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1. Mut zum Scheitern 

Lehrer:in – ein Klasse-Job

Das ist der Name einer Kampagne, die vom Bildungsministerium initiiert für neue Menschen sorgen soll, die unterrichten wollen. In einem kurzen Video erklärt eine junge Frau, warum sie unterrichten möchte. Der Höhepunkt, ein Statement zu ihrem zweiten Job, dem sie als Lehrerin mühelos nachgehen könne. Aufs Wesentliche reduziert bedeutet das, Lehrer:in zu sein, macht wenig Arbeit und lässt Platz für mehr. Oder, mein Gehalt ist gerade zu Beginn so wenig, dass ich leider noch etwas dazuverdienen muss. Wobei die zweite Interpretation dieses Videos vermutlich nicht die richtige ist.

Wo sind all die Lehrer:innen hin?

Als ich vor 30 Jahren mein Studium an der PH begonnen habe, war man sich zumindest dort schon der Tatsache bewusst, dass Wien Lehrer:innen brauchen wird. Der Empfang nach erfolgreich abgeschlossenem Studium an einer Schule, die nie zu meinen Wunschschulen gezählt hatte, ließ mich daran zweifeln. War eher ernüchternd und eisig. Als Supplierreserve bekam ich Klassen und Gruppen, die keiner wollte. Anstelle von ehrlichem Feedback wurde mir durch die Blume oder ganz klar gesagt, dass ich an einer Schule nichts verloren hätte. Ich wäre zu nett, die Schüler:innen würden mich mögen. Ja, es war laut. Ja, in meinen Stunden sind mal Stühle geflogen, Jugendliche sind heimlich zum Schnitzelwirten gegangen, es war chaotisch. Neidvoll blickte ich damals zu jenen Kolleg:innen, die während des Unterrichts die Klassentüren offen ließen. Öffentlich konnten sie zeigen, dass sie die Klassen im Griff hatten. Ich hingegen war froh, dass der Lärm eine Hürde mehr, die geschlossene Tür, hatte. Allerdings möchte ich an dieser Stelle betonen, nie wollte oder will ich eine Klasse im Griff haben.

Schon damals war mein Gedanke, wenn man mit Kolleg:innen in den ersten Dienstjahren so verfährt, darf man sich nicht wundern, wenn junge Kolleg:innen nicht mehr unterrichten wollen.

Räume zum Scheitern aufmachen

Was ich in all den Jahren nicht durfte, war scheitern. Darf ich so gesehen noch immer nicht, weil das der Beruf der Lehrer:in, der klasse Job, dies nicht vorsieht. Entweder bist du als Pädagogin geboren oder nicht. Anstatt endlich eine ordentlich Feedback-Kultur zu entwickeln, Kolleg:innen-Hospitationen oder ähnliches anzubieten, kochen wir immer noch unsere Süppchen ganz alleine. Selbst Teamteaching wird selten gemeinsam reflektiert. Ja, in Ausnahmefällen, aber meistens ist es nebeneinanderher unterrichten, mit dem größtmöglichen Benefit für alle. Sprich, du korrigierst die Hausübungen, während ich unterrichte.

Mehr Gehalt?

Natürlich! Dann würde sich die Kollegin aus dem Video nämlich ihr Nebeneinkommen sparen. Auch wenn das System Schule in Österreich eines der teuersten sein mag, mit dem Einstiegsgehalt hat das wenig zu tun. 

Jede/r soll, der/die möchte?

Natürlich, aber eben mit einem reichen, verpflichtenden Angebot an Supervision. Mit so wenig wie möglich Stunden alleine in der Klasse und einem Schutzraum für die ersten Jahre.

2. The best of the best of the best…

Akademisierung

Man munkelt hinter verschlossener Lehrer:innenzimmertür, Schuld am Lehrer:innenmangel sei die Akademisierung der Ausbildung – Na sei es denn ein Wunder, dass jetzt, wo die Ausbildung über fünf Jahre dauere, zu wenige Lehrer:innen nachkämen? Und natürlich könnten sie auch schon während des Studiums unterrichten, das hätte man früher ja auch in drei Jahren draufgehabt. Wirklich?

In Deutschland setzt man seit 20 Jahren auf Akademisierung des Lehrberufes – und ebenfalls leidet man dort unter dem Mangel von Menschen, die sich auf das Abenteuer Lehrer:in einlassen möchten. Warum auch dort? Und warum zum Beispiel nicht in den USA, in Großbritannien? Die doch viel weniger verdienen. Keine Verbeamtung kennen. Warum haben sie dort oft viel engagiertere Lehrer:innen, viel bessere Unterrichtsmethoden – man lese nur einmal im Leben Doug Lemov – wie kommt es, dass in Ländern mit diesem Gehalt und diesen vielen Freiräumen so wenig Menschen zurück an die Schule möchten? 

