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Wir haben nicht mehr viel Zeit, oder warum ein Virus das Schulsystem zu Fall bringt

Lockdown 2

Lange habe ich gehofft, dass es in Österreich keinen zweiten Lockdown geben würde.  Als dieser unausweichlich schien, habe ich gehofft, dass zumindest der Unterricht an den Schulen stattfinden könne. Diese, meine letzte Hoffnung, wurde vergangenen Samstag brutal zerstört. Schulen nur für Betreuung offen, alle anderen bleiben zuhause. Distance-Learning, wieder einmal.

Nur Betreuung?

Ich habe mich sehr schnell für die Betreuung der Schüler*innen an der Schule entschieden und zwar täglich bis zum Ende des Lockdowns. Zum einen braucht Betreuung gerade in Krisenzeiten Kontinuität. Jeden Tag von unterschiedlichen Lehrer*innen betreut zu werden, schafft keinen sicheren Rahmen. Zum anderen will ich die Schüler*innen nicht jenen überlassen, die der Überzeugung sind, dass sowieso alle Kinder und Jugendlichen zuhause bleiben sollten.

Viele Fragen beschäftigen mich zu Beginn des zweiten Lockdowns. Wie wird es den Schüler*innen gehen? Medial wurde und wird immer noch betont, wer es zuhause nicht schafft, soll kommen. Wer Unterstützung braucht, soll kommen. Wer zuhause nicht gut aufgehoben ist, soll kommen. Die Kinder, deren Eltern unbedingt arbeiten müssen, sollen kommen.  Zusammenfassung: Wer sich oder seine Eltern als defizitär erlebt, der ist in der Schule besser aufgehoben.

Wie würde es also für die Schüler*innen sein, als Verlierer*in einer Klasse zu sitzen, während die Freund*innen zuhause sind?  Innerlich habe ich mich auf viel Frustration und Traurigkeit eingestellt.  Nicht in der Schule anwesend sein zu müssen, ist, in Zeiten wie diesen, allem Anschein nach ein Privileg, fällt mir spontan ein. Wer es sich leisten kann, bleibt zuhause. Wo Eltern unterstützen können, ist Distance-Learning okay. Wenn Eltern das nicht können, Pech gehabt. Letzter kleiner Hoffnungsschimmer: das Kind ist gut selbst organisiert. Doof nur, dass diese Kompetenz im Jahr 2020 noch immer eine Art Fremdkörper in unserem Bildungssystem ist. Seit unendlich vielen Jahrzehnten besteht der Unterricht doch hauptsächlich aus „Lehrer*in sagt, Schüler*in führt aus“.

Einschub 1

Es erschließt sich mir noch immer nicht, warum wir nicht sofort ab Schulbeginn im Unterricht komplett neue Wege gegangen sind. Warum haben wir nicht schon im Herbst alles umgekrempelt und damit begonnen, die Schüler*innen in ihrer Eigenständigkeit zu bestärken? Warum gibt es nicht schon seit Schulbeginn 20/21 Arbeitspläne? Häufigste Antwort der Kolleg*innen, die Kinder können das nicht. Ja, vielleicht die im Gymnasium, aber unsere? Nie im Leben! Ja, es gibt einen tatsächlichen Zusammenhang zwischen „einem Kind etwas zutrauen“ und dem, was sich ein Kind zutraut. Oder anders ausgedrückt, halte ich ein Kind für dumm, wird es sich über diesen, meinen Erwartungshorizont, nicht herausentwickeln.

Einschub Ende

Arbeitspläne

Einzelplätze und Maskenpflicht für alle ist die einzige Grundregel, die ich aufgestellt habe. Im Laufe der Woche werde ich erkennen, dass Einzelplätze viel mehr als eine Vorsichtsmaßnahme sind. Endlich haben alle genug Platz, um in Ruhe arbeiten zu können.

Gut, da sitzen sie nun vor mir. Sehr ruhig, sehr schüchtern. Um ja nichts falsch zu machen, haben die meisten Schüler*innen all ihre Schulsachen mitgenommen. Die Schultaschen wiegen gefühlt eine Tonne. Gleich zu Beginn legen alle ihre Arbeitspläne auf den Tisch. Ich schaue kurz durch. Wow, ziemlich umfangreich, denke mich mir. Als Kind hätte mich bei der Menge an Aufgabenstellungen vermutlich der Mut verlassen.  Ähnlich wie im ersten Lockdown beschleicht mich der Verdacht, dass sich keine*r meiner Kolleg*innen nachsagen lassen möchte, man würde den Kindern und Jugendlichen zu wenig abverlangen, würde etwas schleifen lassen.  Meine Verwunderung wird auch nicht kleiner, als ich die Chance bekomme, die einzelnen Aufträge genauer durchzusehen. In Biologie soll sich Merve zwei Seiten im Biologiebuch durchlesen, das Wichtigste unterstreichen. Danach muss sie eine kurze Zusammenfassung ins Biologie-Heft schreiben. Am Schluss gibt es dann im Arbeitsbuch noch zwei Seiten, die ausgefüllt werden müssen. Überthema: die Säugetiere. Merve arbeitet still vor sich hin. Sie liest die Seiten, blickt hin und wieder verloren zu mir und liest weiter. Dann nimmt sie einen Bleistift und beginnt zu unterstreichen. Wieder sucht sie meinen Blick. Sie kennt mich nicht, hat also auch sichtlich Hemmungen aufzuzeigen. Da wir insgesamt drei Kolleg*innen sind, die an diesem Tag vor Ort sind, setzte ich mich zu ihr. Ich frage nach, ob sie denn verstanden hat, was sie gelesen hat. „Nicht wirklich,“ flüstert sie. Es ist ihr unangenehm, das spüre ich. Ich überfliege die kleinbedruckten Seiten und drifte kurz ab.

Einschub 2

Eine Biologiestunde aus meiner Zeit in der ersten AHS fällt mir ein. Ich glaube es war die sechste Stunde. Ich muss aufstehen und eine Stundenwiederholung machen. Würde ich auch gerne, nur es ist nichts hängengeblieben. Die Ente ist das Thema. Klar, ich kannte schon damals Enten, aber mir fiel nichts ein, gar nichts. „Du wirst ja wissen, wie viele Beine eine Ente hat,“ herrscht mich die Lehrerin an. Klar weiß ich das. Blöd ist nur in diesem Zusammenhang, dass eine Klassenkolleg*in mir von hinten „vier“ einflüstert. In meiner totalen Verunsicherung und Angst, bin ich nicht mehr fähig, in mein Wissen zu vertrauen. Also plappere ich brav nach, dass dieses Tier auf vier Beinen die Welt erkundet.

