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Das Ende des Schuljahres ist nahe. Das erkennen wir zum einen daran, dass wir alle, Schüler:innen und Kolleg:innen, schon ein bisschen ausgelaugt sind. Zum anderen daran, dass wieder vermehrt Lehrausgänge gemacht werden. Ich persönlich finde das perfekt, weil Schule viel mehr als nur in der Klasse sitzen und lernen ist. Die Kinder und Jugendlichen kommen endlich aus ihrer vertrauten Hood raus. Lernen Wien und die Umgebung kennen. Stellen fest, dass Niederösterreich gar nicht so weit weg von Wien ist. Dass sie auch mitten in Wien in den Wald gehen können. Dass ein Museumsbesuch zwar langweilig klingt, aber gar nicht so übel ist. Allerdings hat die Sache in meinen Augen einen Haken.

Bitte geben Sie ihrem Kind 30 Euro mit!

Die Aufforderung stand in einer Klasse an der Tafel. Ein Ausflug nach Krems soll stattfinden, ganz traditionell mit dem Schiff und der Bahn. In Schoolfox wird diese Botschaft noch mit dem Hinweis ergänzt, dass es sich um Pflichtveranstaltung handelt. Wer an diesem Tag fehlt, muss eine ärztliche Bestätigung vorlegen.

Mir verschlägt es mal kurz die Sprache. Zusätzlich zu dem besagten Ausflug muss die Klassenfahrt im Juni bezahlt werden und in Biologie noch der Eintritt ins Haus des Meeres an die Kollegin abgeliefert werden.

In Zeiten der Inflation und der zunehmenden Verarmung der Mittelschicht erscheinen mir diese Beträge utopisch. Meine Sprache finde ich bald wieder, aber der Gedanke, dass manche Kolleg:innen kaum Bodenhaftung besitzen, will nicht aus meinem Kopf raus. Wie abgehoben muss jemand sein, der genau in diesen Zeiten teure Ausflüge und Exkursionen plant?

Prekäre Verhältnisse

Das Problem, dass dauernd Geld von den Eltern eingefordert wird, gibt es nicht seit diesem Jahr. Der ohnehin teure Schulstart wird noch teurer, weil Geld in die Klassenkasse eingezahlt werden muss. Weil die Klasse dann noch das JÖ-Heft und andere scheinbar unentbehrliche Dinge braucht. Zu den 20 Euro für das  besagte Heft wird den Eltern noch eine freiwillige Spende an das Jugendrotkreuz verordnet. Ja, die Inhalte sind informativ, aber ist es nicht auch so, dass im Internet ganz umsonst Begleitmaterial zum Unterricht gefunden werden kann? Ist es nicht auch so, dass unsere Eltern eher Spenden brauchen würden? Unsere Schüler:innen wachsen größtenteils in prekären Verhältnissen auf. Ein oder zwei Euro für einen wohltätigen Verein mögen uns Lehrer:innen wenig erscheinen. Für manche Familien ist das das Geld für zwei Laib Brot. 

Geh bitte! Die haben genug Geld

Wenn ich jedes Mal, wenn ich diesen Satz höre, 50 Cent von den Kolleg:innen verlangte, dann hätte ich meine Urlaubskasse schon gut aufgepeppt. Ähnlich verhält es sich mit Aussagen wie:

Geh bitte! Die teuren Sportschuhe trägt er oder sie aber auch.

Geh bitte! XY hat schon wieder ein neues Handy.

Geh bitte! Der hat jeden Tag eine Jause vom Supermarkt.

Und wie immer, schon fast gebetsmühlenartig, antworte ich, dass Schuhe und Handy gesellschaftliche Teilhabe bedeuten. Dass ich mir ganz sicher bin, dass die tägliche Jause aus dem Supermarkt nicht so exklusiv ist, wie es scheint. Eine trockene Semmel und eine Dose Aufstrich, die vielleicht auch von zuhause kommt, stellen keine Beweise für versteckten Reichtum dar. Mir ist auch bekannt, dass die meisten unserer Kinder und Jugendlichen genau ein Paar Schuhe haben, Sommer wie Winter, und diese tragen, bis sie ihnen vom Leib fallen. Zusätzlich habe ich die Information, dass viele ihre Schuhe auf Secondhand-Plattformen kaufen. Weil eines wollen sie gar nicht: arm aussehen. Mal abgesehen davon, dass wir immer noch  Schüler:innen haben, die weder Handy noch Markenkleidung besitzen.

Wer sich das nicht leisten kann

Das Tüpfelchen auf dem I sind dann jene Kolleg:innen, die vor der Klasse denen, die sich das nicht leisten können, Unterstützung anbieten. Die wundern sich dann noch, weil sich niemand auf dieses Angebot hin meldet. Ich bin selbst in prekären Verhältnissen groß geworden. Nie im Leben hätte ich mich vor der ganzen Klasse geoutet. Nein, das ist kein gut gemeintes Angebot, sondern der absolute Mangel an Empathie. Und zur Sache mit der ärztlichen Bestätigung fällt mir noch ein, dass ich mir die beim Arzt erkämpfen würde, sollte ich in der prekären Lage unserer Eltern sein. 

