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Ein knappes halbes Jahr ist seit Ende des ersten Lockdowns vergangen. Damals im März wurden wir in allen Lebensbereichen überrumpelt. Auch in der Schule fehlte es an vielem: Vorbereitungszeit, technischer Ausstattung und Know-How. Es war für alle Beteiligten ein Sprung ins kalte Wasser. Anders als damals, kam der zweite Lockdown und die damit einhergehenden Schulschließungen für die meisten nicht wirklich überraschend. Doch was haben Schulen und Lehrkräfte wirklich dazugelernt, wie wurden Kinder auf das Homeschooling vorbereitet, welche Baustellen bestehen nach wie vor und wie steht es um die Arbeitsmotivation im 2. Lockdown? Wir haben uns unter Lehrkräften umgehört. So viel können wir schon verraten: Wieder ist das Gelingen vor allem dem Einsatz einzelner Lehrkräfte und Schulleitungen zu verdanken, strukturelle Unterstützung “von oben” gibt es nach wie vor kaum. 

Was unterscheidet für dich den zweiten vom ersten Lockdown? Was hat deine Schule aus dem ersten Lockdown gelernt?

Alice*: Seit dem 1. Lockdown wurde bei uns an der Schule viel umgestellt. Wir hatten dank des letzten Lockdowns endlich einen Digitalisierungsschub an der Schule und jede Klasse hat jeweils drei Laptops und einen Beamer erhalten. Zusätzlich haben wir uns auf eine E-Learning-Plattform einheitlich geeinigt – alle (sollten) Google Classroom verwenden. Jede*r Schüler*in  hat zu Schulanfang auch eine eigene Schul-Emailadresse erhalten. Während einige Lehrer*innen ab Schulanfang die meisten Hausübungen, Aufgaben und Benotungen nur noch über Google Classroom gemacht haben, wurden andere von diesem 2. Lockdown komplett überrascht und sind seit Montag gerade erst dabei den Kindern (und sich selbst) beizubringen wie man sich jetzt eigentlich anmeldet. Hier hätte meiner Meinung nach die Direktion mehr dahinter sein müssen! In meiner Klasse haben wir in allen Fächern alle Aufgaben und Benotungen seit Schulanfang nur noch über Classroom gemacht, sowie auch die Abgabe der Hausübungen online ermöglicht. Für meine Kinder ändert sich die Arbeitsweise nicht, sondern nur noch, dass die Input- und Fragestunden online stattfinden. Die meisten andere Routinen, sowie Arbeitsweisen wie Wochenpläne, können weitergeführt werden wie bisher. Es gibt bei uns einen täglichen Login um 9 Uhr in einem Videocall, wo sich alle Schüler*innen einloggen und der Tagesplan besprochen wird. Zusätzlich gibt es Check-in Stunden in allen Fächern, wo die jeweiligen Fachlehrer*innen für Fragen online immer zur Verfügung stehen.

Pia: Der Lockdown 2 war sehr gut vorbereitet an unserer Schule. Bereits zu Schulbeginn haben wir uns für die Lernplattform entschieden, die digitale Kommunikation für die Eltern eingerichtet und etabliert.In den letzten zwei Wochen liefen meine Aufgabenstellungen, Abgaben und Korrekturen online ab. Die Schüler*innen konnten sich an die Form der Zusammenarbeit gewöhnen und Probleme haben wir vorab gelöst.In meinen Klassen richteten wir bereits im ersten Lockdown vor Ostern eine Lernplattform und Videounterricht ein, jedoch war es sehr kompliziert die individuellen technischen Probleme, das Kennenlernen und das Verständnis für die Technik von zu Hause aus zu lösen. Beim ersten Lockdown haben wir für die Schüler*innen ohne Endgerät Handys organisiert. Diesmal sind die Schüler*innen schon besser vorbereitet und nur wenige brauchen ein zusätzliches Endgerät. Die gesamte Schule arbeitet jetzt über eine Plattform, das macht es Kolleg*innen, die in allen Stufen arbeiten, leicht. Unsere Direktorin hat den finanziellen Schritt gewagt, Endgeräte für alle Kolleg*innen, die eines benötigen, zu besorgen und das trotz der geringen finanziellen Mittel.

Fabian: Was auffällt ist, dass alle Schüler*innen nun auf einer Plattform (Moodle) Zugänge haben und eingeschult sind, weil dies schon vorab im Unterricht eingeübt wurde. Es gibt Klassenkurse, von denen die einzelnen Fachkurse zu erreichen sind und zudem die Videostunden koordiniert, sowie Streaminglinks angelegt sind. Zudem haben die Schüler*innen dort einen Überblick, was bis wann in welchem Fach zu erledigen ist. Die Kommunikation läuft auch über Moodle. Da alle auch die App am Handy haben, können die Lehrfilme direkt dort angeschaut werden und die Arbeitszeit am Computer und Laptop somit verringert werden, dies war ja im 1. Lockdown auch eine Engstelle. Auch die Lehrer*innen sind organisierter mit Moodle, zu dem jede*r zuvor eine Einschulung erhalten hatte. Zudem wurde jede zweite Klasse mit WebCams ausgestattet, sodass ein Unterrichts-Live-Streaming möglich ist. Die Hauptgegenstände müssen mindestens einmal pro Woche eine Onlinestunde anbieten, die Nebengegenstände können dies tun. Das aufgestockte vierköpfige IT-Team unterstützt dabei kompetent die anderen Lehrer*innen. 

