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Stille Zwiesprache – ein Rückblick auf die Schulzeit

Lesezeit: 2 Minuten

Dass ich eine Klasse mit nur neun Schüler*innen unterrichte liegt an der besonderen Schulform: ZIS steht für Zentrum für Inklusion und Sonderpädagogik.

Heute schreiben meine Schüler*innen die allerletzte Schularbeit. Ich sitze an meinem Tisch und halte stille Zwiesprache mit den Jugendlichen.

Thomas, ADHS hat dich – und oft auch uns – immer wieder vor große Herausforderungen gestellt. Waren anfangs deine Mitschüler*innen genervt, so haben sie doch im Laufe der Jahre gelernt, dich einfach so zu nehmen, wie du bist. Hättest du anders handeln können – du hättest es ja getan!

Singh, noch trägst du einen schicken Kurzhaarschnitt, und nur der eiserne Armreifen sagt Insidern, dass du ein Sikh bist. Du hast die schwere Entscheidung, ab wann du dein Haar wachsen lässt noch vor dir. Wie wirst du wohl mit einem Turban aussehen?

Gannimed, die Natur hat es nicht gerade gut gemeint mit dir. Deinem rechten Auge fehlt die wunderschöne, braune Iris, und durch die Hasenscharte ist es oft schwer, dich zu verstehen. Doch wer dich kennt, schließt dich augenblicklich ins Herz.

Bashir, es ist bestimmt nicht leicht für dich, mit den vielen Geheimnissen zu leben, zu denen du gezwungen wirst, um in unserem Land Fuß fassen zu können. Wie du es geschafft hast, binnen kürzester Zeit so gut Deutsch zu lernen, dass du jetzt in der ersten Leistungsgruppe bist, das weißt nur du!

Darian, du hast mir all die Jahre kaum Sorgen bereitet. Ich wünsche dir, dass dein Traum in Erfüllung geht, und du ein erfolgreicher Fußballer wirst!

Tasho, du bist der Kleinste in der Klasse, aber nicht umsonst haben wir dich respektvoll „Turbotasho“ genannt. Du hast früh gelernt, dein Temperament richtig einzusetzen und zweifellos wirst du es weit bringen!

Fatima, du warst das Mannequin der Klasse. Dein langes, schwarzes Haar bedeckte deinen Rücken bis, ja bis du eines Tages vom Minirock zur Abaya wechseltest. Dass du ein Glasauge hast, weil während deiner Geburt in Tschetschenien eine Bombe auf das Spital fiel, das weiß bis heute niemand außer mir. Danke für dein Vertrauen!

Dodo, vom Fast-Durchfallen in der ersten Klasse wurdest du zur Klassenbesten – was für ein tolles Mädel du doch bist!

Kacpar, als du in der dritten Klasse zu uns kamst, brachtest du erhebliche Unruhe in unsere kleine Gemeinschaft. Wie schön war es zu beobachten, wie du langsam – sehr langsam – Vertrauen aufbauen konntest und wie sich die anfängliche Abneigung der Mitschüler*innen in echte Freundschaft verwandelte.

Ihr alle habt mich täglich beflügelt mein Bestes zu geben. Doch ich war nicht nur eine Lehrende, sondern auch eine Lernende, denn ihr habt mir bereitwillig Einblick in euer Leben gewährt, das so anders ist als meines.

Ich lasse meinen Blick noch einmal schweifen und ich weiß, dass wir alle immer mit Freude und Dankbarkeit an die gemeinsamen Jahre zurückdenken werden.

Die Autorin war Lehrerin in Wien.

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