Falsches Erwartungen

Ehemalige Einserschüler:innen denken sich, ach, die Schule war doch schön, ich bin immer gelobt worden und habe alles brav auswendig gelernt und wieder ausgekotzt, wenn ich danach gefragt wurde. Mir hat dieser geschützte Raum gut gefallen und alle Lehrer:innen mochten mich – deshalb bleibe ich doch hier. An diesem Ort, der nie böse zu mir war. Lieber gehe ich nicht in die Wirtschaft, wo ich möglicherweise Leistung bringen muss. Oder gar von objektiven Kriterien – wie zum Beispiel Wirtschaftlichkeit (ist das objektiv?) – bewertet werde. Lieber bleibe ich hier. Das Klassenzimmer ist immer gleich warm, egal wie gut ich unterrichte. Und mein Gehalt zahlt der Staat/ die Stadt. Meine Leistung interessiert niemand, denn schlussendlich bin ich unkündbar, und wenn ich lange genug hier sitze, sogar unversetzbar. Wozu also sollte ich mich anstrengen? 

Falsche Voraussetzungen 

Genau diese Leute braucht es nicht im System. Es bräuchte Menschen, die sich durch die Schule gekämpft haben, die knapp bestanden haben, weil sie internationale Familiengeschichten und Traumata mit sich herumgetragen. Die mehrere Sprachen sprechen, aber vielleicht kein akademisches Deutsch. Noch nicht. Diese Menschen müssen wir ausbilden. Denn diese Menschen haben das Verständnis für diejenigen Schüler:innen an den Mittelschulen und Gymnasien, die nicht nur in und nach der Norm denken und handeln. Die aber oft mehr Lebenserfahrung und Kompetenzen haben, als all die autochthonen Österreicher:innen und Österreicher, die das System Schule nie verlassen haben. Wer benötigt eine Unterrichtseinheit Berufsorientierung von Menschen, die sich noch nie im Leben beworben haben? Die nie pünktlich sein mussten, weil sie unkündbar sind? Die nie hinterfragt wurden, weil sich das eh keiner traut? Zur Not hilft die Gewerkschaft?

Anspruch & Wertschätzung

Nein, wir brauchen Menschen mit Ehrgeiz. Mit Engagement, mit Lebenserfahrung. Menschen, die mehr als eine Sprache sprechen, mehr als in einem Land gelebt haben. Die mehr Erfahrung haben, als ein paar Jahre Ausbildung oder Studium. All das würde ich von neuen Lehrkräften fordern. Drei Jahre in der Wirtschaft oder in Sozialberufen. Eine nichteuropäische Fremdsprache. Weil wir die besten Menschen für den schwierigsten und wichtigsten Beruf in unserer Gesellschaft brauchen. Nicht ein Job mit Klasse sondern ein Knochenjob voller unschaffbarer Herausforderungen für die engagiertesten, resistentesten und gebildetsten Menschen unter uns. Die brauchen wir. Und nicht durch Geld ködern wir sie – sondern durch Anspruch und Wertschätzung. 

Dadurch ist diese Kampagne redundant. 48% der Studierenden, die uns oft in die Klassen begleiten, sind zu schon zu Studienbeginn burn-out gefährdet. (Vgl. Luftenegger 2022). Warum gibt es nicht 8-stündige Assessment Center wie zum Beispiel die von Teach for Austria? Sie haben quasi eine zero-drop-out Rate. Weil sie bestimmte Kompetenzen abfragen und durch ein fundiertes Berechnungssystem laufen lassen. Wie lange kann sich der österreichische Staat leisten, junge Menschen auszubilden, von denen ein Drittel in den ersten drei Jahren aufhört und sich ein weiteres Drittel in den (Langzeit)-krankenstand arbeitet ? 

Am Hebel für das Gemeinwohl

Sie denken, dass sei absurd? Überzogen? Schauen Sie sich um, schauen Sie sich den Fachkräfte und Arbeitskräftemangel an. Ja, vielerorts wird zu wenig bezahlt, das stimmt. Aber wir sitzen am Hebel, junge Menschen gut auszubilden und nachhaltig in die Gesellschaft zu begleiten. Wollen wir wirklich hier das Niveau reduzieren? 