Einschub Ende

Heute kann ich mir gut vorstellen, welche Katastrophe meine Antwort im Lehrer*innenzimmer ausgelöst hat. Genau deshalb spüre ich Merve so gut. Sie weiß vielleicht ein bisschen etwas über Katzen, aber weil sie sich defizitär fühlt, will sie nicht zugeben, dass sie nicht versteht, was sie liest. Also lesen wir die zwei Seiten noch einmal, ganz genau.

Nach zweieinhalb Stunden sind wir mit den zwei Seiten fertig. Weil die Chance da war, Merve das ganz genau zu erklären, füllt sie selbständig und richtig den Arbeitsteil aus. Sie ist gefühlte zehn Zentimeter gewachsen.

Für Mustafa organisiere ich einen Globus. Mit Hilfe der Taschenlampe finden wir heraus, wie das nun so ist, mit den Jahreszeiten. Mehr als eine Stunde sitze ich bei ihm. Mustafa liebt Geografie und freut sich enorm, dass auch er nach dem Einzelgespräch fehlerfrei arbeiten kann.

Eine Kollegin holt aus dem Physiksaal unterschiedliche Gewichte. Ein Schüler soll die Massenmaße umwandeln. Und anstatt eine Tabelle auszufüllen, darf Elias alle Gewichte angreifen und vergleichen. Zwanzig Dekagramm können ja gar nicht zwanzig Kilo sein, kommen einige andere im Laufe dieser Woche drauf.

Zehn Schüler*innen unterschiedlichen Alters, mit unterschiedlichen Anforderungen und drei Lehrer*innen, die sie begleiten. Das könnte doch die Schule der Zukunft sein.

Einschub 3

Wie wäre das alles im sogenannten normalen Unterricht abgelaufen? Wenn eben nicht genug Zeit für jedes einzelne Kind ist? Wo sich alle, ob sie nun Interesse haben oder nicht, dem gleichen Thema widmen müssen? Wie hätten Merve, Mustafa und die anderen profitiert? Mustafa sagt von sich aus, dass er eben von seinem Sitznachbarn abgeschrieben oder darauf gewartet hätte, dass die Lehrerin die Lösungen an die Tafel schreibt. Und dass er nicht am nächsten Tag zu ihr gegangen wäre, weil er das mit der Sonne und der Erde nochmals erklärt haben wollte.

Einschub Ende

Um halb elf dürfen drei Schüler*innen mit Yogamatten auf den Gang. Ein Kollege bietet eine tägliche Bewegungseinheit via Youtube an.  Sie wollen sich bewegen, haben Lust mitzumachen. 

In der letzten Stunde gibt es die Möglichkeit zu zeichnen, zu lesen, zu spielen oder auch nur zu plaudern. Wir spielen mit den Kindern, sie lieben es.  Elisabeth blendet sich aus. Warum sie nicht mitmacht, frage ich sie. Sie möchte unbedingt noch Deutsch fertigmachen, ist ihre Antwort.

Alle wollen sie am Montag wiederkommen. Unbedingt, und ob das dann wieder so wie diese Woche sein wird? Ob ich eh dabei sein werde? Und, ob sie dann auch wieder am Gang turnen dürfen?

Geile Woche“, ruft mir ein Schüler hinterher, der sonst nicht so gerne in der Schule ist.

Corona fährt das Schulsystem gegen die Wand

Mehr denn je ist mir am Ende der Woche bewusst, dass Corona das Schulsystem zu Fall bringt. Noch nie wurden Schwachstellen so deutlich aufgezeigt. Dieses System, an dem wir seit vielen Jahrzehnten festhalten, ist nicht krisentauglich. Es unterstützt nur jene, die bildungsnahe Eltern, genügend finanzielle Ressourcen haben, und die anpassungsfähig sind. Kein Platz in diesem System ist für Kinder und Jugendliche aus prekären Verhältnissen, für Systemsprenger und solche aus bildungsfernen Elternhäusern. Denen legt das System Schule jede Menge Steine in den Weg. Sie müssen ständig um Dinge bitten, die selbstverständlich sein sollten.

Bitte, ich brauche einen Laptop! Bitte, ich brauche Unterstützung! Bitte, ich brauche Aufmerksamkeit! Bitte, ich brauche Betreuung!

Damit all das auch gewährt wird, muss die Anpassungsfähigkeit noch höher sein. Ein bisschen Demut kann man schon erwarten, wenn man einen gratis Laptop und die Möglichkeit, trotz Lockdowns in der Schule zu sein, bekommt. Man muss fleißig, interessiert und ordentlich sein. Und dann braucht man noch Eltern, die sich ebenso verhalten.  Schlussendlich darf es diesen Kindern und Jugendlichen in Krisenzeiten nicht schlecht gehen. Sie dürfen nicht durchhängen und müssen noch mehr leisten als andere. 

Die gute Nachricht ist, dass Schüler*innen dieser Art immer mehr werden. Damit steigt auch meine Hoffnung, dass sie gemeinsam mit ihren Eltern und Lehrer*innen auf die Barrikaden gehen.  Denn die Krise ist auch dann nicht vorbei, wenn es eine Impfung gegen das Virus geben wird. Denn Gräben, die sich in diesem Jahr aufgetan haben, sind nicht damit zu schließen, dass wir wortlos zum altgewohnten Trott zurückkehren. Die Furchen und Rillen können nur geschlossen werden, wenn wir endlich anfangen, das Bildungssystem zu erneuern. Wir alle können unseren Beitrag leisten.  Abkehr von der Diktatur des Lehrplans, der vermeintlichen Kompetenzraster und der Erwartungshaltung der Wirtschaft. Wir haben nicht mehr viel Zeit, also fangen wir damit an.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

Lesezeit: 6 Minuten

Alice*: Da die Schüler*innen aus meiner Klasse das System mit dem wir arbeiten bereits gut kannten, war es weniger chaotisch als erwartet. Die meisten Schüler*innen waren trotzdem am Montag sehr aufgeregt und überfordert – vor allem wegen der technischen Herausforderungen bzw. fehlender technischer Unterstützung zuhause. Laptops, gute Internetverbindung bzw. ruhige Arbeitsplätze sind weiterhin oft nicht vorhanden! Nach einem anfänglichen “Frau Lehrerin, warum müssen wir immer so früh aufstehen?”-Jammern, habe ich seit Tag 1 eine Anwesenheit von 90% in den Video-Calls und die meisten Kids sind froh, dass es weiterhin eine Struktur gibt bzw. die gewohnte Routine aufrecht bleibt (früh aufstehen, 1. Videocall, nach Stundenplan die Aufgaben erledigen, Fragestunde,…). Heutiges Feedback von einem Schüler: “Ich habe gedacht dieses ganze Online-Ding wird ur schwierig, aber ist eh ur leicht, Frau Lehrerin.”

