KSDU – ein sicherer Ort

Lesezeit: 4 Minuten

Ich will nach Hause

Ich bin mit den Schüler:innen der KSDU, Klasse mit Schwerpunkt Deutsch und Ukrainisch im Kreativraum. Zwei lange Tische, viel Licht und jede Menge Farben. Platz für Kreativität und Kommunikation. Die meisten Schüler:innen bemalen die Blätter, die wir zuvor im Augarten gesammelt haben. Drei haben Kopfhörer in den Ohren, scheinen sich weg zu beamen. Zwei arbeiten an einer Bleistiftzeichnung, weil Kunstunterricht nicht bedeuten muss, dass alle zur gleichen Zeit an der gleichen Sache arbeiten. B. guckt in die Luft. „Alles okay?“, frage ich ihn. Er sieht mich lange an und nach gefühlten drei Stunden antwortet er: „Ich will nach Hause.“ „I feel you“, antworte ich, während ich mit den Tränen kämpfe. „Danke“, sagt er ganz leise und starrt weiter auf einen Punkt, der sich allem Anschein nach irgendwo in diesem Raum befinden muss.

KSDU und Neu in Wien

Seit Mai 2022 gibt es an unserer Schule eine KSDU, die damals noch Neu-in-Wien-Klasse hieß. Von Beginn war klar, dass sich die Schüler:innen willkommen und gut aufgehoben fühlen sollten. Es gab Päckchen mit Filzstiften, Buntstiften und Schokolade. Auch den neuen Kolleg:innen, beide vereinte die Tatsache, dass sie Ukrainisch sprechen, sollte diese Gefühle vermittelt werden.

Schnell etablierte sich eine Klasse, bei der immer die Türe verschlossen war, auch in den Pausen. Davor standen immer Schüler:innen, die ganz gerne gewusst hätten, was denn da so los war. Ob diese Kinder und Jugendliche denn anders waren? Warum waren sie überhaupt hier? Und wurden sie nicht viel freundlicher empfangen, als sie, die vor sieben Jahren nach Österreich kamen? Warum hatten die Markenschuhe, so richtig teure? Kamen die nicht direkt aus dem Kriegsgebiet?

Als Lehrerin stand ich dazwischen. Wollte diese Türe so gerne öffnen, hatte aber gleichzeitig Angst, dass sich alle in die Haare kriegen würden. Und ich verstand sie alle, draußen und drinnen besser als dieses Konzept, das uns einfach vor die Nase gesetzt wurde. Deutschförderklassen für die Schüler:innen, die nicht aus der Ukraine kamen. Härte bei den MIKA-Tests, nur neun Stunden im Klassenverband und meistens von nur einer Lehrkraft unterrichtet. Neu-in-Klassen für die anderen. Dazu Doppelbesetzung während des gesamten Vormittags und viel Toleranz, falls einzelne Schüler:innen gleich in eine Regelklasse wechseln wollten. Wäre ich Mohamad aus Syrien, würde ich mich auch verschaukelt fühlen und wütend werden.

Man versuchte zu beschwichtigen. Bis zu den Sommerferien waren es nur zwei Monate, danach würde alles anders werden.

Neubeginn im Herbst

Ja, zu Schulbeginn wurde tatsächlich alles anders. Die Bezeichnung der Klasse wurde von Neu-in-Wien-Klasse  in Klasse mit Schwerpunkt Deutsch Ukrainisch umgetauft. Schon logisch, jetzt waren die Kinder ja nicht mehr neu in Wien, oder? Die Schüler:innenzahl beträgt mittlerweile 22. 22 Kinder und Jugendliche, die Krieg nicht nur aus Filmen kennen. 22 Kinder und Jugendliche, die gezwungen waren meistens mit ihren Müttern sich hier in Wien eine neue Existenz aufzubauen. 22 Kinder und Jugendliche, die wie B. einfach nur nach Hause wollen. 22 Kinder und Jugendliche, deren bisheriges Leben wir nur erahnen können. 22 Kinder und Jugendliche von Schulstufe vier bis acht, alle in einem Klassenraum. Vermutlich traumatisiert, tieftraurig oder einfach nur wütend, weil sie ihr Land verlassen mussten.

Dazu unterschiedliche Lehrkräfte, die mit dieser Klasse ziemlich allein gelassen wurden und werden, sieht man von vereinzelten sehr guten Angeboten ab. Lehrkräfte, die eine ganze Klasse nicht verstehen. Ja, den einen Lehrer, der zumindest die Muttersprache der Schüler:innen spricht, gibt es noch. Einen!

Wie denn?

Nun – wie unterrichtet man Jugendliche, die in die Welt kein Zutrauen mehr haben. Die ein komplett anderes Schulsystem gewohnt sind? Die nach Hause wollen? Die nachmittags Unterricht über Zoom von ihrer Schule aus der Ukraine und eine ordentliche Portion Hausübungen bekommen? Die überhaupt keinen Sinn im Erwerb der Unterrichtssprache sehen, weil sie sowieso nicht lange hier bleiben wollen.

Wie also?

Was wir tun sollten!

Wie alle Schüler:innen, die die Unterrichtssprache nicht beherrschen, sollen auch diese 20 Stunden Sprachförderung in Deutsch erhalten. Kennen wir aus der Deutschförderklasse. Die Schüler:innen der DFK gehen danach in ihre Stammklassen, um zumindest ein bisschen Kontakt zu anderen Klassenkolleg:innen zu haben. Die Schüler:innen der KSDU? Sie bekommen unter anderem Unterricht von dem einen Kollegen, der ihre Sprache spricht. 

Kleine Randnotiz: Russisch ist nicht Ukrainisch.

Was wir tun können

Die Schüler:innen sind nicht oder kaum motiviert. Haben null Bock auf Schule. Wollen nicht Deutsch lernen und auch der Rest der ganzen Sache Unterricht in Wien kann fast allen gestohlen bleiben. Sie bemühen sich auch nicht, diese Haltung zu verbergen. Hängen während des Unterrichts viel am Handy, liegen mit dem Kopf am Tisch oder unterhalten sich mit ihren Nachbar:innen.

Ja, da muss man doch mal dreinfahren! So hören wir es immer wieder, von jenen Kolleg:innen, die meinen, dass mit viel Autorität jedes Problem abgeschafft werden könnte.

Ah, müsste man das? Mit welchem Erfolg? Welche Konsequenzen sollten wir ihnen denn androhen? Gibt nämlich keine. Sie wissen, dass sie zurzeit keine Zensuren erhalten. Selbst wenn, sie wären ihnen egal. Sie sind, wie schon erwähnt, nur auf Abruf hier.

Was ich diesen Schüler:innen sagen kann? I feel you! Ja, ich verstehe sie. Keinen Strich würde ich unter diesem Umständen machen, noch dazu, wenn ich nachmittags drei Stunden auch noch Schule hätte. Ich würde auch mein Handy nicht aus der Hand geben. Weil vielleicht meine beste Freundin noch im Kriegsgebiet ist, und ich seit Tagen auf eine einzige Nachricht von ihr warte. Vielleicht geht es auch um meine Oma? Lebt sie noch oder ist sie schon unter den Trümmern ihres Wohnhauses begraben? Und dazwischen würde ich mich mit TikTok ablenken, weil zumindest da die Welt noch in Ordnung ist.

Aber wir können Angebote setzen, die nicht wahrgenommen werden müssen. Eine Lernecke, in der Laptops stehen. Bücher, in den gearbeitet werden kann. Zwei Stunden im besten Kreativraum der Welt, in dem jede:r malen oder zeichnen kann. Wir können einen sicheren Ort und Sportunterricht anbieten. Und jede Menge Ausflüge in einer Stadt, die diesen Kindern und Jugendlichen momentan wenig Freude bereitet. Unter den Motto: Ihr müsst Wien nicht mögen, aber gebt dieser Stadt – und somit diesem absurden Lebenszeitsbschnitt – zumindest eine Chance. Oder ein klein wenig Sinn. 