Vielleicht helfen bessere Gehälter, aber in Deutschland verdienen die Lehrer:innen von Anfang an sehr viel mehr – viel zu helfen scheint es nicht. Wieso investieren wir nicht in die Ausbildung? In die Weiterbildung? In die Berufsbegleitung, sprich Supervision, Therapie, Coaching von Lehrer:innen? Professionalisierung und ständiges Weiterentwickeln – so wie sich die Gesellschaften, das Leben als solches ständig weiterentwickelt? Anspruch durch Unterstützung. Den Lehrberuf wieder attraktiv machen und vor allem: kein mediales Lehrer:innenbashing. 

Der Beitrag ist eine Kollaboration zweier Lehrerinnen an Wiener Mittelschulen.

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Ich will nach Hause

Ich bin mit den Schüler:innen der KSDU, Klasse mit Schwerpunkt Deutsch und Ukrainisch im Kreativraum. Zwei lange Tische, viel Licht und jede Menge Farben. Platz für Kreativität und Kommunikation. Die meisten Schüler:innen bemalen die Blätter, die wir zuvor im Augarten gesammelt haben. Drei haben Kopfhörer in den Ohren, scheinen sich weg zu beamen. Zwei arbeiten an einer Bleistiftzeichnung, weil Kunstunterricht nicht bedeuten muss, dass alle zur gleichen Zeit an der gleichen Sache arbeiten. B. guckt in die Luft. „Alles okay?“, frage ich ihn. Er sieht mich lange an und nach gefühlten drei Stunden antwortet er: „Ich will nach Hause.“ „I feel you“, antworte ich, während ich mit den Tränen kämpfe. „Danke“, sagt er ganz leise und starrt weiter auf einen Punkt, der sich allem Anschein nach irgendwo in diesem Raum befinden muss.

KSDU und Neu in Wien

Seit Mai 2022 gibt es an unserer Schule eine KSDU, die damals noch Neu-in-Wien-Klasse hieß. Von Beginn war klar, dass sich die Schüler:innen willkommen und gut aufgehoben fühlen sollten. Es gab Päckchen mit Filzstiften, Buntstiften und Schokolade. Auch den neuen Kolleg:innen, beide vereinte die Tatsache, dass sie Ukrainisch sprechen, sollte diese Gefühle vermittelt werden.

Schnell etablierte sich eine Klasse, bei der immer die Türe verschlossen war, auch in den Pausen. Davor standen immer Schüler:innen, die ganz gerne gewusst hätten, was denn da so los war. Ob diese Kinder und Jugendliche denn anders waren? Warum waren sie überhaupt hier? Und wurden sie nicht viel freundlicher empfangen, als sie, die vor sieben Jahren nach Österreich kamen? Warum hatten die Markenschuhe, so richtig teure? Kamen die nicht direkt aus dem Kriegsgebiet?

Als Lehrerin stand ich dazwischen. Wollte diese Türe so gerne öffnen, hatte aber gleichzeitig Angst, dass sich alle in die Haare kriegen würden. Und ich verstand sie alle, draußen und drinnen besser als dieses Konzept, das uns einfach vor die Nase gesetzt wurde. Deutschförderklassen für die Schüler:innen, die nicht aus der Ukraine kamen. Härte bei den MIKA-Tests, nur neun Stunden im Klassenverband und meistens von nur einer Lehrkraft unterrichtet. Neu-in-Klassen für die anderen. Dazu Doppelbesetzung während des gesamten Vormittags und viel Toleranz, falls einzelne Schüler:innen gleich in eine Regelklasse wechseln wollten. Wäre ich Mohamad aus Syrien, würde ich mich auch verschaukelt fühlen und wütend werden.

Man versuchte zu beschwichtigen. Bis zu den Sommerferien waren es nur zwei Monate, danach würde alles anders werden.

Neubeginn im Herbst

Ja, zu Schulbeginn wurde tatsächlich alles anders. Die Bezeichnung der Klasse wurde von Neu-in-Wien-Klasse  in Klasse mit Schwerpunkt Deutsch Ukrainisch umgetauft. Schon logisch, jetzt waren die Kinder ja nicht mehr neu in Wien, oder? Die Schüler:innenzahl beträgt mittlerweile 22. 22 Kinder und Jugendliche, die Krieg nicht nur aus Filmen kennen. 22 Kinder und Jugendliche, die gezwungen waren meistens mit ihren Müttern sich hier in Wien eine neue Existenz aufzubauen. 22 Kinder und Jugendliche, die wie B. einfach nur nach Hause wollen. 22 Kinder und Jugendliche, deren bisheriges Leben wir nur erahnen können. 22 Kinder und Jugendliche von Schulstufe vier bis acht, alle in einem Klassenraum. Vermutlich traumatisiert, tieftraurig oder einfach nur wütend, weil sie ihr Land verlassen mussten.