Auch nicht viel besser war die Aussage eines Kollegen, der meinte, dass die Schüler:innen, die noch keinen Eintritt wofür auch immer bezahlt haben, dann eben die Ausstellung nicht besuchen können.  Dass sie im Foyer einen Arbeitsauftrag erfüllen müssten. Wie jetzt? Bestrafen wir jetzt schon Kinder und Jugendliche, weil sich die Eltern 9 Euro nicht leisten können?

Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen (Erich Kästner)

Wenn ohnehin schon bekannt ist, dass viele Familien finanzielle Probleme haben, warum findet nicht endlich ein Umdenken statt? In Wien ist die Liste der Museen, in denen alle Menschen bis 18 gratis hineinkommen, lang. Muss es dann wirklich noch eine Führung um sechs Euro geben? Oder könnte sich die Lehrperson nicht an einem Wochenende vorbereiten und selbst zur Ausstellung etwas erzählen? Muss es besonders in Zeiten des Klimawandels wirklich der Bus sein, der alle von A nach B bringt? Ist es wirklich dringend notwendig, in das teure Haus des Meeres zu gehen?

Dazu könnten sich die Kolleg:innen auch ein bisschen umhören. So gibt es im Dschungel-Theater die Kulturpatenschaften. Vor dem Besuch einer Vorstellung haben Kolleg:innen die Möglichkeit bekannt zu geben, wie viel eine Klasse bezahlen könnte. Alles ganz unbürokratisch, einfach weil die Leitung des Theaters der Meinung ist, dass junge Menschen ein Anrecht auf Kultur haben.

Sind Klassenfahrten in Zeiten der Inflation wirklich notwendig? Würde nicht eine Projektwoche in Wien und Umgebung mit kostenlosen Tagesausflügen genauso gut für das Klassengefüge sein? Besonders auch unter dem Aspekt, dass unsere Schüler:innen selten Einzelkinder sind.

Falsche Umverteilung

So toll es ist, wenn Klassen für die ganze Schule ein Buffet anbieten um ihre Klassenfahrt finanzieren zu können, wäre auch in dieser Situation Nachdenken angebracht. Denn letztendlich wird dann eine Klassenfahrt von all jenen Schüler:innen mitfinanziert, die beim Buffett einkaufen. Oder die Eltern, die das Geld für sich bräuchten, backen Kuchen, um den Nachwuchs nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Streng genommen ist dieser Ansatz der Finanzierung gut gemeint, aber nicht durchdacht. 

Aber müssen wir auf alles verzichten?

Auf der anderen Seite sind Klassenfahrten, besonders ins oft unerschwingliche Ausland, eine unglaubliche Möglichkeit für unsere Kinder, das Meer mal von der Urlaubsseite aus zu betrachten. Selfies am Strand, dem Modesport SUPping einen Begriff zuordnen, andere Kinder kennenlernen und andere Sprachen hören als die in der Schule. Wen nehmen wir hier in die Verantwortung? Wie schaffen wir den Spagat zwischen gesellschaftlicher Teilhabe und gerechter Finanzierung? Ja, es gibt Angebote zur Unterstützung. Viele unserer Kinder können diese aber entweder wegen sprachlichen Barrieren nicht beantragen oder aber haben sie einfach nicht den Status, um die erforderlichen Dokumente nachzuweisen. 

Doch an was erinnern wir uns wirklich aus unserer Schulzeit? Meistens doch an die Ausflüge, an das Andere, an die Abenteuer, die nicht im Klassenzimmer stattgefunden haben. Wir brauchen also eine niederschwellige und schnelle Unterstützung für Aktivitäten dieser Art, damit die Kinder aus sozialschwachen Familien nicht auch noch hier benachteiligt werden. 

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

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D

Die Evaluierung 

Vor fast zwei Monaten fand in der Arbeiterkammer Wien die offizielle Präsentation der Evaluierung der Deutschförderklassen statt. Es wurde erhoben, wie sich das Modell bis jetzt bewährt hat. Das Ergebnis ist wenig überraschend. Das System, so wie es zurzeit besteht, bringt nicht die erwarteten Ergebnisse.

Der Blick zurück

98 % Prozent der Schulleiter:innen und 91 % der Sprachförderlehrer:innen sehen Optimierungsbedarf*. Das System erlaubt wenig Freiheiten im Umgang mit den Schüler:innen. Zum Einstieg in die Klasse erfolgt die Sprachstandserhebung mittels MIKA-D-Test. Dann die Zuteilung in die Deutschförderklasse. Nach einem halben Jahr wird erneut getestet. Wenn der Sprachstand, wenig überraschend, ungenügend ist, dann folgt ein weiteres halbes Jahr in einer Extra-Klasse bis zur nächsten Testung. Dazwischen gibt es nicht viel. Mal abgesehen davon, dass das Messinstrument an sich einer grundlegenden Überholung bedarf. Die Klassen sind mancherorts viel zu groß, der Pool an Kolleg:innen, die berechtigt sind in diesen zu unterrichten, zu klein. Bis heute gibt es keine Klassenschüler:innenhöchstzahl. An manchen Standorten, vornehmlich in Wien, sitzen bis zu zwanzig Schüler:innen in einer dieser Klassen.  Selbst begnadete Pädagog:innen haben einem solchen Setting kaum eine Chance die erwarteten Erfolge zu liefern. Dazu gibt es eine Vielzahl an Schüler:innen, die im Alter von vierzehn oder dreizehn Jahren nach Österreich kommen. Die, bis der Spracherwerb vielleicht abgeschlossen ist, im zehnten oder elften Schuljahr sind. Denn der Verbleib von nur neun Stunden in den Stammklassen gewährt keinen Zugang zum Regelunterricht. Die achte Schulstufe muss im schlechtesten Fall drei Mal wiederholt werden, sollte ein elftes Schuljahr gewährt werden. Das folgt keiner Logik sondern einer persönlichen Einschätzung, die wiederum stark an das Verhalten der Schüler:innen anknüpft. Nicht jedem fällt es leicht in einer Klasse mit Kolleg:innen zu sitzen, die drei Jahre jünger sind. Die Aussicht auf einen positiven Schulabschluss ist gering.