Pia: Unsere Schüler*innen wurden bereits in den letzten Wochen auf den heutigen Tag eingestimmt. Sie wissen, wo sie die Aufgaben finden und wie sie am Online-Unterricht teilnehmen. Im Videounterricht heute haben wir einander freudig begrüßt, bis auf ein paar Ausnahmen waren alle online. Ein Teil der Schüler*innen war sogar schon 15 Minuten früher online. Sie waren voller Vorfreude und sagten: „Ich wollte nur sicher gehen, dass es funktioniert.“ Das hat es! Die Hälfte der Klasse hat schon jetzt die Hausübung abgegeben und das obwohl sie bis 16 Uhr Zeit haben. Einige haben vorgearbeitet und die Aufgaben in Mathematik für heute und morgen schon gemacht.

Fabian: Die Stimmung ist entspannt, sowohl bei den Lehrer*innen als auch bei den Schüler*innen. Diesmal hat man sich etwas auf den Lockdown vorbereiten können. So wurden z.B. manche Themen, die sich für das Distance Learning eignen zurückgehalten, damit sie dann jetzt als Thema gegeben werden (z. B. die Freiarbeit, die sich für das Selbststudium hervorragend eignet). Auch bei den Schüler*innen ist eine Routine erkennbar, auch weil zuvor schon im Regelunterricht mit Moodle gearbeitet wurde. Sie arbeiten die einzelnen Punkte auf ihrer Liste ab, die der Klassenvorstand und die Klassenbetreuerin erstellt haben. Wir haben 25 Laptops und 25 Tablets zum Ausborgen gehabt, davon sind noch 2 Laptops und 16 Tablets übrig. Die Endgeräte waren an unserer Schule aber im Frühjahr schon kein großes Problem. 

Laura und Barbara: Die Kinder sind diesmal klarerweise weniger aufgeregt, selbstständiger und routinierter. Sie kennen die Abläufe und es gibt kaum technische Hürden mehr. Gleichzeitig haben wir aber auch den Eindruck, dass sie etwas schwieriger zu motivieren sind als im 1. Lockdown, in dem noch alles irgendwie “aufregend und neu” war. Wir erleben allerdings auch, dass Schüler*innen sich und ihre Arbeitsweise zunehmend besser einschätzen. So haben sich bereits am 2. Lockdown-Tag einige freiwillig für die Betreuung angemeldet. Da sich viele mit mehreren Geschwistern und Familienangehörigen verhältnismäßig wenig Wohnraum teilen, genießen sie in der Schule die ruhige und geordnete Arbeitsatmosphäre und die Möglichkeit, Unterstützung zu erhalten.

Dominik: Nach wie vor haben nicht alle Schüler*innen die notwendigen Geräte, immerhin sind diese Woche einige eingetroffen,die jetzt dort zum Einsatz kommen, wo sie am dringendsten benötigt werden. Eine Herausforderung ist weiterhin, die Motivation der Schüler*innen zu stärken und jene mitzunehmen, die mit beengten Wohnverhältnissen oder fehlender Ruhe zu kämpfen haben.

Lukas: Die Kinder sind großteils gut vorbereitet, einen Online-Unterricht zu überstehen, ja, teilweise sogar davon zu profitieren. So halbwegs. Vermutlich. Immerhin sind sie im Umgang mit dem bereits erwähnten MS Teams in den letzten Monaten von einem Teil der Kolleg*innenschaft vertraut gemacht worden. Nur unsere Erstklässler kommunizieren über zwischengeschaltete Erziehungsberechtigte via Schoolfox. Aber auch das geht so halbwegs. Die Motivation der Kinder ist – noch – gut, vor allem deswegen, da drei Wochen ein absehbarer Zeitraum sind. Das Motto bei Klein und Groß lautet momentan „Des biag ma scho ummi„. Waldviertlerisch sollte man in Wien ja auch verstehen. Ich übersetze es also nicht.

Johannes: Ich habe auch das Gefühl, dass die Schüler*innen diesmal insgesamt besser mit der Situation umgehen. Schon alleine das (hoffentlich haltbare) klar vorbestimmte Ende des Lockdowns macht die Sache für die Schüler*innen, aber auch für Lehrer*innen deutlich leichter. Auch haben die Kinder den ganzen Herbst über selbst mit der Möglichkeit eines zweiten Lockdowns gerechnet, immer wieder gefragt, ob es jetzt soweit ist. Manche Kinder haben sich sogar darüber gefreut, jetzt wieder knappe drei Wochen von zu Hause aus arbeiten zu können, manche waren eher traurig darüber und haben sich eher davor gefürchtet. Als erstes Fazit nach einer Woche erlebe ich vor allem die täglichen Online-Unterrichtseinheiten als sehr angenehm und ich habe auch das Gefühl, dass es den Kindern hilft und ihnen guttut, diesen täglichen Austausch zu haben. Die technische Ausstattung und der Umgang damit ist diesmal (fast) gar kein Thema mehr. Manko bleibt aber trotz der deutlich besseren Voraussetzungen die Probleme mancher Schüler*innen mit dem selbstständigen Arbeiten zu Hause, oft ohne Unterstützung von Eltern oder älteren Geschwistern. Viele scheitern teilweise immer noch daran. Diese Schüler*innen und deren Eltern fordern wir dieses Mal jedoch sehr aktiv dazu auf, die Betreuungsmöglichkeit in der Schule wahrzunehmen. 

Susanne: Am Dienstag war ich noch ein bisschen in Sorge, wie denn die Betreuung klappen sollte. Unterschiedliche Altersgruppen und Schulstufen, und die damit verbundenen unterschiedlich Aufgabenstellungen. Sicher eine besondere Herausforderung. Heute, nach fast einer Woche, stelle ich zu meiner großen Freude fest, dass meine Befürchtungen unbegründet waren. Alle waren die ganze Woche gerne in der Schule, hatten nicht das Gefühl, dass sie deshalb in irgendeiner Form defizitär wären. Im Gegenteil, sie freuen sich auf Montag. Den Lockdown selbst empfinden die meisten als einen groben Einschnitt. Freund*innen treffen, draußen Fußball spielen, ins Kino gehen, das fehlt ihnen am meisten. Und sie machen sich Sorgen, ziemlich erwachsene Sorgen. Sie haben Angst vor dem Virus, und dass ihre Eltern ihre Jobs verlieren könnten. Eine Schülerin hat mir erzählt, dass der Frisörsalon ihrer Mutter jetzt pleite ist. Dass sie richtig sparen müssen. Auch deshalb ist sie in der Schule, alles besser als zuhause zu sein. „Aber,“ hat sie mir versichert, „ich spare jetzt richtig. Ich brauche keine neuen Sachen. Ich glaube ich wachse eh nicht mehr.“  Das Schlimmste war, ich konnte sie nicht einmal in den Arm nehmen. Mein Fazit: Lernen und Lehren braucht Nähe zu den Schüler*innen. Schüler*innen und Lehrer*innen brauchen sich gegenseitig, und zwar am selben Ort.