Dazu unterschiedliche Lehrkräfte, die mit dieser Klasse ziemlich allein gelassen wurden und werden, sieht man von vereinzelten sehr guten Angeboten ab. Lehrkräfte, die eine ganze Klasse nicht verstehen. Ja, den einen Lehrer, der zumindest die Muttersprache der Schüler:innen spricht, gibt es noch. Einen!

Wie denn?

Nun – wie unterrichtet man Jugendliche, die in die Welt kein Zutrauen mehr haben. Die ein komplett anderes Schulsystem gewohnt sind? Die nach Hause wollen? Die nachmittags Unterricht über Zoom von ihrer Schule aus der Ukraine und eine ordentliche Portion Hausübungen bekommen? Die überhaupt keinen Sinn im Erwerb der Unterrichtssprache sehen, weil sie sowieso nicht lange hier bleiben wollen.

Wie also?

Was wir tun sollten!

Wie alle Schüler:innen, die die Unterrichtssprache nicht beherrschen, sollen auch diese 20 Stunden Sprachförderung in Deutsch erhalten. Kennen wir aus der Deutschförderklasse. Die Schüler:innen der DFK gehen danach in ihre Stammklassen, um zumindest ein bisschen Kontakt zu anderen Klassenkolleg:innen zu haben. Die Schüler:innen der KSDU? Sie bekommen unter anderem Unterricht von dem einen Kollegen, der ihre Sprache spricht. 

Kleine Randnotiz: Russisch ist nicht Ukrainisch.

Was wir tun können

Die Schüler:innen sind nicht oder kaum motiviert. Haben null Bock auf Schule. Wollen nicht Deutsch lernen und auch der Rest der ganzen Sache Unterricht in Wien kann fast allen gestohlen bleiben. Sie bemühen sich auch nicht, diese Haltung zu verbergen. Hängen während des Unterrichts viel am Handy, liegen mit dem Kopf am Tisch oder unterhalten sich mit ihren Nachbar:innen.

Ja, da muss man doch mal dreinfahren! So hören wir es immer wieder, von jenen Kolleg:innen, die meinen, dass mit viel Autorität jedes Problem abgeschafft werden könnte.

Ah, müsste man das? Mit welchem Erfolg? Welche Konsequenzen sollten wir ihnen denn androhen? Gibt nämlich keine. Sie wissen, dass sie zurzeit keine Zensuren erhalten. Selbst wenn, sie wären ihnen egal. Sie sind, wie schon erwähnt, nur auf Abruf hier.

Was ich diesen Schüler:innen sagen kann? I feel you! Ja, ich verstehe sie. Keinen Strich würde ich unter diesem Umständen machen, noch dazu, wenn ich nachmittags drei Stunden auch noch Schule hätte. Ich würde auch mein Handy nicht aus der Hand geben. Weil vielleicht meine beste Freundin noch im Kriegsgebiet ist, und ich seit Tagen auf eine einzige Nachricht von ihr warte. Vielleicht geht es auch um meine Oma? Lebt sie noch oder ist sie schon unter den Trümmern ihres Wohnhauses begraben? Und dazwischen würde ich mich mit TikTok ablenken, weil zumindest da die Welt noch in Ordnung ist.

Aber wir können Angebote setzen, die nicht wahrgenommen werden müssen. Eine Lernecke, in der Laptops stehen. Bücher, in den gearbeitet werden kann. Zwei Stunden im besten Kreativraum der Welt, in dem jede:r malen oder zeichnen kann. Wir können einen sicheren Ort und Sportunterricht anbieten. Und jede Menge Ausflüge in einer Stadt, die diesen Kindern und Jugendlichen momentan wenig Freude bereitet. Unter den Motto: Ihr müsst Wien nicht mögen, aber gebt dieser Stadt – und somit diesem absurden Lebenszeitsbschnitt – zumindest eine Chance. Oder ein klein wenig Sinn. 

Die Autorin ist Lehrerin in einer KSDU Klasse einer Wiener Mittelschule

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S

Viel Ehrlichkeit zu Beginn

Sommerschule. Beim bloßen Gedanken an dieses Wort erschaudern die meisten erfahrenen und angehenden Lehrer:innen. Zwei Wochen der Sommerferien, die man für Kinder opfern soll, die sich wünschen würden, so weit wie möglich von der Schule entfernt zu sein. Weshalb sollte überhaupt jemand in Erwägung ziehen an diesem noch nicht ganz ausgereiftem Bildungsprojekt teilzunehmen?  Nun ja, in meinem Fall lautet die Antwort ECTS und die neu eingeführte Bezahlung, aber auch der Drang sich beweisen zu wollen. 

