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Er ist wieder da. Gemischte Gefühle kommen in mir hoch, als ich am Montagmorgen zwei aufgeweckte Augen über der FFP2 Maske blitzen sehe und mir ein freudig schwungvolles „Frau Lehrerin! Guten Morgen!“ entgegengeschmettert wird. Einerseits freue ich mich, einen Schüler wieder zu sehen, der mich oft zum Lachen bringt und bei dem ich weiß, dass ihm das selbstständige Arbeiten im Lockdown schwerfällt, der gezielte Deutschförderung benötigt. Andererseits realisiere ich erst nachdem mir ein freundlich strenges „Schön, dass du wieder da bist! Die Maske haben alle auf und das diskutiere ich nicht“ rausrutscht, dass es mich auch stresst. Alle Kinder werden leise und schauen etwas verwundert drein. Frau Lehrerin, die in der Regel nicht so schnell eisige Töne anschlägt, legt gleich in den ersten 45 Sekunden dieser Schulwoche damit los. 

Was mich nachdenklich macht an meiner Aussage, ist nicht der Hinweis auf die sinnvolle Maske, sondern das Ende meiner Diskussionsfreudigkeit. Die Worte „Ich diskutiere das nicht“ entsprechen nicht gerade meinem Ideal einer Deutschlehrerin. Mir, der Dialog auf Augenhöhe, Demokratieerziehung, Medienverständnis und Diskussionsfähigkeit doch sonst so wichtig sind. 

Der Schüler, über dessen Anwesenheit ich mich eigentlich freue, hadert mit dem Gedanken, dass es Corona wirklich gibt. Seine gesamte Familie ist zwar mittlerweile genesen, aber die Medien würden weltweit Lügen verbreiten und die Maßnahmen seien Teil einer großen Verschwörung, so der immer wieder durchflackernde Grundtenor. Das Tragen der FFP2 Maske also eine Tortur und eine Gemeinheit, um arme Kinder zu quälen. Auch „diese Tests“ werden laufend mit Kommentaren begleitet, die ich hier mit dem sanften Wort der Zumutung umschreiben möchte. 

In der Regel meldet sich auf seine Äußerungen sofort jemand aus der Klasse und es gibt Pro und Kontra, verschiedene Meinungen stehen nebeneinander im Raum. Pragmatisch, wie Schule so oft ist, testen sich schließlich alle nach Vorschrift und lassen die Maske auf. 

Es ist mir wichtig, dass jede Meinung geäußert werden darf, weil ich denke, dass Silencing keine Lösung ist, sondern nur noch mehr Öl ins Feuer gießt und Verschwörungstheoretiker*innen sich vermutlich erst recht in ihrer Perspektive gestärkt fühlen. Dennoch war bei mir an diesem Montagmorgen die Luft schon beim ersten Anblick einer neuen Diskussion draußen. Am Weg zum Klassenzimmer hatte ich mich gefreut, dass wir mittlerweile auch PCR-Tests für Lehrkräfte haben und dass bestätigt wurde, dass die FFP2 Masken sehr gut vor Ansteckung und Übertragung schützen. Ich freute mich über jedes Kind, das mir in Fleisch und Blut gleich gegenübersitzen würde, das ich nicht digital mehr schlecht als recht versuchen würde zu erreichen, parallel mitzubetreuen, auf Distanz individuell zu fördern – für mich gefühlt die Quadratur des Kreises. Ich freute mich auf ein kleines Stückchen Struktur und geregelte Abläufe im Anbetracht der sich überschlagenden Ereignisse der letzten Wochen. Auf Unterricht und Bedürfnisse, auf die ich ad hoc reagieren und wahrnehmen könnte, im Gegensatz zum distance learning. Vielleicht wollte ich mir mit diesem Diskussionsriegel die Freude, das Privileg und den kleinen Triumph über das Virus nicht nehmen lassen, dass es zumindest unter gewissen Voraussetzung möglich ist, Kinder regulär zu unterrichten. 

Schule wird oft als der Ort konstruiert, an dem gesamtgesellschaftliche Konflikte sichtbar seien, weil bis zu einem gewissen Alter jede*r hinmuss, der*die in Österreich wohnt. Müsste ich der gesamtgesellschaftlichen Dialog- und Konfliktkultur der letzten Wochen eine Note geben, wäre es ein knappes Genügend. Müsste ich mir selbst eine geben, verstumme ich lieber mit meinen Urteilen. Die Situation, in der wir uns alle befinden, ist so komplex, so vielschichtig und blöder Weise gleichzeitig so dringend, dass der ruhige, nachvollziehbare Dialog oder ein gründliches, fundiertes Abwägen von Darstellungen oder Maßnahmen viel zu oft auf der Strecke bleibt. Es ist Verunsicherung spürbar: bei den Schüler*innen, den Eltern, den Kolleg*innen, bei mir selbst. 

Ich schätze an meinem Kollegium, dass viele andere Standpunkte stehen lassen können. Wir waren nicht alle einer Meinung, dass es so toll ist, die Kinder doch in die Schule gehen zu lassen, während alles andere zusperrt. Dafür ziehen manche zum ersten Mal seit über 50 Jahren auf Demos mit, die von Polizeihubschraubern begleitet werden und mir wiederum nur ein Kopfschütteln abringen. Trotzdem gehen an einem Dezembermorgen Kolleg*innen mit FFP2 Maske durch das Konferenzzimmer und verteilen Schokolade. Ein Mini-Nikolaus gesellt sich zu meinem sehr geschätzten PCR-Test. Jede*r freut sich über diese kleine Geste der Normalität, das Bekannte, das Verbindende und den Zusammenhalt. 

Obwohl ich eisig sagte, ich wolle nicht darüber diskutieren, ob wir die Maske im Unterricht tragen, verkraften die Kinder das recht gut. Es wird gescherzt, mitgearbeitet und vor allem auf den Adventkalender und unser Keksritual hingewiesen. Das darf ja nicht vergessen werden! 

