Seitenwechsel, here I come!

Lesezeit: 4 Minuten

Seitenwechsel? 

Als Schulleiter?

So manch einem im Schulsystem ist der Begriff „Seitenwechsel“ schon mal untergekommen… und einige wissen vielleicht sogar, was damit gemeint ist.

Für alle anderen: Auf der Website des Vereins Seitenwechsel wird mit den Worten „Aus dem Klassenzimmer ins Unternehmen – und zurück“ geworben. Genauer gesagt, die Initiative will Lehrer*innen anspornen, die Schule für ein Jahr zu verlassen, um in dieser Zeit in einem Unternehmen in der Privatwirtschaft (im weitesten Sinne) zu arbeiten. Mit der Idee, Erfahrungen über die „Welt da draußen“ zu sammeln, und diese nach Rückkehr an die Schule sinnvoll nutzen zu können.

So weit, so sehr gut. Denn viel zu oft neigen wir Lehrer*innen dazu, Kindern zu erklären, was sie denn so alles in der Berufswelt können müssen – und in Wahrheit haben wir wenig Ahnung davon. Besonders, wenn wir selbst aus Lehrer*innen-Familien stammen, und im schlimmsten Fall sogar eine Lehrer*in als Partner*in haben. Oje, was brauchen die Kinder denn dann im Berufsleben wirklich? Wie läuft die Welt da draußen? Was tut sich in den Firmen, was müssen die Menschen da können, worauf wird Wert gelegt?

Das beginnt aber schon viel banaler, etwa bei simplen organisatorischen Dingen: Welche Lehrperson hat schon mal Gehaltsverhandlungen geführt oder Urlaubszeiten ausverhandelt? Welche Lehrperson hat seit der Bewerbung bei der Bildungsdirektion jemals wieder wo beworben?

Viel mehr aber geht es um inhaltliche Aspekte. Was von meinem geliebten Unterrichtsfach wird im Job wirklich benötigt? Sind das Wissen und die Kompetenzen, die ich vermitteln will, in der Arbeitswelt relevant? Zeitgemäß?

Viele Fragen also, die wir in der Schule zwar oft reflektieren (hoffentlich!), aber kennen wir die Antworten wirklich? Oder malen wir sie uns nur aus?

Dazu kommt, dass es grundsätzlich immer gut ist, sich einfach mal von bewährten Abläufen zu verabschieden, was Neues zu probieren, über den Tellerrand zu schauen und den eigenen Horizont zu erweitern! Eh klar!

Ja, der Seitenwechsel ist also sehr sinnvoll. So habe ich – in meiner Funktion als Schulleiter – das meinen Lehrer*innen auch stets präsentiert, und auch die eine oder andere dazu bewegen können, sich darauf einzulassen. Bei allen Tücken: Denn einerseits ist es für eine engagierte Lehrer*in gar nicht so einfach, die eigenen „Babys“ für ein Jahr zu verlassen. („Sie verlassen uns?… Sie Verräter!“)

Und generell: Raus aus der Komfortzone, raus aus den gewohnten Abläufen? Weg von den lieben Kolleg*innen? Aber auch nicht zu vergessen: Keine Ferien mehr, nur mehr 5 Wochen Urlaub? Und dann noch eine Firma finden, die uns zumindest annähernd unser Lehrer*innen-Gehalt bezahlt, obwohl wir ja eigentlich ohne einschlägige Qualifikationen kommen? 

Gar nicht so einfach. Dennoch habe ich, wie gesagt, immer wieder versucht, den Seitenwechsel meinen Lehrer*innen schmackhaft zu machen. Bis ich irgendwann mal innegehalten und nachgedacht habe: Warum mach ich das denn nicht selber? Gilt das oben genannte nur für Lehrer*innen, aber nicht für Schulleiter*innen?

Natürlich nicht! Auch als Schulleitung ist es wichtig, die Welt da draußen zu kennen, vielleicht noch wichtiger als in der Lehrer*innenrolle. Immerhin steuert die Schulleitung das Schiff mit Kurs auf die Zukunft, in der die Absolvent*innen bestehen müssen. Jetzt kann man bis zu einem gewissen Grad darauf vertrauen, dass die Behörde, die Obrigkeit, schon vorgibt, wo es hingehen soll, und dass die Lehrpläne etc. bestens auf das Leben danach vorbereiten.

Oder – besser – man verschafft sich selbst ein Bild von der Sache!

