haben.“

12.01.2023: Ich bin seit gestern krank und mir fällt die Decke auf den Kopf. Auf einmal erhalte ich eine Nachricht meiner Schülerin: „Werden Sie bald wieder gesund, wir vermissen Sie!“

13.01.2023 Ich war die letzten beiden Tage krank. Als ich in die Schule komme, sehe ich meine Kollegin, die mich anlächelt und meint: „Schön, dass du wieder da bist und es dir besser geht.“

Wochenende:

14.01.2023: Diese Woche behandelten wir in Mathematik das Thema „Dreiecke“. Dieses Thema haben wir letztes Jahr schon besprochen. Sie mussten die Wochenpläne lösen, ohne viel Input in den Stunden darüber bekommen zu haben, da sie das Wissen noch von letztem Jahr haben sollten. 97% der Wochenplanaufgaben waren hervorragend gelöst.

Stolz überkommt mich – sie merken sich wirklich viele Dinge. Ich bin beeindruckt!

15.1 Es ist Sonntag. Ich freu mich schon auf morgen

Woche:

16.01.2023: Meine Klasse arbeitet ganz oft selbständig an Arbeitsplänen. Ein Schüler kommt zu mir und fragt mich um Hilfe. Ich bin soeben mit der Beantwortung einer anderen Frage beschäftigt und meine nur, ich komme gleich. Als ich zu ihm komme, sitzt er schon mit A. zusammen, der ihm bei der Lösung des Problems hilft. Dieser ist schon fertig mit dem Beispiel, aber noch lange nicht mit dem Arbeitsplan. Trotzdem nimmt er sich Zeit und beantwortet ihm seine Fragen. Sie halten zusammen.

17.01.2023: Heute steht wieder eine Theoriestunde in Deutsch zum Thema Präsentationstechnik an. Wir spielen einen schlechten Vortrag av. Die Kinder lachen und zeigen uns dann, wie es eigentlich gehen sollte. Wir haben viel Spaß miteinander.

18.1.2023 Wir haben eine Freiarbeitsphase. Jedes Kind kann sich selbstständig aussuchen, welche Aufgabe sie mit wem, wo und wann machen. Am Ende muss alles fertig sein. Ab dem Zeitpunkt, ab dem wir sie Arbeiten geschickt haben, arbeiten alle – ohne Ausnahme. Ich bin immer wieder erstaunt, wie großartig sie selbstständig arbeiten, konzentriert sind und sich gegenseitig unterstützen. Am Ende waren alle fertig. Wow!

19.01.2023: Sie bekommen eine Aufgabe. Mein Schüler, der von sich behauptet, Mathematik nicht zu können, einer, der oft länger braucht, um die Aufgabe zu Gänze zu verstehen, einer der oft behauptet ‘ich kann das nicht’ und einer der oft resigniert, erhält den heutige Mathe-Arbeitsauftrag, schaut mich mit funkelnden Augen und sagt: „Ich weiß es, heut schaff ich das”.

20.01.2023 Update zum 10.01.2023: Der Schüler kommt stolz zu mir und redet offen vor der Klasse darüber, dass er jetzt in psychologischer Behandlung ist und er glaubt, dass ihm das gut tue. Die Kinder verurteilen ihn nicht sondern fragen nach und sind neugierig.

Offen über psychologische Hilfe zu sprechen ist noch immer ein Tabu Thema in unserer Gesellschaft. Aber sogar unsere Kinder können dies mittlerweile schon und gehen grandios mit der Tatsache um. Ich bin stolz auf sie.

Wochenende

21.01.2023: Ich genieße einen Tag ohne Korrekturen und Vorbereitungen 😬

22.01.2023: Draußen wird es immer kälter und ich denke an Dezember zurück, als es das erste Mal geschneit hat und ich in der Schule die Mittagsaufsicht halten durfte, denn das heißt bei uns: Schneeballschlacht. Natürlich lautet das Motto: alle gegen mich. Ich liebe diese Momente mit ihnen. Sie halten als Klasse zusammen, wir haben wahnsinnigen Spaß miteinander und sie zeigen Empathie, sobald es einmal zu wild wird.

