Hört uns zu! – Ein Schüler-Interview zur politischen Bildung an der NMS

Lesezeit: 6 Minuten

„Politikverdrossenheit“ galt lange als das Urteil über die „Jugend von heute“. Dass sich der Eindruck spätestens seit den Fridays for Future-Demonstrationen nicht mehr bestätigen lässt, sehen wir als Lehrer*innen auch an der Neuen Mittelschule regelmäßig. Zwar wissen die Kinder unterschiedlich gut, welche Partei im Nationalrat sitzt, aber es werden jeden Tag Fragen gestellt, Diskussionen begonnen und Mitbestimmung eingefordert.

Lehrkräfte können diese demokratische Haltung verstärken, indem sie die Schule zu einem Ort machen, in dem sich die Schüler*innen gehört fühlen.

Dabei können die Vermittlung von Gesprächsregeln und Wissen, sowie außerschulische Projekte unterstützend sein.

Besonders wichtig ist es aber, die Kinder und Jugendlichen ernst zu nehmen und ihnen ganz einfach zuzuhören. Welche Anliegen und Meinungen da zu Tage kommen können, zeigt das folgende Gespräch, in dem ein Schüler aus einer NMS in Floridsdorf seine Sicht auf die Politik schildert und ganz selbstbewusst sagt, dass die Welt eine bessere wäre, wenn Erwachsene mehr auf Kinder und Jugendliche hören würden.

Stell dich bitte kurz vor!

Ich bin 13 Jahre alt und gehe in die vierte Klasse einer NMS im 21. Bezirk in Wien.

Was ist für dich Politik?

Politik heißt für mich in erster Linie Demokratie und im Sinne der Demokratie auch Mitbestimmung des Volkes.

Seit wann interessierst du dich für Politik?

Eigentlich seit dem Wahlkampf für die Nationalratswahlen 2017, aber auch schon davor.

Gibt es da einen Grund dafür, warum dein Interesse genau da begonnen hat?

In erster Linie wegen meinem Opa, weil ich da ein bisschen mehr Zeit mit ihm verbracht habe und er viel über Politik weiß.

Was interessiert dich an Politik besonders?

Mich interessiert, dass man etwas Positives für die Gesellschaft, und für Leute, denen es nicht so gut geht wie uns, machen kann.

Was hat dein Interesse an der Politik seitdem noch verstärkt?

Verstärkt wurde mein Interesse dadurch, dass die Nationalratswahlen waren und dass ich da auch gleich mitgefiebert habe, welche Partei die meisten Prozent bekommt.

Wie und wo informierst du dich über Politik?

Am meisten übers Handy, auf Youtube. Hauptsächlich schaue ich mir da Dokus und so an. Aber auch in Zeitungen, und wenn ich da etwas durchlese, was mich interessiert, schaue ich dann auf Youtube ob es dazu Dokus oder so gibt.

Hast du ein Beispiel für ein Thema, über das du dich kürzlich informiert hast?

Als zum Beispiel damals die Frage um die „Ehe für alle“ rausgekommen ist, also verstärkt diskutiert wurde, habe ich mir auch ein paar Dokus darüber angeschaut und mir meine eigene Meinung dazu gebildet.

Was ist deine politische Meinung? –  Du musst natürlich nicht antworten.

Definitiv sozialistisch. Ich bin kein Konservativer, der auf die alten Werte pocht. Ich finde, man sollte auch Neues ausprobieren und nicht immer nur auf das Alte beharren, wo man eh schon weiß wie es funktioniert, – sondern man sollte eben auch mal etwas Neues ausprobieren.

Was sollte deiner Meinung nach das Ziel einer guten Politik sein?

In erster Linie einmal, wie schon gesagt, den Menschen helfen. Hauptsächlich mal in Österreich, damit es uns gut geht, auf lange Zeit. Und dann auch noch in anderen Ländern, denen es halt auch schlecht geht. Und aus Österreich einen noch besseren Wohlfahrtsstaat zu machen.

Hat sich deine politische Meinung in den letzten Jahren verändert und wenn ja wie und wodurch?

Ja. Also wodurch – ja, dadurch, dass ich mich engagiert habe. Und durchs Zeitung lesen. Davor hätte ich eher so wie mein Opa gewählt. Und jetzt habe ich mir meine eigene Meinung gebildet und bin auch in einer politischen Jugendorganisation.