Laura und Barbara: Nach dem Ende des letzten Lockdowns war bei einigen Lehrer*innen unserer Schule die Motivation den Unterricht generell digitaler zu gestalten groß. Doch sehr schnell hat sich wieder die althergebrachte analoge Routine eingeschlichen. Eine schulinterne Lehrer*innenfortbildung zum Programm MS Teams vor einigen Wochen hat einigen diesen Vorsatz wieder in Erinnerung gerufen. Im Unterschied zum ersten Lockdown sind viele Lehrer*innen-Teams diesmal strukturierter und besser vernetzt. Es wird nun auch darauf geachtet, den Gesamtaufwand der Schüler*innen im Blick zu behalten, indem sich die einzelnen Fachlehrer*innen besser austauschen. Außerdem löst MS Teams schrittweise die Kommunikation via WhatsApp ab. Während wir für unsere Klasse im 1. Lockdown tägliche Zoom-Unterrichtsstunden gehalten haben, haben wir uns dieses Mal dafür entschieden, die Möglichkeit der “Lerngruppen” vor Ort zu nutzen. In Kleinstgruppen kommt nun jedes Kind einmal pro Woche für drei Stunden (Englisch, Mathematik und Deutsch) in die Schule. Einerseits ist das für die Kinder eine willkommene Abwechslung und andererseits stellen wir fest, dass der Lerneffekt und die Nachhaltigkeit  einer Stunde realen Unterrichts wesentlich größer ist als online. Für die übrigen Schultage haben die Kinder einen Arbeitsplan, der Aufgaben für alle Fächer enthält, die innerhalb einer Woche abgegeben werden müssen. 

Dominik: Im Vergleich zum Frühjahr ging unsere Schule fast entspannt in den Lockdown. Einige Lehrer*innen nutzten die Zeit seit Schulbeginn, um die Google Suite for Education (und damit Google Classroom, einheitliche Email-Adressen für die Schüler*innen, Chat-Funktionen, etc.) und SchoolFox für die digitale Kommunikation mit den Eltern zu ermöglichen. Die Kolleg*innen wurden bereits im Vorfeld eingeschult, erstellen nun eigenständig Aufgaben über Google Classroom oder halten ihre Stunden zum Teil mit großer Begeisterung online ab.

Lukas: Der primäre Unterschied zum ersten Lockdown im März besteht an unserer kleinen, feinen Landschule (der nördlichsten Mittelschule Österreichs) darin, dass sich auch die letzten Arbeitsblattfanatiker*innen mittlerweile tränennassen Auges – und sich leise seufzend in Resignation hüllend – mit der ausschließlich digitalen Kommunikation zwischen ihrer (Lehr-)Person und den Schüler*innen abgefunden haben. Als neues Selbstverwirklichungsfeld wurde nun die Videokonferenz via MS Teams entdeckt. Dass diese Vorliebe allerdings zu Spitzenzeiten die Internetverbindung unserer Schule (in der allerdings ohnehin nur etwa 15 Prozent der Kinder anwesend sind) zum Schwächeln oder kompletten Erliegen bringt, sei hier lediglich als Randnotiz vermerkt.

Johannes: Im Vergleich zu Lockdown 1 waren wir diesmal einfach viel besser vorbereitet. Im Prinzip haben wir unsere Kinder schon seit September auf diesen Fall vorbereitet. Im September ist unsere ganze Jahrgangsstufe mit Laptops ausgestattet worden und wir sind darauf übergegangen, Hausaufgaben digital zu verschicken und anzunehmen. Auch im Unterricht haben wir die Laptops der Kinder verstärkt eingesetzt. Deshalb waren die ganzen technischen Schwierigkeiten oder unzulängliche Ausstattung (mit Ausnahme WLAN!) diesmal kein Thema. Dazu haben wir mit den Kindern schon sehr früh besprochen, dass, sollte ein zweiter Lockdown kommen, sie nach Stundenplan arbeiten müssen. Wir schauen diesmal sehr genau darauf, dass die Kinder wirklich schon ab 8 Uhr an ihren Geräten arbeiten. Mathe, Deutsch und Englisch unterrichten wir jeweils viermal die Woche/Klasse online, wobei für alle Anwesenheitspflicht gilt. Die Aufgaben in den Nebenfächern sollen sie nach Möglichkeit auch in den nach Stundenplan dafür vorgesehenen Stunden erledigen. 

Susanne: Ich habe mich beim 2. Lockdown bewusst für die Betreuung an der Schule entschieden. Ich verbringe die Zeit mit den Schüler*innen, die spätestens seit dem ersten Lockdown wissen, dass es ihnen vor Ort besser geht. Manche wären den ganzen Tag alleine zuhause, weil ihre Eltern arbeiten müssen. Andere brauchen unsere Unterstützung und ein paar wenige sind auf Empfehlung ihrer Lehrer*innen da. Seit Dienstag waren immer zwischen 20 und 30 Schüler*innen anwesend. Deutlich mehr als im Frühjahr, wo maximal 10 Schüler*innen zur gleichen Zeit in der Schule waren. Wobei damals, zumindest am Anfang des Lockdowns, nur jene Schüler*innen kommen sollten, deren Eltern in sogenannten systemrelevanten Berufen arbeiten. Im 1. Lockdown habe ich die Schüler*innen nahezu ausschließlich von zuhause betreut. Klar, ich habe viele von ihnen erreicht. Dennoch hatte ich das Gefühl unendlich weit weg von der Schule zu sein. 