Woche

23.01.2023: Ein Schüler erzählt mir in einem Einzelgespräch wie es ihm gerade geht. Plötzlich sagt er: „Wissen Sie, Sie sind meine Vertrauensperson.“

24.01.2023 Mathematik:  Wir wiederholen mündlich kurz, was wir in der Vorwoche gelernt haben. 90% der Hände sind oben, jede:r will etwas beitragen und sie wiederholen gemeinsam die wichtigsten Dinge

25.01.2023 Wir haben Lernzeit. Die Schüler:innen bearbeiten zu der Zeit ihre Wochenplanaufgaben (diese sind vergleichbar mit HÜ´s, aber sie sollen nicht zuhause gemacht werden). A. ist noch nicht mit seinen Wochenplanaufgaben fertig. Trotzdem setzt er sich zu einem Mitschüler, nimmt sich eine Stunde Zeit und erklärt ihm die Mathematik Aufgabe.

26.01.2023: Heute waren wir eislaufen. Beide Klassen waren so glücklich und dankbar dafür, dass wir diesen Ausflug machen. Nicht viele können sich den Eintritt und das Ausborgen der Schuhe sonst leisten.

27.01.2023: Einer Schülerin geht es nicht gut. Sie sind füreinander da. Sie trösten sie, sorgen für sie und halten zusammen, um sie zu beruhigen und für sie da zu sein. Diesen Zusammenhalt und die Empathie, die sie gezeigt haben, haben sie erst gelernt und er ist so unfassbar wichtig für ihr weiteres Leben.

Wochenende

28.01.2023: Eine Schülerin schreibt mir auf MS-Teams, dass sie nach langer Überlegung nun doch zu unserer Schulspsychologin gehen möchte. Der Junge aus ihrer Klasse hat ihre gezeigt, dass das gar nicht so uncool sei.

29.01.2023: Ich trage die Noten für die Schulnachricht in unsere Liste ein und sehe mir die restlichen Fächer genau an. Auch wenn man über die Wichtigkeit von Noten streiten kann, überkommt mich stolz: Kein:e einzige:r aus der Klasse hat eine negative Beurteilung.

Woche

30.01.2023: Heute tragen sie ihre Präsentationen vor. Alle kommen im Business Look mit Hemd oder Bluse, mit PowerPoint Präsentationen, von denen sich manche Uni Professoren was anschauen könnten und mit Karteikarten – sie haben sich top vorbereitet. Ein wenig Stolz überkommt mich.

31.01.2023 Heute haben wir gebastelt und dabei gesungen. Ich habe Last Christmas –(ja, etwas zu spät) abgespielt und leise dazu mitgesungen. C., der mir und meiner Kollegin gegenüber sehr reserviert ist und oft auffällt, stellt sich neben mich und beginnt laut den Text zu grölen und dazu zu tanzen. Die ganze Klasse ist im ersten Moment perplex. Im zweiten, konzentrieren sie sich wieder auf ihre Basteleien und singen lauthals den Text mit. Danach kommt er zu mir und sagt: Ich liebe solche Stunden mit Ihnen.

Das waren Auszüge aus den Erlebnissen meines Monats. Schule kann stressig sein. Schule kann nervenaufreibend sein. Schule kann einen zum Zweifeln bringen. Aber Schule kann, wenn man es zulässt, vor allem eines sein: unglaublich bereichernd und schön.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Wiener Mittelschule.

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Passierschein A38

Es klingelt. Um mich herum hasten Kolleg:innen zurück in die Klassen, noch schnell ein illegaler Schluck aus der Cola Zero Flasche genommen – immerhin sind wir Vorbilder- und weiter geht’s. 