Reza: Nachdem unser Distance Learning mit dem Terroranschlag zusammenfiel, drehten sich die ersten Tage vor allem um die Aufarbeitung des Attentats und der persönlichen und kollektiven Care-Arbeit. In den darauffolgenden Tagen spielte sich der Online-Unterricht überraschend schnell ein. Das liegt daran, dass wir an unserer Schule das große Privileg einer guten EDV-Infrastruktur genießen. Zumindest im Vergleich zu vielen anderen Schulen. Daher verfügen die Schüler*innen über ein gutes technisches Know-how und es blieben nennenswerte technische Schwierigkeiten aus. Vielmehr galt es zu Beginn des Lockdowns, einige Schüler*innen an den Online-Unterricht nach Stundenplan zu erinnern. Hier tendierten einige zum Fernbleiben bzw. dachten, dass es wie im Frühjahr gestaltet werden würde (Arbeitsaufträge gemäß den Wochenstunden). Insgesamt zeigten die Rückmeldungen der Schüler*innen eine große Akzeptanz des Home-Schoolings. Auch gegenüber den neuen Formaten. Dieses führe, so viele Schüler*innen, dazu, dass die meisten Lehrer*innen eher zu angemessenen Aufgabenstellungen betreffend die Zeit und den Umfang neigen. Ansonsten schwanken die Gemüter zwischen Humor und Resignation. Je nach Wochentag oder Tageszeit. Ein Schüler meinte unlängst, die Schulleistung würde besser, das soziale Leben schlechter. Zu den größten Hürden des Lockdowns dürften daher die Einschränkungen im sozialen Nahbereich sowie die unterbundene Kontaktpflege gehören. Wenig überraschend.

Lena: Die Reaktionen der Schüler*innen letzten Montag vor dem Lockdown waren sehr unterschiedlich. Einige waren sehr froh, sich dem Risiko, Corona zu bekommen, nicht mehr aussetzen zu müssen und andere hatten Angst, zuhause wieder nicht arbeiten zu können. Bis auf die ersten Klassen, bei denen es teilweise noch Probleme gab, waren aber alle Schüler*innen mit Teams ausgerüstet und wussten durch viel Üben und etliche „geprobte“ Online-Stunden, wie’s funktionieren wird. Dass der Stundenplan so weitergeführt wird und sie trotzdem einen geregelten Tagesablauf haben, beruhigt sie denke ich auch sehr. Vor allem die 3. und 4.-Klässler, die größtenteils auch den letzten Lockdown bravourös gemeistert haben, gingen am Montag sehr „gechillt“ nach Hause. Ein Schüler aus der 4. Klasse hat sich sogar mit „Happy Lockdown, bis in 3 Wochen!“ verabschiedet. Die ersten Klassen waren eher verunsichert, je öfter wir uns aber online treffen und sie merken, dass sie nicht alleine gelassen werden, umso erleichterter und glücklicher wirken sie. 

Sophia: „Juhuu, Coronaferien!“ Eine Aussage, die ich beim ersten Lockdown doch öfter gehört habe. Bei der zweiten Schließung hörte ich diesen Satz jedoch nicht ein einziges Mal. Die Schüler*innen hatten schon eine Ahnung, was auf sie zukommen wird und wussten bereits, dass das nichts mit Ferien zu tun hatte. In unseren Reflexionen nach der ersten Lockdownwoche schrieben sie Aussagen auf wie:

Lockdown ist? Doof. Es ist besser in der Schule.

In der Schule lernen wir mehr.

Ich hasse es, meine Freunde nicht zu sehen.

Wir haben zwar viel dazugelernt, aber ich fühle mich so eingeschränkt, ich möchte wieder raus und in die Schule gehen.

Aber, sie freuen sich durchwegs, endlich ein wenig länger schlafen zu können, die ersten Live Sessions beginnen erst um 8 :)

*Alle Namen von der Redaktion geändert.

Alice unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Pia unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Fabian unterrichtet an einer AHS-Unterstufe in Wien.

Laura und Barbara unterrichten an einer Mittelschule in Wien.

Dominik unterrichtet an einer Mittelschule in Niederösterreich.

Lukas unterrichtet an einer Mittelschule in Niederösterreich.

Johannes unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Susanne unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Reza unterrichtet an einer BHAK in Wien.

Lena unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Sophia unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Lesezeit: 7 Minuten

Ein knappes halbes Jahr ist seit Ende des ersten Lockdowns vergangen. Damals im März wurden wir in allen Lebensbereichen überrumpelt. Auch in der Schule fehlte es an vielem: Vorbereitungszeit, technischer Ausstattung und Know-How. Es war für alle Beteiligten ein Sprung ins kalte Wasser. Anders als damals, kam der zweite Lockdown und die damit einhergehenden Schulschließungen für die meisten nicht wirklich überraschend. Doch was haben Schulen und Lehrkräfte wirklich dazugelernt, wie wurden Kinder auf das Homeschooling vorbereitet, welche Baustellen bestehen nach wie vor und wie steht es um die Arbeitsmotivation im 2. Lockdown? Wir haben uns unter Lehrkräften umgehört. So viel können wir schon verraten: Wieder ist das Gelingen vor allem dem Einsatz einzelner Lehrkräfte und Schulleitungen zu verdanken, strukturelle Unterstützung “von oben” gibt es nach wie vor kaum. 

Was unterscheidet für dich den zweiten vom ersten Lockdown? Was hat deine Schule aus dem ersten Lockdown gelernt?

Alice*: Seit dem 1. Lockdown wurde bei uns an der Schule viel umgestellt. Wir hatten dank des letzten Lockdowns endlich einen Digitalisierungsschub an der Schule und jede Klasse hat jeweils drei Laptops und einen Beamer erhalten. Zusätzlich haben wir uns auf eine E-Learning-Plattform einheitlich geeinigt – alle (sollten) Google Classroom verwenden. Jede*r Schüler*in  hat zu Schulanfang auch eine eigene Schul-Emailadresse erhalten. Während einige Lehrer*innen ab Schulanfang die meisten Hausübungen, Aufgaben und Benotungen nur noch über Google Classroom gemacht haben, wurden andere von diesem 2. Lockdown komplett überrascht und sind seit Montag gerade erst dabei den Kindern (und sich selbst) beizubringen wie man sich jetzt eigentlich anmeldet. Hier hätte meiner Meinung nach die Direktion mehr dahinter sein müssen! In meiner Klasse haben wir in allen Fächern alle Aufgaben und Benotungen seit Schulanfang nur noch über Classroom gemacht, sowie auch die Abgabe der Hausübungen online ermöglicht. Für meine Kinder ändert sich die Arbeitsweise nicht, sondern nur noch, dass die Input- und Fragestunden online stattfinden. Die meisten andere Routinen, sowie Arbeitsweisen wie Wochenpläne, können weitergeführt werden wie bisher. Es gibt bei uns einen täglichen Login um 9 Uhr in einem Videocall, wo sich alle Schüler*innen einloggen und der Tagesplan besprochen wird. Zusätzlich gibt es Check-in Stunden in allen Fächern, wo die jeweiligen Fachlehrer*innen für Fragen online immer zur Verfügung stehen.