Reza: Das Schuljahr startete bei uns schon mit der Vorkehrung für ein erneutes Distance Learning. So wurde geschaut, dass sich alle (neuen) Schüler*innen mit Microsoft Teams vertraut machen und über entsprechende Gerätschaften wie Kameras oder Mikrofone verfügen. Darüber hinaus wurde versucht, Leihgeräte für jene zu organisieren bzw. zu beschaffen, die zu Hause über gar keine bzw. zu wenige verfügten. Und vor den Herbstferien waren alle aufgefordert, ihre Schul- bzw. Arbeitssachen mitzunehmen. Denn die Möglichkeit eines erneuten Lockdowns wurde greifbar. Nach den Herbstferien setzte in allen Oberstufen das Home-Learning ein. Im Vergleich zum ersten Mal mache ich zwei Unterschiede fest. Erstens: Lag im Frühjahr die Wahl der Plattform bei den Lehrer*innen, müssen diesmal alle mit Teams arbeiten. Hier fand somit eine Vereinheitlichung statt. Die, wie alles, Vor- und Nachteile besitzt. Ich persönlich arbeite in weiten Teilen sehr gerne mit Teams und würde allein bei den Telefonkonferenzen gerne auf Zoom ausweichen. Zweitens: Richteten sich im Frühjahr die Aufgaben an die Wochenstunden, aber nicht selbst an den Stundenplan, müssen wir diesmal minutiös nach diesem unseren online Unterricht halten. Der Vorteil: Es wird ein enger Kontakt mit den Schüler*innen gepflegt und sie erhalten eine Tagesstruktur. Mich persönlich beschäftigt am meisten die Raumsituation vieler meiner Schüler*innen. Gerade in den Telefonkonferenzen höre ich alltäglich, dass viele keinen Rückzugsort haben, wo sie in Ruhe und im Privaten arbeiten können. Umso perfider klingt die Anmerkung des Bildungsministers, mensch solle Spiel- und Arbeitsbereich trennen, in meinen Ohren. Zu guter Letzt ist im Austausch mit den Kolleg*innen zu bemerken, dass vor allem die mangelnde Information der Regierung sowie der nicht vorhandene Mut seitens des Bildungsministeriums, innovative und neue Ideen/Projekte/Unterrichtsformen/Räume etc. auszuprobieren, zur Weißglut treibt! Eine Pressekonferenz reiht die nächste, doch die Informationen und Lösungsansätze gehen über reinen Populismus nicht hinaus. Dabei gäbe es so viele kluge und gute Alternativen! Dazu müsste mensch aber zuhören wollen.

Lena: Man hat durchaus gemerkt, dass wir auf diesen Lockdown besser vorbereitet waren, als auf den letzten. Obwohl es für Landesschulen in Wien noch immer nicht flächendeckend Endgeräte für die Schüler*innen gibt und das in unserer Brennpunktschule ein relativ großes Problem ist, konnten wir zumindest am Sonntag noch Laptops für die Schüler*innen bestellen, die gar keinen anderen Zugang zu Internet haben. Diese wurden dann gleich am Montag geliefert und konnten von den betroffenen Schüler*innen mit nach Hause genommen werden. Dadurch, dass diesmal oft betont – und so auch von den Medien kommuniziert wurde -, dass die Schulen diesmal „wirklich offen“ hätten, herrscht auch weniger Druck auf den Schüler*innen und uns, weil wir wissen, wenn es ihnen zuhause schwer fällt zu arbeiten, können sie jederzeit problemlos in die Schule kommen und werden dort unterstützt. Die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen der Betreuung in der Schule und den Lehrer*innen, die von zuhause via Videokonferenz unterrichten, ist dieses Mal auf jeden Fall besser. 

Sophia: Der erste Lockdown kam sehr überraschend und ohne jegliche Vorbereitung. Wir starteten in unserem Jahrgang mit Google Classroom, was wir während der Osterferien auf unsere gesamte Schule ausweiteten. Bereits seit des Schulstarts im September führt jede Klasse alle Aufgaben auch auf Google Classroom, die Schüler*innen mussten somit täglich damit arbeiten und brauchten keine Einführung/Erklärung mehr. Nächste Woche holen wir jene Schüler*innen in die Schule, die zu Hause die Aufgaben nicht (gut) bewältigen können, um sie zusätzlich zu unterstützen. Eine wichtige Maßnahme, die den zweiten Lockdown erheblich erleichtert. Dennoch stellt dieser uns vor neue Herausforderungen, die Müdigkeit ist deutlich zu spüren – und Fragen tauchen bei uns und v.a. bei den Kids auf: „Wie lange wird uns das noch begleiten?“ „Wird es nach dem Lockdown Sicherheitsvorkehrungen geben und wie werden diese kommuniziert?“ „Wann werden wir wieder normal Unterricht haben?

*Alle Namen von der Redaktion geändert.

Alice unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Pia unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Fabian unterrichtet an einer AHS-Unterstufe in Wien.

Laura und Barbara unterrichten an einer Mittelschule in Wien.

Dominik unterrichtet an einer Mittelschule in Niederösterreich.

Lukas unterrichtet an einer Mittelschule in Niederösterreich.

Johannes unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Susanne unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Reza unterrichtet an einer BHAK in Wien.

Lena unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Sophia unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

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Wie war der Schulstart allgemein? 