Als ich den Klassenraum betrete, finde ich einen einsamen Haufen an Jugendlichen vor, der Rest dürfte noch irgendwo in den unendlichen Weiten des Ganges verloren sein, bevor sie dann mit fünfminütiger Verspätung endlich den Weg zurück in die Klasse finden. Ich möchte gerne starten, aber leider bin ich anscheinend die einzige Person in diesem Raum, die das im Sinn hat. Die meisten Schüler:innen sitzen noch auf Plätzen, die nicht ihnen zugeteilt wurden, in der Hoffnung, dass ich es nicht merke und sie neben ihrem „Bro“ sitzen bleiben können. Sehr zum Verdruss merke ich es aber doch und schicke sie zurück. Während ich auf Ruhe warte, kommt von hinten plötzlich ein Papierknäuel geflogen und landet neben mir auf dem Boden. Großes Gelächter folgt, denn das Ziel war eigentlich der Papierkorb drei Meter neben mir. 

„Kannst du nicht zielen, Alter?“, ruft es von ganz hinten.

„Der schießt wie Mädchen!“, ertönt es von links vorne. 

„He, hast du was gegen Mädchen?“, schaltet sich nun auch die weibliche Fraktion ein. 

„Ihh, er hat gefurzt!“, schrillt es von der Mitte. 

Sofort eilt ein Schüler zum Fenster und reißt dieses auf, streckt kurz den Kopf hinaus und holt theatralisch Luft. Einige Zeit vergeht bis er endlich meinen Aufforderungen folgt und sich wieder hinsetzt. 

Ich setze mich auf den Lehrertisch und warte immer noch, dass Ruhe einkehrt. Endlich begreifen auch die letzten, dass ich gerne mit dem Unterricht starten würde und hören auf miteinander zu reden, als plötzlich, wie aus dem Nichts, das Unvorstellbare passiert. 

„Oh Gott!“, schreit es hysterisch vom Fenster. Kinder springen auf, rennen durcheinander, fuchteln wild mit den Armen. Eine Biene hat die Bühne des Klassenraums betreten. All mein gutes Zureden von wegen, bleibt ruhig, dann passiert nichts, eine Biene stirbt, wenn sie einmal sticht und hat kein Interesse daran, außer sie hat Todesangst, wird geflissentlich ignoriert. Endlich – nach gefühlt Stunden – erbarmt sich die Biene, lässt uns alle am Leben und verzieht sich wieder nach draußen. 

Zwanzig Minuten sind vergangen, als endlich alle leise auf ihren Plätzen sitzen und mich erwartungsvoll anschauen. Na gut, anschauen, die Hälfte starrt auf ihre unter dem Tisch versteckten Handys, aber wenigstens ein Teil blickt zu mir und wartet. Ich selbst bin nach diesen 20 Minuten schon etwas erschöpft, denn der Weg zu dieser Stille war kein leichter. 

Ich denke an ein Lied „Dieser Weg, wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer“ und seufze, ja steinig ist es hier auf alle Fälle. 

Ich teile den Kindern ein Arbeitsblatt aus, es geht um Kinderrechte und sie sollen die einzelnen Artikel daraufhin leise für sich lesen. Während das mit dem „Leise lesen“ nicht ganz so perfekt funktioniert, wie ich es mir gewünscht hätte, schweifen meine Gedanken ab. 

Ich erinnere mich daran, als ich genau dieses Thema damals in meiner Schulpraxisklasse machen sollte. Was war das für eine traumhafte Stunde, was war ich motiviert. 25 Augenpaare strahlten mich begeistert an, warteten nur darauf, dass ich ihre Köpfe mit Wissen überschütten würde. Stundenlang hatte ich diese eine Unterrichtseinheit geplant und mich darauf vorbereitet und freute mich auf angeregte Diskussionen und Erfahrungsaustausch mit den Jugendlichen. Alles klappte wunderbar und danach verließ ich fröhlich summend das Schulgebäude und freut mich schon darauf, endlich mit dem Studium fertig zu sein und unterrichten zu können. 

Jetzt saß ich da und fragte mich, was zur Hölle ich hier eigentlich tat. Hier waren 22 Kinder vor mir, die mich tagtäglich an den Rand des Wahnsinns trieben. Regeln? Ja, sind gut, aber muss man sich nicht unbedingt daran halten. Neues Lernen? Ja, auch das wird irgendwie von uns Lehrpersonen überbewertet, bockt einfach total nicht. Hausübungen machen? Na wo kommen wir da denn hin, immerhin haben die Jugendlichen von heute Wichtigeres zu tun, dringende Termine und so. 