Überrascht, dass es mir nicht in erster Linie um die Schüler:innen gegangen ist?  Ich denke es wäre unehrlich und naiv zugleich zu behaupten, dass sich Student*innen bloß aus reiner Herzensgüte am Projekt beteiligen. Natürlich sind uns die Kinder wichtig und wir möchten ihnen helfen, aber dieses Gefühl gewinnt erst richtig an Stärke, wenn wir eine Beziehung zu unserer Klasse aufgebaut haben. In der Sommerschule arbeitet man mit Lernenden, denen man wahrscheinlich zum ersten Mal begegnet, was das dringende Bedürfnis zu helfen und sich zu kümmern in den meisten Fällen als Beweggrund in den Hintergrund rücken lässt. 

Bis jetzt hört sich das alles nicht besonders positiv an. Dennoch kann ich behaupten, dass ich diese zwei Wochen um nichts in der Welt eintauschen würde, da die Erfahrungen, die ich gemacht habe und die Entwicklung meiner Schüler:innen, aber auch meine eigene, unbezahlbar für meine Karriere als Lehrerin sind.

Wie würde ich nun rückblickend meine Tage als Sommerschullehrerin beschreiben? Chaotisch, unerwartet, physisch und psychisch herausfordernd, aber auch wunderschön, prägend und unvergleichlich befriedigend. 

Man kann sagen, ich habe Glück im Unglück gehabt, da ich statt einer ursprünglich geplanten Deutsch Regelklasse, eine Deutsch Förderklasse mit den verschiedensten Kindern aus aller Welt betreut habe. Nicht jeder bekommt die Gelegenheit mit so vielen Kulturen in Kontakt zu treten. So wie meine Schüler:innen von mir Deutsch gelernt haben, habe ich ihre Gepflogenheiten kennen lernen dürfen und sogar einen Einblick in ihre Sprache bekommen. 

Die ersten paar Tage würde ich als Eingewöhnungsphase bezeichnen, da in dieser Zeit beide Parteien versucht haben sich aufeinander einzustellen. Langsam aber sicher habe ich ein Gefühl für die Bedürfnisse meiner Schüler:innen bekommen und habe auch gesehen, um was für Persönlichkeiten es sich handelt. Die meisten von ihnen sind herzlich, wissbegierig und überaus intelligent gewesen, aber auch verloren und voller Selbstzweifel. Aus diesem Grund habe ich es mir zur Aufgabe gemacht nicht nur an ihrem Deutsch zu arbeiten, sondern viel mehr an ihrem Selbstvertrauen. Denn Lob und Anerkennung sind diesen Kindern anscheinend fremd gewesen. Viele von ihnen haben gar nicht gewusst, wie sie auf ein nettes Wort oder eine freundliche Geste reagieren sollen. 

Chaotisch, unerwartet, aber auch wunderschön und prägend

In der zweiten Hälfte der Woche hat man gemerkt, wie die Kinder aufgeblüht sind und die ursprünglichen Cliquen, neuen Freundeskreisen gewichen sind. Eine große Mädchengruppe hat sich gebildet, in der sich alle gut verstanden haben. Das Erfreulichste ist daran gewesen, dass sie gezwungenermaßen auch in ihrer Freizeit und den Pausen Deutsch gesprochen haben, da dies die einzige gemeinsame Sprache gewesen ist. Dies hat selbstverständlich einen enorm positiven Effekt auf die Sprachentwicklung gehabt. Ich habe beobachten dürfen, wie sich Äußerungen aus wenigen Worten, in richtige, teilweise sogar komplexere Sätze verwandelt haben.

Die Jungs haben sich zu einer weniger homogenen Gruppe zusammengeschlossen. Sie hatten von Anfang an ein größeres Problem mit der Sprachbarriere. Gänzlich unerwartet ist jedoch die Rivalität gewesen, die bei Spielen zwischen den Mädchen und den Jungs entstanden ist. Teilweise hat diese auch in gehässigen Kommentaren resultiert, die ich schnellstmöglich unterbunden habe. Das zeigt wiederum auch, dass Lehrer*innen nicht nur für die fachliche Wissensvermittlung zuständig sind, sondern eine bedeutende Rolle in der Erziehung spielen. Oftmals vergisst man das, da der Fokus im Studium auf dem fachlichen Wissen liegt. Wir sind wichtige Bezugspersonen für unsere Schüler:innen; unser Aufgabenbereich umfasst so viel mehr als nur das Unterrichten.