Victoria*: Das erste Gefühl, das mich überkam als ich über den Pausenhof voll von Schüler*innen lief um meinen ersten Tag an meiner neuen Schule zu beginnen war ganz klar Vorfreude. Ich konnte es wirklich kaum erwarten endlich vor der Klasse zu stehen. Im Lehrerzimmer wurde ich von vielen netten Gesichtern begrüßt und es herrschte ein großes Gewusel, weil keiner so richtig wusste wie die nächsten Tage ablaufen würden und wer jetzt welche Klassen in welchen Fächern unterrichten soll. Zu meiner Überraschung kann es schon mal ein paar Wochen dauern, bis der Stundenplan für die Schüler*innen feststeht. Dennoch hatte ich die Möglichkeit mit in die Klassen zu kommen und meine Teamteacher kennenzulernen. Die Fächerverteilung hat sich für mich am zweiten Tag nochmal komplett verändert, was ich mit heiterer Gelassenheit aufgenommen habe, denn ich hatte mir zuvor einen Satz eingeprägt der mir immer wieder gesagt wurde: Fix ist, dass nichts fix ist. Mit also völlig neuen Fächern durfte ich dann Freitag, also an Tag fünf,  meinen ersten Unterricht alleine halten und es hat mir ziemlich viel Spaß gemacht.

Barbara: Der Schulbeginn war hoffnungsvoll. Alle freuten sich auf die Schule. Auch wir. Endlich wieder Unterricht, alle Kinder sehen. Sich austauschen. Wir freuten uns auf ein Schuljahr vor uns, auch wenn wir wussten, es würde ein wenig planbares Schuljahr werden. Mit Ausflügen und Workshopterminen waren wir zurückhaltend und vorsichtig. Obwohl sie ein so guter und wichtiger Teil unserer Arbeit mit den Kindern sind. 

Julia: Der Start, also der allererste Schultag, war richtig gut. Ich konnte die Freude vieler Schüler*innen spüren. Normalerweise gibt es am ersten Schultag immer wieder Schüler*innen, die fehlen. Das war heuer gar nicht der Fall. „Alle da“, erzählten die Klassenvorständ*innen. Klar, viele unsere Schüler*innen konnten heuer nicht zu ihren Verwandten fahren. Entweder, weil die Angst vor den Arbeitgeber*innen groß war. Quarantäne sollte verhindert werden.  Die Sorge um den Arbeitsplatz ist omnipräsent. Oder, es fehlte das Geld, um die ganze Familie nach dem Urlaub auf Covid 19 testen zu lassen. Die kostenlosen Tests gibt es ja noch nicht so lange.

Wie macht sich Corona im Schulalltag bemerkbar? 

Sonja: An meiner Schule im 2. Bezirk müssen die Schüler beim Betreten und beim Verlassen des Schulhauses und wenn sie auf die Toilette gehen die Maske tragen. Schüler*innen werden angehalten nur noch während des Unterrichts aufs WC zu gehen – mit Maske natürlich! (Weil während der Stunden ist ja bekanntlich auf den Schulgängen besonders viel los). In der Klasse – wo 23 Schüler*innen + 2 Teamteacher + 1 Integrationslehrerin in einem 50m² Raum sitzen muss keine Maske getragen werden.

In den Pausen habe ich bereits aufgegeben auf die Abstandsregel hinzuweisen.  Jede 2. Pause müssen alle Schüler*innen in der Klasse bleiben, weil die Nebenklasse Gangpause hat, und selbst beim Sitzen am Platz der Meter nicht eingehalten werden kann.

Victoria: Corona macht sich in der Schule überall bemerkbar, denn es herrscht Maskenpflicht für Lehrer*innen und Schüler*innen. Vor dem Unterrichtsbeginn und nach Unterrichtsschluss müssen sich die Schüler*innen der Reihe nach die Hände waschen und desinfizieren. Und auch die Pausen sind für Schüler*innen aus den A, B und C Klassen immer um eine Viertelstunde versetzt. Im Unterricht ist von den sonst so strengen Coronaregeln jedoch nicht so viel zu bemerken, weil die Schüler*innen und Lehrer*innen maskenfrei im Klassenzimmer sein dürfen. Ein bisschen verwirrend ist es, dass es eine sogenannte Corona-Ampel für die Schulen in Linz und das Land Oberösterreich gibt, welche auch mal unterschiedliche Farben haben können. Coronafälle gab es an der Schule bislang noch keine. 

Julia: Corona ist allgegenwärtig, irgendwie schon ein bisserl zu viel. Zum einen gibt es eine Reihe an Bestimmungen, die bedacht werden müssen. Zum anderen ist auch Nervosität spürbar. Corona schafft Unsicherheit. Nichts ist mehr, wie es war und leider ist nichts normal.  Dadurch, dass die Schüler*innen nicht mehr in den Pausen auf den Gang dürfen, verliere ich auch den Kontakt zu jenen, die ich nicht unterrichte. Die Fröhlichkeit und Ausgelassenheit der Pausen geht mir sehr ab. Unsere Schüler*innen haben kaum Möglichkeiten andere Schüler*innen kennenzulernen.

Fühlt ihr euch durch die Maßnahmen persönlich gut geschützt? 