Die Autorin ist Lehrerin in einer KSDU Klasse einer Wiener Mittelschule

1 Kommentar
  1. Roswitha Seklehner
    Roswitha Seklehner sagte:

    NeuInWien März 2022

    Neu auch für mich, nach fast 6 Monaten in Pension, kehrte ich freiwillig zurück. Keine Ahnung, wohin ich von der Bildungsdirektion gesendet werde, aber meine Entscheidung stand fest
    .“Ich will helfen!!!“
    Als gelernte HS- später NMS-Pädagogin mit der Fächerkombination M/BuS wurde ich einer VS im 12. Bezirk zugeteilt…zum Glück, da ich aus Breitenfurt komme.
    Eine Familienklasse mit 7- bis 10- jährigen Kindern sollten wir betreuen. WIR… eine junge Kollegin aus der Ukraine und ich.
    Der Empfang am 24.März 2022 fand auf der Terrasse mit Frau Direktor und Sekretärin statt. Die Eltern (mehr Mütter) waren sehr froh, dass die Kinder nun einem geregelten Tagesablauf entgegensehen konnten.
    Drei Monate haben wir gemeinsam gelernt, gesungen, gemalt, geturnt, gefeiert, gewerkt, die Spielplätze der Umgebung belagert, die Bibliothek besucht, die U6,….
    Deutsch und Mathematik kamen nicht zu kurz. Da meine „Co-in“ auch Englischlehrerin war wurde auch diese Fremdsprache verwendet.
    Ich habe meine Klasse geliebt und tue es noch immer, einige sind in den Ferien weggezogen, z.B.: nach Innsbruck, Kanada oder auch in einen anderen Bezirk, auch wieder in die Ukraine zurück.
    Disziplin mussten wir hart erarbeiten, manche kannten das nicht. Ich, nach 42-jähriger Arbeitszeit als Lehrerin in einer NMS im 23. Bezirk, brauchte meine Ruhe im Unterricht und so gab es manchmal ganz harte Diskussionen mit gewissen Schülern (kein Handy, kein Essen, Mitarbeit im Unterricht,…), es war ein Kräftemessen meist mit Buben, die die eigenen Mütter wie kleine Prinzen behandelten, leider zog das bei uns nicht ;-))…
    Ich habe aus der Familienklasse gelernt, dass junge Kinder sehr belastbar sind und gerne lernen und mitmachen. Manchmal habe ich sie sicher überfordert, ich gestehe, dass ich mich nicht um den Lehrplan gekümmert hatte, ich forderte das 1×1 eine Grundrechnungsart, die jeder beherrschen muss aus dem FF;-)
    Um den Lernfortschritt zu überprüfen, machten wir Mini-Tests, das erzeugt bei manchen einen Ehrgeiz, der einfach auch wichtig ist beim Vorankommen.
    Einmal in der Woche kam eine Kollegin als Betreuung und Lernhilfe für ein bis zwei Stunden.

    In Gesprächen mit Kollegen erkannte ich, dass jüngere Kinder diese Umstände des Krieges und der Flucht leichter wegstecken konnten. Wir sprachen in der Schule kaum darüber, sie forderten es auch nicht. Ich erfuhr, dass viele am Nachmittag Unterricht via PC mit ihrer ukrainischen Schule hatten.

    Nun sind viele Kinder wieder in der Klasse, einige sind neu dazugekommen, auch eine junge österreichische Lehrerin betreut sie jetzt.

    Ich besuche sie, lese und spiele mit ihnen und habe Freude daran.

    Keine Noten und Bewertungen geben zu müssen, machte Vieles leichter.

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