Das System ist nicht flexibel. Von den Kolleg:innen, die in der Deutschförderklasse unterrichten, wird das aber im hohen Maß verlangt. Nach mehr als vier Jahren Erfahrungen mit diesen Klassen weiß ich, dass sich die Schüler:innenzahl innerhalb weniger Tage ändern kann und damit das gesamte Setting. Wir haben schon oft erlebt, dass endliche alle die Basics des Schulbetriebs kannten und genau zu diesem Zeitpunkt uns zwei neue Schüler:innen zugeteilt wurden.

Was in den Deutschförderklassen auch fehlt ist muttersprachliches Unterstützungspersonal in Form von Psychagog:innen, Beratungslehrer:innen und Schulsozialarbeiter:innen. Wir wissen nicht mit welchen Blessuren die Kinder und Jugendlichen zu uns gekommen sind. Wir haben mit wenig Ausnahmen keine Ahnung von Flucht und Krieg. Und es ist eine Farce zu verlangen, dass große Dankbarkeit und Anpassung von Seiten der Schüler:innen zu erfolgen haben. Ehrlich, wäre ich ein Mädchen, das gar nicht in dieser Schule sein möchte; wäre ich ein Kind, das auf der Flucht hungern musste; wäre ich ein Teenager, der viele Nächte immer wieder in einen Keller flüchten musste, wäre das letzte Gefühl, das in mir hoch käme, dass ich dankbar sein muss. Und ich hätte auch keinen Kopf vier Stunden am Tag Grammatik abzuspeichern. Ich würde wahrscheinlich nur auf meinem Sessel sitzen und warten, dass der Tag vergeht. Dass ich nach Hause komme und die Sicherheit habe, dass meine Eltern noch am Leben sind. Aber das darf alles in diesem System nicht sein. In zwei Jahren muss die Sprache beherrscht werden, der Rest ist „Nebensache“.

Woran es auch fehlt? Es gibt tatsächlich Kolleg:innen, die immer noch nicht bereit sind, für diese Kinder und Jugendlichen Empathie zu entwickeln. Denen müssen wir nämlich jedes Jahr vom Neuen erklären, dass jedes Kind ein Recht auf eigene Schulbücher habe, unabhängig von der Zeit, die es in der Klasse verbringt. Es sollte selbstverständlich sein, dass alle Kinder der Klasse an einem Ausflug oder einem Projekttag teilnehmen. Und schon gar nicht okay ist, die Schüler:innen auf ihre Herkunft oder auf ihre Religion zu reduzieren. Im „normalen Klassenverband“ kann das schon auch passieren. Aber viel leichter ist es natürlich Schüler:innen auszugrenzen, die ohnehin durch das System segregiert wurden. Es muss endlich eine Sensibilisierung dieser Kolleg:innen erfolgen.

Der Ausblick

So, nun weiß man also, dass dieses System nicht die erwarteten Ergebnisse bringt. Welche Lehren werden daraus gezogen? Kaum welche.

Die Deutschförderklassen werden bestehen bleiben. Sie haben sich zwar nicht bewährt, aber das ist allem Anschein nach egal. Schließlich handelt es sich um ein Prestigeprojekt der damaligen schwarz-blauen Regierung. Schule ist also ein Politikum. Kinder und Jugendliche spielen in diesem Zusammenhang eine untergeordnete Rolle. Wie so oft geht es in der Schule nicht um sie.

Es gibt Zugeständnisse von Seiten des Bildungsministeriums. So hat man finanzielle Ressourcen freigeschalten, um zum Beispiel die Betreuung durch mehr Kolleg:innen gewährleisten zu können. Dieses Angebot liest sich in Zeiten des akuten Personalmangels wie ein schlechter Witz. Eine Schulleiter:in kann nicht irgendwelche Kolleg:innen zum Unterricht in die Deutschförderklasse einteilen. Theoretisch ist es gar nicht erlaubt, dass ohne DAF/DAZ- Ausbildung in diesen Klassen unterrichtet wird. In der Praxis sieht es allerdings anders aus, denn es gibt viel zu wenige Kolleg:innen mit diesem Studium. Daher können alle in die DKL eingeteilt werden. Die Vermittlung einer neuen Sprache erfordert didaktische Höchstleistungen. Wenn jemand das nicht beherrscht, wird es problematisch. Außerdem brauchen wir in diesem Zusammenhang Kolleg:innen, die empathisch genug sind zu verstehen, was es heißt keine Heimat mehr zu haben. Was sich also ändern wird? Nichts, so einfach ist das.

Vor langer Zeit habe ich hier mal einen Beitrag geschrieben, in dem ich den Verdacht geäußert habe, es soll Menschen, die in Österreich Arbeit oder Schutz oder beides suchen, nicht zu gemütlich gemacht werden. Ich sehe das nach wie vor so.

Eine mögliche Zukunft, die immer mehr zur Utopie wird

Nach der Bekanntgabe der Evaluierungsergebnisse fand eine Podiumsdiskussion statt. Was klar zur Sprache kam, wäre ein möglicher Lösungsweg. Es ist an der Zeit, dass wir uns von dem monolingualen Schulsystem verabschieden. Gerade im urbanen Raum ist Mehrsprachigkeit stark vorhanden. Nein, es handelt sich nicht um einen Makel, sondern um ein Geschenk. Wir haben Kinder und Jugendliche an der Schule, die drei oder vier Sprachen sprechen. Auch diese, die noch nicht lange in Österreich leben, beherrschen zumeist mehr als eine Sprache. Aber anstatt dem Rechnung zu tragen, reduzieren die Behörden sie auf die fehlende Sprachkompetenz in der Unterrichtssprache Deutsch. Gerade im urbanen Raum könnte man mit einem Umdenken Neues und Großartiges schaffen.  

Quelle: https://www.lv-wien.at/downloads/Quo vadis Deutschförderklassen-kurse.pdf

Maria Lodjn, Lehrerin an einer MS in Wien

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Weißt du schon, was du nach der Schule machen willst? Eine Frage, die früher oder später allen Schüler*innen gestellt wird. Immerhin ist die Entscheidung, auf welche weiterführende Schule man gehen, welchen Lehrberuf man beginnen oder welchen Beruf man ausüben möchte, eine wichtige und wegweisende. Doch nicht allen Jugendlichen stehen die gleichen Möglichkeiten offen – oftmals ist es entscheidend, ob man in ein Gymnasium oder eine Mittelschule geht. In Letzterer ist es zudem ein Kriterium, ob man nach „Standard-AHS“ oder „Standard“ beurteilt wird. Ob man, wie es mir zu Ohren gekommen ist: ein AHS oder „doch nur ein Standard-Kind“ ist. 

Als ich damals noch die Unterstufe eines Gymnasiums besuchte, war klar, dass ich nach Abschluss der 4. Klasse die Schule wechseln möchte. Also ging ich mit meinen Eltern zu den verschiedenen Tagen der offenen Tür. HAK, HTL, HBLA – ich hatte die freie Wahl. Wenn ich denn schon eine konkrete Vorstellung meiner Interessen gehabt hätte, hätte ich freilich auch einen Lehrberuf ergreifen können. „Dafür bist du aber zu gescheit“, habe ich oft gesagt bekommen…

Mit meinen mittlerweile 22 Jahren weiß ich allerdings, dass es Jugendliche gibt, denen weit nicht so viele Türen offenstehen. Im wahrsten Sinne des Wortes. 

Aus der Motivation heraus, diesbezüglich etwas zu ändern und einen kleinen Beitrag zu leisten, indem ich ein paar Jugendliche auf ihrem schulischen und persönlichen Weg unterstütze, bin ich beim “Learning Circle” gelandet. Seit mittlerweile zwei Jahren darf ich im Rahmen des “Learning Circles” Leo* begleiten. Als Lernbegleiterin oder Lern-Coach, wie ich im Learning Circle genannt werde, treffe ich mich zwei Mal pro Woche in einer Videokonferenz mit Leo. Wir lernen zusammen, sprechen über die Schule und den Alltag und sind zu eingespielten Lern-Buddies geworden. Während der vier Semester, die ich Leo nun schon begleite, konnte ich beobachten, wie positiv er sich weiterentwickelt hat und seine Noten und sein Selbstmanagement sich verbessert haben. 

Am Ende dieses Semesters, bei einem Gespräch mit ihm und seiner Mutter, habe ich also die altbewährte Frage gestellt. Ob sie sich schon überlegt hätten, was Leo nach der Schule weitermachen möchte. Ganz selbstverständlich hat mir seine Mutter erklärt, dass diese Entscheidung etwas schwierig sei. Leo wüsste noch nicht, was ihn genau interessiert (wer weiß das auch schon mit 13 Jahren?) und weil er „nur ein Standard Kind“ ist, sind die Optionen für ihn begrenzt. Für das Arbeiten im Rahmen eines Lehrberufes wäre er noch viel zu unreif; die Schule und das Lernen mit Gleichaltrigen seien wichtig für ihn, meint die Mutter. HTL? HAK? HBLA? Mit einem „Befriedigend“ als Standard-Kind in den Pflichtgegenständen nicht oder kaum möglich. Zum Glück hätten sie eine Fachschule gefunden, in der er eine dreijährige Ausbildung machen kann. Dafür müssen seine Noten allerdings auch mindestens „Befriedigend“ sein. Möglicherweise gibt es auch sehr viele Anmeldungen für die Schule und nachdem als Aufnahmekriterium oft das Zeugnis herangezogen wird, sind gute oder sehr gute Noten wünschenswert.

Leos Mutter ist engagiert und ich bin mir sicher, dass er seinen Weg findet. Er ist sehr fleißig und mit etwas Unterstützung kann er einen guten Abschluss in der Mittelschule und den Aufnahmeprozess in die nächste Schule schaffen. Daran glaube ich.

Dennoch hat mich das Gespräch nachdenklich gemacht. „Nur Standard Kind“. Wie ist es für einen Jugendlichen, so etwas zu hören? Wie fühlt es sich an, wenn man zu „schlecht“ ist für die ganzen Schulen, die die anderen an den Tagen der offenen Tür besuchen? Bestärkend oder förderlich für den Selbstwert ganz bestimmt nicht.

Unser österreichisches Schulsystem ist sehr ausdifferenziert und bereits nach der Volksschule, mit 10 Jahren, werden die Kinder auf Schulen mit unterschiedlichen Leistungsniveaus aufgeteilt. Mit 14 Jahren kommt dann die nächste Entscheidung. Es herrscht also ständiger Notendruck mit dem Hintergrundwissen, dass das Zeugnis für die Aufnahme in weitere Schulen entscheidend und die zukünftigen Möglichkeiten von der schulischen Leistung geprägt sind. Dass Kinder und Jugendliche, die von Seiten ihres Umfeldes wenig schulische Unterstützung erfahren, unter dieser Ausdifferenzierung leiden, ist kein Geheimnis. Dass Nachhilfe, wie wir sie im klassischen Sinne kennen, für viele Familien unbezahlbar ist, ebenso wenig. Daraus folgend ist also auch klar, dass unser Schulsystem Bildungsungleichheiten weiter verschärft, anstatt ein miteinander und voneinander lernen zu fördern. 

Es ist wichtig, den Jugendlichen zu vermitteln, dass ihr Selbstwert nicht an den Differenzierungen unseres Bildungssystems oder der Schule, die sie besuchen, festgemacht werden darf. Man ist nicht schlauer als das Nachbarskind, nur weil man eine AHS besucht und die*der andere eine Mittelschule. Leo ist nicht dümmer als seine Mitschüler*innen, nur weil er ein Standard-Kind und die anderen AHS-Kinder sind. 

Dementsprechend sollten wir mit diesen Begrifflichkeiten sensibel umgehen und darüber nachdenken, wie solche Sätze bei den Kindern und Jugendlichen ankommen und was sie mit ihnen machen. Ich habe Leo bestärkt und ihm gesagt, dass er die Aufnahme auf die Fachschule bestimmt schafft, wenn er so weitermacht wie bisher. Immer wieder versuche ich, die positiven Entwicklungen und die Leistungsfortschritte hervorzuheben und ihn dazu zu ermuntern, auf sich selbst und seinen ganz persönlichen Weg stolz zu sein. Denn dafür gibt es genug Gründe.

* Name geändert

D

Autorin: Sarah Svoboda, Lern-Coach beim Learning-Circle von wirkt!

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Die Wochen vor den Ferien sind immer besonders nervenaufreibend. Ein ganzes Semester, welches von Vorbereitungen, Nachbereitungen, Elterngespräche, Vorkommnisse in der Klasse, Einzelgesprächen, schwierigen, aber auch wundervollen Situationen geprägt war, neigt sich dem Ende zu. Wir sind nun an der Reihe die Kinder und Jugendlichen zu benoten. Ihnen so objektiv wie möglich zu bescheinigen, wie viel sie geleistet haben. In den letzten Wochen vor den Ferien wird die Anstrengung, die sich über mehrere Wochen aufgestaut hat, oft noch deutlicher. Viele Kolleg:innen sind ausgelaugt, freuen sich auf die Ferien, freuen sich darauf, einmal „den Kopf frei zu bekommen“. Es scheint, als würde in den Wochen vor den Ferien alles Negative, das wir erleben, nochmal intensiviert werden.

Ja, eine Lehrkraft zu sein ist anstrengend. Es gibt – so denke ich – nur wenige Jobs, in denen man bis 10:00 Uhr früh so viele verschiedene Emotionen durchlebt hat, wie als Lehrkraft. Aber es sind nicht nur negative Emotionen, mit denen wir konfrontiert sind. Unsere Arbeit birgt so viel mehr. Sie birgt wunderschöne, lustige und stolze Momente.

Ich habe mich im letzten Monat jeden Tag gefragt, was ich an meinem Job eigentlich so liebe. Jeden Tag habe ich mindestens eine Situation gefunden, die in mir positive Gefühle ausgelöst haben. Und ich würde behaupten, dass wir Lehrkräfte alle solche Momente durchleben. Ich plädiere dafür diese wieder in den Vordergrund zu stellen und wertzuschätzen, was für einen besonderen, wunderschönen, nervenaufreibenden und wichtigen Job wir tagtäglich machen.

Wochenende:

07.01.2023 Ich unterrichte Deutsch und Mathematik. Gerade verbessere ich die Deutscharbeitspläne. Die Aufgabe lautet: „Schreibe einen Satz mit dem Wort ‘Viertel’.“ Die Antwort der Schülerin lautet: „Ein Viertel ist ein Bruch.“ Sie vereint beide Fächer – ich bin stolz.

08.01.2023: In drei Tagen ist Mathematik Schularbeit. Letztes Jahr hat meine Schülerin Mathematik gehasst. Sie hatte regelrecht Angst davor und hat eine große Abneigung entwickelt. Sie entschied sich demonstrativ nicht für die Schularbeit zu lernen. Ich habe die Klasse dieses Jahr in Mathe übernommen. Heute schreibt sie mir, dass sie das gesamte Wochenende für die Schularbeit gelernt habe und ob ich ihr noch eine Frage beantworten könne, da ihr nur mehr eine Sache unklar sei. Ein Erfolgserlebnis ♥️

Woche:

9.01.2023: Es ist Montag nach den Ferien. S. ist am Vormittag wegen eines Termins nicht in der Schule, kommt aber vor der fünften Stunde. Ich stehe am Gang und warte darauf, dass sich meine Klasse für den Turnunterricht anstellt. Sie sieht mich, kommt mir entgegengerannt, umarmt mich und ruft: „Ich bin so froh wieder in der Schule zu sein. Ich hab´ Sie vermisst.”

Ich bin wirklich froh, dass meine Schüler:innen gerne zur Schule kommen und sich hier wohl fühlen. 

10.01.2023: Mein Schüler vertraut sich mir an. Er meint ihm gehe es nicht gut und er macht sich immer große Sorgen über viele Dinge, sodass er nicht einschlafen kann. Ich schlage ihm vor mit einer Psycholog:in darüber zu reden und frage ihn, ob ich das mit seiner Mama Besprechen soll. Er bedankt sich.

11.01.2023: Ich verbessere den Deutscharbeitsplan zum Thema „Gefühle“. Die Aufgabenstellung lautet: „Besprecht gemeinsam welche Gefühle ihr heute hattet. Habt ihr Gemeinsamkeiten? Schreibt diese auf und begründet.“ Als Antwort stand:  „Wir sind beide glücklich, weil wir heimlich in der Pause Süßes gegessen haben.“

12.01.2023: Ich bin seit gestern krank und mir fällt die Decke auf den Kopf. Auf einmal erhalte ich eine Nachricht meiner Schülerin: „Werden Sie bald wieder gesund, wir vermissen Sie!“

13.01.2023 Ich war die letzten beiden Tage krank. Als ich in die Schule komme, sehe ich meine Kollegin, die mich anlächelt und meint: „Schön, dass du wieder da bist und es dir besser geht.“

Wochenende:

14.01.2023: Diese Woche behandelten wir in Mathematik das Thema „Dreiecke“. Dieses Thema haben wir letztes Jahr schon besprochen. Sie mussten die Wochenpläne lösen, ohne viel Input in den Stunden darüber bekommen zu haben, da sie das Wissen noch von letztem Jahr haben sollten. 97% der Wochenplanaufgaben waren hervorragend gelöst.

Stolz überkommt mich – sie merken sich wirklich viele Dinge. Ich bin beeindruckt!

15.1 Es ist Sonntag. Ich freu mich schon auf morgen

Woche:

16.01.2023: Meine Klasse arbeitet ganz oft selbständig an Arbeitsplänen. Ein Schüler kommt zu mir und fragt mich um Hilfe. Ich bin soeben mit der Beantwortung einer anderen Frage beschäftigt und meine nur, ich komme gleich. Als ich zu ihm komme, sitzt er schon mit A. zusammen, der ihm bei der Lösung des Problems hilft. Dieser ist schon fertig mit dem Beispiel, aber noch lange nicht mit dem Arbeitsplan. Trotzdem nimmt er sich Zeit und beantwortet ihm seine Fragen. Sie halten zusammen.

17.01.2023: Heute steht wieder eine Theoriestunde in Deutsch zum Thema Präsentationstechnik an. Wir spielen einen schlechten Vortrag av. Die Kinder lachen und zeigen uns dann, wie es eigentlich gehen sollte. Wir haben viel Spaß miteinander.

18.1.2023 Wir haben eine Freiarbeitsphase. Jedes Kind kann sich selbstständig aussuchen, welche Aufgabe sie mit wem, wo und wann machen. Am Ende muss alles fertig sein. Ab dem Zeitpunkt, ab dem wir sie Arbeiten geschickt haben, arbeiten alle – ohne Ausnahme. Ich bin immer wieder erstaunt, wie großartig sie selbstständig arbeiten, konzentriert sind und sich gegenseitig unterstützen. Am Ende waren alle fertig. Wow!

19.01.2023: Sie bekommen eine Aufgabe. Mein Schüler, der von sich behauptet, Mathematik nicht zu können, einer, der oft länger braucht, um die Aufgabe zu Gänze zu verstehen, einer der oft behauptet ‘ich kann das nicht’ und einer der oft resigniert, erhält den heutige Mathe-Arbeitsauftrag, schaut mich mit funkelnden Augen und sagt: „Ich weiß es, heut schaff ich das”.

20.01.2023 Update zum 10.01.2023: Der Schüler kommt stolz zu mir und redet offen vor der Klasse darüber, dass er jetzt in psychologischer Behandlung ist und er glaubt, dass ihm das gut tue. Die Kinder verurteilen ihn nicht sondern fragen nach und sind neugierig.

Offen über psychologische Hilfe zu sprechen ist noch immer ein Tabu Thema in unserer Gesellschaft. Aber sogar unsere Kinder können dies mittlerweile schon und gehen grandios mit der Tatsache um. Ich bin stolz auf sie.

Wochenende

21.01.2023: Ich genieße einen Tag ohne Korrekturen und Vorbereitungen 😬

22.01.2023: Draußen wird es immer kälter und ich denke an Dezember zurück, als es das erste Mal geschneit hat und ich in der Schule die Mittagsaufsicht halten durfte, denn das heißt bei uns: Schneeballschlacht. Natürlich lautet das Motto: alle gegen mich. Ich liebe diese Momente mit ihnen. Sie halten als Klasse zusammen, wir haben wahnsinnigen Spaß miteinander und sie zeigen Empathie, sobald es einmal zu wild wird.

Woche

23.01.2023: Ein Schüler erzählt mir in einem Einzelgespräch wie es ihm gerade geht. Plötzlich sagt er: „Wissen Sie, Sie sind meine Vertrauensperson.“

24.01.2023 Mathematik:  Wir wiederholen mündlich kurz, was wir in der Vorwoche gelernt haben. 90% der Hände sind oben, jede:r will etwas beitragen und sie wiederholen gemeinsam die wichtigsten Dinge

25.01.2023 Wir haben Lernzeit. Die Schüler:innen bearbeiten zu der Zeit ihre Wochenplanaufgaben (diese sind vergleichbar mit HÜ´s, aber sie sollen nicht zuhause gemacht werden). A. ist noch nicht mit seinen Wochenplanaufgaben fertig. Trotzdem setzt er sich zu einem Mitschüler, nimmt sich eine Stunde Zeit und erklärt ihm die Mathematik Aufgabe.

26.01.2023: Heute waren wir eislaufen. Beide Klassen waren so glücklich und dankbar dafür, dass wir diesen Ausflug machen. Nicht viele können sich den Eintritt und das Ausborgen der Schuhe sonst leisten.

27.01.2023: Einer Schülerin geht es nicht gut. Sie sind füreinander da. Sie trösten sie, sorgen für sie und halten zusammen, um sie zu beruhigen und für sie da zu sein. Diesen Zusammenhalt und die Empathie, die sie gezeigt haben, haben sie erst gelernt und er ist so unfassbar wichtig für ihr weiteres Leben.

Wochenende

28.01.2023: Eine Schülerin schreibt mir auf MS-Teams, dass sie nach langer Überlegung nun doch zu unserer Schulspsychologin gehen möchte. Der Junge aus ihrer Klasse hat ihre gezeigt, dass das gar nicht so uncool sei.

29.01.2023: Ich trage die Noten für die Schulnachricht in unsere Liste ein und sehe mir die restlichen Fächer genau an. Auch wenn man über die Wichtigkeit von Noten streiten kann, überkommt mich stolz: Kein:e einzige:r aus der Klasse hat eine negative Beurteilung.

Woche

30.01.2023: Heute tragen sie ihre Präsentationen vor. Alle kommen im Business Look mit Hemd oder Bluse, mit PowerPoint Präsentationen, von denen sich manche Uni Professoren was anschauen könnten und mit Karteikarten – sie haben sich top vorbereitet. Ein wenig Stolz überkommt mich.

31.01.2023 Heute haben wir gebastelt und dabei gesungen. Ich habe Last Christmas –(ja, etwas zu spät) abgespielt und leise dazu mitgesungen. C., der mir und meiner Kollegin gegenüber sehr reserviert ist und oft auffällt, stellt sich neben mich und beginnt laut den Text zu grölen und dazu zu tanzen. Die ganze Klasse ist im ersten Moment perplex. Im zweiten, konzentrieren sie sich wieder auf ihre Basteleien und singen lauthals den Text mit. Danach kommt er zu mir und sagt: Ich liebe solche Stunden mit Ihnen.

Das waren Auszüge aus den Erlebnissen meines Monats. Schule kann stressig sein. Schule kann nervenaufreibend sein. Schule kann einen zum Zweifeln bringen. Aber Schule kann, wenn man es zulässt, vor allem eines sein: unglaublich bereichernd und schön.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Wiener Mittelschule.

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Ein Gespenst geht um in der Bildungslandschaft… und nennt sich ChatGPT, you.com oder Bard – die Rede ist von KI, von künstlicher Intelligenz und ob, wenn es sie jetzt gibt, wir überhaupt noch Lehrer:innen brauchen. Wahr ist, dass dieser Chatbot alles (?) schneller und besser kann als wir. Wahr ist auch, dass er weniger Fehler macht und vor allem objektiv ist – er oder sie kann ja weder Emotionen noch Präferenzen haben – das ist der „künstlichen“ Seite inhärent. Im Positiven wie im Negativen. Was er/sie nicht kann: Kinder beaufsichtigen, empathisch agieren, Klassenklima erfassen und entsprechend handeln, … aber zurück zu den Vorteilen:

Ja, er oder sie schwächelt noch etwas, wenn es um Quellenangaben geht und auch ist seine/ihre mathematische Kompetenz etwas fragwürdig. Wörter zählen und so gelten noch nicht als seine/ihre Stärken. Was er oder sie aber kann, das ist auf das Wissen von mehreren Terabyte an Texten zugreifen – und das in einer Geschwindigkeit, die uns nur staunen lässt. Vor allem in der neuen Payversion, die es seit letzter Woche um 20€/Monat gibt. 

Was ist also zu tun? Verbieten wir das Zeug, weil wir es nicht kontrollieren können? Dies war ein Ansatz in New York. Er war ähnlich erfolgreich wie die Prohibition von 1920. 

Bitten wir die Schüler:innen, es einfach nicht zu nutzen, weil wir haben es ja auch ohne geschafft und wer braucht schon so neumodernes Dings? 

Oder hoffen wir einfach stillschweigend, dass sie nichts davon erfahren und es wenn, es dann eh nicht bedienen könnten? 

Als ich 2009 meinen Segelschein machte, gab es schon die ersten GPS Navigationsgeräte, die für den privaten Gebrauch erschwinglich und bedienbar waren. Nun gab es auch hier die Diskussion: Sind diese für die Prüfung erlaubt? Oder Navigieren wir lieber mit Sternen, Karten und Zirkeln?

Die Regel war einfach: Alles, was an Bord ist kann und muss verwendet werden! Und so ist es auch im Bildungswesen: Alles, was es im „normalen Leben“ gibt, muss, kann und soll auch in der Schule verwendet werden. Das ist die Essenz unseres Bildungsauftrages. 

Ja, ChatGPT erleichtert das Unterrichten ungemein. Ich kann schnell Stundenplanungen erstellen lassen, Texte differenzieren, Schüler:innenarbeiten korrigieren und mit Kommentaren versehen. Ich kann in kürzester Zeit Motivationsschreiben erstellen lassen – für die ca. 100 Bewerbungen, die meine SuS in der 4. Klasse schreiben müssen, und auf die sie möglicherweise nur drei Einladungen erhalten. Ich kann individualisiertes Feedback schreiben lassen und muss hierzu nur wenige Wörter für einen sinnenhaften „Promt“ verwenden. Ganz ehrlich – ich wäre schön doof, wenn ich dies nicht nutzte. Meine Herausforderung: Wie stelle ich Aufgaben – in einer rein outputorientierten Lernumgebung – die diese KI nicht für die SuS lösen kann?

Ganz einfach: Ich beziehe die Kinder in den Arbeitsprozess mit ein. Nehmen wir das Fach Mathematik: Ich stelle verschiedenen Aufgaben. Manche löst die KI korrekt, bei anderen rechnet sie/er weniger korrekt. Die Kinder müssen nun herausfinden, welche richtig sind und welche falsch. Wie kommt die KI zu den falschen Lösungen? Im Bereich Sprachen: Wir schreiben eine Inhaltsangabe zu einer Kurzgeschichte, welche wir im Unterricht gelesen haben. Die Kinder erstellen zu Hause eine Lösung mit der KI. Dann vergleichen wir. Übernehmen die guten Formulierungen. Erstellen gemeinsam eine „perfekte“ Variante. Wir lassen den Text in andere Sprachen übersetzen und schauen uns mögliche Übersetzungsfehler an. Wir lassen uns Outlines für Erörterungen erstellen, die wir dann in der Stunde anhand dieser in Textform verfassen. Wir suchen nach den richtigen Quellenangaben, überprüfen von der KI erstellte Texte auf Richtigkeit. Das bedeutet aber, dass wir uns mit dem Thema gut auskennen sollten! Wir versuchen Fake News aufzudecken und zu erkennen, ob Texte nur abgeschrieben wurden. Dann lassen wir sie mit verschiedenen Stimmen vorlesen und drehen ein Video dazu. Wir ändern Schreibstil und Adressaten. Wir lassen eine KI Bilder dazu kreieren und malen dann im Kunstunterricht selbst welche zu diesem Thema. Wir erstellen Rollenspiele und fächerübergreifende Projektarbeiten, die wir dann mit den SuS durchführen. 

Nein, der Weg ist nicht das Verbot, der Weg ist auch nicht das Ignorieren neuer Technologien – die genau genommen so neu auch nicht mehr sind. Der Weg in einer digitalen Gesellschaft ist, die Kinder auf deren Möglichkeiten und Gefahren hinzuweisen. Auch das ist nicht neu. 

Ja, wir alle navigieren mit Google Maps – aber fahren wir nach links, wenn die Brücke, die dort mal stand, offensichtlich zusammengebrochen ist? 

Zurück zu meinem Segelschein. Wir verwendeten also die Karte, verglichen diese mit dem GPS Gerät – und fuhren dennoch fast auf eine Insel! Wie wir das verhinderten? Wir sind an Deck gegangen und haben nach Vorne geschaut. Und da lag sie. Die Insel. Deutlich sichtbar im Mondschein. Das GPS war auf einen zu kleinen Maßstab eingestellt, weswegen wir sie nicht rechtzeitig sahen. Bei der Karte hatten wir uns um einen Millimeter verrechnet. 

Nein, wir fuhren nicht dagegen. Wir legten den Rückwärtsgang ein – Aufstoppen nennt man das in der Segelsprache – und brachten das Schiff kurz vor der Kollision zum Stehen. 

Versuchen wir dies doch auch in der Bildungslandschaft. Mit Augenmaß und der nötigen Vernunft. Und ja, manchmal muss man rückwärtsfahren, um vorwärts zu kommen. Aber nach Vorne schauen – das hilft immer!

Franziska Haberler, Lehrerin an der MS Staudingergasse und lörn.at Autorin, die neue digitale Bildungsplattform (es gibt hier auch einen ChatGPT Kurs für Einsteiger:innen)