In der zweiten Woche sind wir bereits eine zusammengeschweißte Klasse gewesen und haben effektiv arbeiten können. Die Lernenden haben fleißig mitgemachten, sind engagiert gewesen und haben manchmal sogar ein wenig Spaß am Unterricht gehabt. Ich habe auch Einblicke in ihr Privatleben erhalten dürfen, was mir klar gezeigt hat, wie sehr sie mir nach dieser kurzen Zeit bereits vertrauten. Ich sage nicht, dass es keine negativen Zwischenfälle gabt, immerhin handelt es ich um Schüler:innen, die gerne die Grenzen austesten, aber es ist immer eine schnelle, friedliche Lösung gefunden worden. 

Die Tage sind schnell verstrichen und der Abschied ist uns allen schwergefallen. Die Zeit als bloße Studentin ohne jeden Tag früh aufstehen zu müssen und unterrichten zu dürfen sind mir fast unwirklich erschienen. Ein Teil von mir hat sich über die zurückgewonnenen Freiheiten gefreut, der andere Teil hat jetzt schon die Kinder vermisst und sich gefragt, was sie wohl nach der Sommerschule erwartet und ob sie zurechtkommen werden. Schon nach einem derart kurzen Zeitintervall hat sich ein Band zwischen mir und meiner Klasse entwickelt, das eindeutig unter Beweis stellt, dass dieser Beruf der einzig richtige für mich ist und dass ich mich trotz all der Hürden definitiv richtig entschieden habe. 

Ich gebe zu, die zwei Wochen sind anstrengend gewesen, sehr anstrengend sogar, aber ich empfehle jeder zukünftigen Lehrerin und jedem angehenden Lehrer an der Sommerschule teilzunehmen. Es gibt nämlich nichts Erfüllenderes als diesen Kindern bei der Entwicklung und beim persönlichen Wachstum zu helfen und zuzusehen. Egal was einen dazu veranlasst bei diesem Projekt mitzuwirken, bereits nach wenigen gemeinsamen Unterrichtsstunden sind es garantiert die richtigen Gründe. 

Allen Schüler:innen, die selbst noch unentschlossen sind, was sie später werden wollen und/oder unsicher sind, ob sie zur Lehrerin/zum Lehrer geeignet sind, kann ich nur sagen, traut euch! Es gibt nichts Schöneres.

Die Autorin ist Lehramtsstudentin und hat an einer Wiener Mittelschule im 20. Bezirk an der Sommerschule unterrichtet.

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Erschienen unter: www.schule-der-zukunft.at (Innsbrucker Schulgschichtn) 

Sechs Kinder, sechs unterschiedliche Weggabelungen

Melinda wächst mehrsprachig auf. Thomas ist das Kind zweier Akademiker:innen. Dann gibt es noch Matteo, Susanne, Emine und Ahmed. Die ersten fünf werden ab September 2022 in ein Innsbrucker Gymnasium gehen, Ahmed in eine Mittelschule. 

Susannes Eltern hätten gerne ihr Kind in jenem Gymnasium gesehen, dessen Konzept sie sich für ihre Tochter gewünscht hätten. Leider wird ihr Wunsch nicht in Erfüllung gehen. Ihre Tochter hat im Fach Deutsch „nur“ ein Gut im Volksschulzeugnis. Da dieses Gymnasium mehr Anmeldungen als Plätze hat, genügt dieses tolle Zeugnis leider nicht zur Aufnahme. Der Wunsch von Thomas Eltern dagegen wird in Erfüllung gehen, auch wenn ihr Sohn ebenso ein „Gut“ im Zeugnis hat. Sie haben ihren Sohn in ein anderes Gymnasium angemeldet, welches einen medialen Schwerpunkt hat, was seinen Eltern als äußerst zukunftsträchtig erscheint. Matteos Eltern wollen ebenso, dass ihr Sohn in das Wunschgymnasium von Susannes Eltern kommt, was so sein wird. Er hat alles „Sehr gut“, obwohl seine Leistungen in Deutsch keineswegs so toll sind, wie dessen Note vermuten lässt. Susanne hatte jedoch eine Lehrerin, die es mit der Notenwahrheit recht genau genommen hat, während Matteos Lehrerin nachsichtiger war und nicht so viel von ihren Schülerinnen und Schülern verlangt hat. Ahmed wurde als nicht gymnasialreif eingestuft, er hatte dieselbe Lehrerin wie Susanne, Emine dagegen kommt in ein Gymnasium, sie hatte dieselbe Lehrerin wie Matteo.

Was bei all diesen Szenarien nicht vergessen werden darf, ist der Druck, dem die Kolleg:innen der Volksschulen ausgesetzt sind. Dieser macht ein unbeschwertes Arbeiten in der vierten Klasse Volksschule nahezu unmöglich. Schließlich haben die Eltern der Kinder ihre Erwartungen, die erfüllt werden müssen.

Fragen zu Beginn des Schuljahres

Fragen, die ich mir immer stelle, wenn ich eine neue erste Klasse in Deutsch erhalte: 

Warum haben die Eltern von X unsere Schule gewählt, wenn sie doch bei jeder Gelegenheit unser Konzept in Frage stellen?

Wie kann es sein, dass Y dieselbe Note in Deutsch hatte wie Z, ihr Wissenstand aber unterschiedlicher nicht sein kann?

Warum durfte L nicht an unserer Schule aufgenommen werden? Denn, meiner Meinung nach hätte er sich in Deutsch in der Volksschule ein Sehr gut verdient. Dazu kommt, dass seine Eltern das Konzept der Schule unterstützen und diese Schule ihre Wunschschule war.

Diese und noch viel mehr Fragen kann mir niemand so wirklich beantworten.

Die Realität

Aber vielleicht sind diese Fragen gar nicht so wichtig. Die Kraft des einzelnen könnte auch so groß sein, dass die Schulwahl gar keine Rolle spielt. Oder, es stehen jedem/r tatsächlich nach der Unterstufe alle Wege offen, wie mir immer wieder glaubhaft zu vermitteln versucht wird.

Die Frage ist nur, entspricht diese Behauptung der Realität? Ich sage nein.

Bildung ist in Österreich immer noch vererbt. Der Bildungsaufstieg, Eltern keine Matura, Kind schon, gelingt in nur wenigen Fällen. Bei Ahmed könnte es sein, dass seine Eltern sich und ihm das Abenteuer Gymnasium gar nicht zutrauen. Was wird sein, wenn er Nachhilfe braucht? Wer soll das bezahlen? Wie sollen teure Klassenfahrten oder Auslandsaufenthalten finanziert werden? Was passiert, wenn er im Gymnasium scheitern sollte? Dann bleiben die Eltern doch lieber bei der vertrauten Schulform, wissentlich, dass ihnen nie alle Wege offen gestanden sind. 

Thomas Eltern haben diese Zweifel gar nicht. Sollte er im Gymnasium Probleme haben, dann würden sie diese, wie auch immer beseitigen.

Was wir brauchen ist mehr Chancengerechtigkeit und ein faires Bildungssystem, das dieser ambitioniert nachkommt.

Zukunft_Schule_jetzt

Die Initiative „zukunft_schule_jetzt“ ist eine Plattform von an „Bildung“ Interessierten in Innsbruck. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt hat, Schwung in die Diskussion rund um dieses Thema in unserer Stadt, aber auch österreichweit zu bringen. Dadurch möchten wir sowohl die Schulsituation und Chancengerechtigkeit für alle SchülerInnen verbessern als auch das Schulwesen zukunftsorientierter gestalten.

Expert:innen aller Schulformen wollen ein Gegengewicht zu jenen Bestrebungen darstellen, die unser Schulsystem noch elitärer und exklusiver gestalten wollen. Gesucht wird der Dialog und der Diskurs, wie die Schule der Zukunft aussehen könnte. 

Durch den Dialog soll etwas entstehen, dass den Leistungsdruck für SchülerInnen und LehrerInnen, vor allem in den Volksschulen, minimiert., die Vielfalt unserer Gesellschaft in den Klassenräumen besser widerspiegelt, das Lernen voneinander besser ermöglicht und Brennpunktschulen erst gar nicht entstehen lässt. 

Mag. Markus Astner

(Lehrer an einem Innsbrucker Gymnasium; Begründer der Initiative zukunft_schule_jetzt)

Lesezeit: 3 Minuten

Die Entscheidung Polascheks, die mündliche Matura wieder verpflichtend einzusetzen, wurde von AHS und BHS Schüler*innen zurecht lautstark kritisiert. Prominente Gegenstimmen ließen nicht lange auf sich warten. Kulturpessimistisch angehaucht jammerte Liessmann, dass der jungen Generation Biss und „Disziplin“ fehle, sie jede „Anstrengung“ vermeide und sie lieber feiere, statt Schwierigkeiten überwinden zu wollen. Die Staatsekretärin Palkolm verklärte in einem ZIB Interview die Matura zu einer „großen Chance“ und einem „besonderen Tag“ für junge Menschen, um aller Welt zu zeigen, was sie alles gelernt hätten. Zudem sei es ein wichtiger „Schritt zurück in die Normalität“.

