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Mehrsprachigkeit – Das Stiefkind an Österreichs Schulen

Lesezeit: 4 Minuten

Vor Kurzem gab es in Schulgschichtn einen Blogbeitrag über Lehrer*innen, die offen rassistische Kommentare zu Schüler*innen und ihren Fähigkeiten abgeben. Selbst wenn die Lehrer*innen, die solche Überzeugungen zum Ausdruck bringen, in der Minderheit sind, sind solche Äußerungen beunruhigend, weil Einstellungen einen Einfluss darauf haben, wie Lehrer*innen unterrichten, und so die Lernumgebung beeinflussen. Das wirkt sich letztendlich auf das Lernen, die Motivation und das Selbstkonzept der Schüler*innen aus. Wir wissen das, weil die Einstellungen von Lehrer*innen – ihre Wahrnehmungen und Stereotypen – ein Thema der Bildungsforschung sind.

Einstellungen der Lehrer*innen gegenüber Mehrsprachigkeit

Nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa gibt es Studien, die zeigen, dass die negativen Einstellungen der Lehrer*innen gegenüber Schüler*innen aus ethnischen Minderheiten und/oder mit Migrationshintergrund zu den Nachteilen beitragen, die diese Schüler*innen in der Schule erleben. In Bezug auf die Einstellungen gegenüber Mehrsprachigkeit hat die Forschung gezeigt, dass Lehrer*innen Mehrsprachigkeit theoretisch als etwas Positives betrachten. Wenn sie jedoch in ihren Klassenzimmern auf Sprachenvielfalt und mehrsprachige Praxis stoßen, ändern sich ihre Ansichten tendenziell und sind weniger positiv. Mehrsprachigkeit wird dann oft als Lernhindernis angesehen. Selbst Lehrer*innen, die Mehrsprachigkeit positiv bewerten, tendieren dazu, sie nicht als Unterrichtsressource zu nutzen, obwohl dies sowohl im AHS- als auch im MS-Lehrplan vorgeschlagen wird:

Eine allfällige Mehrsprachigkeit von Schülerinnen und Schülern wird als wertvolle Ressource gesehen und nicht nur in jenen Unterrichtsgegenständen genutzt, die sich primär mit Sprache beschäftigen. […] Besondere Bedeutung kommt der Ermutigung durch die Lehrerinnen und Lehrer zu, sprachliche Ressourcen in der Klasse zu nutzen. (Lehrplan der Neuen Mittelschule, S. 8)

Viele Lehrkräfte in Österreich kennen auch nicht das in Österreich entwickelte und vom Österreichischen Sprachenkompetenzzentrum (ÖSZ) geförderte Curriculum für Mehrsprachigkeit, das angibt, wie Mehrsprachigkeit und Sprachbewusstsein in den Unterricht aller Schulfächer eingebettet werden können. In Bezug auf die Bildungspolitik steht der Umsetzung der mehrsprachigen Schulpraxis nichts im Wege – trotzdem ist es nicht üblich.

Als Mutter von zwei Kindern in diesem Schulsystem und jemand, der seit fünf Jahren in der österreichischen Lehrer*innenausbildung tätig ist, ist mir sehr bewusst, wie viel Lehrer*innen (gerade in Zeiten wie diesen) leisten. Viele tun alles, was sie können – und opfern viele Stunden ihrer Freizeit dafür, Kindern ein optimales Lernumfeld zu ermöglichen. Sprachbewusstseinsförderung sollte Lehrpersonen daher nicht als Vorgabe aufgezwungen werden, da sonst die Gefahr besteht, dass diese als eine weitere Last empfunden wird. Denn vielmehr sollte Sprachbewusstseinsförderung als eine weitere Ressource wahrgenommen werden, um das Wohlbefinden und Selbstkonzept aller Schüler*innen zu stärken, und sie so besser in die Schule zu integrieren und gleichzeitig einen besser unterstützten Zugang zu den Fachinhalten zu ermöglichen. Die Einstellungen gegenüber Mehrsprachigkeit müssen jedoch erst positiver werden, damit solche Praxis umgesetzt werden kann.

Die Einstellungen zur Mehrsprachigkeit von Englischlehrer*innen in Österreich – MS vs. AHS

In meiner neuesten Forschung, die die Einstellungen von Englischlehrer*innen in MS und AHS untersucht, habe ich mit meinen Kolleg*innen drei Hauptfaktoren gefunden, die sich negativ auf die Lernergebnisse in Englisch auswirken:

  1. ein höherer Prozentsatz an Schüler*innen in der Klasse, die Deutsch als zusätzliche Sprache erlernen (in der Praxis spricht man häufig von Schüler*innen mit nicht-deutscher Umgangssprache).
  2. Lehrer*innen, die der Meinung sind, dass das Lernen von Englisch ihren Schüler*innen nicht hilft, Sprachbewusstsein zu entwickeln (dieses Sprachbewusstsein wäre dann hilfreich, um Deutsch und andere weitere Sprachen zu lernen).
  3. Lehrer*innen, die glauben, dass ihre Schüler*innen keine guten Sprachlerner*innen sind oder nicht motiviert sind.

Diese Studie zeigt auch, dass AHS-Lehrer*innen die Fähigkeiten ihrer Schüler*innen, Sprachen zu lernen, viel positiver beurteilen als MS-Lehrer*innen. Außerdem glauben AHS-Lehrer*innen eher, dass ihre Schüler*innen gerne Englisch lernen und auch motiviert sind, Englisch zu lernen. Wir schließen daraus, dass positive Einstellungen von Lehrer*innen zu besseren Lernergebnissen in Englisch beitragen, und diese variieren somit innerhalb des zweigliedrigen Bildungssystems (AHS vs. MS).

Interessant ist auch, dass sowohl AHS als auch MS Lehrer*innen eher nicht glauben, dass das Lernen von Englisch – oder einer zusätzlichen Sprache den deutschen Spracherwerb von Schüler*innen mit Deutsch als zusätzlicher Sprache unterstützt. Der Einsatz von „mehrsprachiger Pädagogik“ kommt in beiden Schultypen eher selten vor. Und das obwohl die Forschung zunehmend zeigt, dass mehrsprachige Lernende beim Erlernen zusätzlicher Sprachen einen Vorteil haben kann und dass der Sprachunterricht das Sprachbewusstsein der Schüler*innen erheblich stärken kann, wenn die Schüler*innen mehrsprachig unterrichtet werden.

Praxis und Diskurse transformieren

Ein „Schlüssel“ zur Verbesserung der Situation ist für mich die Lehrer*innenausbildung. In meinen Seminaren und Workshops arbeite ich mit Lehramtsstudierenden und berufsbegleitenden Lehrkräften zusammen und versuche ihre Einstellungen über die Vielfalt und Mehrsprachigkeit ihrer Schüler*innen zu ändern und sie dabei zu unterstützen, Mehrsprachigkeit als Lernressource zu sehen und einzusetzen. Dies gelingt zum einen mit Einblicken in die Forschung rund um das Thema Mehrsprachigkeit und zum anderen durch die praktische Anwendung von Mehrsprachigkeitspädagogik, indem z.B. eigene Materialien entwickelt und ausprobiert werden. Lehrpersonen, die mutig genug sind, ihre Praxis zu ändern, erkennen oft Lernvorteile und erleben wie das Selbstvertrauen ihrer Schüler*innen wächst. Denn wenn Schüler*innen (und natürlich auch Lehrer*innen) erkennen, dass ihre eigene Mehrsprachigkeit etwas Positives ist, das für das weitere Lernen in der Schule und darüber hinaus verwendet werden kann, haben sie die Möglichkeit, ihre Überzeugungen über sich selbst als Lernende zu transformieren. Auch die Lehrer*innen beginnen, Mehrsprachigkeit nicht mehr als Defizit, sondern als Ressource zu betrachten, wenn sie die mehrsprachigen Fähigkeiten ihrer Schüler*innen besser verstehen. Ich fordere daher alle auf, die an Unterricht und Lehrer*innenausbildung beteiligt sind, die Defizitdiskurse über die Mehrsprachigkeit von Schüler*innen hin zu Möglichkeitsdiskursen zu entwickeln. Ich hoffe, dass dies durch die Zusammenarbeit zwischen engagierten Lehrer*innen, Lehramtsstudierenden und Lehrenden an PHs und Universitäten gelingen wird.

Elizabeth J. Erling, PhD, Universität Wien


Quellen:

Erling, E.J., Radinger, S. and Foltz, A. (2020) Understanding low outcomes in English language education in Austrian middle schools: the role of teachers’ beliefs and practicesJournal of Multilingual and Multicultural Development.

Das Video-Abstract zum Artikel ist auch auf YouTube.

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