Die Kinder haben wie so oft recht. Es sind auch diese kleinen Dinge, die uns zusammenbringen und auf die ja nicht vergessen werden darf. Wer an Beziehung und Dialogkultur in guten Zeiten arbeitet, hat sich für die großen Brocken in schweren Zeiten einen Startvorteil verschafft, denke ich. 

Utopisch würden viele meine Vision von Dialogkultur an der Schule bezeichnen. Vermutlich haben sie recht. Schließlich sind wir alle nur Menschen, die jeden Tag unterschiedlich gut drauf sind, umgeben von einer Vielzahl an Faktoren, die ein friedliches Miteinander und gute Kommunikation nun mal stören. Trotzdem finde ich es wichtig, dass wir uns weiterhin bemühen, vielfältige Gedanken, Ängste, Vorstellungen und Pläne zu besprechen und ernst zu nehmen. 

Ich komme zu dem Schluss, dass manche Themen und Diskussionen besondere Zeitpunkte und Orte brauchen und nicht „sofort montags um 7:31“ stattfinden müssen. Dankbar bin ich aber auch dafür, dass wir es jeden Tag besser machen können. Jeden Tag gibt es die Chance aus dem gestrigen für den morgigen zu lernen und um’s Lernen geht es doch schließlich an der Schule. 

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Oberösterreich

Lesezeit: 7 Minuten

Anmerkung: Bei den Schreibarbeiten zu diesem Text kam niemand zu Schaden. So soll es auch beim Lesen sein. Ein etwas anderer Blickwinkel kann aber derzeit nicht schaden. Wenn sich jemand gekränkt fühlen sollte, dann bittet der Autor vorbeugend, nicht nachtragend zu sein, denn dies ist keineswegs die Absicht des Textes.

Der ewige Lockdown

Nun befinden wir uns gefühlt in einem sich selbst ewig verlängernden Lockdown, der nicht wenige bereits in ein Down lockte. Die Maßnahmen sollen noch härter werden. More of the same. Wir werden sehen. Vielleicht wird’s ja noch ein Stopp and Go. Wenn dann die Frisörläden hoffentlich Sommer 2047 wieder dauerhaft ihre Pforten öffnen, benötige ich dringend einen Locken-down, denn die ewigen Corona-Dauerwellen spiegeln sich derweil in meiner Coronafrisur wider, die gerade noch für das Home Office geeignet zu sein scheint. Ich überlege mittlerweile, ob ich nicht das Feature „Mein Erscheinungsbild retuschieren“ aktiviere.
Mein Bart ist auch brav rasiert, die FFP2-Maske fordert Tribut. Vorher sah ich einem Mann ähnlich, jetzt mit der Maske eher einer um Luft ringenden, gerade aufgetauchten Ente. Ich hoffe, meine Schüler*innen erkennen mich wieder, wenn ich sie in der Schule irgendwann treffe.
Ich watschle mit meinem Lockdown-Gewicht und Locken-Gesicht zum Spiegel, überlege mit einer Mischung aus Amüsement und schleichendem Stechschmerz ob des Anblickes folgendes Gedankenexperiment:

Unser Land als Schulklasse

Wie wäre es, wenn wir unser Land mal als Schulklasse betrachten würden? Eine Schulklasse, die unsere Gesellschaft widerspiegelt. Alle Altersstufen, Geschlechter, Religionen usw. kommen ihn ihr vor. Die Regierung: Das wären dann die Pädagog*innen und die Klassenlehrer*innen. Die Schulleitung repräsentiert übergeordnete Stellen. Nun kann ich mich noch sehr gut erinnern, dass ich bei meiner Ausbildung zum Pädagogen unzählige Male lernte, dass Angst – und Schuldpädagogik einer grauen Vergangenheit angehören würden. Differenzierung wäre das Maß der Dinge und eine neue Fehlerkultur wäre neben positiver Motivation Teil des pädagogischen Lern- und Erfolgskonzeptes. In dieser pädagogischen Ausrichtung wären unsere Kinder und Jugendlichen Hoffnungsträger, junge Menschen, die als mündige Bürger in eine freie Demokratie begleitet werden sollten. Alles andere würde zu einem negativen Lernklima führen und das Lernpotential wäre gehemmt. Nun, wie sieht es derzeit aus? Haben wir diese „Lehrer mit Klasse“ im doppelten Sinne?

Die großen Werte in Zeiten von Corona

Um gleich auf den Punkt zu kommen, ich beobachte Folgendes: Diese großen Werte wurden mit der Corona-Krise über Bord geworfen bzw. umgedeutet. Alte Werte sind das neue Maß. Das Kind wurde nicht nur sprichwörtlich, sondern buchstäblich mit dem Bade ausgeschüttet. Gleich zu Beginn der Krise fand sich das spektakuläre interne Strategiepapier der deutschen Regierung. Wenn wir bei unserem Vergleich bleiben, dann wäre dieses wie der neue „pädagogische Maßnahmenkatalog“ des fiktiven Bildungsministeriums für unsere Schulklasse. Nun, was findet sich in diesem? Unter 4a werden „Worst-case-Szenarien“ als Mittel der Wahl empfohlen. Qualvoller Erstickungstod, arbeiten mit Urängsten, Schuld am Tod der Großeltern usw. werden als pädagogische Schock-Maßnahmen in diesem staatlichen Lehrplan beworben. Das Papier ist eigentlich eine verdeckte Wegkarte zum Traumatherapeuten der Wahl. Diese neuen Richtlinien spiegeln sich in den Unterrichtsmedien wider, die die Schüler*innen, also wir alle, konsumieren.
Die medialen Beiträge richten nach unten, statt aufzurichten. Und das stündlich, täglich – seit Monaten.

