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Der Fall einer Wiener Mathematiklehrerin, die Schüler*innen systematisch erniedrigt, beleidigt und psychisch unter Druck gesetzt haben soll, schlägt seit einigen Tagen große Wellen. Das hätte er schon vor mindestens sechs Jahren tun sollen, denn die Vorwürfe reichen zumindest bis ins Jahr 2013 zurück. Sogar davor gab es schon Beschwerden und Versuche, etwas gegen das Verhalten der Lehrerin zu unternehmen.

Der Fall sollte zum Anlass genommen werden, ernsthaft über einige Grundsätze des Lehrer*innendaseins zu diskutieren:

  • Wie werden Lehrer*innen ausgewählt?
  • Wie wird ihre Arbeit laufend begleitet und überprüft?
  • Welche Handhabe hat man bei Kolleg*innen, die völlig fehl am Platz sind?

Einzelfall?

Der aktuelle Fall ist in seiner Intensität und Grobheit wohl besonders, aber kein Einzelfall. Laut der Bildungsdirektion Wien gibt es bei 26.000 Lehrer*innen wienweit jährlich ca. ein Dutzend Fälle in denen Lehrer*innen systematische Erniedrigungen vorgeworfen werden. Das ist dankenswerterweise eine sehr geringe Zahl und zeigt, dass sich die große Mehrheit der Lehrer*innen den Kindern gegenüber korrekt verhält. Die gemeldeten Fälle stellen jedoch nur die gröbsten Vergehen dar. Die Dunkelziffer der Lehrer*innen, die Schüler*innen beleidigen und unfair behandeln ist, meiner Einschätzung nach, größer. Viele Menschen werden in ihrer Schulzeit die ein oder andere Lehrkraft erlebt haben, die Schüler*innen unfair, unpädagogisch oder beleidigend behandelt hat. Aber auch viele Kolleg*innen werden im Lehrer*innenzimmer der ein oder anderen Lehrkraft begegnen, bei der sie sich denken:

„Die ist in der Klasse aber fehl am Platz.“

Machtlos

Jene Lehrkräfte stellen insofern ein Problem dar, als man oft völlig machtlos ist, etwas gegen ihr unpädagogisches Verhalten den Kindern gegenüber zu unternehmen. Oftmals dauert es einige Wochen, bis sich die Schüler*innen wirklich trauen etwas zu sagen und das unpassende Verhalten einer Lehrer*in ihnen gegenüber offen anzusprechen. Wenn es dann soweit ist, ist das Muster oft sehr ähnlich. Die Schüler*innen regen sich auf. In einer ersten Reaktion von Seiten der Lehrkraft wird oft beschwichtigt: “So schlimm wird das doch nicht sein”. Die Schüler*innen regen sich wieder auf. Sie reden mit ihrem Klassenvorstand und ihren Eltern. Klassenvorstand und Eltern suchen das Gespräch mit der betroffenen Kollegin oder dem betroffenen Kollegen und oft auch mit der Direktion. Dann gibt es Gespräche zwischen Lehrer*innen, Direktion und Eltern, die weiteres Fehlverhalten der Lehrkraft verhindern sollen. Und hier endet die Handhabe meist. Zwei Monate später wiederholt sich die ganze Geschichte.

Ich kann als Lehrer nur ahnen wie macht- und hilflos sich Kinder in dieser Situation fühlen müssen. Sie sagen, dass etwas nicht ok ist. Es ist nicht ok. Aber es passiert nichts. Nun haben Eltern an einer AHS im 18. Bezirk mehr Ressourcen und können sich glücklicherweise mit Anwälten und Klagen helfen. Die Macht- und Hilflosigkeit der Kinder an Schulen, wo die Eltern diese Ressourcen nicht haben, muss noch viel größer sein. Kinder reagieren auf diesen frustrierenden Verlauf oftmals mit Resignation oder Ablehnung gegenüber dem betreffenden Fach und sind enttäuscht von der Schule.

Alle verlieren

Solche Lehrkräfte schaden dem Lernen und der Entwicklung von Schüler*innen enorm. Noch Jahre nach Ende der Schulzeit erinnert man sich an die beleidigenden Worte und hegt meist eine Ablehnung gegenüber dem unterrichteten Fach.

Aber nicht nur die Kinder verlieren. Viele Lehrkräfte arbeiten mit ihren Schüler*innen an weit mehr als dem Fach an sich. Sie wollen “ihren” Kindern Selbstvertrauen, Neugier, Zuversicht und Freude am Lernen mitgeben. Es dauert oft lange bis Kinder sich endlich mehr zutrauen, zuversichtlicher werden und vielleicht sogar mit Freude lernen. All diese Arbeit kann innerhalb von einer Unterrichtsstunde zunichte gemacht werden. Sätze wie “Du schaffst es sowieso nicht an eine weiterführende Schule.” oder “Bei dir schadet es eh nicht, dass du durchfällst.” zerstören monatelange Arbeit in einem Atemzug.

Den Kindern schadet es, die Kolleg*innen werden frustriert und die Direktion ärgert sich. Alle wissen es. Aber kaum jemand kann etwas dagegen tun.

