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Es gibt Tage, da weißt du, dass du im Job alles richtig gemacht hast – und trotzdem hast du dabei ein ganz mieses Gefühl.

Du bekommst eines Tages ein Kind in die Klasse, das eine Odyssee durch mehrere Schulen hinter sich hat. Ein Kind, das von klein auf menschliche Tragödien mit ansehen musste. Ein Kind, das an dem, was es erlebt hat, zerbrochen ist, dessen Psyche kaputt gehen musste, weil es unter die Räder der Erwachsenenwelt gekommen ist. Seine Persönlichkeit ist dadurch in mehrere Teile zerbrochen, Teile, die nebeneinander existieren, ohne sich gegenseitig wirklich bewusst zu sein.

Dieses Kind arbeitet an sich, versucht akzeptiert zu werden und zu funktionieren. Es versucht, durch dieses Funktionieren das zu bekommen, was jedes Kind will: Liebe und Zuwendung.

Und doch – im mittlerweile geregelten Zuhause lassen sich immer wieder die anderen Teile seiner Persönlichkeit blicken, schieben das funktionierende Kind zur Seite, brüllen ihren Hass auf die Welt und auf das Leben hinaus. Manchmal versuchen sie das auch in der Schule, doch das Kind hat sie fast immer unter Kontrolle. Fast.

Es gewinnt Freunde, es gewinnt Anschluss, es gewinnt so etwas wie Normalität.

Doch dann stößt es zu Hause eine Morddrohung gegen seine Stiefschwester aus – und die Vergangenheit holt es ein, die Familiensituation eskaliert. Die Angst, die Zuflucht zu verlieren, die es einige wenige Wochen hatte, manifestiert sich anschließend darin, dass es auch in der Schule angibt, seine Mitschüler umzubringen, wenn es die Schule verlassen müsse. Eine schreckliche Drohung und das höchste Lob, das man einer Schulgemeinschaft ausstellen kann, in einem.

Als Profi muss deine Reaktion als Klassenlehrer und auch die aller anderen Zuständigen sein, die Mitschüler*innen des Kindes zu schützen. Auch die Familiensituation lässt ein Zusammenleben unter einem Dach mit ihm nicht mehr zu. Die Folge: Fremdunterbringung und damit das panisch gefürchtete Verlassen der Schule.

Du als Klassenlehrer weißt an diesem Freitag, dass das Kind den letzten Tag hier ist. Das Kind weiß es nicht, darf es nicht wissen, die Gefährdung für seine Klassenkolleg*innen wäre zu hoch.

Das Kind hilft begeistert mit, den Weihnachtsbaum in der Klasse aufzustellen, legt in trauter Harmonie mit den anderen ein Verlängerungskabel, um die elektrische Beleuchtung desselben möglich zu machen, kümmert sich um einen sauberen Boden in der Klasse, da der Baum ein wenig Nadeln gelassen hat, und kuschelt anschließend zufrieden mit seinen Mitschüler*innen auf der Couch neben dem Baum. In Musik singt und tanzt es fröhlich mit den anderen. In der Sportstunde spielt es mit seinen Freund*innen Völkerball, verhält sich vollkommen fair und sozial und zeigt in jeder Sekunde, wie sehr es den Umstand genießt, Teil dieser Gemeinschaft zu sein.

Dann verabschiedest du dich von ihm wie vor jedem Wochenende.

Doch du weißt, dass es diese Schule am Montag nicht mehr betreten wird.

Sch… Professionalität.

Der Autor ist Lehrer an einer Neuen Mittelschule in Niederösterreich.

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