Die neue Expertokratie

Expert*innen werden zu Rate gezogen. So viel, dass wir von einer Expertokratie der ewig selben Expert*innen sprechen können. Gut, die Lage ist prekär. Die Schule kennt diese Vorgehensweise mit Expertisen nur allzu gut, besonders dann, wenn Expert*innen ihre Einschätzung aus Elfenbeintürmen verkünden. Diese sprechen nun aber keine tröstlichen Worte, sondern Monate hindurch wiederkehrende drostliche. Und natürlich irgendwie weltfremde. Eine einzige tröstliche Botschaft in all den Monaten? Fehlanzeige. Ausschließlich drostliche.
Ich merke meine Sehnsucht nach positiven, differenzierten Beiträgen, nach denen ich mich recke und strecke. „Bist du noch bei Drosten, Gates noch?“, muss ich mir daraufhin von empörten Mitbürger*innen anhören. In der Klasse herrscht ausschließlich Frontalunterricht. Keine Differenzierungsmaßnahmen mehr. Klassenfahrten, Praktika, Sprachreisen, Schullandwochen usw. werden gestrichen. Andere Klassen dürfen nur in Ausnahmefällen besucht werden. Besonders über die Schwedenklasse lästert man. Die Klassenkassa dünnt langsam aus. Der Kompetenzkatalog wird gerade noch abgehakt. Immerhin sollen wir noch funktionieren.

Ab nach Hause!

Aufgrund der Gefahr für die älteren und vorbelasteten Schüler*innen werden nun alle Schüler*innen nach Hause geschickt. Fernlernen ist angesagt. Eine ältere Klassenkollegin meint: „Warum bleiben die Jüngeren nicht hier? Ich hab nichts davon, wenn die auch alle nach Hause müssen. Außerdem fehlt dann Geld in der Klassenkassa.“ Ihre Wortspende wird als unsolidarisch und zu wirtschaftsfreundlich abgeurteilt. Jeff, der mittlerweile die Schulbücherei und vieles mehr übernommen hat, lächelt, während er seine Bezos zählt. In die Klassenkassa zahlt er nichts ein. Wenn wir zu Hause brav sind, dann kommt auch das Christkind und später der Osterhase, wird uns erklärt. In Österreich werden sogar Babyelefanten zum Abstandhalten verschenkt. Später gilt der Bildungsminister als genormtes Abstandsmaß. Ein „Faßmann“ ist dann gleich so viel wie zwei Meter. Zwei Meter Abstand? Echt? Ich genehmige mir einen Flachmann.

Testen, testen, testen!

Weiterhin lernen alle dasselbe. Differenzierung zählt nun als unsolidarisch, das „Über- einen- Kamm-scheren“ als die neue Solidarität. Wer besonders heftig Angst verspürt, gilt ab jetzt als empathisch und wird hervorragend benotet. Generell dominiert nun, was in der Schule schon seit einigen Jahren gelebte Praxis ist: testen, testen und nochmals testen. Flächendeckend. Nach PISA nun der PCR-Test. Nach OECD nun WHO. Klassenrankings werden auf Dashboards im Dauertakt in den leitenden Unterrichtsmedien veröffentlicht. Die Tests sind teuer, die Stäbchen der neue Maßstab.

Umkehrung der Werte

Negativ gilt plötzlich als positiv. Die alten Werte sind die neuen. Die ehemals hinten rechts Sitzenden kämpfen zur Überraschung der Freiheitsliebenden aggressiv für Grund- und Präsenzrechte. Die Kritischen, die früher gerne friedlich links vorne neben dem offenen Fenster saßen, müssen in Zukunft auch bei denen hinten rechts sitzen, meinen die Lehrer*innen. Moralisch sich upgradende Denker lesen nun ausschließlich Leitmedien. Die Welt ist kehrvert. „Sie sind mit Abstand die beste Klasse!“, läuft als Werbeslogan über die Bildschirme. Vor einem Jahr wäre diese Aussage noch positiv konnotiert gewesen. Jetzt isoliert uns diese Botschaft. Noch dazu kein Singen, Tanzen, Umarmen, laut Lachen, Feiern. Ein „Aerosolemio“ – und schon schwingen sich die Aeorosole zu einem Tröpfchencluster hoch.

Ökonomisierung der Schule

 „Wir sollten das lehren, was uns von Robotern unterscheidet“, hatte Jack Ma einmal gemeint, als er noch seine Meinung sagen durfte, ohne untertauchen zu müssen. Oder untergetaucht zu werden… Die Klasse, ja die ganze Schule wird ökonomisiert. Neue Leute geben den Ton an, wie die personifizierte Daueralarmglocke von Charité. Oder Bill, der neue Freund, der große Bruder und reiche Onkel. Er kennt sich bei Viren aus. Durch sie lassen sich nach Resets immer wieder neue, beherrschende Betriebssysteme verkaufen und implementieren. „Kann man Freunde kaufen?“, will jemand beim Fernlernen über Teams wissen, das irgendwie auch zu Bill gehört. „Nein, keine echten. Aber dafür der Titel Menschenfreund.“ „Kann man sich dann noch in den Spiegel schauen?“ „Oja, für 2,5 Millionen Dollar. Kein Problem.

Wir sind zu Virenträgern geworden, potentielle Gefährder

Die Jüngsten unter uns mutierten sogar vom Hoffnungs- zum Virenträger. Sie leiden, meist stumm. Selten an der Krankheit, oftmals an der Angst, Schuld und Einsamkeit. Sie tragen den Lockdown mit. Und sie tragen die Gesundheits-, die Schulden- und die Umweltlast. Zumindest in der Zukunft. Hoffentlich sind sie dann nicht nachtragend. Vorbeugend werden sie jedenfalls zuhause gelassen, viel zu viele finden sich jetzt in einem psychischen Knockdown wieder. Die Schulpsychologie muss immer wieder triagieren. Wie das Verlassen des Beichtstuhls empfinden einige das Gefühl nach einem negativen Corona-Test. Negativ ist gleichbedeutend mit einem sündenlosen Körper. Sind Virologen auch mutiert – zu unseren neuen Hohepriestern im weißen Kittel in heiligen Laboren, das patentierte Orakel namens PCR-Test befragend? „Wenn ich das Orakel mehr als dreißig Mal befrage, erhalte ich ziemlich sicher eine positive Antwort“, erklärt Robert, der gerade seine eigene Suppe in seinem Labor kocht.