Während Liessmann über die Leere eines einst „strengen und sinnvollen Rituals“ weint, das seine Versprechungen wie z.B. der Hochschulzugänge nur noch bedingt erfülle und überhaupt an Niveau sehr zu wünschen übrig ließe – von welchem Norm-Wissen redet er hier? -, wünscht sich Palkolm in eine Vergangenheit zurück, die für die Schüler*innen mit Angst und Stress verbunden ist und herkunftsabhängige Chancen zementiert statt beseitigt. Ihre proklamierte Chance ist ein Euphemismus sondergleichen.

Die wieder aufgeflammte Diskussion über die Notwendigkeit der Matura ist ein guter Zeitpunkt, ihre Sinnhaftigkeit einmal mehr in Frage zu stellen und ihr Ende einzufordern!

Die Matura beruht in meinen Augen auf zwei Rechtfertigungsgründe: Einmal dient sie der Zulassung für die Hochschulen. Zum anderen stellt sie das Abschlussritual der 12-jährigen Schullaufbahn dar.

Ersterer ist in den letzten Jahren zunehmend in den Hintergrund getreten, sind doch Aufnahmeprüfungen und Eignungstests bei Studiengängen immer häufiger Usus – ein schlechter noch dazu, wie ich finde; ausreichende Finanzierung wäre hier wünschenswerter.

Der zweite ist ebenso fragwürdig. Mir erschließt sich die Sinnhaftigkeit dieser Abschlussprüfung nicht. Weder als Prüfung noch als Ritual. Prüfungen im Sinne eines Wiederkäuens zuvor auswendig Gelerntem ist nicht mein Verständnis von Wissensaneignung. Allein als Abschluss-Ritual wäre eine ganzjährige Projektarbeit, auch in Verbindung mit der VWA eine deutlich sinnvolle Angelegenheit. Ansonsten ist sie eine weitere Hürde und Disziplinierung. Ohnehin zeigen Schüler*innen tagtäglich, was sie können. Und das zwölf Jahre lang! Schüler*innen also mangelnde Disziplin oder Anstrengungsverweigerung vorzuwerfen grenzt an Arroganz.

Einzig die Versteifung unseres Bildungssystems auf Prüfungen und Überprüfungen der Prüfungen erklärt mir diesen (Über-)Prüfungsfetisch. Generell sollte meines Erachtens das Ziel jeden Unterrichts sein, möglichst viele Übungssituationen zu schaffen. Das würde folglich die Konditionierung, für Noten zu lernen, aushebeln und Motivation und Interesse an Neuem wieder in den Vordergrund rücken. Ferner würden die ungleichen familiären Unterstützungsmöglichkeiten der Schüler*innen ausgeglichen werden, die nach wie vor die allergrößte, wenn auch unsichtbare Mitverantwortung am schulischen Erfolg tragen. So maturieren nur 4 von 10 Arbeiter*innenkinder und 2 von 10 beginnen ein Studium, wohingegen 8 von 10 Akademiker*innenkinder eine Matura machen und ganze 7 von 10 studieren gehen. Nur zur Wiederholung: Ziffernoten sagen per se mehr darüber aus, wie Schüler*innen mit Spielregeln und Verhaltensnormen von Schule zurechtkommen als über das Leistungsniveau selbst. Somit treffen negative Noten insbesondere Schüler*innen aus bildungsfernen Schichten, weil sie viel öfters Schwierigkeiten mit dem sozialen Setting Schule haben.

Ferner zwingt die Matura in der Oberstufe – und hier vor allem im letzten Jahr – auf eine Fokussierung aller Ressourcen und Energien auf diese letzte Prüfung. Im Unterricht wird nur noch in Hinblick auf die Matura gelernt. Nicht Maturafächer geraten selbst bei Interesse gezwungenermaßen ins Hintertreffen. Folglich ist das letzte Jahr ein Bulimielernen auf eine Prüfung hin, die ihr altes Versprechen nur noch zum Teil erfüllt. Ein Zurück-zur-Normalität war schon immer nur für ÖVP und Konservative wünschenswert, die vom herrschenden (Bildungs)System profitieren.

Meine Vision ist hingegen ein Abschlusszeugnis der zwölften Klasse, das den Namen Matura trägt.

Für mich ist und bleibt die Matura, um es mit Natascha Strobel auf den Punkt zu bringen, ein „Statussymbol einer reaktionär-bürgerlichen Klasse“, um eine breite gesellschaftliche Chancengerechtigkeit einzuschränken.

Jonathan Herkommer, BHS Lehrer in Wien