Barbara: Nach den ersten Fällen an der Schule lautete der Auftrag der Direktion: Alle Kinder der Klasse bleiben bis auf weiteres zuhause. Die Lehrkräfte auch. Gut, doch was bedeutet das in der Realität? Auch wir haben Kinder. Drei an drei Schulen sind es allein bei mir, bei meinen Kolleg*innen sind es jeweils zwei. Am Wochenende sind Geburtstagsfeiern, Erstkommunionen, private Treffen  geplant – auch in anderen Bundesländern. Können wir all diese Menschen bewusst potentiell gefährden? Nein, das war schnell klar. Also ab ins Auto und zum Prater. Gratis-Test des Arbeitersamariterbundes. Wartezeit? Vier Stunden. Mit dem Ergebnis, dass ich nicht getestet werden kann, da mein Hauptwohnsitz nicht in Wien ist. Also zum Flughafen. Wartezeit? Vier Stunden. Kosten? 120€, privat zu zahlen, keine Rückerstattung, keine Arbeitszeitanrechnung. Ergebnis am nächsten Tag bis 13:00 Uhr. Angeblich. Bei der letzten Testung: Free Staff Testing für Angestellte im öffentlichen Dienst erhielt ich nie ein Ergebnis. Weder positiv noch negativ.

Ich warte also. Und stelle mir Fragen: Wie geht es weiter? Wir hatten bisher faktisch neun Unterrichtstage. Was sage ich den Eltern? Woher bekomme ich Gewissheit? Woher Unterstützung? Muss ich jetzt jede Woche vier Stunden in meiner Freizeit warten und 120€ bezahlen, um niemanden zu gefährden? Wer kümmert sich um die Kinder, deren Eltern nicht ausreichend Deutsch sprechen, um all die täglich neuen und immer verwirrenden Anweisungen und Änderungen der Anweisungen zu verstehen? Wer kümmert sich um diejenigen, die in den Berufen arbeiten – Post, Schlachthaus, Pflege – die die höchste Ansteckungsrate haben? All die Eltern unserer Kinder. Wer kümmert sich um die Kinder, wenn sie ständig auf Verdacht zuhause bleiben müssen. Und schlussendlich auch – wer kümmert sich um uns Lehrer*innen, die so gerne arbeiten möchten, aber ständig all diesen Strapazen und Ungewissheiten ausgesetzt sind?

Julia: Hmm? Ausreichend geschützt? Was ist ausreichender Schutz? Kann es den überhaupt in einem Beruf wie dem unseren geben? Ist Unterricht, der Sinn macht, überhaupt möglich, wenn ausreichender Schutz vorhanden sein soll? Klar, ich kann ausschließlich mit Maske unterrichten. Ich kann mich hinter meinem Lehrer*innentisch verschanzen, keine Stifte mehr herborgen und sämtliche Gruppenarbeiten und Projekte streichen. Bin ich dann ausreichend geschützt? Vermutlich auch nicht. Alle Menschen, die mit Menschen arbeiten, müssen mit einen gewissen Risiko leben. Und ich selbst muss entscheiden, wie viel ich mich schützen kann oder will.

Gab es an euren Schulen schon Verdachtsfälle und falls ja, welche Maßnahmen wurden ergriffen?

Sonja: Es gab bei uns an Tag 2 einen kranken Schüler (Fieber und Kopfweh), der zum Hausarzt gegangen ist, der wiederum meinte es sei kein Corona. Kein Test und 1 Woche später war er wieder in der Schule. Keine weiteren Vorkehrungen.

Barbara: Am ersten Donnerstag sandten wir einen Schüler mit Fieber nach Hause. 37,9 Grad. Kein Aufheben – keine Panik. Das war unser Konsens. Am Dienstag kam er zurück. Er wollte nichts versäumen. An diesem Dienstag hatten wir einen Workshop mit der wunderbaren Culture School – die beiden Referentinnen waren am gleichen Tag noch in vier weiteren Klassen. Alle Kinder waren zwei Stunden in einem Klassenzimmer  – auch wenn wir den Workshop aus Sicherheitsgründen ab 10:00 Uhr nach draußen verlegten. Zum Glück sind wir nah am Augarten. Wir haben also diese Möglichkeit. Am Mittwoch flog ein Schüler nach Bulgarien für Amtswege. Dem Ansuchen wurde bereits vor Tagen stattgegeben. Am Mittwoch gegen 8:30 erhielten wir die Nachricht, dass beide Eltern des fiebernden Schülers positiv getestet wurden. Aber nur weil eine engagierte Kollegin bei den Eltern anrief und nachfragte… Am gleichen Tag fehlte ein weiterer Schüler, weil sein Vater positiv getestet wurde. In einer Routinekontrolle für Postmitarbeiter. Den Donnerstagmorgen verbrachten wir erneut im Augarten. Englisch, Mathe, Deutsch auf der Wiese. Bei leichtem Nieselregen und frischen 20 Grad. Um 11:00 kam die Nachricht der Direktorin – auf intensive Nachfrage bei der Gesundheitsbehörde sollte die Klasse nun doch Zuhause bleiben, weil „K1 mit symptomatischem Verdachtsfall“. Eine Google-Anfrage brachte Aufklärung – K1 ist Erstkontakt mit einer Person, die Symptome hat und in Berührung mit positiv getesteten Personen steht.