Die Fehler-Politik

Stündlich erfahren wir, welche meist älteren Klassenkollegen wieder verstorben sind. Es ist sehr traurig. Das Durchschnittsalter beträgt über 80 Jahre, aber natürlich sterben manchmal auch Jüngere. Wir konzentrieren uns im Unterricht auf Todesfälle und Erkrankungen. Es ist beängstigend. Ich weiß noch, wie vor Jahren an den Schulen begonnen wurde, bei Tests die korrekten Ergebnisse zuerst auszuweisen, danach die Fehler. Unsere Corona-Lehrer*innen aber wurden von der Direktorin mit einem säuerlichen Lächeln angewiesen, ausschließlich die Fehler zu veröffentlichen. Die korrekten Antworten werden ausgeblendet. Die Verbesserungen auch. Alles wird von einem Experten – ich nenne ihn mal Johns – auf einer speziellen Tafel, einem sogenannten Dashboard, international ausgewiesen. Die Fehler wachsen und wachsen.
Der Ausblick ist düster. Positives Denken und Optimismus gelten mittlerweile als psychische Erkrankungen. Bei Fehlverhalten werden nun auch die Mitschüler*innen jedes Alters angehalten, dies unverzüglich der Schulleitung zu melden.

Ein neues Schulfach wird eingeführt: Virologie

Ökologie, Psychologie, Soziologie, politische Bildung, Geschichte werden vom Lehrplan gestrichen. Neue Wissenschaftlichkeit nennt sich dies. Orchideenfächer wie Musik, Sport und Werken werden abgeschafft. „Sind die alle verwirrt? Das ist doch ein lupenreiner Tunnelblick“, findet ein Klassenkollege. „Wir sind alle schon ver-virt“, gebe ich bei der Videokonferenz zur Antwort. „Bald haben wir einen Lach-down.“ Der Lehrer verwarnt mich, als ich noch von „Wirr-ologie“ und vom Wirt rede, den ich dringend brauche wie ein Virus. Als ich dann behaupte, Corona wäre mittlerweile mehr Spaltpilz als Virus, beschimpft er mich als Verschwörungstheoretiker und stummt mich. Der Lehrer erklärt dann noch, dass die Grippe heuer keine Chance habe. Ein Schüler, der ihn daraufhin „Influenza-Leugner“ nennt, wird auch gestummt. Eine Klassenkollegin, die gesteht, dass das Unter- und Nachrichten sie nach unten drücke, drückt der Lehrer weg. Neue Toleranz und Liberalität nennt er dies später. Da eh alles verdreht zu sein scheint, verdrehe ich die Buchstaben von Pfizer und öffne den Drehverschluss von meinem Zipfer.

Unter-richten statt aufrichten

Eine Zeitung im Süden Deutschlands interviewt Bill. Er freue sich schon auf die nächste Pandemie, meint er. Zehnmal stärker werde sie. Ich sehe ihn lächeln. Wieso weiß er das? Die neue Realität also. Unterrichten statt aufrichten. Das neue pädagogische Konzept. Wer dagegen aufbegehrt, gilt als empathielos und intelligenzfrei. Außerdem wären Menschen schlechte Wirte. Technokraten würden uns schon in optimierte Maschinen verwandeln, dann hätten wir das Potential, auch Computerviren zu tragen. Neuroverlinkte Doppelvirenträger. Schöne, neue Welt. Die neue Normalität. „Wir müssen einfach besser zurückbauen“, meint der Klaus vom Schulforum. Er ist wieder mal in eine Besprechung geschwabt.

Ausblick

Zum Schluss aber wagen wir aber doch einmal einen unverschämt positiven Blickwinkel: Stellen wir uns vor, die Pädagog*innen und Expert*innen führen uns statt in den Nebel in das Leben.
Vielleicht haben sie das Wort Nebel nur verkehrtherum gelesen, weil gerade alles etwas kehrvert läuft? Sie haben ab jetzt bei allen Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit im Auge, ohne zu verharmlosen. Sie geben ermutigende Ziele vor und glauben an die Schüler*innen. Neue Expert*innen erscheinen auf den Bildschirmen. Nicht mehr jene, deren Botschaft auf uns hereinprasselt wie ein mitleidloser lauter Bach, uns in Formation bringend. Sie begeistern uns für eine achtsame, gesunde und ökologische Lebensweise und sehen die Krise als Chance. Sie wissen: Wir sind freie Wesen mit unantastbarer Würde. Sie erklären, wir sollten den Wirt heilen und nicht das Virus bekriegen. Sie wissen auch um die Weisheit des ungesicherten Lebens. Die neuen Lehrer*innen lassen die Jüngeren unter uns wieder leben und schützen die Älteren besser und transparenter als die Monate zuvor. Sie leben Differenzierung, Pädagogik ohne Angst, positives Denken, wertschätzende Beurteilungen.
Sie halten Versprechungen ein und sehen die Jüngsten als Hoffnungs- statt Virenträger.

Ich sehe vor meinen Augen die derzeitigen Pädagog*innen – und male mir aus, ob sie das schaffen. Mir wird schwarz vor Augen.

Vielleicht könnte eine verpflichtende psychotherapeutische Begleitung für diese Pädagog*innen helfen. Behandeln wir nicht ständig psycho-therapeutisch sowieso die Falschen? Vornehmlich jene, die an den kranken Maßnahmen erkranken? Bevor wir die Pädagog*innenen in diesem Beispiel therapieren – sollten wir uns nicht davor noch schnell von den Psychopath*innen verabschieden und diese isolieren? Wie wäre es mit Psychopath*innen-Tests bei unseren Lehrer*innen? Wahrscheinlich ist der neue Anal-Abstrich aus China für solche Tests gedacht. Vielleicht bräuchten wir dann kaum noch Therapien, da zu viele Ärsche positiv auf den Psychopath*innen-Test getestet würden. Dann bekommt die „Heimquarantäne“ auch wieder eine andere Bedeutung. Und sogar die Spritze.

Auf einen neuen Weg raus aus dieser Krise!

