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Neue Kommunikationswege im Klassenzimmer – Gebärdensprache für alle

Lesezeit: 3 Minuten

Ich unterrichte an einer Neuen Mittelschule in Wien. Eine Schule, in der Kinder mit den unterschiedlichsten Muttersprachen sitzen. Eine Schule, in der angeblich hauptsächlich unaufmerksame, schwierige und teilweise gewalttätige Kinder sitzen. Eine Schule, in der alle gehört und gesehen werden wollen, und gleichzeitig manche keinen Raum dafür lassen. Dort habe ich vor kurzem eine Unterrichtseinheit komplett auf Gebärdensprache gehalten. Nicht nur habe ich ausschließlich mit Gesten kommuniziert, auch die Kinder gestikulierten und gaben alle ihre Antworten, ohne ein Wort laut auszusprechen. Kinder, die bis vor kurzem nicht mal wussten, dass Gebärdensprache existiert, saßen mit völliger Konzentration und Aufmerksamkeit im Klassenzimmer.

Warum Gebärdensprache?

Vergangenes Schuljahr, also 2017/18, begann ich als Lehrerin in einer Neuen Mittelschule zu arbeiten. Es war mein erstes Dienstjahr und die Eindrücke prasselten nur so auf mich ein. Eine sehr eindrucksvolle Zeit. Ich bekam die Chance, die Schüler*innen besser kennenzulernen, hielt eine Einheit nach der anderen und liebte das Dasein als Lehrerin, das gleichzeitig sehr stressige Phasen mit sich brachte.

In diesem Schulalltag fiel mir auf, dass gegenseitiges Zuhören und Wahrnehmen innerhalb der Klasse und auch gegenüber Lehrpersonen große Themen waren.

Rausrufen, Wiederholungen der Arbeitsaufträge wegen Unaufmerksamkeit und Konzentrationsschwierigkeiten waren einige Verhaltensweisen, die meine Wahrnehmung bestätigten. Deshalb beschloss ich im Rahmen eines Projektes, verschiedene Kommunikationsformen und meinen persönlichen Hintergrund – Gebärdensprache ist meine zweite Muttersprache – in den Unterricht einzubringen.

Wie bringe ich Gebärdensprache an die Schule?

Das war die Frage, die ich mir stellte. Ich habe die Kinder im Vorhinein bereits an das Thema herangeführt. Alle wussten, dass ich Gebärdensprache spreche, alle wussten, dass meine beiden Eltern gehörlos sind und alle wussten, dass das eine eigene Sprache, so wie ihre Muttersprache, war. Wir begannen auch, einzelne Dinge in Gebärdensprache auszuführen, z.B. Applaus, „Darf ich auf die Toilette gehen?“, etc. Doch das war nicht genug. Somit beschloss ich, etwas Ungewöhnliches zu tun. Ich lud meine Mutter zu einem Gebärdensprachworkshop ein. Es war mir bewusst, dass ich mich damit meinen Schüler*innen gegenüber sehr öffnete, ich wusste ja nicht, welche Themen aufkommen würden. Manche freuten sich immens auf diese Möglichkeit und darauf, mehr von dieser besonderen Sprache zu erfahren. Andere hingegen standen dem Ganzen skeptisch gegenüber und konnten den Sinn noch nicht ganz begreifen. Wir nahmen uns für den ersten Workshop zwei Unterrichtseinheiten Zeit (= 2x 50 Min.). In diesen erarbeiteten wir gemeinsam, worauf man in der Kommunikation mit Gehörlosen achten sollte, Basisbegriffe in einfachen Konversationen, das Fingeralphabet sowie Begriffe für Tiere.

Der Workshop wurde zu einem vollen Erfolg. Wir boten an, in der Pause Gebärdensprachnamen zu überlegen und JEDE UND JEDER EINZELNE kam.

Die Schüler*innen sprachen danach andauernd davon.

So viel, dass wir meine Mutter nochmals einluden, um eine Fortsetzung dieses Workshops in dieser Klasse zu machen. Auch meine Kolleg*innen waren von Anfang an begeistert von diesem Projekt und davon, wie gut das in der Klasse angenommen wurde. So begeistert, dass wir den Workshop noch auf zwei weitere Klassen ausgeweitet haben. Auch hier war ich nochmals überwältigt von der Begeisterung, die auf mich überschwappte.

Was bringt das ganze Projekt?

Wenn ich jetzt in die Schule gehe, werde ich von einzelnen Schülerinnen und Schülern mit „Guten Morgen“ auf Gebärdensprache begrüßt. Im Unterricht bauen wir Begriffe ein, die den Unterrichtsfluss nicht unterbrechen und die jeder verstehen kann. Das ist alles schön und gut, jedoch die größte Errungenschaft war folgende:

>> Die Schülerinnen und Schüler achten mehr aufeinander. <<

Dieses warme Gefühl, das dabei in mir aufkommt, werde ich nicht mehr los. Die Kommunikation hat sich verändert. Bei Gebärdensprache sind Mimik und Körpersprache von hoher Bedeutung, und die Schüler*innen haben ein besseres Gespür dafür bekommen. Dabei entdeckte ich unerwartete Begabungen und Stärken von Kindern, an die ich zuvor nie gedacht hätte. Kinder, die wahrliche Pantomime-Genies sind. Kinder, die unglaublich gut erklären können, ohne dafür Worte in den Mund zu nehmen. Kinder, die zusammenhelfen und denen das Weiterkommen der Gruppe und der Zusammenhalt das Wichtigste ist. Kinder, die weiterdenken können und sehr innovativ sind. Ich habe so unglaublich vieles in diesem Projekt entdeckt, das ich davor nicht für möglich gehalten hätte – und ich bin mir sicher, dass das noch lange nicht alles war.

Mittlerweile bauen wir immer wieder Einheiten in Gebärdensprache ein, wo ich einen sofortigen Wechsel der Aufmerksamkeit und Achtsamkeit bemerke.

Mein An-die-Tafel-klopfen bekommt eine völlig neue Bedeutung, sie wollen etwas mitbekommen und wenn sie nicht achtsam sind, werden sie es versäumen.

Wie geht’s weiter?

Meine Schülerinnen und Schüler fragen mich regelmäßig, wann meine Mutter endlich wieder für einen Workshop vorbeikommt. Dies möchte ich ihnen auf alle Fälle ermöglichen. Aber damit nicht genug, es gibt so viele neue und auf den ersten Blick vielleicht ungewöhnliche Kommunikationswege, die den Schüler*innen frische Möglichkeiten bieten dazuzulernen, über sich hinaus zu wachsen und (an sich) Neues zu entdecken.

Heute sitze ich da und blicke auf die Anfänge dieses Projektes zurück, auf fehlende Wahrnehmung und fehlendes Zuhören, und denke danach daran, welche Stärken zum Vorschein gekommen sind, an den achtsamen Umgang miteinander und an den Zusammenhalt der Schüler*innen. Gleichzeitig blicke ich in die Zukunft, auf weitere mögliche Projekte und darauf, was diese bewirken können und zwar so viel mehr, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Durch den Erfolg dieses neuen Kommunikationsweges wurde eine Sache nochmals eindeutig:

Jede einzelne Person möchte verstanden werden und eine gemeinsame Sprache haben, in der jede*r Einzelne gehört wird.

Die Autorin ist Lehrerin an einer NMS in Wien.

1 Kommentar
  1. Ulrike
    Ulrike sagte:

    Ich finde den Beitrag wunderschön, habe selber die Gebärdensprache in meinem Studium erlernen dürfen& vielen Gehörlosen schon helfen können. Ich merke jetzt auch immer wieder bei Kindern , wie wichtig Sprache und Kommunikation(welcher Art auch immer) ist und wie eingeschränkt/aggressiv / benachteiligt Kinder sind, die sich(noch) nicht mitteilen können. Schon mal was von Zwergensprache-die Zeichensprache für Babys gehört? Fantastisch! Liebe Frau Lehrerin, bleiben Sie weiter so positiv in Ihrem Beruf und motivieren Sie Ihre Schüler*innen weiter! Alles Gute!!!

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