Pia: Der Lockdown 2 war sehr gut vorbereitet an unserer Schule. Bereits zu Schulbeginn haben wir uns für die Lernplattform entschieden, die digitale Kommunikation für die Eltern eingerichtet und etabliert.In den letzten zwei Wochen liefen meine Aufgabenstellungen, Abgaben und Korrekturen online ab. Die Schüler*innen konnten sich an die Form der Zusammenarbeit gewöhnen und Probleme haben wir vorab gelöst.In meinen Klassen richteten wir bereits im ersten Lockdown vor Ostern eine Lernplattform und Videounterricht ein, jedoch war es sehr kompliziert die individuellen technischen Probleme, das Kennenlernen und das Verständnis für die Technik von zu Hause aus zu lösen. Beim ersten Lockdown haben wir für die Schüler*innen ohne Endgerät Handys organisiert. Diesmal sind die Schüler*innen schon besser vorbereitet und nur wenige brauchen ein zusätzliches Endgerät. Die gesamte Schule arbeitet jetzt über eine Plattform, das macht es Kolleg*innen, die in allen Stufen arbeiten, leicht. Unsere Direktorin hat den finanziellen Schritt gewagt, Endgeräte für alle Kolleg*innen, die eines benötigen, zu besorgen und das trotz der geringen finanziellen Mittel.

Fabian: Was auffällt ist, dass alle Schüler*innen nun auf einer Plattform (Moodle) Zugänge haben und eingeschult sind, weil dies schon vorab im Unterricht eingeübt wurde. Es gibt Klassenkurse, von denen die einzelnen Fachkurse zu erreichen sind und zudem die Videostunden koordiniert, sowie Streaminglinks angelegt sind. Zudem haben die Schüler*innen dort einen Überblick, was bis wann in welchem Fach zu erledigen ist. Die Kommunikation läuft auch über Moodle. Da alle auch die App am Handy haben, können die Lehrfilme direkt dort angeschaut werden und die Arbeitszeit am Computer und Laptop somit verringert werden, dies war ja im 1. Lockdown auch eine Engstelle. Auch die Lehrer*innen sind organisierter mit Moodle, zu dem jede*r zuvor eine Einschulung erhalten hatte. Zudem wurde jede zweite Klasse mit WebCams ausgestattet, sodass ein Unterrichts-Live-Streaming möglich ist. Die Hauptgegenstände müssen mindestens einmal pro Woche eine Onlinestunde anbieten, die Nebengegenstände können dies tun. Das aufgestockte vierköpfige IT-Team unterstützt dabei kompetent die anderen Lehrer*innen. 

Laura und Barbara: Nach dem Ende des letzten Lockdowns war bei einigen Lehrer*innen unserer Schule die Motivation den Unterricht generell digitaler zu gestalten groß. Doch sehr schnell hat sich wieder die althergebrachte analoge Routine eingeschlichen. Eine schulinterne Lehrer*innenfortbildung zum Programm MS Teams vor einigen Wochen hat einigen diesen Vorsatz wieder in Erinnerung gerufen. Im Unterschied zum ersten Lockdown sind viele Lehrer*innen-Teams diesmal strukturierter und besser vernetzt. Es wird nun auch darauf geachtet, den Gesamtaufwand der Schüler*innen im Blick zu behalten, indem sich die einzelnen Fachlehrer*innen besser austauschen. Außerdem löst MS Teams schrittweise die Kommunikation via WhatsApp ab. Während wir für unsere Klasse im 1. Lockdown tägliche Zoom-Unterrichtsstunden gehalten haben, haben wir uns dieses Mal dafür entschieden, die Möglichkeit der “Lerngruppen” vor Ort zu nutzen. In Kleinstgruppen kommt nun jedes Kind einmal pro Woche für drei Stunden (Englisch, Mathematik und Deutsch) in die Schule. Einerseits ist das für die Kinder eine willkommene Abwechslung und andererseits stellen wir fest, dass der Lerneffekt und die Nachhaltigkeit  einer Stunde realen Unterrichts wesentlich größer ist als online. Für die übrigen Schultage haben die Kinder einen Arbeitsplan, der Aufgaben für alle Fächer enthält, die innerhalb einer Woche abgegeben werden müssen. 

Dominik: Im Vergleich zum Frühjahr ging unsere Schule fast entspannt in den Lockdown. Einige Lehrer*innen nutzten die Zeit seit Schulbeginn, um die Google Suite for Education (und damit Google Classroom, einheitliche Email-Adressen für die Schüler*innen, Chat-Funktionen, etc.) und SchoolFox für die digitale Kommunikation mit den Eltern zu ermöglichen. Die Kolleg*innen wurden bereits im Vorfeld eingeschult, erstellen nun eigenständig Aufgaben über Google Classroom oder halten ihre Stunden zum Teil mit großer Begeisterung online ab.

Lukas: Der primäre Unterschied zum ersten Lockdown im März besteht an unserer kleinen, feinen Landschule (der nördlichsten Mittelschule Österreichs) darin, dass sich auch die letzten Arbeitsblattfanatiker*innen mittlerweile tränennassen Auges – und sich leise seufzend in Resignation hüllend – mit der ausschließlich digitalen Kommunikation zwischen ihrer (Lehr-)Person und den Schüler*innen abgefunden haben. Als neues Selbstverwirklichungsfeld wurde nun die Videokonferenz via MS Teams entdeckt. Dass diese Vorliebe allerdings zu Spitzenzeiten die Internetverbindung unserer Schule (in der allerdings ohnehin nur etwa 15 Prozent der Kinder anwesend sind) zum Schwächeln oder kompletten Erliegen bringt, sei hier lediglich als Randnotiz vermerkt.

Johannes: Im Vergleich zu Lockdown 1 waren wir diesmal einfach viel besser vorbereitet. Im Prinzip haben wir unsere Kinder schon seit September auf diesen Fall vorbereitet. Im September ist unsere ganze Jahrgangsstufe mit Laptops ausgestattet worden und wir sind darauf übergegangen, Hausaufgaben digital zu verschicken und anzunehmen. Auch im Unterricht haben wir die Laptops der Kinder verstärkt eingesetzt. Deshalb waren die ganzen technischen Schwierigkeiten oder unzulängliche Ausstattung (mit Ausnahme WLAN!) diesmal kein Thema. Dazu haben wir mit den Kindern schon sehr früh besprochen, dass, sollte ein zweiter Lockdown kommen, sie nach Stundenplan arbeiten müssen. Wir schauen diesmal sehr genau darauf, dass die Kinder wirklich schon ab 8 Uhr an ihren Geräten arbeiten. Mathe, Deutsch und Englisch unterrichten wir jeweils viermal die Woche/Klasse online, wobei für alle Anwesenheitspflicht gilt. Die Aufgaben in den Nebenfächern sollen sie nach Möglichkeit auch in den nach Stundenplan dafür vorgesehenen Stunden erledigen. 