Mit dem alten Richten nach unten wird’s ganz sicher nichts. Mit den alten und echten Rechten, die nach Freiheit grölen und das Recht mit Füßen treten, auch nichts. Und was machen wir, wenn die jetzigen Pädagog*innen weiterhin nicht als gute Hirten taugen? Wir führen uns selbst aus dem Sumpf und richten uns auf. Wir verzichten auf Lehrkräfte, die nach unten richten. Wir lernen aus eigener Kraft. Wir wissen die Richtung. Die Reise beginnt mit dem Selbstwert. Die neue Pädagogik ist unser Kompass. Und bei dieser begleiten in Zukunft die Lehrer*innen nur mehr. Sie richten nicht. Höchstens auf!

Gerald Ehegartner ist Lehrer an einer Mittelschule in Niederösterreich.

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Auf einen Schulstart im September folgte ein Lockdown im Herbst. Kurz vor Weihnachten wuselte es dann für wenige Wochen wieder in den Schulen, bevor sich die Weihnachtsferien mit dem darauffolgenden Lockdown und den Semesteferien zu einem Einheitsbrei vermengten. Schließlich ging es vom Schichtbetrieb zurück in den Lockdown (im Osten) und wieder zurück in den Schichtbetrieb. Nun, endlich, in Schulwoche 37 (von 43) ist ein kleines Stückchen Normalität im Schulalltag in Aussicht. 

Wir haben Lehrer*innen gefragt, wie sie zu den Schulöffnungen stehen und was sie sich vom kommenden Schuljahr erwarten. 

Fühlst du dich für eine Rückkehr zum Normalbetrieb ausreichend geschützt und sicher? 

Tom*: Ja, ich fühle mich ausreichend geschützt und sicher: Ich habe die 1. Teilimpfung, desinfiziere mich regelmäßig und trage den ganzen Tag eine FFP2-Maske.

Theresa: Yep, ich finde wir brauchen unbedingt eine gute Balance aus Schutz vor körperlichen Krankheiten und Schutz vor psychischen. Ersteres tun wir mit dem Testen der Kinder jeden zweiten Tag und dem täglichen Nasebohren der Lehrer*innen durchaus (bei den Schulleitungen fehlt mir allerdings etwas das Verständnis für deren eigene Verantwortung). Gleichzeitig müssen wir zweiteres – den Schutz vor psychischem Knacksen – mehr ins Licht rücken. Und dazu zählt für mich absolut ein „normaler“ Umgang miteinander – spielen, lachen, blödeln und das Erzeugen eines Gemeinschaftsgefühls, anstatt voreinander Angst zu haben. 

Ilsa: Mit meiner Impfung und der Maskenpflicht fühle ich mich nun im Gruppenunterricht gut geschützt – wir haben sehr gute Lüft-Möglichkeiten und es wird wärmer, das heißt wir können die Terrassentüren der Klassen immer hoffen halten (wir haben das Privileg von Terrassen bei jeder Klasse).

Wie finden die Schüler*innen die Schulöffnungen? 

Tom: Bis auf ein paar wenige, die lieber im Distance Learning bleiben möchten (die meisten von ihnen schaffen es auch super zu Hause), freuen sich die Schüler*innen wieder auf die Öffnung. Ich unterrichte heuer vor allem 1. und 2. Klassen – und da sind auch aktuell schon viele zur Betreuung in der Schule. Sie freuen sich jetzt auf einen geregelten Schulbetrieb, vor Corona hat eigentlich (fast) niemand der Schüler*innen Angst. Viele sehen die Maßnahmen eher als „unnötig, weil Corona ja eh nicht so gefährlich ist“.

Theresa: Großer Jubel! Die Schüler*innen fiebern einem Schulalltag, der diesen Namen auch verdient, sehr entgegen. Auch wenn einige herausgefunden haben, dass Distance Learning ihnen auch liegt, so fehlt der soziale Bezugsrahmen Schule schon sehr.    

Ilsa: Die Kinder selbst sprechen davon, dass sie eigentlich lieber im Gruppenunterricht bleiben würden – auch sie haben erkannt, wie angenehm es in der Klasse ist wenn die Lehrkräfte nicht die Hälfte der Stunde mit Classroom Management verbringen müssen, damit ein gutes Lernklima in der Klasse herrscht. Und da wir Hybrid-Unterricht machen können (und auch die technischen Möglichkeiten dazu haben), fühlt sich kein Kind „verlassen“. Auch der Stoff leidet bei uns überhaupt nicht. Im Gegenteil, so konzentriert und intensiv konnten wir vor der Pandemie nicht arbeiten ;-)

Wie glaubst du wird der Unterricht in der ganzen Klasse wieder sein? 

Tom: Ich freue mich wieder auf den Unterricht mit der ganzen Klasse. Erstens, weil der ganze organisatorische Wahnsinn (Welche Gruppe macht gerade was?, Welche Aufgabe gebe ich den Schüler*innen im Distance Learning?,…) endet und zweitens, weil wieder mehr „Energie“ ins Klassenzimmer kommt. Außerdem ist es für die Schüler*innen gut, wenn sie wieder eine Regelmäßigkeit haben. Jetzt kommt es einem so vor, dass für manche die 2 Tage Präsenzunterreicht schon „schwer zu schaffen sind“ und dass sie gefühlt 5 Tage „frei haben“. Außerdem habe ich bei meinen Schüler*innen gemerkt, dass sie viel öfter etwas vergessen (Schulsachen, HÜ,…), eben ihnen weil der Schulalltag und die Routine fehlen.

Theresa: Ich hoffe sehr, dass die Vorzüge der Kleingruppen an möglichst vielen Punkten erkannt werden und bestehen bleiben. Sobald wieder in der ganzen Klasse gearbeitet werden kann, hoffe ich auf viele Möglichkeiten wieder am Zusammenhalt und an der Gemeinschaft arbeiten zu können – weniger Lehrplan, mehr Wachstum sozialer Kompetenzen. Das kann heißen, dass mehr projektbasiert gearbeitet wird, Gruppenarbeiten und Lernen und Erfahren draußen stattfindet. Ich hoffe, dass „normaler“ Unterricht nicht alle dazu verleitet möglichst alles an Stoff aufholen zu wollen, was jetzt vielleicht zu kurz gekommen ist, besonders nicht die verbliebene Zeit wieder mit Schularbeiten und Tests vollzustopfen. 