Hast du ein konkretes Beispiel?

Zum Beispiel beim Thema EU. Mein Opa ist da eher ein Konservativer und sagt, wir sollten austreten aus der EU, das sei doch alles so schlecht und bla bla bla. Und dann habe ich mir aber immer so gedacht – es ist doch nicht alles schlecht. Durch die EU haben wir ur viele Sachen bekommen, sowie die Reisefreiheit zum Beispiel.

Wie bist du momentan politisch aktiv?

Wie gesagt, in einer politischen Jugendorganisation.

Und wie kam es dazu?

Durch das Jugendparlament, Word Up! 21, – dort habe ich dann den Bezirksvorsteher vom 21. Bezirk kennengelernt und dann haben wir uns ein paar Mal getroffen, und er hat mich gefragt, ob ich mich politisch engagieren will. Und ich habe gesagt, ja. Und dann hat er mich einmal eingeladen, in die sozialistische Jugend, und dort bin ich jetzt auch schon seit zwei Monaten. Davor habe ich mir aber noch das Parteiprogramm genau durchgelesen.

Sind dort viele Jugendliche in deinem Alter dabei?

Das würde ich jetzt nicht sagen, ich bin halt der Jüngste dort. Der zweitjüngste ist 16, und die anderen studieren schon.

Und was macht ihr da so?

Wir reden über Tagespolitisches und wir diskutieren auch des Öfteren. Weil, auch wenn wir alle der gleichen Ideologie angehören und auch in dieselbe Richtung denken, gibt es da trotzdem Abweichungen, wir denken auch nicht alle das gleiche. Das wäre ja auch langweilig. Und dann diskutieren wir halt.

Und wie geht es dir als Jüngster dort?

Ich werde eigentlich behandelt wie jeder andere. Sie sehen mich jetzt nicht so als den „kleinen Buam“.

Wie oft trefft ihr euch?

Zweimal in der Woche, aber ich geh nur einmal hin, weil am Mittwoch, unter der Woche, geht es nicht, wegen der Schule.

Könntest du dir vorstellen einmal ein politisches Amt zu übernehmen, und wenn ja welches?

Ja (lacht), am ehesten Nationalratsabgeordneter.

Was war bisher dein prägendstes politisches Ereignis?

Sehr einprägsam war für mich meine erste Demonstration, auf der ich war. Das war die Demonstration gegen den WKR Ball, und ja, dort habe ich auch andere Jugendliche getroffen, die sich politisch engagieren, ja das war cool.

Inwiefern interessieren sich deine Mitschüler*innen für Politik? Gibt es ein politisches Interesse?

Ich glaube, dass viele denken, dass viele Politiker korrupt sind und nur Lügen erzählen – wovon ich sehr abweiche. Ich sehe eher weniger Interesse, man befasst sich damit halt auch nicht, man trifft sich eher mit Freunden.

Warum glaubst du ist das so?

Ich glaube, dass manche sich denken, z.B. wenn jemand politisches Interesse hat, dass er das nicht verfolgt, weil er glaubt, „ich kann doch eh nie Politiker werden, weil die sind alle so gut im Reden und so“. Und sich dann einfach selber schlecht macht, obwohl er vielleicht ein großes Potential hat, aber das ist bleibt halt ungenutzt.

Hättest du eine Idee wie man das ändern könnte?

Auf jeden Fall mehr im Unterricht darüber reden.

Das führt gleich zu meiner nächsten Frage – wo kommt denn Politik in der Schule vor?

Definitiv am präsentesten ist es in Geschichte, weil wir da auch über Parteien und den Nationalsozialismus reden, und wie es dazu kommen konnte. Aber in letzter Zeit haben wir auch in Berufsorientierung darüber geredet, was wir an der Stadt Wien verändern wollen würden.

Hast du Ideen, wie man Politik noch mehr in die Schule einbringen könnte?

Man sollte über Politik glaube ich fächerübergreifend reden, also auch zum Beispiel in Geographie, wo man sich auch die politischen Systeme der Welt anschauen könnte und so weiter.

Wie unterstützt dich die Schule oder deine Lehrer*innen dabei politisch aktiv zu sein?

Am meisten über Gespräche. Ich rede öfter mit meiner Deutsch- und Geschichtelehrerin über Politik. Und auch dieses Interview habe ich über eine Lehrerin bekommen.

Glaubst du, dass sich deine Lehrer*innen für Politik interessieren?

Ich glaube nicht alle, aber ich glaube die meisten.

Ihr wart ja beim weltweiten Klimastreik am 15.3.2019 in Wien. Wie kam es dazu und wie war das für dich?

Angefangen hat es damit, dass wir in Deutsch die Geschichte von Greta Thunberg gemacht haben und unsere Deutschlehrerin hat uns diese Berichte gezeigt und wir haben das ganze Thema besprochen, auch die weltweiten Streiks. Und dann haben wir gefragt, ob wir auch zu einem Streik gehen könnten und unsere Deutschlehrerin hat uns unterstützt das für diesen einen Freitag zu organisieren. Und ja, es war wirklich cool, weil man für etwas protestieren konnte, was man selber so im direktesten Sinne nur leicht beeinflussen kann.

Und damit auch die großen Politiker zu erreichen und zu sagen: Ihr müsst jetzt was tun. Das war eine sehr coole Erfahrung.

Wie hast du den Tag des Klimastreiks erlebt?

Ich glaube, dass nicht alle wegen des Klimastreiks dort waren, da waren sicher ein paar dabei, die einfach keine Schule haben wollten. Aber der Großteil war sicher deswegen dort, weil sie protestieren wollten.

Am Tag selbst sind wir zum Karlsplatz gefahren, von dort aus sind wir losmarschiert zum Ballhausplatz, dort waren wir ein paar Stunden, dort gab es Musik und Kundgebungen. Und auch wir haben geschrien und gepfiffen, vorm Bundeskanzleramt – und da kam auch ein Politiker raus, habe ich gesehen.

Wäre die Welt besser, wenn Erwachsene mehr auf Kinder und Jugendliche hören würden?

Definitiv, weil wir kreativer denken und nicht so pragmatisch.

Hast du Ideen, wie man Jugendliche mehr in die Politik involvieren könnte?

Es gibt glaube ich fast für jede politische Partei eine Jugendorganisation, womit sie ihre jungen Sprösslinge dann in die Partei holen. Aber ich glaube auch, dass es sowas wie bei den Grünen nicht geben sollte, dass sich die Mutterorganisation von den Jungendorganisation abwendet.

Du bist für einen Tag Bildungsminister und könntest etwas am Bildungssystem und an der Schule verändern, was wäre das?

Ich glaube definitiv einmal, das Bildungssystem darauf auslegen, dass man nicht nur das was im Lehrplan steht machen sollte, sondern das was sich die Schüler wirklich merken sollen, und merken müssen – und nicht das was im Lehrplan steht. Ich glaube wir lernen vieles, was wir im Endeffekt gar nicht brauchen – konkretes Beispiel fällt mir da gerade keines ein, aber ich denke schon, dass wir einige Dinge lernen, die wir nie wieder brauchen, und dass die Lehrer das nur unterrichten, damit sie es unterrichtet haben. Ich würde deshalb auch weniger in den Lehrplan schreiben.

Ich würde den Schülern auch mehr Individualität beibringen, sodass sie ihre eigene Meinung haben und diese auch kundtun können.

Und ja schon, dass auch alles sitzt, was sie lernen müssen – Grundrechnungsarten, Rechtschreibung, Lesen. Und dann die Kinderanzahl in einer Klasse minimieren, damit sich die Lehrer mehr Zeit für die Schüler nehmen können.

Du bist für einen Tag Bundeskanzler, was wäre das erste, das du verändern würdest?

Auf jeden Fall pro-europäischer denken, und nicht nur auf Österreich beharren, weil ich finde, wenn wir etwas machen, sollte es für die ganze EU gelten, wie zum Beispiel eine Rentenunion, also dass es europaweite Mindestpensionsansprüche gibt. Und die Mindestsicherung-Neu abschaffen.

Gibt es noch etwas, dass du als politisch aktiver Jugendlicher sagen willst?

Ich finde, dass die Parteien noch mehr machen sollten, dass wir Jugendliche uns für Politik interessieren – das ist ja dann auch für Parteien im Endeffekt positiv.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Interviewerin ist Lehrerin an einer NMS in Wien.

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