Frust

Viele Lehrer*innen sind vor allem zu Beginn ihrer Karriere intrinsisch motiviert, wollen etwas verändern, den Kindern möglichst viel beibringen und helfen. Aber der Lehrberuf ist kein einfacher. Die meisten Lehrkräfte werden schon einmal einen „so ein*e Lehrer*in wollte ich aber eigentlich nie werden“ – Moment gehabt haben. Ich jedenfalls hatte solche Momente. Stress, undankbare Eltern, wenig Anerkennung für Mehrarbeit, geringe Sichtbarkeit der langfristigen Erfolge, das Wegschauen der Verantwortlichen bei Missständen und geringe Wertschätzung lassen den Frust schnell ansteigen. Keine Lehrkraft, die sich gegenüber Kindern auch nur ansatzweise beleidigend oder herablassend gibt, soll in Schutz genommen werden. Wir sollten uns jedoch dringend die Frage stellen, wie man verhindern kann, dass es weiterhin Lehrkräfte gibt, die so agieren. Welche Veränderungen müssen im System gemacht werden, damit geeignete Personen Lehrer*innen werden, und dass diese dann als Teil des Systems nicht allein gelassen und infolgedessen frustriert werden?

Lösungsvorschlag – Auswahl

Im Optimalfall beginnt mit der Lehrer*innenauswahl ein Prozess, der sicherstellt, dass jede Person, die in der Klasse steht, die dafür notwendigen Kompetenzen, das notwendige Mindset und die notwendige Empathie mitbringt.

Ein einfacher schriftlicher Test vor Studienbeginn wird hier nicht funktionieren. Vielmehr sollte die Hochschule über einen längerfristigen Zeitraum überprüfen ob ihre Lehramtsstudierenden die nötigen Voraussetzungen für den Lehrberuf mitbringen um bei Fehlen von absolut nötigen Kompetenzen und dem gewünschten Mindset Lehramtsstudierende gegebenenfalls abzuweisen.

Nach einem fundierten Zulassungsverfahren sollten sich Studierende in der ersten Phase des Studiums vor allem mit Fragen beschäftigen wie: “Welche Motivation habe ich um Lehrkraft zu werden?”, “Wie schaut der Beruf wirklich aus?”, “Wie geeignet bin ich für diesen Beruf?”. Im Idealfall bemerken jene Personen, die aus der falschen oder fehlenden Motivation heraus unterrichten wollten dann selbst, dass sie in dem Beruf fehl am Platz wären.

Lösungsvorschlag – Qualitätskontrolle

Der nächste Schritt in der Qualitätssicherung sollte in den ersten Berufsjahren passieren. Junglehrer*innen bekommen Einjahresverträge, die durch die Direktion mit einer Weiterverwendung verlängert werden. Das ist eine Bewertung und Beurteilung des Könnens der Lehrkraft durch die Direktion, die derzeit leider oft stiefmütterlich behandelt wird. Weiterverwendungen werden einfach unterzeichnet. Sollte das Auftreten nicht passen, wird die Versetzung nahegelegt, aber das Formular dennoch unterschrieben. Wanderpokale. Die Weiterverwendung muss ernster genommen werden. Direktor*innen sollten Stunden hospitieren, besprechen und Feedback geben. So könnte die Direktion gegebenenfalls fundiert argumentieren, dass die Person nicht für den Lehrberuf geeignet ist und die Weiterverwendung nicht unterschreiben. Zum Schutz der Kinder, aber auch zum Schutz vor einer frustrierenden Karriere im falschen Beruf.

Lösungsvorschlag – Nicht alleine lassen

Lehrer*innen werden mit ihrer Arbeit und Problemen oft alleine gelassen. Dabei wäre es im Sinne der Qualitätssicherung gerade in den ersten Jahren immens wichtig Feedback für die Arbeit zu bekommen. Das eigene Verhalten muss reflektiert und verbessert werden. Dazu sollten alle Junglehrer*innen Mentor*innen bekommen, die Stunden hospitieren, analysieren und mit Rat im Lehrer*innenzimmer beiseite stehen.

Darüber hinaus braucht es verpflichtende Supervisionen um die Belastungen, die ein Sozialberuf mit sich bringt, verarbeiten zu können.

Um die Kinder geht es

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Prozess notwendig ist, der sicherstellt, dass nur geeignete Personen diesen so fundamental wichtigen Beruf ergreifen und der die Qualität der Arbeit in der Schule laufend kontrolliert und Lehrer*innen dabei nicht sich selbst überlässt. Weiterführend ließe sich noch diskutieren, wie Direktor*innen zu jenen Lehrkräften kommen, die ihrem Schulbild entsprechen und wie sie jene, die nicht zur Schule passen, wieder loswerden.

Im Mittelpunkt der gesamten Debatte jedoch stehen immer die Schüler*innen. Ihr Lernen, ihr Wohlbefinden und ihre Entwicklung sind das worum es geht. Wir sollten ihnen als Lehrer*innen daher immer zuhören und ihre Probleme und Ängste ernst nehmen.

Der Autor ist Lehrer an einer NMS in Niederösterreich.

1 Kommentar
  1. Anonymous
    Anonymous sagte:

    Toller Artikel! Ich wünschte Lehrer würden mehr Unterstützung bekommen und auch Konzequezen bei Fehlverhalten spüren. Ich studiere aktuell in England und hier finden an vielen Schulen sogenannte „learning walks“ statt. Bei diesen observieren Schulleiter unangemeldet Unterrichtsstuden und geben den Lehrkräften Feedback. Ich finde das Konzept echt vielversprechend. Über den Vorfall dieser Mathematiklehrerin habe ich mit einer Schulfreundin gesprochen und wir sind dabei auf mehrer Fehlverhalten unserer damaligen Lehrer zu sprechen gekommen. Ich fände es wichtig, SchülerInnen zu vermitteln, dass ihr Wohlergehen wichtig ist und sie aussprechen sollen, wenn sie sich unfair behandelt fühlen.

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