Ilsa: Dass wir wieder alle gemeinsam in einer Klasse sitzen macht mir nicht nur wegen Corona Kopfzerbrechen. In Gruppen zu unterrichten war bei uns ein Gewinn! Die Kinder waren hochkonzentriert, es war eine viel ruhigere Klassenatmosphäre, ein super-tolles Arbeitsklima und wenig Interventionen beim Classroom-Management nötig.

Außerdem haben wir die Kinder, die gerade Home-Schooling-Tage hatten, immer per Video-Call dabei. D.h. niemand wurde bei uns an keinem Schultag alleine zu Hause gelassen – alle wurden mitgenommen. Entweder tatsächlich in der Schule oder per Video-Call.

Was wünscht du dir für September? 

Tom: Für September wünsche ich klare, geregelte Rahmenbedingungen – wie Schule funktionieren kann, was erlaubt und vorgeschrieben ist, und vor allem was wann passiert. Ich hoffe, dass wir es schaffen, dass die Schulen ohne Schichtbetrieb auskommen werden. Persönlich finde ich es besser, wenn wir – falls notwendig – lieber komplett für kurze Zeit auf Distance Learning umstellen und dann wieder Normalbetrieb haben.

Theresa: Ich hoffe sehr, dass im September in ein Schuljahr gestartet werden kann, das weniger Instabilität für die Kinder bedeutet, das aber gleichzeitig von all den Vorzügen profitieren kann, die dieses aktuelle Schuljahr mit sich gebracht hat: Arbeiten in kleineren Gruppen, Nutzung digitaler Möglichkeiten, Einbindung der Informationen, die das Internet zur Verfügung stellt, freiere Auslegung von „Unterricht“, Fokus auf das Wesentliche, Lernen für das Leben statt für die Schularbeit, verstärkter Austausch untereinander und auch schul-, länder- und branchenübergreifend, Aufgabenverteilung anhand von Fähigkeiten anstelle von Hierarchien…

Ilsa: Ich denke über den September hinaus: Ich würde mir generell wünschen, dass die Pandemie die Diskussion über Klassengröße und Unterrichtsformen wieder aufleben lässt. Mirschwebt vor allem das Umdenken von 50 Minuten Einheiten in Projekt-Einheiten vor. Das macht im 21. Jahrhundert viel mehr Sinn. Auch verpflichtende Online-Call-Stunden sollte es weiter geben, die Kinder haben dadurch unglaubliche digitale Skills entwickelt, die hätten sie ohne die Pandemie nie so schnell erlangt.

Die sogenannte „digitale Grundbildung“ gibt es zwar schon seit Jahren, aber sie hat de facto nicht stattgefunden, das hat der Beginn der Pandemie eindeutig gezeigt. Die digitalen Skills aller (Schüler*innen wie Lehrkräfte) waren erschreckend gering. Jetzt, ein Jahr später, hat es sich meiner Meinung nach sehr geteilt: die einen haben einen Timewarp geschafft, die anderen wurschteln immer noch mit Kopierzetteln und Wochenaufgaben herum. Mit verpfichtenden Online-Call-Sessions würde man auch die Digitalisierung an Schulen vorantreiben. Dass es noch Schulen ohne funktionierendes WLAN gibt, ist in Wirklichkeit ein Skandal! Vor allem wo doch ab nächstem Jahr alle 1. und 2. Klassen digitale Devices bekommen sollen. Wie sollen sie dann ohne Internet arbeiten?!

Ich weiß, das sind sehr progressive Gedanken, aber ich sehe diese Pandemie als Chance das System Schule WIRKLICH neu aufzustellen, keine „Reförmchen“ mehr, sondern wirklich die Grundstruktur zu verändern und Schule neu zu denken! Wir sollten nicht wieder zum Massen-Klassen-Frontal-Unterricht der letzten 300 Jahre zurückkehren, als wenn es das vergangene Jahr nicht gegeben hätte.

*Name von der Redaktion geändert.

Tom, Theresa und Ilsa sind Lehrer*innen an Mittelschulen in Wien.

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Sind doch nur ein paar

1,7 Prozent von 100 Prozent erscheinen auf den ersten Blick nicht viel. Wer kümmert sich schon um 1,7%, schließlich läuft bei 98,3% alles gut. Nur keine Wellen! Nur keine Aufregung! Einer österreichischen Tageszeitung war diese Zahl zumindest eine kleine Schlagzeile wert. 1,7 Prozent der österreichischen Schüler*innen verweigern zurzeit die Testung, die ihnen die Teilnahme am Präsenzunterricht ermöglicht. In der Volksschule stellen sich die Eltern quer, in der Oberstufe die Schüler*innen selbst.

Was all jenen von offizieller Stelle klar kommuniziert wurde: Es besteht in diesem Fall kein Recht auf Betreuung von Seiten der Schule.  Es wird auch bei der Benotung am Jahresende nicht die viel zitierte Milde zur Anwendung kommen. 

Lehrer*innen und  Schulleiter*innen sind angehalten, nicht zu viel nachzufragen. Frei nach dem Motto: Gut, dann kommt das Kind eben nicht, und verliert eben ein Schuljahr.

Warum kein Test?

Warum wollen manche Eltern nicht, dass ihre Kinder getestet werden? Was treibt sie an? Warum nehmen sie nicht die Chance wahr, der Testung des Nachwuchses beizuwohnen?

Ja, es gibt unterschiedliche Gerüchte und Mythen, auf die ich an dieser Stelle gar nicht mehr näher eingehen will.  Es ist nicht in meinem Sinn, einen verfahrenen Diskurs neu zu beleben. Ich bin auf der Suche nach Lösungen.

Verhärtete Fronten

Die Fronten sind verhärtet.  Zwischen, „na gut dann nicht“ und „mein Kind sicher nicht„, gibt es wenig Platz. Aber wie soll das weitergehen? Denn Test und Masken werden auch im Herbst 2021 Thema sein. „Das Corona Virus ist gekommen, um zu bleiben,“ lautet die realistische Einschätzung der Expert*innen. Was passiert in weiterer Folge mit den Kindern und Jugendlichen, die schon seit Monaten auf dich selbst und/oder auf ihre Eltern angewiesen sind? In Österreich gibt es eine Unterrichtspflicht und keine Schulpflicht. Theoretisch ist es erlaubt die Kinder zuhause zu beschulen. Am Ende des Semesters beziehungsweise des Schuljahres müssen Prüfungen abgelegt werden. Diesen Weg sind Eltern schon vor der Corona-Krise gegangen. Aber handelt es sich hier um die beste Möglichkeit, wenn diese einer Not oder einer trotzigen Haltung gehorcht? Wie viele Chancen haben jene Kinder tatsächlich, wohlbehalten und sicher durch das Schuljahr zu kommen? Wie gut lernt es sich unter Anleitung von Eltern, die kein Vertrauen mehr in das System haben? Welche Lernerfolge sind zu erwarten, wenn auf der anderen Seite Kolleg*innen stehen, denen dieser Umstand egal ist? Die mit den Schultern zucken und meinen „dann werden diese Kinder und Jugendliche eben das Jahr wiederholen müssen“.

Das Gespräch suchen

Ich gestehe an dieser Stelle, dass meine Kommunikationsbereitschaft mit Corona-Leugner*innen sehr schwach ausgeprägt ist. Ich stoße an meine Grenzen. Mir fehlen die Argumente. Aber in diesem Fall geht es nicht um meine Befindlichkeiten, sondern um Kinder und Jugendliche, denen viel mehr als die Vermittlung von Inhalten entgeht. Denn spätestens seit dieser verfluchten Pandemie haben die meisten Menschen begriffen, dass Schule viel mehr ist als ein Ort der ausschließlichen Wissensvermittlung; ein Ort an dem jedes Kind wichtig ist.

Selbst wenn es schwer fällt, die Institution Schule muss das Gespräch suchen. Auch dann, wenn die Lehrer*innen angehalten wurden Diskussionen zu vermeiden. Besondere Zeiten erfordern besondere Maßnahmen, hat vor vielen Jahren Erich Kästner geschrieben. Die Zeiten sind außergewöhnlich.

Mögliche Strategien

Zuerst sollten wir, also die Institution Schule, überlegen wie gut wir die betreffenden Eltern kennen. In weiterer Folge lohnt es sich die Perspektive zu wechseln. Viele Eltern sind verunsichert, verstehen vieles immer weniger. Das kann ich nachvollziehen. Wie war das mit K1 und K2. Wann bin ich K1, wann nicht? Ich bin geimpft, trage Maske, hab eine positive Schülerin nur 15 Minuten in der Klasse gehabt. Was ist mit den Klassenkolleg*innen? Sind die K1 oder nur jene, die in der Nähe des Kindes sitzen? Ein Test ist positiv, der andere negativ. Was nun? In diesem „Dschungel“ finden sich nicht nur 1,7 Prozent schwer zurecht. Was? Wie? Warum? Ja oder nein? In all dieser Verunsicherung erklärt dann zum Beispiel ein Nachbar oder eine beste Freundin, dass das alles Quatsch wäre. Dass die Nachbarin jemanden kennt, der kennt auch jemanden und der hat einen entfernten Verwandten, dessen Vater angeblich an Corona verstorben ist, aber dem war gar nicht so. Also, alles Lüge. Es ist der Gesamtsituation geschuldet, dass an den Stellen nach Hilfe gesucht wird, die einfache Lösungen für komplexe Probleme scheinbar aus dem Ärmel schütteln. Das ist und war immer die Masche derjenigen, die verwirrte Menschen für abartigen Theorien begeistern wollen. Es hilft auch nichts in diesen Situationen etwaige Machtgefälle in den Fokus zu rücken. Im Sinne von: Ich bin die Lehrerin. Ich weiß am besten Bescheid. Das werden Sie doch verstehen! Jede Wette, dass die angesprochenen Eltern sofort auf Abwehr gehen, das Kind einpacken und beleidigt das Gespräch abbrechen. Im schlechtesten Fall drohen diese dann mit Anwalt und Behörden. 

Hilfe zu holen ist ein Schritt, der vielen Lehrer*innen nicht leicht fällt. Irgendwie haben wir uns daran gewöhnt, dass wir vieles im Alleingang lösen müssen. Im Hinterkopf haben wir, dass es ein Zeichen von Schwäche sein könnte, Kolleg*in XY um Rat zu fragen. Kommt das denn gut, die Kolleg*in zu ersuchen, ein heikles Gespräch zu übernehmen, weil die eigenen Grenzen erreicht sind? Was zur Hölle wird er oder sie denken?

Wäre ich besagte Kollegin, ich würde mich in erster Linie wertgeschätzt fühlen. Mir würde das Vertrauen, das mir in diesem Fall entgegengebracht wird, viel bedeuten.  Ich würde auch jene Kollegin bewundern, die klar sagt, ich kann das nicht. Schwächen zuzugeben ist kein Makel.

An den meisten Schulen gibt es Sozialarbeiter*innen und/oder Psychagog*innen. Sie könnte man zu Hilfe holen, weil sie andere Möglichkeiten des Zugangs zu Eltern und Schüler*innen haben. Oberste Prämisse sollte sein, dass jene Eltern und Schüler*innen spüren, sie werden mit all ihren Bedenken und Anliegen ernst genommen.  Dass die Institution Schule das Kind, und nicht persönliche Befindlichkeiten, in den Vordergrund stellt. Behutsam, wertschätzend und möglichst frei von Vorwürfen könnte man vermitteln, wie wertvoll die/der Schüler*in für die Klasse ist. Dass Freund*innen ihn oder sie vermissen. Dass man die Eltern, wie schon erwähnt, auch zum Teil versteht. Grundvoraussetzung ist natürlich, dass all das ernst gemeint ist. 

Es gilt verhärtete Fronten aufzuweichen, und nicht einen kaputten Karren weiter an die Wand zu fahren.

Und wenn das alles nicht hilft?