Was zur Hölle war mit meinem Traum des Unterrichtens passiert und wo waren all die lieben, leuchtenden Augen meiner Praxisklasse hin verschwunden, die doch so gerne etwas lernen wollten?

Hier starren mich gerade eher genervte und gelangweilte Augen an. Viele davon starren auch nicht mich an, geht ja auch schwer, wenn man gerade nebenbei auf Tiktok hängt. 

„Kann ich Klo?“ „War doch gerade erst Pause!“ „Frau Lehra, da musste ich andere Sachen machen!“ Alles klar, wie konnte ich auch denken, dass man in der Pause Zeit hat, um in Ruhe die Toilette aufzusuchen. Während A also zur Tür hinaus verschwindet, steht V auf. „Was machst du?“ „Wasser!“ „Kannst du nicht bis zur Pause warten?“

„Man, Frau Lehraaaa, ich verdurste.“ 

Während ich V zugestehe, sich vor dem sicheren Tod durch Verdursten zu bewahren, schießen sich E und F hinten in der letzten Reihe gegenseitig mit Kugelschreibern ab. 

„Genug jetzt!“, sage ich etwas lauter, während hinter mir beim Wasserhahn ein lautes Schlürfen erklingt. Allgemeines Gelächter folgt darauf. 

Genervt rolle ich mit den Augen und sage: „Bei euch ist es wie bei Asterix und Obelix im Haus, das Verrückte macht, mir fehlt nur der Passierschein um weiterzukommen!“ 

„Was für ein Pissschein?“ 

Jetzt werden sie doch neugierig und wollen wissen, was es mit Asterix und Obelix auf sich hat. 

Ich erkläre kurz und nun wenden wir uns dann doch gemeinsam den Kinderrechten zu. 

„Jedes Kind hat das Recht auf Schutz vor Gewalt.“ steht da und ein allgemeines Raunen geht durch die Menge. „Wenn Vater sauer ist, ist er halt sauer, kann man nix machen!“, ruft A von hinten. 

Ich versuche ruhig zu erklären, dass niemand – auch nicht Eltern – das Recht haben, Kinder zu schlagen, aber das wollen sie so leicht nicht gelten lassen. 

„Ach, bisschen Schlag tut nichts, tut mir gar nicht weh!“, meint A., doch seine Augen sagen etwas Anderes. „Ja genau, Watsche ist bei uns ganz normal, ist bei Ausländern so!“ „Meine Mutter schießt immer mit Patschen, wenn sie sauer ist!“ 

Nach und nach tauschen die Kinder ihre Erfahrungen aus und man merkt, dass die meisten schon mit Gewalt innerhalb der Familie zu tun hatten. 

Wir besprechen die verschiedenen Formen von Gewalt und was das mit einem macht, als es zur Pause läutet. Wildes Durcheinander, die meisten stürmen auf den Gang, sicher nicht, um die Toilette zu besuchen, sondern um andere Sachen zu machen, wichtigere Sachen. 

Am Gang angekommen, landet eine Flasche vor meinen Füßen. „Ups Frau Lehra, sorry, du musst doch fangen!“ Ich hebe die Eisteeflasche auf und runzle die Stirn. „Jaja, ich weiß, ist verboten, aber ist für dich!“ 

Ich rufe meinem Schüler noch ein Danke nach, lasse die illegale Eisteeflasche schnell in meinem Rucksack verschwinden und mache mich auf den Weg zum Lehrer:innenzimmer. 

Auf dem Weg dorthin, fängt mich eine Schülerin ab und sagt leise: „Frau Lehrerin, war eine gute Stunde. Können wir bitte noch einmal über das Thema reden? Hat mir gefallen.“ Ein bisschen perplex nicke ich und gehe weiter. 

Ich denke wieder an das Lied. Nein, dieser Weg wird nicht leicht sein, aber vielleicht lohnt er sich ja doch! Auch in einem Irrenhaus kann es schöne Momente geben, Momente, in denen die Augen leuchten, in denen man zusammen weiterkommt und vielleicht sind es genau diese kleinen Momente, die es ausmachen! 