Jawoll, dachte ich, das wär was! Der Verein Seitenwechsel, konkret in Person meines ehemaligen Schulleiters Erwin Greiner, hat dieses Vorhaben nach Leibeskräften unterstützt. Bald wurden Kontakte geknüpft, Möglichkeiten ausgelotet. So weit, dass ich im Sommer 2024 ein einwöchiges Praktikum – meinen ersten Ferialjob seit Studienzeiten ;) – machen durfte, und zwar bei den Wiener Stadtwerken. Beeindruckend war das, eine Woche einen Einblick in einen Konzern zu bekommen, mit 17.000 Mitarbeiter*innen, mehreren namhaften Konzernunternehmen wie Wiener Linien oder Wien Energie, einer tollen Unternehmensphilosophie, und etlichen Betätigungsfeldern! Wow! Seitenwechsel, ich komme!

Doch schon bald zeigte sich eine sehr triviale Hürde: Als Schulleiter verdient man ja ein Lehrer*innengehalt plus eine Leitungszulage, ist also noch teurer als eine (ohnehin schon teure) Lehrer*in. Wer will so jemanden einstellen? Jemanden in den Konzern holen, der in Wahrheit nix kann (zumindest auf die berufsspezifischen Qualifikationen bezogen), aber mehr bezahlt bekommt als die anderen Mitarbeiter*innen?

Das geht gar nicht, weder aus Konzernsicht, noch aus meinem persönlichen Verständnis von Fairness.

Entsprechend einfach gestalteten sich die Gehaltsverhandlungen: Nach relativ wenig Hin und Her war ich einverstanden, trotz deutlicher Gehaltseinbußen den Job anzunehmen. „Geld kann gar nie so wichtig sein“ ließ Steinbäcker den Großvater sagen, und recht hat er! Es geht vielmehr um die neuen Ufer, die neuen Horizonte, die neuen Erkenntnisse! Verhungern werd ich schon nicht.

Ich erhoffe mir also einen Gewinn an Erfahrungen, der für mich persönlich nützlich sein kann – professionell wie privat. Darüber hinaus glaube ich aber auch, dass die Schule profitieren wird. Nach 11 Jahren Schulleitungen sind viele Dinge zur Routine geworden, vieles läuft wie am Schnürchen… mit allen positiven und negativen Konnotationen. Wahrscheinlich sind blinde Flecken entstanden, manche Abläufe werden jährlich wiederholt, ohne hinterfragt zu werden… wir tun Dinge, weil wir das schon immer so gemacht haben. Mit anderen Worten: Zu viel Routine kann zur Stagnation und Betriebsblindheit führen (auch wenn der Job nicht gerade langweilig ist).

Außerdem bringt eine neue Führung (selbst wenn die nur interimisch für ein Jahr arbeitet) neue Ideen in die Schule und greift vielleicht Dinge an, die bisher unberührt geblieben sind.

Das musste natürlich gut vorbereitet sein. Ich habe mich also schon lange vor der definitiven Entscheidung zum Seitenwechsel vergewissert, dass es Leute gibt, die in meiner Abwesenheit die Schule führen können und wollen (und das auch in meinem Sinn tun). Gleichzeitig habe ich das Einverständnis meines Vorgesetzen SQM in der Bildungsdirektion eingeholt, und erst nachdem beides fixiert war, war der Seitenwechsel in trockenen Tüchern.

Und dann, bei der Semesterkonferenz im Jänner 2025, habe ich den bevorstehenden Seitenwechsel meinen Lehrer*innen präsentiert. Diese waren – gelinde gesagt – überrascht, manche sogar schockiert. („Du verlässt uns…?“). Nach dem anfänglichen Schockmoment wurde mein Vorhaben aber mehrheitlich positiv gesehen, allerdings immer in Begleitung der Worte „Du kommst aber eh wieder?“ ;)

Dann war ein halbes Jahr Zeit, um meine Vertretung einzuführen, denn Schulleitung lernt man nicht von heute auf morgen (in der Praxis passiert das zwar leider oft so, aber besser ist natürlich eine ordentliche Vorbereitung und Übergabe). Wir haben also ein halbes Jahr oft gemeinsam an Prozessen gearbeitet, gemeinsam Gespräche geführt, um einen reibungslosen und guten Übergang zu schaffen.

Ja, und jetzt stehe ich buchstäblich vor den Toren meines neuen Arbeitgebers, den Wiener Stadtwerken. Vor je einem halben Jahr in der Konzernleitung und im zentralen Lehrlingsmanagement der Wiener Linien! Voll Neugier, voll Vorfreude voll Erwartungen!

Seitenwechsel, here I come!

Michel Fleck, Schulleiter und Seitenwechsler

1 Kommentar
  1. Roswitha Seklehner
    Roswitha Seklehner sagte:

    Bin voll auf deiner Seite!!!!
    Als LehrerIn habe ich die BPT geliebt, habe dazugelernt und die Schülerinnen bestärkt, einen Einblick in die Berufswelt zu erhalten.

    Auch eine Lehre nicht geringzuschätzen.
    Nun bin ich bereits im Ruhestand und kann diese Möglichkeit für PädagogInnen nur unterstützen.
    Alles Gute Roswitha

    Antworten

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert