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Eine Videobotschaft geht viral

Vergangene Woche ging die Videobotschaft einer Mutter aus Israel viral. Eine Mutter, die genauso gut aus Österreich, Deutschland oder Frankreich kommen könnte. Sie hat vier Kinder, die zurzeit nicht in die Schule gehen können. Zusätzlich arbeitet sie von zu Hause aus. Die Kinder sind nicht motiviert. Umso mehr scheinen die Lehrer*innen motiviert zu sein. Es ist zu viel und übersteigt ihre Fähigkeiten. Die meisten Kommentare zu dieser Botschaft bestätigen die, meines Erachtens, zu Recht verzweifelte Mutter.

Es folgten und folgen neue Beiträge zu dem Thema allgemeine Überforderung. Ich selbst muss auch gestehen, dass ich zu Beginn Arbeitsblätter zusammengestellt habe, bei denen ich die Realität ausgeblendet habe. Aufgefallen ist mir das ziemlich schnell. Ich hab mich hingesetzt und die Aufgaben durchgerechnet und so zu Papier gebracht, wie das von den Schüler*innen erwartet wird. Also, ordentlich, übersichtlich, bunt. Meine Konsequenz daraus? Reduzieren, kürzen, nochmals rechnen, nochmals kürzen. Ich nehme an, dass viele Kolleg*innen ähnlich agieren.

Lehrer*innen unter Druck

Dazu kommt, dass sich in mir eine Übersättigung breit macht. Die Vielzahl der neuen Lernplattformen sprengt meine Aufnahmebereitschaft. Außerdem schwingt bei mir permanent der Gedanke mit, ob es ausschließlich die Vermittlung des Lernstoffs ist, den unsere Schüler*innen zurzeit brauchen. Ich frage mich auch, warum wir Lehrer*innen so unter Strom stehen. Warum wir es nicht schaffen zwei Gänge rückzuschalten? Woher kommt dieser Druck, allen beweisen zu müssen, dass wir gute Arbeit leisten?

Coronaferien

Mitte März, kurz vor dem Lockdown, hatte sich eine der fast-gratis Zeitungen den Headliner Coronaferien ausgesucht. Der Begriff Ferien löst in die vielen Köpfen bestimmte Assoziationsketten aus. Ferien – Lehrer*innen – arbeiten wenig – verdienen zu viel. Dass zu diesem Zeitpunkt niemand in Ferienstimmung war, konnte ich dem oder der Schreiber*in der Schlagzeilen leider nicht mitteilen. Denn bevor ich dazukam, überschlugen sich in der Schule die Ereignisse.

Wenn wir jetzt, mal abgesehen von den Journaldiensten, zuhause sitzen, dann stehen wir tatsächlich unter dem Beweiszwang der Welt zu zeigen, dass wir enorm viel arbeiten und nicht Ferien machen. Keiner von uns Lehrer*innen hat nämlich Lust in diesen trüben Zeiten an den Pranger gestellt zu werden. Denn, es sind keine Ferien und wir machen keine Ferien.

Was ich gerne machen würde

Würde ich meinen Instinkten folgen, dann wäre ich vermutlich eine von diesen, die gar nichts mehr an die Schüler*innen verschickt. Deren Welt steht ohnehin, so wie unsere, Kopf. Niemand weiß, wie es weitergehen wird. Es ist auch egal, ob wir jetzt Anfang oder Ende Mai starten. Wir werden nicht sang- und klanglos dort weitermachen können, wo wir Mitte März aufgehört haben. Wir müssen damit rechnen, dass wir den Schüler*innen helfen müssen die letzten Wochen zu verdauen. Lernstoff, Prüfungen, Tests und Schularbeiten werden in diesem Zusammenhang zweitrangig sein.

Okay, ich ziehe zurück. Klar, ich will meine Schüler*innen ganz viel schicken und anbieten. In erster Linie Tanz-, Theater- oder andere Angebote. Ich möchte Videokonferenzen machen, in denen wir lachen und Spaß miteinander haben. Vielleicht würde ich ihnen sogar raten die Schulsachen in die Ecke zu legen und durchzuatmen.

Meine Ängste

Allerdings schwingt bei mir die Angst mit, dass sich Eltern oder Kolleg*innen beschweren könnten. Zum Beispiel, dass ich nichts verlangen und arbeiten will. Dass ich die Schüler*innen Ferien machen lasse. Dass ich kein Interesse am Fortkommen der Schüler*innen habe.

Dennoch trage ich seit Tagen den Gedanken herum, alle Ressentiments über Bord zu werfen und meine Ideen zu verwirklichen. Ich glaube nicht, dass ein Kind in den nächsten Wochen Rechnen oder Schreiben verlernt. Und sollte das der Fall sein, dann bringe ich es ihnen wieder bei. Denn das ist schließlich meine Aufgabe.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

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Seit nunmehr 10 Tagen sitzen wir Lehrer*innen, Schüler*innen und Eltern der NMS St. Agatha zu Hause an unseren Computern. Warum? Unser Leben hat sich in jeder Hinsicht von heute auf morgen um 180 Grad gewendet!

Warum 10 Tage?

Der Stundenplan hat sich ausgeweitet. Von einer für jede Schulstufe vorgegebenen Stundentafel, die unterteilt wird in fixe 50-Minuten-Einheiten und dazwischen Pausen, um die Klasse zu wechseln, oder einen Schluck vom kalten Kaffee zu nehmen oder auf die Toilette zu gehen, wenn es sich in den verbleibenden 30 Sekunden noch ausgeht, sind wir zu einer 7-Tage-Woche mit unbegrenzten Arbeitsstunden ohne Fachschwerpunkte mutiert. Jeder teilt sich seine Arbeits- und Pausenzeit selbstständig ein…

Ist das so?

Zwischen die App Teams für alle handlungsfähig zu gestalten, Waben in der Lernwelt ChabaDoo zu erstellen und auszuprobieren, Arbeitsblätter zu erstellen und hochzuladen, Arbeitsaufträge verständlich niederzuschreiben, Bildschirm-Tutorials und PDF-Guides zu erstellen, braucht Roland* um 9:37 Uhr Hilfe in Mathematik. Doch Regina* kommt genau zur gleichen Zeit nicht in die Lernplattform ChabaDoo, weil sie ihre Zugangsdaten vergessen hat. Ach ja, und da waren ja noch Sibille* und Lilly* aus der 1. Klasse, die schon seit 7:22 Uhr im Teams-Chat versuchen mich zu erreichen, weil sie ihre Englisch-Hausübungen nicht hochladen können. Gerade sehe ich, dass Johanna um 8:41 Uhr geschrieben hat, sie braucht ein neues Kennwort für ihr Office365. Um 10:59 Uhr läutet das Telefon zum dritten Mal, weil der Server einer Seite nicht erreichbar ist. Und so wäre diese Liste noch bis spät abends fortsetzbar, aber…

Teamarbeit auf höchstem Niveau

Von zuerst kurz erwähnten 6 Tagen, blieben uns dann 4 Tage – (Gott sei Dank, gibt es Samstag und Sonntag, die genutzt werden konnten) – um an unserer Schule eine Kommunikations-, eine Lern- und eine Datenaustauschplattform zu implementieren. Alle Kolleg*innen sind jetzt im digitalen Boot und die Herangehensweise an Themen, Arbeitsaufträge, Wiederholungen, Erklärungen usw. ist für alle transparent – das heißt, jeder gibt seine Ideen automatisch an alle anderen Kolleg*innen weiter. Es wird tatsächlich fächer- und schulstufenübergreifend Material ausgetauscht… vorher hat eben jeder „seins“ gemacht! Alle Kolleg*innen, Schüler*innen und Eltern arbeiteten in diesen Tagen auf Hochtouren, ohne zu wissen, wie lange dieser Zustand des Homeschoolings andauern würde bzw. könnte. Die Herausforderung bestand bzw. besteht aber nicht nur darin, Plattformen für den digitalen Unterricht von und für zu Hause aufzubauen…

Hilfe von ChabaDoo

An unserer Schule sind wir seit zwei Jahren in einem Feldtest der Firma ChabaDoo, einer innovativen österreichischen Start-up-Firma im Bereich E-Learning. Seit dem Schuljahr 2018/19 haben wir das Glück, dass unsere Schüler*innen der 3. und 4. Klassen von ChabaDoo mit Hardware ausgestattet worden sind. Für unsere „Kleinen“ konnten wir so kurzfristig keine Geräte zur Verfügung stellen und müssen daher auf die Eltern vertrauen, dass sie ihren Kindern Zugang zu den Computern gewähren. Aber was alle unsere Schüler*innen bekommen haben, sind Zugangsdaten für die E-Learning-Plattform der österreichischen Firma. In ständiger Begleitung durch Mitarbeiter von ChabaDoo und kritischer Abwägung der Vor- und Nachteile des Einsatzes der Hardware und der E-Learning-Plattform in den letzten beiden Jahren, fiel uns an der NMS St. Agatha dieser kurzfristige Umstieg auf „Total-Digital“ etwas leichter, wie wahrscheinlich an so manch anderen Schulstandorten.

Chance, Trend, Schule neu denken

Heute, nach 10 Tagen im Homeschooling, Home Office, Distance Learning und Distance Teaching (kein Anspruch auf Vollständigkeit der Begrifflichkeiten!) merke ich, dass der Einzug in das digitale Zeitalter mit voller Wucht eingeschlagen hat – ohne Vorankündigung! Wir sollten diese Zeit der Krise als Chance nutzen, einem neuen Trend entgegenzugehen und gemeinsam „Schule neu denken“!

*Namen frei erfunden.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Oberösterreich.

Lesezeit: 4 Minuten

Unsere Kinder haben von heute auf morgen ihren „Alltagsrhythmus“, ihren Schulalltag und die lebendig-interaktive Beziehung mit ihren Lehrer*innen und Mitschüler*innen verloren. Der Schock ist groß.

Was ist die Chance? 

Die Chance ist, die Kinder in diesen Krisenmonaten erfahren zu lassen, dass die Schule ihr Freund ist, ein Backup-System, ein Kreis aus wohlgesonnenen Begleiter*innen, die vermitteln, dass Lernen Spaß macht. Ein System, das Erleichterung bringt, unterhaltsam ist und Langeweile vertreiben kann. Diese Chance nicht zu nutzen wäre nicht nur schade, sondern könnte sich als bedrohliches Szenario für den Familienalltag in Zeiten der Coronakrise herausstellen. Darum müssen wir Eltern, Direktor*innen und Lehrer*innen mit konstruktiv-kritischem Blick auf Weisungen von Bildungsdirektion und Bildungsministerium schauen. Weisungen, die dahin gehen, dass am Ende dieser Zeit das „Ergebnis“ der zuhause für die Schule erbrachten Leistungen bewertet wird und in die Note miteinfließen könnte. Die Auswirkungen solcher Weisungen können aber, in einer Ausnahmesituation wie dieser, auch zur Destabilisierung vieler Familien beitragen.

Zu allererst ist in diesem Appell wichtig ein Verständnis für beide Seiten zu generieren:

Verständnis für alle Lehrer*innen und Direktor*innen, die sich für ihre Schüler*innen bemühen, das Richtige zu tun und ihr Bestes geben, sowie für alle Eltern, die ebenfalls bemüht sind das Richtige zu tun und ihr Bestes geben.

Dankbar und mit großem Respekt können wir auf die Schulen schauen, die es den Schüler*innen, durch raschen Kontakt und Vermitteln von Strukturen, ermöglichen eine Art von Sicherheit, Normalität und Orientierung zu erfahren, um weiter lernen zu können.

Dankbar und mit großem Respekt können wir auch auf alle Eltern schauen, die ihren Kindern jetzt Mut zusprechen, Gespräche führen und ihnen ein entspanntes, sicheres Zuhause bieten.

ABER muss es nicht der Hauptfokus in einer solchen Krise sein, emotionales Verdauen in den Vordergrund zu stellen, Quality Time miteinander zu haben, Entspannung zu generieren und die Kinder auf diese Weise seelisch gesund zu halten? Wenn wir als Eltern durch Weisungen und Verpflichtung zu konkreten Leistungen auch noch Kontrollinstanz für unsere Kinder sein müssen, kann nichts gutes dabei herauskommen. Im Gegenteil.

Manche Familien sind glücklicherweise von diversen Ressourcen gestärkt, haben Unterstützung, weil mehrere Erwachsene im Haus sind, weil sie Zugang zu Garten oder Wald haben, oder weil es ihnen ihre Bildung oder Charakterstruktur erlaubt, Autoritäten zu hinterfragen. Weil sie nicht allen Weisungen Folge leisten und eigene Prioritäten setzen. In solchen Familien wird der Druck zu lernen vermutlich nicht zu groß werden und dadurch wird Raum entstehen für die Entfaltung von kindlicher Kreativität. Aber bei Weitem nicht alle Familien sind so begünstigt.

Denken wir nur an Alleinerziehende, die vielleicht sogar mit mehreren Kindern aus unterschiedlichen Klassen in der Stadt in kleinen Wohnungen zusammenleben und nicht wirklich hinaus können. Denken wir an Eltern, deren Einkommen von heute auf morgen wegbricht. Eltern, die derzeit versuchen von zuhause aus zu arbeiten und dies nicht tun können, weil sie 24/7 von den Bedürfnissen und Sorgen ihrer Kinder umringt sind. Denken wir an Eltern, die sich nicht trauen Autoritäten herauszufordern, und den Druck unhinterfragt an ihre Kinder weitergeben.

Es bräuchte nun extra Präsenz, Konzentration, Zeit und Verfügbarkeit um die Kinder zu Hause bei schulischen Aufgabenstellungen zu begleiten. Viele Eltern können dies jedoch  in der momentanten Krisensituation nicht aufbringen.

Eltern sind gezwungen die Rolle der Lernbegleiter*innen zu übernehmen. Es gibt allerdings viele Eltern, die das langfristig überfordern wird und so gerät das emotionale Gleichgewicht vieler Familien zusätzlich ins Wanken. Wir müssen  in dieser speziellen, von begrenzenden Erfahrungen geprägten Ausnahmesituation darauf achten, keine zusätzlichen belastenden Faktoren in den häuslichen Ausnahmealltag mit einzuladen. In Krisensituationen ist es ungemein wichtig, Erwartungen und Anforderungen herunterzuschrauben und nicht immer funktionieren zu müssen.

Wenn der Fokus in der Kommunikation zwischen Schule und Elternhaus auf Pflichterfüllung liegt, wenn es “einzuhaltende Abgabetermine” und Deadlines gibt und das “Sollen” und “Müssen” dominiert, als wären wir in einer normalen Alltagssituation, wird das viele Familien zusätzlich belasten.

Wir müssen uns konstruktive Sorgen um das emotionale Gleichgewicht in Familien machen. Ein Gleichgewicht, das dafür sorgen kann, dass Kinder seelisch möglichst unbeschadet aus dieser Notsituation heraustreten.

Wir stehen an der Schwelle zu kollektiv traumatischen Erfahrungen, vor allem in den kommenden Wochen, wenn die Krankheit näher – bei manchen bis ins Wohnzimmer – rücken wird, wenn Familienangehörige betroffen sein werden, Eltern oder Kinder erkranken oder die Großeltern, die im Sterben liegen, nicht besucht werden dürfen. In dieser Situation darf von Seiten der Schulen der Druck herausgenommen werden!

Aus Sicht der Krisenintervention ist es essentiell, ein gesundes Ebenmaß an Struktur und Freiheit zu etablieren. Das kann gelingen indem das Bildungsministerium in diesen Monaten auf die Idee von Leistung und Benotung verzichtet. Lehrkräfte müssen darin bestärkt werden, Aufgaben einladend zu beschreiben, Arbeitsaufträge offen zu lassen und nicht zu viele Aufgaben gleichzeitig zu vergeben. Sie sollen in der Kommunikation ermuntern, auch mal “frei” zu nehmen. Nehmen wir die Worte “sollen” und “müssen” aus dem Lehrplan-Vokabular und ersetzen sie durch “dürfen” und “ausprobieren”. Erinnern wir die Kinder, dass Lernen auch bedeuten kann, ein Kochbuch zu lesen und für die Familie zu kochen, Samen am Balkon anzupflanzen, Tagebuch zu schreiben, zu basteln, zu zeichnen, zu tanzen, Musik zu hören, Spiele zu spielen oder lustige Lernvideos anzuschauen.

Für Eltern könnte es eine Entlastung bedeuten, darin bestärkt zu werden, sich gemeinsame Entspannung zu gönnen, Zeit für Gespräche und Verarbeitung der Situation zu nehmen und von der Rolle der Lernkontrollinstanz freigesprochen zu werden. Diese Entlastung könnte sich auch positiv auf die natürliche Lernbereitschaft der Kinder auswirken.

Wollen wir wirklich, dass die Kinder am Ende dieser Krise unter enormen familiärem Stress ihre Aufgaben erledigt haben oder darf es jetzt  das Wichtigste sein, dass die Kinder fröhlich und von familiärem und schulischem Rückhalt gestärkt wieder zurück in die Schule kommen?

Die Autorin ist Mutter von drei Kindern im Schulalter.

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Jetzt war es also soweit: Ich arbeitete von zu Hause.

Heimunterricht. Oder, da ja die Kontakte zu Schüler*innen, Eltern und Kolleg*innen so gut wie ausschließlich auf digitalen Wegen erfolgen mussten, Unterricht@Home. Prinzipiell kam mir das ja entgegen – persönliches Zusammentreffen mit Artgenossen war ohnehin noch nie so mein Ding gewesen.

Insofern hatte mich die Eröffnung meiner Direktorin, dass wir Lehrer*innen in der kommenden Zeit – außer es ergäbe sich dringende Betreuungsnotwendigkeit – zu Hause bleiben sollten, nicht allzu hart getroffen. Ich erinnere mich noch lebhaft an vergangenen Montag: Verteilt im Turnsaal, vereinzelt mit schwitzenden Händen, da diese in eleganten Gummihandschuhen steckten, lauschten wir den Anweisungen unserer Chefin. Manche der ganz Vorsichtigen hörten sie allerdings nur etwas gedämpft, hatten sie sich doch sicherheitshalber auch noch die knallgelben Kunststoffshirts, die wir Sportlehrer*innen sonst zur Mannschaftskennzeichnung verwendeten, über den Kopf gezogen. Sie vertrauten ganz offensichtlich darauf, dass die Fäulnisbakterien, die fleißig damit beschäftigt waren, die adoleszenten Schweißrückstände zu verdauen, aggressiv genug wären, jeden eindringenden Coronavirus innerhalb von Sekundenbruchteilen zu vernichten. Feuer wird ja auch mit Feuer bekämpft, sagt man mancherorts.

Die (eigentlich für den darauffolgenden Mittwoch) vorbereiteten Arbeitsblätter wurden anschließend strategisch, aber dekorativ in den Klassen verteilt, sofern sie nicht schon am vergangenen Freitag den Kindern und Jugendlichen in die Hand gedrückt worden waren. Dass manche Kolleg*innen bei dieser Gelegenheit tunlichst darauf bedacht waren, mich über die Wichtigkeit und Einzigartigkeit jedes einzelnen ihrer Produkte aufzuklären, erschien mir dann doch etwas verdächtig: Erwarteten sie von mir, in “meinem” Klassenraum auszuharren und dafür Sorge zu tragen, dass die Schüler*innen jedes Arbeitsblatt wie den heiligen Gral hoch über ihr kindliches Haupt erhoben und strahlenden Auges gen elterlicher Wohnstatt tragen würden? Na, hoffentlich nicht.

Da mein Verhältnis zu unserem Kopierer seit jeher kein allzu inniges ist – eine Partnerin mit Ecken und Kanten hatte ich bis zu meiner Scheidung ohnehin jahrelang -, stellte ich die Arbeitsaufträge für meine Schüler*innen auf unsere Schulwebsite. Man muss ja mit der Zeit gehen. Die Bücher sollten die Kinder entweder schon aus der Schule geholt haben oder dies bis spätestens Dienstagmittag erledigen, so lautete die direktorische Direktive.

Also fuhr ich also weisungsgemäß nach Hause und machte mich dort an die digitale Arbeit. Auf der Startseite unserer Internetpräsenz prangten bald – in mahnendem Rot gehalten – drei Hinweise: Der erste betraf die Zeiten, in denen die Schule geöffnet wäre, der zweite die Möglichkeiten zur Kontaktaufnahme (inklusive Handynummer unserer Direktorin) und der dritte sollte alle Unklarheiten bezüglich der vorbereiteten Aufgaben ausräumen.

Um auf Nummer sicher zu gehen, packte ich diese Inhalte auch noch in eine E-Mail, die ich von meiner Dienstadresse aus an alle Kinder beziehungsweise deren Erziehungsberechtigte schickte. Nein, besser schicken wollte. Es stellte sich nämlich schnell heraus, dass eine erkleckliche Anzahl der angegebenen Adressen nicht ganz korrekt war. Zahlreiche Telefonate später nahm die Liste allerdings brauchbare Formen an. Nur ein Herr, der das verhängnisvolle Schicksal hatte, denselben Namen wie der Vater eines meiner Schüler zu führen und dementsprechend eine sehr ähnliche Mailadresse sein Eigen nannte, meldete sich zwei Tage darauf höflich, aber offenbar schon ziemlich desperat bei mir. Er bat, aus dem Mailverteiler genommen zu werden, da er mit den Informationen für eine zweite Mittelschulklasse verhältnismäßig wenig anfange. Dem Mann konnte geholfen werden.

Am Dienstag erfolgten dann die ersten Anrufe jener Kolleg*innen, die bereits tags zuvor tunlichst darauf bedacht gewesen waren, ihre geistigen Ergüsse verlässlichst unter die Jugend gebracht zu sehen. Der Schulwart (dieser miese Verräter!) hatte ihnen geflüstert, dass noch immer nicht alle Arbeitsblätter abgeholt worden seien. Somit schwankten die Fundamente unserer Welt offenbar ganz bedrohlich. Als einziger Retter vor der Apokalypse kam da natürlich nur der Klassenvorstand in Frage.

Dieser (also ich) kam vollkommen zerknirscht seiner Pflicht nach und verfasste eine – diesmal etwas weniger amikal formulierte – E-Mail mit dem Inhalt, dass noch immer nicht alle Lernunterlagen aus dem Klassenraum abgeholt worden seien und man das doch bitte ehebaldigst zu tun habe. Aufgrund der durchaus deutlichen Anweisungen unserer Bundesregierung sah ich mich außerstand, für die nachweisliche Verteilung der Kopien an die Adressen von zweiundzwanzig Familien persönlich Rechnung zu tragen. Ach ja, eigentlich wollte ich auch nicht. Das kam noch hinzu.

Nebenher regelmäßig die Dienst-E-Mails nach neuen Weisungen aus der Bildungsdirektion und teilweise sogar von ganz oben (was aufgrund der Statur unseres Bildungsministers ja durchaus doppeldeutig gesehen werden kann) durchforstend, arbeitete ich daran, Online-Angebote zu finden, mit denen die Schüler*innen über die gestellten Aufgaben in den Schulbüchern verschiedene Themengebiete vertiefen und wiederholen konnten. Das Gute an diesen Recherchen war, dass ich dabei so manches digitale Schatzkästchen entdeckte, auf das ich im üblichen Alltag, der ja dem pädagogischen Fronteinsatz gewidmet war, kaum gestoßen wäre. Kurz: Ich pendelte geistig also zwischen dem Aktualisieren der Informationen auf unserer Schulwebsite und dem Jagen und Sammeln von homeschoolingtauglichen Materialien.

Bei diesen Tätigkeiten war die Anwesenheit meines Körpers vor dem Computer allerdings aus nachvollziehbaren Gründen unerlässlich. Deshalb war ich froh, einen Laptop mein Eigen zu nennen. Das ermöglichte mir, zeitweise die Sonne im Garten als Wellnessmittel zu nutzen. Auch nahm ich mir die Freiheit, regelmäßig meinen Allerwertesten zu heben und ein wenig Sport zu machen. Zwar hatte – wie nachvollziehbar ist – mein Stammfitnesscenter geschlossen, doch Übungen mit dem eigenen Körpergewicht und Laufrunden hielten meine Lebensgeister (und damit meine beamtete Arbeitskraft) wach. Ich zwang mich sogar zur einen oder anderen Rasur, um ein wenig Alltagsfeeling in mein Eremitendasein zu bringen. Auch sollten Kinder und Kolleg*innen mich ja auch nach der Wiedereröffnung unseres Schulgebäudes nicht nur an der Stimme erkennen können.

So verging die erste Woche nach der Coronazeitrechnung für mich persönlich überraschend schnell. Am Freitag jedoch beging ich einen folgenschweren Fehler: Ich sandte eine E-Mail an die Schüler*innen meiner Klasse, in der ich ihre Erfahrungen mit der doch vollkommen neuen Situation erfragte. Im Einzelnen wollte ich wissen, ob es ihnen zeitlich gut möglich sei, die gestellten Arbeitsaufträge in den einzelnen Fächern zu erledigen, wie die Einteilung des Lernstoffs zu Hause umsetzbar sei und ob da, wo sie Hilfe bräuchten, die Kommunikation mit den Lehrerinnen und Lehrern funktioniere. Außerdem wollte ich wissen, was sie sich von der Schule noch wünschten, also welche zusätzlichen Angebote sie auf unserer Schulwebsite eventuell noch vermissten.

Die Antworten waren äußerst einsilbig. Das konnte Gutes bedeuten, aber auch alarmierend sein. Als geborener Optimist beschloss ich, es in den meisten Fällen für ein gutes Zeichen zu halten. Doch dann kamen die Hintergrundinfos der Eltern als Nachrichten auf mein Handy: Einige hatten den Eindruck, die Sprösslinge hätten Nachtschichten einzulegen, um in einzelnen Fächern das geforderte Arbeitspensum bewältigen zu können. Ob es mir nicht möglich sei zu vermitteln. Gut. Ich vermittelte. Möglichst dezent. Unstimmigkeiten in der Kolleg*innenschaft wären in der momentanen Situation nicht sehr zielführend. Okay, im Face-to-Face-Schulbetrieb ja eigentlich auch nur bedingt.

Nachdem diese heikle Mission ohne nennenswerte Verluste an Menschenleben abgeschlossen war, läutete erneut das Telefon. Eine zuvor von mir nicht kontaktierte Kollegin war dran: Was denn mein Plan sei, wenn sie im Zuge ihres Journaldienstes am kommenden Montag feststellen müsste, dass nicht alle ihre Arbeitsblätter abgeholt worden seien. Da war das Thema wieder. Ich hatte es bereits richtiggehend vermisst.

Ich bot ihr zwei Vorgehensweisen an – eine erneute Erinnerungs-E-Mail an die Schüler*innen und die Veröffentlichung ihrer gesammelten Werke in der “Ein-Wochen-Homeschooling-Edition“ auf der Schulwebsite. Das schien vorerst zu fruchten. Das Wochenende konnte kommen.

Ich freue mich bereits auf die nächste Woche.

Der Autor ist Lehrer an einer Mittelschule in Niederösterreich.

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Lockdown

Das erste Wochenende geht vorüber. Es hat noch was von „…dann mache ich mir es eben daheim gemütlich„. Das kann ich ja zum Glück. Ich habe eine große Wohnung und damit ein Dach über dem Kopf. Ein gefüllter Kühlschrank, Internet und Handy. Vieles erscheint mir surreal. Die letzten Tage in der Schule, als wir alle noch hektisch die Schulbücher bestellt haben. Als wir Übungen für die Schüler*innen zusammengesucht haben. Der tatsächlich letzte Schultag am Freitag, als nicht einmal die Schüler*innen im Ferienmodus waren. Die Verabschiedung von den Kolleg*innen, auch beklemmend. Es erschien mir wie ein schlechter Film, bei dem ich sehnlichst auf den Abspann wartete.

Montagmorgen

Am Montag wache ich zur gewohnten Zeit auf, zwanzig vor sechs ohne Wecker. Am Vormittag melden sich die ersten Schüler*innen:

Mir ist fad zuhause. Darf ich morgen mit V. in die Schule kommen?

Warum dürfen wir nicht einmal in den Park gehen?

Alle meine Geschwister sind zuhause. Ich wünschte, ich wäre ein Einzelkind.

Was genau muss ich heute machen?

Zählt das alles zur Note?

Frau Lehrerin? Nicht ihr Ernst? Das ist viel zu viel!

Mein Bruder hat gesagt, dass ich hässlich bin. Also muss ich hässlich sein.

Ich mach jetzt die Hausübungen.

Montagabend

Am Abend sitze ich, wie so oft in diesen Tagen, vor dem Fernseher. Ich habe zu diesem Zeitpunkt noch nicht die gesunde Mischung aus wie viel Information vertrage ich, und wie viel nicht, heraußen. Im Fernsehen läuft das Format Thema, im Fokus Covid19. Nach vielen Informationen und Fakten spricht am Ende eine klinische Psychologin über die neue häusliche Situation. Auch zwei Familien werden gezeigt und befragt, wie sie die kommenden Tage meistern werden? Die Wohnungen der beiden groß, hell und geräumig mit Balkon oder Garten. Eine männliche Person, die im Garten mit einem Kind lernt. Das andere Kind turnt auf einem Klettergerüst. Alle sind sich einig, das könnte schnell langweilig und fordernd zugleich werden.

Was könnte man dagegen tun?“, will die Reporterin wissen.

Denken Sie sich immer neue Sachen aus. Schaffen sie neue Anreize. Kochen sie gemeinsam oder machen sie eine Schnitzeljagd durch die Wohnung. Oder, schaffen sie eine Verkleidungsecke.

Die andere Realität

Ich steige gedanklich ab.

Mir fällt K. ein. K. ist mit seinen elf Jahren der älteste von sieben Kindern. Vor drei Wochen kam das jüngste zur Welt. Die Familie lebt in einer 45m² Wohnung. K. liebt es, die Zeit draußen zu verbringen. Ich stelle mir K.s Mutter vor, wie sie in der Küche steht und vermutlich alles andere will, als die Kinder in den Akt des Kochens einzubinden.  Sie wird auch keine Schnitzeljagd machen oder eine Verkleidungsecke einrichten. Wo auch?

Ein anderer Junge lebt unter ähnlichen Verhältnissen. Der Vater arbeitet am Markt, die Mutter ist den ganzen Tag bei den Kindern. Die Hauptlast liegt bei der Mutter. Haushalt, Kindererziehung und sämtliche schulische Angelegenheiten. Und jetzt sollte sie noch mit den Kindern üben und lernen. Stimmt, und eine Schnitzeljagd organisieren.

V. lebt bei seiner Großmutter. V. hat Probleme. In der Schule eckt er mit seiner nicht vorhandenen Anpassungsfähigkeit an. Er scheitert täglich am System Schule. Die Großmutter ist bemüht, aber stößt permanent an ihre Grenzen. V. hat bis heute keine einzige Aufgabe geschickt. Manchmal kommt mir der Gedanke, dass er vielleicht schon im Krisenzentrum lebt.

Die ganze erste Woche des Lockdowns kommen auf unterschiedlichen Kanälen mantraartig die gleichen Tipps, und immer werden Familien gezeigt, die nicht die Lebensrealität meiner Schüler*innen abbilden. In den meisten Fällen macht der Vater nicht Homeoffice. Die Mutter macht eine Art Homeoffice, spricht sie ist ohnehin zuhause. Meine Schüler*innen haben zu 90% keine Laptops, kein W-Lan, keine Gärten und keine Eltern, die mit ihnen so nebenbei noch lernen. Nicht weil sie es nicht wollen, sondern weil sie es nicht können.

Die Verlierer*innen

Was meine Schüler*innen haben? Sie haben Ängste. Angst, dass die Eltern ihre Arbeit verlieren. Sie haben Angst, dass ihren Eltern das Geld ausgeht. Sie haben Angst, genau das mit ihren Eltern zu besprechen. Sie merken, dass es zuhause eng wird, und wissen nicht, wie sie dieser Enge entfliehen sollen. Sie haben Angst, dass wenn sie doch nach draußen gehen, dass die Eltern Strafe zahlen müssen. Sie haben Angst, dass sie das Jahr nicht schaffen werden. Sie haben vermutlich nur wenig Kraft sich den Schulaufgaben zu widmen. Denn, bevor man sich mit Bildung und mit sich selbst beschäftigen kann, braucht man soziale Sicherheit. Diese ist in sehr vielen Fällen nicht gegeben. Gerade in diesen Familien bleibt kein Stein auf dem anderen.

Die Verlierer*innen in dem System Coronakrise sind wieder einmal die Schüler*innen der Mittelschulen. Denn schon jetzt kündigt Bildungsminister Heinz Faßmann an, dass die höchste Priorität bei der Öffnung von Schulen der Matura gilt.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.