Die Autorin ist Lehrerin an einer Wiener Mittelschule.

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Ich will nach Hause

Ich bin mit den Schüler:innen der KSDU, Klasse mit Schwerpunkt Deutsch und Ukrainisch im Kreativraum. Zwei lange Tische, viel Licht und jede Menge Farben. Platz für Kreativität und Kommunikation. Die meisten Schüler:innen bemalen die Blätter, die wir zuvor im Augarten gesammelt haben. Drei haben Kopfhörer in den Ohren, scheinen sich weg zu beamen. Zwei arbeiten an einer Bleistiftzeichnung, weil Kunstunterricht nicht bedeuten muss, dass alle zur gleichen Zeit an der gleichen Sache arbeiten. B. guckt in die Luft. „Alles okay?“, frage ich ihn. Er sieht mich lange an und nach gefühlten drei Stunden antwortet er: „Ich will nach Hause.“ „I feel you“, antworte ich, während ich mit den Tränen kämpfe. „Danke“, sagt er ganz leise und starrt weiter auf einen Punkt, der sich allem Anschein nach irgendwo in diesem Raum befinden muss.

KSDU und Neu in Wien

Seit Mai 2022 gibt es an unserer Schule eine KSDU, die damals noch Neu-in-Wien-Klasse hieß. Von Beginn war klar, dass sich die Schüler:innen willkommen und gut aufgehoben fühlen sollten. Es gab Päckchen mit Filzstiften, Buntstiften und Schokolade. Auch den neuen Kolleg:innen, beide vereinte die Tatsache, dass sie Ukrainisch sprechen, sollte diese Gefühle vermittelt werden.

Schnell etablierte sich eine Klasse, bei der immer die Türe verschlossen war, auch in den Pausen. Davor standen immer Schüler:innen, die ganz gerne gewusst hätten, was denn da so los war. Ob diese Kinder und Jugendliche denn anders waren? Warum waren sie überhaupt hier? Und wurden sie nicht viel freundlicher empfangen, als sie, die vor sieben Jahren nach Österreich kamen? Warum hatten die Markenschuhe, so richtig teure? Kamen die nicht direkt aus dem Kriegsgebiet?

Als Lehrerin stand ich dazwischen. Wollte diese Türe so gerne öffnen, hatte aber gleichzeitig Angst, dass sich alle in die Haare kriegen würden. Und ich verstand sie alle, draußen und drinnen besser als dieses Konzept, das uns einfach vor die Nase gesetzt wurde. Deutschförderklassen für die Schüler:innen, die nicht aus der Ukraine kamen. Härte bei den MIKA-Tests, nur neun Stunden im Klassenverband und meistens von nur einer Lehrkraft unterrichtet. Neu-in-Klassen für die anderen. Dazu Doppelbesetzung während des gesamten Vormittags und viel Toleranz, falls einzelne Schüler:innen gleich in eine Regelklasse wechseln wollten. Wäre ich Mohamad aus Syrien, würde ich mich auch verschaukelt fühlen und wütend werden.

Man versuchte zu beschwichtigen. Bis zu den Sommerferien waren es nur zwei Monate, danach würde alles anders werden.

Neubeginn im Herbst

Ja, zu Schulbeginn wurde tatsächlich alles anders. Die Bezeichnung der Klasse wurde von Neu-in-Wien-Klasse  in Klasse mit Schwerpunkt Deutsch Ukrainisch umgetauft. Schon logisch, jetzt waren die Kinder ja nicht mehr neu in Wien, oder? Die Schüler:innenzahl beträgt mittlerweile 22. 22 Kinder und Jugendliche, die Krieg nicht nur aus Filmen kennen. 22 Kinder und Jugendliche, die gezwungen waren meistens mit ihren Müttern sich hier in Wien eine neue Existenz aufzubauen. 22 Kinder und Jugendliche, die wie B. einfach nur nach Hause wollen. 22 Kinder und Jugendliche, deren bisheriges Leben wir nur erahnen können. 22 Kinder und Jugendliche von Schulstufe vier bis acht, alle in einem Klassenraum. Vermutlich traumatisiert, tieftraurig oder einfach nur wütend, weil sie ihr Land verlassen mussten.

Dazu unterschiedliche Lehrkräfte, die mit dieser Klasse ziemlich allein gelassen wurden und werden, sieht man von vereinzelten sehr guten Angeboten ab. Lehrkräfte, die eine ganze Klasse nicht verstehen. Ja, den einen Lehrer, der zumindest die Muttersprache der Schüler:innen spricht, gibt es noch. Einen!

Wie denn?

Nun – wie unterrichtet man Jugendliche, die in die Welt kein Zutrauen mehr haben. Die ein komplett anderes Schulsystem gewohnt sind? Die nach Hause wollen? Die nachmittags Unterricht über Zoom von ihrer Schule aus der Ukraine und eine ordentliche Portion Hausübungen bekommen? Die überhaupt keinen Sinn im Erwerb der Unterrichtssprache sehen, weil sie sowieso nicht lange hier bleiben wollen.

Wie also?

Was wir tun sollten!

Wie alle Schüler:innen, die die Unterrichtssprache nicht beherrschen, sollen auch diese 20 Stunden Sprachförderung in Deutsch erhalten. Kennen wir aus der Deutschförderklasse. Die Schüler:innen der DFK gehen danach in ihre Stammklassen, um zumindest ein bisschen Kontakt zu anderen Klassenkolleg:innen zu haben. Die Schüler:innen der KSDU? Sie bekommen unter anderem Unterricht von dem einen Kollegen, der ihre Sprache spricht. 

Kleine Randnotiz: Russisch ist nicht Ukrainisch.

Was wir tun können

Die Schüler:innen sind nicht oder kaum motiviert. Haben null Bock auf Schule. Wollen nicht Deutsch lernen und auch der Rest der ganzen Sache Unterricht in Wien kann fast allen gestohlen bleiben. Sie bemühen sich auch nicht, diese Haltung zu verbergen. Hängen während des Unterrichts viel am Handy, liegen mit dem Kopf am Tisch oder unterhalten sich mit ihren Nachbar:innen.

Ja, da muss man doch mal dreinfahren! So hören wir es immer wieder, von jenen Kolleg:innen, die meinen, dass mit viel Autorität jedes Problem abgeschafft werden könnte.

Ah, müsste man das? Mit welchem Erfolg? Welche Konsequenzen sollten wir ihnen denn androhen? Gibt nämlich keine. Sie wissen, dass sie zurzeit keine Zensuren erhalten. Selbst wenn, sie wären ihnen egal. Sie sind, wie schon erwähnt, nur auf Abruf hier.

Was ich diesen Schüler:innen sagen kann? I feel you! Ja, ich verstehe sie. Keinen Strich würde ich unter diesem Umständen machen, noch dazu, wenn ich nachmittags drei Stunden auch noch Schule hätte. Ich würde auch mein Handy nicht aus der Hand geben. Weil vielleicht meine beste Freundin noch im Kriegsgebiet ist, und ich seit Tagen auf eine einzige Nachricht von ihr warte. Vielleicht geht es auch um meine Oma? Lebt sie noch oder ist sie schon unter den Trümmern ihres Wohnhauses begraben? Und dazwischen würde ich mich mit TikTok ablenken, weil zumindest da die Welt noch in Ordnung ist.

Aber wir können Angebote setzen, die nicht wahrgenommen werden müssen. Eine Lernecke, in der Laptops stehen. Bücher, in den gearbeitet werden kann. Zwei Stunden im besten Kreativraum der Welt, in dem jede:r malen oder zeichnen kann. Wir können einen sicheren Ort und Sportunterricht anbieten. Und jede Menge Ausflüge in einer Stadt, die diesen Kindern und Jugendlichen momentan wenig Freude bereitet. Unter den Motto: Ihr müsst Wien nicht mögen, aber gebt dieser Stadt – und somit diesem absurden Lebenszeitsbschnitt – zumindest eine Chance. Oder ein klein wenig Sinn. 

Die Autorin ist Lehrerin in einer KSDU Klasse einer Wiener Mittelschule