Warum dieser Schüler in die Schule kam? Wir wissen es nicht. Ob die Geschichte mit seinen Eltern stimmt? Wir wissen es nicht. Bisher können wir nur vermuten: Die Eltern haben telefonisch Bescheid erhalten und die Nachricht aufgrund ihrer defizitären Deutschkenntnisse nicht verstanden- oder ignoriert. Oder der Schüler wollte trotzdem kommen. Oder es wurde nicht klar kommuniziert, dass ein positives Testergebnis auch für die nahestehenden Personen eine prophylaktische Quarantäne vom 10 Tagen vorgesehen ist. Viele Fragen bleiben. Auch Selbstkritik. Wir maßen also bei allen Kindern Fieber, behielten auch im Unterricht die Masken auf. Schon erreichten uns besorgte Elternstimmen: Die Masken mehrere Stunden zu tragen sei bei 11jährigen Kindern nicht zumutbar, wie gut konnte ich sie verstehen!

Julia: Wir hatten im Herbst Verdachtsfälle. Eine Klasse ist schon in Quarantäne und ein paar Kolleg*innen auch. Die Testungen funktionieren gar nicht. So ist ein Schüler, dessen Eltern positiv sind, schon seit einer Woche zuhause. Aber er wurde noch nicht getestet. Solange es aber von ihm kein Ergebnis gibt, können weder andere getestet werden, noch kann die Klasse wieder in die Schule kommen. Wie wird das dann sein, wenn das einmal vier oder fünf Klassen betrifft? Die Testungen und die Ergebnisse müssen viel schneller verfügbar sein.

Ist deine Schule jetzt besser auf den digitalen Unterricht oder eventuell erforderliches Home-Schooling vorbereitet?

Sonja: Den Unterricht gestalte ich seit Tag 2 digital – damit alle Kids meiner 1. Klasse Mittelschule so gut wie möglich frühzeitig auf ein eventuell notwendiges Home-Schooling vorbereitet werden. Alle Schüler*innen haben bereits einen Google Classroom Zugang. Das Mitteilungsheft wird über eine App digital geführt, damit die Kommunikation mit den Eltern auch während eines Lockdowns weiterhin unkompliziert möglich sein wird. Auch zusätzliche Laptops wurden an die Klassen verteilt und ein weiterer PC Raum eingerichtet.

Victoria: Home-Schooling war bislang noch kein Thema, da man an der Schule davon ausgeht, dass der Schulbetrieb ungestört weitergehen kann. Falls Home-Schooling jedoch wieder ein Thema werden sollte, wurde uns gesagt, dass wir Google Classroom verwenden würden. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Schule jetzt besser auf das Home-Schooling vorbereitet ist, was aber auch daran liegen kann, dass ich während der Coronazeit im Frühling noch nicht an der Schule war und somit auch keinen Gesamteindruck habe, wie damals der Ablauf so genau war. 

Julia: Nein!!!!!!! Vielleicht eine Spur besser, weil viele Schüler*innen jetzt Laptops und Smartphones haben. Aber die Sache mit der einheitlichen Lernplattform klappt deshalb schon nicht, weil den Mittelschulen nur eine Basic-Version der vorgeschriebenen Lernplattform zur Verfügung steht, im Gegensatz zu der AHS. Zu hoffen ist, dass uns Schulschließungen erspart werden. Keine Lust mehr darauf.

*Alle Namen wurden von der Redaktion geändert.

Die Autorinnen sind Lehrerinnen an Mittelschulen in Wien und Oberösterreich.

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Dieses Jahr hat man öfters von der „geschenkten Matura 2020“ gehört. Aber wie viel hat man den Schüler*innen dieses unglücklichen Jahrgangs wirklich geschenkt?

Schauen wir uns die Fakten an: Die Mehrheit der Vorwissenschaftlichen Arbeits-Präsentationen wurde gestrichen, die mündliche Matura wurde auf eine Anzahl von Freiwilligen beschränkt und ein 50/50 System, das erstmals in Österreich Jahres- und Klausurnote kombinierte, wurde ausprobiert. Da kann man meinen, dass den Maturant*innen Vieles erspart blieb…

Doch diese „geschenkte“ oder „kleine“ Matura hat auch ein anderes Gesicht. Durch Covid-19 bekamen die 8. Klassen ihre letzten Vorbereitungen (oder eventuell noch letzte Stoffgebiete) auf elektronischem Weg ins virtuelle Klassenzimmer geschickt, was nicht die gleiche Lernqualität bietet wie eine reale Schulstunde. Nach Monaten kamen sie dann in ihre tatsächlichen Räumlichkeiten zurück und erhielten dieselbe schriftliche Matura, die sie ohnehin bekommen hätten (was man unter anderem daran erkannte, dass selbst das alte Datum auf den Drucken nicht ausgebessert war). Teil der schriftlichen Klausuren war noch dazu eine der schwersten Mathematik-Maturen seit Beginn der Zentralmatura, wie auch die Zeitungen berichtet haben.

Und das 50/50 System? In meiner Klasse hat es wenig verändert und nur einen einzigen Kopf gerettet. Die Leerabgeber? Einzelfälle, die man mit der Hand abzählen kann. Geschenkte Matura? Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber das Frühjahr 2020 hat uns wenig geschenkt.

Die Autorin ist Schülerin an einem Gymnasium in Wien.

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Aus meiner Sicht ist die präsenzunterrichtsfreie Zeit gut mit einer unbefriedigenden Achterbahnfahrt vergleichbar – Es gab mehr Tiefen als Höhen. Die Höhen kamen vor allem durch einzelne besonders engagierte Lehrpersonen. In meiner Klasse hat der Fernunterricht in Mathe beispielswiese großartig funktioniert. Wir haben immer genau gewusst, was zu tun ist, unser Lehrer hat uns Fragestunden angeboten und uns sogar gebeten, mittels Umfragen Feedback zu geben. In anderen Fächern sah das jedoch nicht so aus. Der digitale Teil des Unterrichts bestand oft darin, Arbeitsblätter vom Computer aus auszudrucken, die erledigten Arbeitsblätter dann wieder zu fotografieren und zurückzuschicken. Einige Lehrpersonen waren in ihrer Überforderung mehr darauf bedacht, ihre eigene Arbeit so unkompliziert wie möglich zu gestalten, als das Lernsetting für uns Schüler*innen. Mit einer Lehrperson hatten wir Schwierigkeiten, da sie nahezu jedes Wort in ihren E-Mails abgekürzt hat und wir so nicht verstehen konnten, was sie uns vermitteln wollte. Doch solche Probleme konnten wir meistens mit der betreffenden Lehrperson lösen. Die wirklichen Tiefen waren die unlösbaren Probleme, vor die viele Schüler*innen durch das Agieren des Bildungsministeriums gestellt worden sind.

Falscher Fokus

Vor den Schulschließungen hieß es erst, der Inhalt des Distance Learnings solle nicht in die Leistungsbeurteilung einfließen. Das wurde dann noch am allerletzten Schultag geändert. Anschließend gab es immer wieder Pressekonferenzen mit eher geringem Informationsgehalt. Auf Instagram gingen etliche Memes über Minister Faßmann viral, also sich über seine Planlosigkeit lustig machende Postings. So etwas ist für das „Opfer“ nie ein gutes Zeichen. Als dann die Entscheidung über die Matura verkündet wurde, offenbarten sich grundsätzlich falsch gesetzte Prioritäten. Statt nämlich den Fokus darauf zu legen, die Eltern jüngerer Schüler*innen schnellstmöglich in der Betreuung zu entlasten, sollten als allererstes die Abschlussprüfungen abgehalten werden. Dass die Megaprüfung Matura hier wichtiger war als die politische Verantwortung gegenüber den Hunderttausenden Eltern, ist ein Armutszeugnis für das Krisenmanagement des Bildungsministeriums.

Platz und Sicherheit

Zu guter Letzt wurde nun auch der Präsenzunterricht für die Sekundarstufe 2 wieder aufgenommen. Die dafür benötigten Räumlichkeiten der Oberstufenklassen hätten auch verwendet werden können, um mehr Platz und Sicherheit für die Schüler*innen der Unterstufe zu schaffen, oder sie an mehreren Tagen in die Schule zu holen. So wäre auch die Ansteckungsgefahr deutlich geringer, sie könnten mit gutem Gewissen in die Schule gehen. Wir als Oberstufe, die ja keine Betreuung durch Eltern mehr brauchen, hätten dann die letzten Schulwochen wie inzwischen gewohnt von zuhause aus absolvieren können.

Notwendige Anpassungen

Klar ist: Das nächste Schuljahr kann nicht ohne Anpassungen im Bildungssystem stattfinden. Wir brauchen flächendeckende Schulungen zum digitalen Lernen für Lehrpersonen, die Lehrpläne müssen angepasst werden, wir müssen unsere Bundesschüler*innenvertretung endlich selbst wählen können, damit sich in solchen Situationen wirklich jemand für uns einsetzt. Außerdem sollen auch künftig Leistungen der Oberstufe ins Abschlusszeugnis einfließen.

Der Autor ist Schüler an einem Gymnasium in Wien.

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Aus gegebenen Anlass findet die Konferenz im Festsaal statt. Die Stühle stehen im Abstand von mindestens einem Meter. Zögernd nehmen wir die Masken ab. Dürfen wir das denn? Ja, wir dürfen, sagt die Schulleiterin.

Ich gucke aus dem Fenster. Der graue, regenverhangene Himmel hat sich allem Anschein nach meiner Stimmung angepasst. Die in den Gängen angebrachten Hinweisschilder über die neuen Regeln der Zusammenarbeit wirken nach. Alles bestimmt und exakt durchgeplant. Die Benützung des Eingangstors, einzeln eintreten, Hände desinfizieren, zügig in das jeweilige Stockwerk gehen, Schuhe vor der Klasse ausziehen und zu dem Platz gehen, den die Lehrer*innen für die Schüler*innen vorgesehen haben. Aufstehen ist nur mir ausdrücklicher Erlaubnis der Lehrer*innen erlaubt. Der Aufenthalt in den Gängen ist nur mit Maske erlaubt.

Wer sich nicht an die Regeln hält, wird für diesen Tag vom Unterricht ausgeschlossen.

Die Schule vor Corona fällt mir ein. Alles lebte und pulsierte. Es wurde umarmt, die Köpfe wurden zusammengesteckt, Wasserflaschen geteilt und oft guckten fünf Schüler*innen gemeinsam Videos auf einem Smartphone.

Die Konferenz

Es folgt zu Beginn eine längere Einführung und Auffrischung des Regelwerks. Vieles, was manchen selbstverständlich erscheint, stellt andere vor Rätsel.

Die Einteilung der Pausen erfolgt individuell. Die Pausenglocke, eines der Relikte aus der K&K-Zeit, wird deaktiviert. Zumindest etwas positives, denke ich mir.

Ein Kollege meldet sich zu Wort.