Garantie, dass diese Ideen funktionieren, gibt es keine. Wenn sich Eltern tatsächlich völlig querlegen, dann wird es problematisch. Wie ich persönlich in diesem Fall reagieren würde? Ich würde den Eltern und ihren Kindern nicht jegliche Unterstützung verweigern, nicht alle Türen beleidigt zuschlagen. Selbst wenn alles wild verfahren ist, die Kinder sind die Leidtragenden. Also würde ich diese, im Rahmen meiner Möglichkeiten, unterstützen, solange bis das Kind wieder in die Schule kommen darf oder möchte.

Maria Lodjn ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

Lesezeit: 3 Minuten

Seit einigen Wochen gibt es zwar kein Allheilmittel gegen Corona, wohl aber eine (wenn auch umstrittene) Methode, die Kinder wieder in die Schulen zu lassen. In Österreich heißt er „Nasebohrertest“, nicht gegendert, und ist ähnlich unkompliziert wie er klingt.

Ich teste

Schon vor den Semesterferien in Wien durfte ich – ja, auch die Lehrer*innen – mir morgens bei Schulbeginn ein Stäbchen in die Nase stecken, ein bisschen drehen, dann von B nach A in den Umschlag einführen, Tröpfchen drauf, drehen und kurze Zeit später erschien ein roter Strich, der zum Betreuen und/oder Unterrichten zuließ. Bei den meisten Kindern lief dies ähnlich unkompliziert ab. Wie viel Popel und rötliche Nasenschleimhaut ich dabei bewundern durfte, erwähne ich nicht, schließlich ist es für das Allgemeinwohl und da scheut man als gute*r Lehrer*in auch nicht vor körperlichen Ausscheidungen zurück.

So weit, so unproblematisch.

Du testest

Als das Ganze dann in dem Bundesland, in dem meine Kinder leben, stattfand, erlebte ich, dass es auch kompliziert geht. Die Volksschule meiner Tochter hatte weder die Tests vorbereitet, noch die Räumlichkeiten organisiert. So ließ man uns Eltern bei -12 Grad eine Viertelstunde draußen stehen, um Testkits und Mülleimer zu finden. Die Lehrer*innen hatten keine Ahnung vom Prozedere, obwohl es in Wien schon lange implementiert war und man sich zur Not auch einfach das Video auf der Homepage des Bildungsministeriums hätte anschauen können. Gut, mit durchgefrorenen Fingern schulte ich Eltern und Personal ein, zwei Minuten, erledigt. Alle negativ, alles gut.

Er testet

Zwei Tage später kam eine SMS, dass mein Sohn an seinem ersten Schultag seit fast zwei Monaten an seiner AHS positiv getestet worden sei. Der Contact-Tracing Link, der mitgesendet wurde, funktionierte nicht, 10 Stunden und fünf E-Mails später wurde das technische Problem gelöst. Fünf Seiten Formular galt es nun auszufüllen. In der Zwischenzeit wartete mein 14-jähriger Sohn mit acht(!) weiteren positiv getesteten Kindern in der Schule. Man sprach von einem Cluster – das die Kinder sich seit knapp acht Wochen nicht gesehen und keinen Kontakt miteinander hatten, wurde ignoriert. Auch der Aufruf, den Test einfach zu wiederholen.

Er wird getestet

Rachenabstrich in der Schule, alle Kinder negativ. Überraschung. Wieder zwei verpasste Schultage – die einzigen in dieser Woche, ein aufgeregtes Kind und für mich gut zwei Stunden Formulare ausfüllen, Telefonate führen, Bescheide lesen. Alles auf Deutsch. Bürokratendeutsch wohlgemerkt. Ich spreche ziemlich gut deutsch, bin ich doch in Deutschland geboren und habe die Sprache zudem studiert – doch „Absonderungsort“ steht nicht im Duden.

Wir werden getestet

 „Ein allfälliger Anspruch auf Vergütung eines eventuellen Verdienstentganges gemäß § 32 Epidemiegesetz ist gemäß § 33 iVm § 49 leg.cit. binnen 3 Monaten vom Tag der Aufhebung der behördlichen Maßnahme…“, versteht wer?

„Dies hat unter Vermeidung aller dazu unnötigen Kontakte zu erfolgen. Insbesondere dürfen keine öffentlichen Verkehrsmittel benützt werden.“

Wenn ich dies und weiteres lese, denke ich an meine Schüler*innen in Wien.

Wenige der Eltern sprechen Deutsch auf B2 Niveau, welches Niveau dieser Bescheid ist, vermag ich selbst als geprüfte DaZ-Lehrkraft nicht zu sagen. Und wird im letzen Abschnitt tatsächlich ein Auto vorausgesetzt?

Wir dürfen Corona nicht zu einem Luxusproblem machen. Ich verstehe die Problematik – einerseits muss alles rechtskonform, korrekt, demokratieschlüssig sein – andererseits niederschwellig und mehrsprachig. Ja, das ist eine Herausforderung. Aber nicht unschaffbar. Wir wissen, dass wir besonders in Wien nicht von einer kleinen Minderheit sprechen, die von dieser Berücksichtigung profitieren würde.

Er wird nicht getestet

Und dann gibt es die Eltern, deutschsprachig oder nicht, die ihre Kinder nicht testen lassen wollen. Denen eine vermeintlich „blutende Nasenschleimhaut“ schlimmer scheint, als weitere acht Wochen Schulausfall. Sie sind beratungsresistent und unterstützt von fadenscheinigen Verschwörungstheoretikernetzwerken. Der Grad zwischen Fakt und Fake ist schmal. „Wir haben ja gar keine Wahl!“ beschwert sich eine Mutter. Doch wer hat eigentlich versprochen, dass man immer eine Wahlmöglichkeit im Leben hat?

Derzeit können wir alle nicht wählen. Wir handeln. Wir reagieren. Wir versuchen in dieser Zeit unserer Aufgabe nachzugehen und bestmöglich unsere Kinder zu unterstützen. Nicht nur beim Lernen.

Die Autorin ist Lehrerin in einer Mittelschule in Wien.