Susanne: Ich habe mich beim 2. Lockdown bewusst für die Betreuung an der Schule entschieden. Ich verbringe die Zeit mit den Schüler*innen, die spätestens seit dem ersten Lockdown wissen, dass es ihnen vor Ort besser geht. Manche wären den ganzen Tag alleine zuhause, weil ihre Eltern arbeiten müssen. Andere brauchen unsere Unterstützung und ein paar wenige sind auf Empfehlung ihrer Lehrer*innen da. Seit Dienstag waren immer zwischen 20 und 30 Schüler*innen anwesend. Deutlich mehr als im Frühjahr, wo maximal 10 Schüler*innen zur gleichen Zeit in der Schule waren. Wobei damals, zumindest am Anfang des Lockdowns, nur jene Schüler*innen kommen sollten, deren Eltern in sogenannten systemrelevanten Berufen arbeiten. Im 1. Lockdown habe ich die Schüler*innen nahezu ausschließlich von zuhause betreut. Klar, ich habe viele von ihnen erreicht. Dennoch hatte ich das Gefühl unendlich weit weg von der Schule zu sein. 

Reza: Das Schuljahr startete bei uns schon mit der Vorkehrung für ein erneutes Distance Learning. So wurde geschaut, dass sich alle (neuen) Schüler*innen mit Microsoft Teams vertraut machen und über entsprechende Gerätschaften wie Kameras oder Mikrofone verfügen. Darüber hinaus wurde versucht, Leihgeräte für jene zu organisieren bzw. zu beschaffen, die zu Hause über gar keine bzw. zu wenige verfügten. Und vor den Herbstferien waren alle aufgefordert, ihre Schul- bzw. Arbeitssachen mitzunehmen. Denn die Möglichkeit eines erneuten Lockdowns wurde greifbar. Nach den Herbstferien setzte in allen Oberstufen das Home-Learning ein. Im Vergleich zum ersten Mal mache ich zwei Unterschiede fest. Erstens: Lag im Frühjahr die Wahl der Plattform bei den Lehrer*innen, müssen diesmal alle mit Teams arbeiten. Hier fand somit eine Vereinheitlichung statt. Die, wie alles, Vor- und Nachteile besitzt. Ich persönlich arbeite in weiten Teilen sehr gerne mit Teams und würde allein bei den Telefonkonferenzen gerne auf Zoom ausweichen. Zweitens: Richteten sich im Frühjahr die Aufgaben an die Wochenstunden, aber nicht selbst an den Stundenplan, müssen wir diesmal minutiös nach diesem unseren online Unterricht halten. Der Vorteil: Es wird ein enger Kontakt mit den Schüler*innen gepflegt und sie erhalten eine Tagesstruktur. Mich persönlich beschäftigt am meisten die Raumsituation vieler meiner Schüler*innen. Gerade in den Telefonkonferenzen höre ich alltäglich, dass viele keinen Rückzugsort haben, wo sie in Ruhe und im Privaten arbeiten können. Umso perfider klingt die Anmerkung des Bildungsministers, mensch solle Spiel- und Arbeitsbereich trennen, in meinen Ohren. Zu guter Letzt ist im Austausch mit den Kolleg*innen zu bemerken, dass vor allem die mangelnde Information der Regierung sowie der nicht vorhandene Mut seitens des Bildungsministeriums, innovative und neue Ideen/Projekte/Unterrichtsformen/Räume etc. auszuprobieren, zur Weißglut treibt! Eine Pressekonferenz reiht die nächste, doch die Informationen und Lösungsansätze gehen über reinen Populismus nicht hinaus. Dabei gäbe es so viele kluge und gute Alternativen! Dazu müsste mensch aber zuhören wollen.

Lena: Man hat durchaus gemerkt, dass wir auf diesen Lockdown besser vorbereitet waren, als auf den letzten. Obwohl es für Landesschulen in Wien noch immer nicht flächendeckend Endgeräte für die Schüler*innen gibt und das in unserer Brennpunktschule ein relativ großes Problem ist, konnten wir zumindest am Sonntag noch Laptops für die Schüler*innen bestellen, die gar keinen anderen Zugang zu Internet haben. Diese wurden dann gleich am Montag geliefert und konnten von den betroffenen Schüler*innen mit nach Hause genommen werden. Dadurch, dass diesmal oft betont – und so auch von den Medien kommuniziert wurde -, dass die Schulen diesmal „wirklich offen“ hätten, herrscht auch weniger Druck auf den Schüler*innen und uns, weil wir wissen, wenn es ihnen zuhause schwer fällt zu arbeiten, können sie jederzeit problemlos in die Schule kommen und werden dort unterstützt. Die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen der Betreuung in der Schule und den Lehrer*innen, die von zuhause via Videokonferenz unterrichten, ist dieses Mal auf jeden Fall besser. 

Sophia: Der erste Lockdown kam sehr überraschend und ohne jegliche Vorbereitung. Wir starteten in unserem Jahrgang mit Google Classroom, was wir während der Osterferien auf unsere gesamte Schule ausweiteten. Bereits seit des Schulstarts im September führt jede Klasse alle Aufgaben auch auf Google Classroom, die Schüler*innen mussten somit täglich damit arbeiten und brauchten keine Einführung/Erklärung mehr. Nächste Woche holen wir jene Schüler*innen in die Schule, die zu Hause die Aufgaben nicht (gut) bewältigen können, um sie zusätzlich zu unterstützen. Eine wichtige Maßnahme, die den zweiten Lockdown erheblich erleichtert. Dennoch stellt dieser uns vor neue Herausforderungen, die Müdigkeit ist deutlich zu spüren – und Fragen tauchen bei uns und v.a. bei den Kids auf: „Wie lange wird uns das noch begleiten?“ „Wird es nach dem Lockdown Sicherheitsvorkehrungen geben und wie werden diese kommuniziert?“ „Wann werden wir wieder normal Unterricht haben?

*Alle Namen von der Redaktion geändert.

Alice unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Pia unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Fabian unterrichtet an einer AHS-Unterstufe in Wien.

Laura und Barbara unterrichten an einer Mittelschule in Wien.

Dominik unterrichtet an einer Mittelschule in Niederösterreich.