„Ich würde dann durchgehend unterrichten. Pause brauchen die eh keine, weil sie ja aufs Klo dürfen, auch während der Stunde. Und, also wenn ich tatsächlich Pause mache, dann reichten ja auch fünf Minuten zum Essen.“

„Ja, was machen wir den mit denen in der Pause? Das wird ja fad!“

Ich krame in meinem Rucksack. Irgendwo hatte ich noch Schokolade. Schokolade beruhigt die Nerven. Meine Nerven brauchen das jetzt, genau in dieser Sekunde. Ha! Da ist sie, Erdbeer-Schokolade. Was für ein Glück.

Dann fällt das Thema, wie kann es anders sein, auf die Notengebung.

„Also mit einem Fünfer dürfen sie in jedem Fall aufsteigen? Mit zwei oder mehr nur nach Beschluss der Klassenkonferenz?“

„Na meistens ist ein zweites Nichtgenügend in Aussicht und das Lehrer*innen-Team entscheidet dann. Alles klar! Den Kevin* müssen wir eh nicht mitnehmen. Keine Angst!“ Es folgt erleichterndes Gekicher. Wer will schon Kevin in der Klasse haben?

„Nein, Jadranka wiederholt fix. Von der habe ich seit Wochen nichts gehört. Vielleicht wurde sie von ihren Eltern nach Serbien geschickt. Also, sicher sogar. Ich habe ja nichts von ihr gehört.“ Kluge Eltern, denke ich mir. Schließlich arbeiten beide im Pflegebereich.

„Geh bitte! Immer diese Ausreden! Krise hin oder her. Leisten müssen sie dennoch was. Den Rest ihres Lebens werden sie auch nicht gefragt werden, ob sie es denn zuhause schwer hatten.“ Totschlagargument Nummer eins, fällt mir ein.

Ich schiebe mir eine Rippe Schokolade in den Mund. Der Geschmack nach Blendi-Erdbeer-Zahnpasta lenkt mich ab. Leider nur kurz.

Wieder einmal dreht sich alles um die Beurteilung der schulischen Leistungen. Ich bin fassungslos. Menschen verlieren ihre Arbeitsplätze und stehen vor dem Nichts. Kinder und Eltern können wochenlang der Enge viel zu kleiner Wohnungen kaum entfliehen. Soziale Kontakte müssen eingeschränkt werden. Kindergärten und Schulen sind geschlossen. Familiären Konflikten kann kaum etwas entgegenhalten werden. Und die Institution Schule hat nur eine Sorge. Nämlich kann ich jetzt Mohamed durchfallen lassen, oder muss ich den in die nächste Klasse mitnehmen. Leistung ist Leistung. Keine Leistung ist keine Leistung. Wer nicht folgt, fliegt!

Die zweite Rippe Schokolade bleibt mir fast im Hals stecken.

Hallo Schule? Was geht?

Die Corona-Note

Ich bin keine Freundin der Notengebung. Weil ich mir schon sehr lange bewusst bin, dass mit Hilfe von Zensuren maximal Anpassungsleistung gemessen wird. Wer sich am besten mit dem System Schule arrangiert, zählt zu den Systemgewinner*innen. Aber, wenn die Sehnsucht nach Beurteilung so groß ist, dann führen wir doch die Corona-Note ein. Dann benoten wir die nicht-schulischen Leistungen, die die Schüler*innen in den letzten Wochen der Krise erbracht haben.

Yussuf, 12 Jahre: Sehr gut in allen Bereichen. Er kümmert sich tagsüber um seine kleinen Geschwister, weil die Mutter im Handel arbeitet. Der Vater ist gleich zu Beginn der Corona-Krise untergetaucht.

Elena, 14 Jahre: Sehr gut in allen Bereichen. Sie erklärt seit Wochen nicht nur ihrer Kernfamilie, wie Schule und Leben in der Krisenzeit funktionieren. Übersetzt Formulare, füllt Ansuchen aus, nicht nur die, die die Schule betreffen.

Manuela, 11 Jahre: Sehr gut in allen Bereichen. Sie erträgt seit Wochen ihre häusliche Situation. Die sie ständig überwachende Mutter, der kontrollsüchtige Vater, der angeblich nur aus reinem Verantwortungsgefühl handelt. Der geistig behinderte Bruder, der die elterliche Aufmerksamkeit bekommt, die nach Totalüberwachung der Tochter noch vorhanden ist. Den Schutzraum Schule gibt es zurzeit nicht.

Ali, 15 Jahre. Sehr gut in allen Bereichen. Er verzichtet seit Wochen auf sein Fußballtraining. Er liebt es, weil er nicht zuhause sein muss. Weil er sich so richtig auspowern kann. Dann vergisst er, dass der Kühlschrank nicht immer voll ist, und die sorgenvolle Blicke seiner Eltern, wenn sie abends über den Kontoauszügen sitzen. Jetzt kann auch er dem Ganzen nicht entfliehen. Also baut er seine Eltern auf, spricht ihnen Mut zu.

Maxi, Elisabeth, Justin, Ayse, Vanessa, Dragana und all die anderen: Sehr gut in allen Bereichen, weil sie das Distance-Learning perfekt gemeistert haben.

Ich bin für eine Gesamtnote über die letzten Wochen. Alle erhalten eine Eins. Und die können ja meine geschätzten Kolleg*innen in die Jahresnote einfließen lassen. Dann dürfte der positive Abschluss des Schuljahres 19/20 kein Problem mehr sein, auch bei Kevin.

*Namen wurden geändert.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule.