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Unsere Kinder haben von heute auf morgen ihren „Alltagsrhythmus“, ihren Schulalltag und die lebendig-interaktive Beziehung mit ihren Lehrer*innen und Mitschüler*innen verloren. Der Schock ist groß.

Was ist die Chance? 

Die Chance ist, die Kinder in diesen Krisenmonaten erfahren zu lassen, dass die Schule ihr Freund ist, ein Backup-System, ein Kreis aus wohlgesonnenen Begleiter*innen, die vermitteln, dass Lernen Spaß macht. Ein System, das Erleichterung bringt, unterhaltsam ist und Langeweile vertreiben kann. Diese Chance nicht zu nutzen wäre nicht nur schade, sondern könnte sich als bedrohliches Szenario für den Familienalltag in Zeiten der Coronakrise herausstellen. Darum müssen wir Eltern, Direktor*innen und Lehrer*innen mit konstruktiv-kritischem Blick auf Weisungen von Bildungsdirektion und Bildungsministerium schauen. Weisungen, die dahin gehen, dass am Ende dieser Zeit das „Ergebnis“ der zuhause für die Schule erbrachten Leistungen bewertet wird und in die Note miteinfließen könnte. Die Auswirkungen solcher Weisungen können aber, in einer Ausnahmesituation wie dieser, auch zur Destabilisierung vieler Familien beitragen.

Zu allererst ist in diesem Appell wichtig ein Verständnis für beide Seiten zu generieren:

Verständnis für alle Lehrer*innen und Direktor*innen, die sich für ihre Schüler*innen bemühen, das Richtige zu tun und ihr Bestes geben, sowie für alle Eltern, die ebenfalls bemüht sind das Richtige zu tun und ihr Bestes geben.

Dankbar und mit großem Respekt können wir auf die Schulen schauen, die es den Schüler*innen, durch raschen Kontakt und Vermitteln von Strukturen, ermöglichen eine Art von Sicherheit, Normalität und Orientierung zu erfahren, um weiter lernen zu können.

Dankbar und mit großem Respekt können wir auch auf alle Eltern schauen, die ihren Kindern jetzt Mut zusprechen, Gespräche führen und ihnen ein entspanntes, sicheres Zuhause bieten.

ABER muss es nicht der Hauptfokus in einer solchen Krise sein, emotionales Verdauen in den Vordergrund zu stellen, Quality Time miteinander zu haben, Entspannung zu generieren und die Kinder auf diese Weise seelisch gesund zu halten? Wenn wir als Eltern durch Weisungen und Verpflichtung zu konkreten Leistungen auch noch Kontrollinstanz für unsere Kinder sein müssen, kann nichts gutes dabei herauskommen. Im Gegenteil.

Manche Familien sind glücklicherweise von diversen Ressourcen gestärkt, haben Unterstützung, weil mehrere Erwachsene im Haus sind, weil sie Zugang zu Garten oder Wald haben, oder weil es ihnen ihre Bildung oder Charakterstruktur erlaubt, Autoritäten zu hinterfragen. Weil sie nicht allen Weisungen Folge leisten und eigene Prioritäten setzen. In solchen Familien wird der Druck zu lernen vermutlich nicht zu groß werden und dadurch wird Raum entstehen für die Entfaltung von kindlicher Kreativität. Aber bei Weitem nicht alle Familien sind so begünstigt.

Denken wir nur an Alleinerziehende, die vielleicht sogar mit mehreren Kindern aus unterschiedlichen Klassen in der Stadt in kleinen Wohnungen zusammenleben und nicht wirklich hinaus können. Denken wir an Eltern, deren Einkommen von heute auf morgen wegbricht. Eltern, die derzeit versuchen von zuhause aus zu arbeiten und dies nicht tun können, weil sie 24/7 von den Bedürfnissen und Sorgen ihrer Kinder umringt sind. Denken wir an Eltern, die sich nicht trauen Autoritäten herauszufordern, und den Druck unhinterfragt an ihre Kinder weitergeben.

Es bräuchte nun extra Präsenz, Konzentration, Zeit und Verfügbarkeit um die Kinder zu Hause bei schulischen Aufgabenstellungen zu begleiten. Viele Eltern können dies jedoch  in der momentanten Krisensituation nicht aufbringen.

Eltern sind gezwungen die Rolle der Lernbegleiter*innen zu übernehmen. Es gibt allerdings viele Eltern, die das langfristig überfordern wird und so gerät das emotionale Gleichgewicht vieler Familien zusätzlich ins Wanken. Wir müssen  in dieser speziellen, von begrenzenden Erfahrungen geprägten Ausnahmesituation darauf achten, keine zusätzlichen belastenden Faktoren in den häuslichen Ausnahmealltag mit einzuladen. In Krisensituationen ist es ungemein wichtig, Erwartungen und Anforderungen herunterzuschrauben und nicht immer funktionieren zu müssen.

Wenn der Fokus in der Kommunikation zwischen Schule und Elternhaus auf Pflichterfüllung liegt, wenn es “einzuhaltende Abgabetermine” und Deadlines gibt und das “Sollen” und “Müssen” dominiert, als wären wir in einer normalen Alltagssituation, wird das viele Familien zusätzlich belasten.

Wir müssen uns konstruktive Sorgen um das emotionale Gleichgewicht in Familien machen. Ein Gleichgewicht, das dafür sorgen kann, dass Kinder seelisch möglichst unbeschadet aus dieser Notsituation heraustreten.

Wir stehen an der Schwelle zu kollektiv traumatischen Erfahrungen, vor allem in den kommenden Wochen, wenn die Krankheit näher – bei manchen bis ins Wohnzimmer – rücken wird, wenn Familienangehörige betroffen sein werden, Eltern oder Kinder erkranken oder die Großeltern, die im Sterben liegen, nicht besucht werden dürfen. In dieser Situation darf von Seiten der Schulen der Druck herausgenommen werden!

Aus Sicht der Krisenintervention ist es essentiell, ein gesundes Ebenmaß an Struktur und Freiheit zu etablieren. Das kann gelingen indem das Bildungsministerium in diesen Monaten auf die Idee von Leistung und Benotung verzichtet. Lehrkräfte müssen darin bestärkt werden, Aufgaben einladend zu beschreiben, Arbeitsaufträge offen zu lassen und nicht zu viele Aufgaben gleichzeitig zu vergeben. Sie sollen in der Kommunikation ermuntern, auch mal “frei” zu nehmen. Nehmen wir die Worte “sollen” und “müssen” aus dem Lehrplan-Vokabular und ersetzen sie durch “dürfen” und “ausprobieren”. Erinnern wir die Kinder, dass Lernen auch bedeuten kann, ein Kochbuch zu lesen und für die Familie zu kochen, Samen am Balkon anzupflanzen, Tagebuch zu schreiben, zu basteln, zu zeichnen, zu tanzen, Musik zu hören, Spiele zu spielen oder lustige Lernvideos anzuschauen.

Für Eltern könnte es eine Entlastung bedeuten, darin bestärkt zu werden, sich gemeinsame Entspannung zu gönnen, Zeit für Gespräche und Verarbeitung der Situation zu nehmen und von der Rolle der Lernkontrollinstanz freigesprochen zu werden. Diese Entlastung könnte sich auch positiv auf die natürliche Lernbereitschaft der Kinder auswirken.

Wollen wir wirklich, dass die Kinder am Ende dieser Krise unter enormen familiärem Stress ihre Aufgaben erledigt haben oder darf es jetzt  das Wichtigste sein, dass die Kinder fröhlich und von familiärem und schulischem Rückhalt gestärkt wieder zurück in die Schule kommen?

Die Autorin ist Mutter von drei Kindern im Schulalter.

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Nach einer Woche, in der das öffentliche Leben zum Erliegen gekommen ist und die Schulen den Regelunterricht eingestellt haben, ein paar Gedanken aus der Sicht einer Lehrerin:

Da dieser Tage alle immer von der sogenannten Entschleunigung reden, habe ich mich gefragt, wie es diesbezüglich bei mir, zwei Wochen später, aussieht.

So viel ist jetzt schon sicher: Von Entschleunigung keine Spur. Ganz im Gegenteil. Ich habe in den letzten 14 Tagen von Montagmorgen bis Freitagnacht und auch am Wochenende mit über 100 Schüler*innen, Eltern und Kolleg*innen kommuniziert. Ich habe per E-Mail, per Moodle, per Messenger alle möglichen Fragen beantwortet und zwischenzeitlich die Technik verflucht.

Ich habe versucht, mal mehr, mal weniger erfolgreich, zeitnahes Feedback auf Aufgaben zu geben und muss mich selbst zwingen, nicht 24/7 erreichbar zu sein. Ich habe lange Briefe an die Eltern geschrieben, da es mir wichtig scheint, diese – bei 10- bzw. 14-jährigen Kids – zumindest zu informieren, was da gerade so passiert im Fernunterricht. Ich habe nette Antworten bekommen und wiederum auf diese geantwortet. Ich habe den Eltern gesagt, dass ich mir wünsche, sie mögen möglichst wenig vom Unterricht mitbekommen, um sie nicht zusätzlich zu belasten.

Ich habe den Kindern neue Passwörter zugeschickt, weil sie ihre vergessen hatten oder krank waren. Ich habe von kaputten Handys und Laptops gehört. Ich habe Kids beruhigt, die sich zurecht geärgert haben, dass jede*r Lehrer*in etwas anderes will, andere Tools benützt und dass es keine schulinterne Regelung gibt. Ich habe Kindern und Eltern versichert, dass es nicht schlimm sei, wenn Unterrichtsmaterialien in der Schule vergessen wurden und sie diese nicht extra holen müssen. Ich habe mit Müttern und Vätern kommuniziert, die mit der Situation komplett überfordert sind, weil sie zuhause drei Kinder betreuen, daneben arbeiten oder alleinerziehend sind. Und manchmal alles zusammen.

Ich habe mit solchen gesprochen, die gerade nicht die technischen Voraussetzungen haben, digital lernen zu können. Ja, auch das gibt es. Ich habe mit Kindern geschrieben, die gut mit alledem zurechtkommen, die ihre Aufgaben selbstständig erledigen können. Ich habe Kindern, die Angst haben, Mut zugesprochen. Ich habe von Eltern gehört, die finden, dass es zu viele Aufgaben in allen Fächern wären. Ich habe Kindern geantwortet, denen die Schule fehlt, die nicht wissen, was sie mit ihrer Zeit anfangen sollen. Ich habe auch von Kindern gehört, die zu wenige Aufgaben haben und ihnen Bastel- und Spieletipps geschickt. Die Seite fragfinn.de kann ich für die Kleineren übrigens sehr empfehlen.

Ich habe mit Kindern kommuniziert, denen es zuhause laut eigenen Angaben sehr gut geht, und mit manchen, die mir sagen, dass sie sich nicht auf das Lernen konzentrieren können. Und ich habe – ja, sogar im Gymnasium – von manchen bislang noch überhaupt nichts gehört und meine Vermutungen, warum dem so ist. Ich habe Angst, dass wir diese Kinder verlieren.

Bei alledem habe ich das Glück, einen Job zu haben. Mein Respekt für Eltern und Erziehungsberechtigte, die neben ihren Alltagssorgen und beruflichen Tätigkeiten auch ihre Kinder betreuen, ist enorm.

Ich wünsche mir, dass Herzensbildung, gegenseitiges Verständnis und soziale Kompetenz – auch nach Corona – die wichtigsten Werte in unserer Gesellschaft sind. Oder wie eine Kollegin in einem E-Mail gerade schreibt: „Bitte denkt daran, dass unsere Schüler*innen nicht nur froh sind, dass sie keine Schule haben, sondern ich habe einige in den letzten Tagen erlebt, die sich auch Sorgen machen. Wir wissen nicht, wie viele Eltern arbeitslos werden, welche Großmütter oder Großväter ins Spital kommen usw. Also ganz real, haben manche unserer Schüler*innen vielleicht auch eine schwere Zeit vor sich.“

Und abschließend noch zur Entschleunigung: In einer Hinsicht merke ich sie nun doch. In all meinem Tun komme ich ungewohnt langsam voran. Vielleicht, weil sich manchmal die Fassungslosigkeit meldet, ich innehalten muss und mich frage, in welch unglaublichen Zeiten wir da gerade leben.

Die Autorin ist Lehrerin an einem Gymnasium in Wien.

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Zahlen & Fakten 

Unser erstes Schulgschichtn-Planungstreffen war am 27.09.2018. Die ersten Beiträge gab es am 11.02.2019 zu lesen! Seither ist eine Menge passiert. Ein paar Zahlen und Fakten:

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Neues Jahr, neue Regierung, neues Programm. Selbstverständlich haben auch wir einen Blick ins Bildungskapitel des neuen Regierungsprogramms riskiert.

Wenngleich man bei vielen Punkten erst dazugehörige Gesetze abwarten muss, ehe man ein wirkliches Urteil fällt, kommen wir nicht umhin in Lehrer*innenmanier schon jetzt die ersten Plus und Minus zu verteilen.

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Die aktuellsten PISA-Ergebnisse sorgen mal wieder für Verwunderung, Empörung und zu Recht auch für jede Menge Diskussionsstoff. Wie kann es sein, dass eines der teuersten Bildungssysteme der Welt bestenfalls durchschnittliche Ergebnisse erzielt? Wo muss angesetzt werden, um den Bildungserfolg aller Kinder in Österreich nachhaltig sicherzustellen? Wir hätten da ein paar Vorschläge:

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