Lukas unterrichtet an einer Mittelschule in Niederösterreich.

Johannes unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Susanne unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Reza unterrichtet an einer BHAK in Wien.

Lena unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Sophia unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Lesezeit: 4 Minuten

Normal

Schule soll normal stattfinden. Das war die Devise des Bildungsministeriums, vorgetragen durch dessen Sprecher*innen zu Schulbeginn. Also, normale Klassenstärke, normales Curriculum, Tests, Schularbeiten und Projekte. So tun, als wäre nichts anders als in den Schuljahren davor.

Donnerstag, 22.10., 7:30 Uhr

Wir stehen um 7:30 Uhr im Schulhof. In 15 Minuten muss ich zur Aufsicht vor die Schule. „Salih wurde gestern getestet. Er hat Symptome. Von Sevgi fehlt noch das Ergebnis. Hat sie nicht einen Bruder in der 3a? Ist er da?“, will eine Kollegin wissen. Sie hat den Satz gerade beendet, da läutet bei einer anderen Kollegin das Handy. Noch eine Schülerin, die getestet wurde. „Wisst ihr schon was von Mustafa? Er fehlt schon den dritten Tag?“, blendet sich Kollegin Nummer drei in das Gespräch ein. Dann folgen die üblichen Mutmaßungen bezüglich eines Lockdowns, der Austausch über die neuesten Zahlen und die Diskussion über die neuen Maßnahmen. Schon jetzt liegt die gefühlte Spannung bei 500 Volt. Ich kann mich dem zum Glück entziehen.

Vor dem Schultor begrüße ich die hereinströmenden Schüler*innen. Von vielen kenne ich den Namen. Frage nach, wenn mir der gerade nicht einfällt. Wünsche ihnen einen schönen Schultag. Versuche ihnen zu vermitteln, dass sie willkommen sind. „Mein Opa hat Corona,“ sagt Sami leise, „aber der lebt eh nicht in Wien.“ Vermutlich hat er meinen erschrockenen Blick wahrgenommen. Ein neuer  Schwung Schüler*innen bewegt sich in Richtung Schultor. „Abstand halten!“, ermahnt der Schulwart. Als ich zwei Jungen daran erinnere, gucken sie mich entgeistert an. „Frau L.? Wir sind Geschwister.

Donnerstag, 22.10., 14 Uhr

Letztes Treffen der Theatergruppe vor den Herbstferien.  Zum Glück kann es stattfinden, ich bin diese Woche nicht in Quarantäne. Vier Schüler*innen fehlen. Wieder einmal ein Verdachtsfall in einer Klasse.

Wo sind die anderen?“, fragt Mustafa. Viel brauche ich nicht sagen. „Schon wieder Corona. Immer Corona. Wann hört das auf?“, seufzt Elif. „Bis es Spritze gibt“, antwortet Ayse. „Oder, bis es alle gehabt haben,“ sagt Aleksandra. „Aber dann muss meine Oma sterben. Die ist alt, so 50 oder so,“ stellt Ayse erschrocken fest.

Open Mic

Die Stimmung in der Theater AG ist anders als sonst. Bisher war alles sehr friedlich, sehr kuschelig. Heute geht scheinbar gar nichts. Die meisten meiner Anweisungen verhallen in den Weiten des Turnsaals. Wir setzen uns nochmals auf den Boden. Es dauert ein paar Minuten bis alle die Hand in der Höhe haben. Eine Methode, die ich vor Jahren in Exeter kennengelernt habe. Wer so weit ist, dass er oder sie zuhören kann, hebt die Hand.  Emirhan hat die Hand in der Höhe, aber plaudert weiter mit seinem Nachbarn. „Hand runter! Allem Anschein nach brauchst du noch ein paar Minuten“, erinnere ich ihn. Dann kehrt endlich Ruhe ein. Kurz genieße ich die Stille und die Schüler*innen auch. Allerdings ist es nach meiner Ankündigung, dass wir heue Open Mic machen, damit schnell wieder vorbei.  Bei diesem Format dürfen die Spieler*innen, die wollen, ans Mikro und zu einem ausgewählten Thema etwas erzählen. Heute geht es um Ungerechtigkeit.

Alle wollen ihre Geschichten erzählen. Ich habe den Eindruck, dass einige gleich explodieren. Dennoch, es ist ein Spiel mit festen Regeln. Durch den Raum gehen. In die Hände klatschen, wenn man was sagen will. Zum Micro gehen, das ich natürlich nach jedem Kind desinfiziere, nochmals klatschen. Ab jetzt hören alle zu.

Wir haben nur Tests und Schularbeiten!

Und dann schreit mich die Lehrerin an, weil ich schon wieder gefehlt habe. Dabei hat sie gesagt, wir sollen auch mit Schnupfen oder Bauchweh lieber zuhause bleiben.

Wir haben seit Wochen kein normales Turnen. Scheiß Corona!

Mein Bruder trinkt mir immer meine Erdbeermilch weg!

Kein Kind teilt mehr. Früher hat mir Berdan immer die Hälfte seiner Jause gegeben, Jetzt verboten wegen Corona.

In den Herbstferien bin ich wieder in Wien. Wisst ihr, wie lange ich schon nicht mehr in Serbien war?

Die Zeit vergeht enorm schnell. Ich schaue auf die Uhr. Nur mehr 10 Minuten, dann kommt der Schulwart, weil er den Turnsaal sauber machen muss.  Irgendwie muss ich  diese Einheit mit sanftem Druck beenden. Kathi ist sauer. Sie ist hat so viel zu erzählen, will das Mikro nicht hergeben. Ein kleiner Kampf folgt. „Machen wir einfach bis 18 Uhr Theater. Dann kommen alle dran,“ schlägt Ayse vor.

Der ganz normale Wahnsinn

Während ich im Turnsaal Ordnung mache und in Gedanken die Theaterstunden reflektiere, wird mir der Wahnsinn, in dem wir uns bewegen, bewusst. Vor Augen geführt haben mir das 15 Schüler*innen im Alter von 10 bis 14 Jahren. Meine Ambitionen Theater wie immer, also normal,  anzuleiten sind klar gescheitert. Vermutlich wäre es am schlauesten gewesen, alle zusammenzupacken und auf den Spielplatz in den Augarten zu gehen. Nicht nur die Erwachsenen sind zermürbt, sondern die Kinder und Jugendlichen auch. Wir leben seit fast neun Monaten im Krisenmodus, ein neuerlicher Lockdown steht im Raum. Unsere Schüler*innen wissen und fühlen, was los ist. Wie soll da ein normaler Schulbetrieb möglich sein? Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es wenig Sinn macht, den Schein zu bewahren. Das betrifft sowohl den Unterricht als auch meine Theatergruppe.

Stellen wir uns der Realität

Wir brauchen ein hohes Maß an Flexibilität und einen klaren Blick. Wir alle müssen spontan entscheiden, ob unser Vorhaben zu diesem Zeitpunkt Sinn macht, und zwar in jeder Einheit. Ist es zum Beispiel sinnvoll 18 Schüler*innen auf Gedeih und Verderb eine Biologie-Wiederholung zuzumuten, oder wäre es nicht klüger eine Stunde nach draußen zu gehen? Macht es Sinn die Schüler*innen mit jeder Menge Hausübungen zu erdrücken, oder wäre es nicht klüger ein Konzept der Freiwilligkeit zu entwickeln? Mach das, was du schaffst. Die einen werden alles machen, weil gerade alles gut ist. Die anderen werden nichts machen, weil Corona und dessen Auswirkung die Familie fest im Griff haben. Vielleicht können wir auch darüber hinwegsehen, dass ein Schüler den halben Vormittag den Kopf auf den Tisch legt, sich auszuruhen scheint.  Wir können es als Zeichen dafür sehen, dass er gerne in der Schule ist, aber eben nicht aufmerksam sein kann.

Wir werden unsere Schüler*innen mit sehr viel Umsicht und Milde durch dieses Schuljahr begleiten müssen. Nicht die Leistung darf im Mittelpunkt stehen, sondern die physische und psychische Gesundheit von allen Beteiligten.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

Lesezeit: 3 Minuten

Jetzt ist sie also nicht mehr „neu“.  Vor 12 Jahren startete der Schulversuch „Neue Mittelschule“, mit der Idee, eine gemeinsame Schule für alle 10-14-Jährigen zu etablieren. Mit Schlagwörtern wie „Kompetenzorientierung“, „Teamteaching“, einem differenzierten Unterricht und kleineren Klassen sollte die Hauptschule der Vergangenheit angehören.

Jetzt, 12 Jahre später, ist auch die Neue Mittelschule nicht mehr neu. Und wir drehen wieder an ein paar Zahnrädern, hängen ein neues Schild am Eingang auf, wechseln die Briefköpfe, und machen weiter wie bisher. Oder?

Was sich ändert

Spätestens mit diesem Schuljahr (einige Testschulen gab es schon vor einem Jahr) werden alle Neue Mittelschulen auf das System Mittelschule umgestellt. Die wesentlichste Änderung ist die Einführung einer neuen Notenskala. Die Neue Mittelschule hatte ab der 7. Schulstufe schon ein recht verwirrendes Notensystem aus vertiefenden und grundlegenden Noten. Die Notenskala für Deutsch, Mathematik und Englisch war siebenteilig und basierte auf den erreichten Prozenten, z.B. bei einer Schularbeit. Wer weniger als 54% bei einer Schularbeit erreichte, bekam eine grundlegende Note. Grundsätzlich bekamen aber alle Schüler*innen dieselbe Schularbeit.

Mit der Einführung der Mittelschule wechseln wir von einer siebenteiligen zu einer anderen siebenteiligen Notenskala. Nein, eigentlich sind es zwei verschiedene Benotungsskalen. Schüler*innen ab der 6. Schulstufe werden spätestens nach den ersten beiden Schulwochen (wo wir oft noch fächerübergreifenden Projektunterricht machen und noch gar nicht mit dem „Regelunterricht“ begonnen haben) in zwei Leistungsgruppen eingeteilt: Standard AHS und Standard. Die beiden Gruppen können getrennt voneinander unterrichtet werden und bekommen verschiedene Schularbeiten. Damit man sich gar nicht mehr auskennt sind die beiden Benotungsskalen aber überlappend, so dass eigentlich wieder eine siebenteilige Skala entsteht. Der Unterschied ist, dass nun de facto neun verschiedene Noten vergeben werden (ein Standard AHS Fünfer wird nicht vergeben werden), während vorher sieben verschiedene Noten vergeben wurden. Schon verwirrt?

Was das mit den Schüler*innen macht

Zugegeben, als Lehrerin bin ich verwirrt und verärgert. Und das, obwohl ich erst seit ein paar Jahren unterrichte und das für mich die erste große Umstellung ist, ältere Kolleg*innen können ein Lied von Leistungsgruppen, Notenskalen und dergleichen singen. Aber gut, wir gehen eben so gut wie es geht mit den Änderungen um, auch wenn wir die Sinnhaftigkeit noch nicht entdeckt haben.

Die wirklich Betroffenen, das sind die Schüler*innen. Die 4. Klasse, in der ich hauptsächlich unterrichte, macht sich schon Gedanken über das nächste Jahr, die Zeit nach der Mittelschule. Viele machen sich Sorgen. Kann ich überhaupt in eine weiterführende Schule gehen? Reichen meine Noten? Der Name der Leistungsgruppe „Standard AHS“ suggeriert etwas. Wer gut ist, geht auf die AHS. Die AHS ist besser. Dass die Schüler*innen der Mittelschule in unserem Bildungssystem die Verlierer sind, das wissen sie sowieso. „Standard AHS“ wirkt wie eine Verhöhnung dieser Tatsache.

Die Mutter einer Schülerin ruft am Nachmittag, an dem wir den Schüler*innen das neue Notensystem erklärt haben, in der Schule an. Ihre Tochter ist zuhause weinend zusammengebrochen. Sie glaubt, sie kann niemals an eine weiterführende Schule, wenn sie jetzt nicht in die Standard AHS Gruppe eingeteilt wird. Das stimmt so natürlich nicht ganz. Aber Worte schaffen Realitäten.

Warum jetzt?

All das ist schon ärgerlich und frustrierend genug. Aber ich komme nicht umhin mir ständig dieselbe Frage zu stellen: Warum jetzt? Jetzt, wo eine Pandemie seit Monaten so viel Unsicherheit in die Schulen und Klassenräume bringt. Wo Schüler*innen sich von einem Tag auf den anderen an neue Lebensumstände anpassen mussten und müssen. Jetzt, wo es nochmal schwieriger geworden ist, eine Lehrstelle zu bekommen. Jetzt, wo so viele Eltern und Bekannte arbeitslos sind und den Schüler*innen ganz klar ist, dass dieses Schicksal wahrscheinlich auch einige von ihnen in ein paar Jahren betreffen wird. Warum müssen wir diese Umstellung jetzt machen? Warum müssen wir weiterhin ALLE Schularbeiten und Tests durchführen, sollen verpasste Inhalte des vergangenen Schuljahres aufholen und noch dazu eine neue Notenskala einführen, die niemandem etwas bringt außer zusätzlichem Stress? Wäre es nicht genau jetzt, in diesem Schuljahr, wichtig etwas Stress aus dem System herauszunehmen?

Das würde ich den Herrn Bildungsminister gerne fragen. Aber das Gefühl werde ich nicht los, was in den Mittelschulen passiert, das interessiert ihn gar nicht.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.