Lesezeit: 6 Minuten

Das Lehramtsstudium vermittelt einem, wie verschiedene Erdschichten aufgebaut sind und

welche chemische Zusammensetzung sie haben oder lässt einen Mittelhochdeutsch perfekt

verstehen. Doch über Themen wie Elternarbeit, administrative Aufgaben und tatsächliche

Herausforderungen in Wiener Schulklassen hört man kaum ein Wort. Es ist schon paradox, dass

einer der wichtigsten Berufe so lange studiert werden muss, während man gleichzeitig das

Gefühl hat, auf den eigentlichen Beruf überhaupt nicht vorbereitet zu werden.

Meine gesamte Schulpraxis während des Bachelorstudiums bestand aus sechs Team-Teaching-

Einheiten und drei Einzelstunden. In der Geografie-Praxis hielt ich die Teameinheiten sogar in

einem Viererteam ab. Ehrlich gesagt, weiter von der Realität hätte diese Erfahrung nicht entfernt

sein können.

Der Dienstantritt – Konfrontation mit der Realität

Nun habe ich mein erstes Dienstjahr an einer Wiener Mittelschule hinter mir und beginne gerade

das zweite. Die vielen Eindrücke und Erlebnisse, die ich gesammelt habe, könnten wohl ein

ganzes Buch füllen, doch ich werde versuchen, mich hier auf das Wesentliche zu konzentrieren.

Erst mit dem Eintritt in den Schulalltag merkt man, wie viel man eigentlich nicht weiß. Das

Studium bereitet einen nicht ausreichend auf die Realität des Lehrberufs vor, und viele

Lehramtsstudierende erleben dann einen Schock, wenn sie zum ersten Mal vor einer Klasse

stehen. In den wenigen pädagogischen Veranstaltungen an der Universität wird man häufig von

Professor:innen unterrichtet, die nie selbst in einem Klassenzimmer standen. Ich erinnere mich

besonders an ein Seminar, in dem die Lehrkraft wiederholt gefragt wurde, wie sie in bestimmten

Unterrichtssituationen reagieren würde. Doch konkrete Antworten haben wir nicht bekommen.

„Das kommt immer darauf an“ oder „Das sehen Sie dann, wenn Sie unterrichten“ waren die

gängigen Antworten – und diese waren keine Einzelfälle.

Ich habe schnell gelernt, dass der Großteil des fachlichen Wissens aus der Uni im Alltag nicht

unbedingt von Bedeutung ist. Was jedoch viel problematischer ist, ist die fehlende Vorbereitung

auf die tatsächlichen Herausforderungen, die der Schulalltag mit sich bringt. Es scheint fast

normal geworden zu sein, dass man sich alles selbst beibringen muss, sobald man in den Beruf

einsteigt. Der Gedanke „das sieht man dann schon, wenn man unterrichtet“ wird immer

häufiger von den Universitäten übernommen.

Wenn man dann endlich nach mehreren Jahren Studium in der Schule steht und beispielsweise

das erste Elterngespräch führen muss, ist man oft völlig überfordert. Wie beginnt man so ein

Gespräch? Was ist angebracht und was vielleicht nicht? Diese Fragen hat man im Studium kaum

thematisiert.

Auch das Bild, das einem von einer Schulklasse vermittelt wird, könnte kaum weiter von der

Realität entfernt sein. Nein, es sitzen nicht alle Kinder ruhig da und hören interessiert zu. Und

nein, es gibt keine Klasse, in der es keine Schwierigkeiten gibt. Obwohl die Sprachvielfalt in Wien

oft zur Sprache gebracht wird, fehlt es im Studium an praktischen Hinweisen, wie man diese in

der Klasse bewältigt. Gerade im Germanistikstudium wäre das besonders hilfreich gewesen.

Das große Fragezeichen, das vielen Berufseinsteiger:innen im Kopf schwebt, ist das „WIE?“ Wir

wissen, dass es verhaltensauffällige Schüler:innen gibt, aber wie man mit ihnen umgeht, lernt

man kaum. Wir wissen, dass viele Kinder keine oder nur geringe Deutschkenntnisse haben, aber

wie wir ihnen im Unterricht helfen können, das wird kaum vermittelt.

Diese Unsicherheiten führen dazu, dass viele Lehrkräfte schon nach wenigen Wochen wieder

kündigen. An meiner Schule war dies letztes Jahr der Fall, und auch dieses Jahr haben wir

wieder Kolleg:innen verloren, die sich nicht ausreichend vorbereitet fühlten.

Ich persönlich hatte das Glück, mich durch die Erfahrungen meines Partners, der bereits vor

Jahren in einer Mittelschule tätig war, im Vorfeld etwas auf diese Herausforderungen einstellen

zu können. Dadurch konnte ich mir schon früh Gedanken darüber machen, wie ich in

verschiedenen Situationen reagieren würde, was mir den Einstieg sicherlich erleichtert hat.

Doch sollte dies wirklich als „Privileg“ gelten? Sollte nicht jede:r Lehramtsstudierende die

Möglichkeit haben, sich realistische Vorstellungen vom Beruf machen zu können, bevor er/sie

ins kalte Wasser geworfen wird?

Meine persönlichen Erfahrungen im ersten Dienstjahr

Nun, genug Kritik an der Universität Wien. Wie sah mein erstes Dienstjahr denn tatsächlich aus?

Es war geprägt von intensiven neuen Erfahrungen, vielen kleinen Erfolgen und einem steilen

Lernprozess. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich am ersten Tag in die Schule kam und

plötzlich mit vielen Begriffen und Abkürzungen konfrontiert wurde, die mir völlig neu waren.

Begriffe wie „KEL-Gespräche“ , „Sche-Bögen oder ao-Kinder waren mir zunächst fremd, aber

nach kurzer Zeit war ich überrascht, wie schnell man sich in diese neue Welt einfindet. Diese

neuen Herausforderungen haben mich nicht nur gefordert, sondern vor allem motiviert.

Eine der größten Lektionen im ersten Jahr war, dass jede noch so kleine Entscheidung oder

Handlung gefühlt unendlich viel Zeit in Anspruch nahm. Jede Entscheidung – sei es, wie ich eine

Sitzordnung gestalte, wie ich mit Schüler:innen in schwierigen Situationen umgehe oder wie ich

ein Elterngespräch beginne – wurde von mir anfangs lange überdacht. Im ersten Jahr wollte ich

immer alles richtig machen, und das führte dazu, dass ich mich oft selbst hinterfragte. Doch

genau diese intensive Beschäftigung mit den kleinen Details hat mich wachsen lassen. Im

zweiten Jahr merke ich nun, dass viele dieser Entscheidungen viel schneller und

selbstverständlicher getroffen werden. Man gewinnt Routine und das Vertrauen in die eigenen

Fähigkeiten.

Ein besonderer Moment in meinem ersten Jahr war, als mir angeboten wurde, Klassenvorstand

zu werden. Viele sehen darin nur zusätzliche Arbeit, aber für mich war es eine unglaubliche

Ehre. Ich war unglaublich dankbar für diese Möglichkeit, weil ich es als ein großes Vertrauen in

meine Arbeit empfand. Dieses Angebot hat mir gezeigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin und

dass meine Arbeit gesehen und wertgeschätzt wird. Als Klassenvorstand habe ich die

Möglichkeit, noch enger mit meinen Schüler:innen zusammenzuarbeiten und sie auf ihrem Weg

intensiver zu begleiten, was für mich eine der schönsten Aufgaben im Lehrberuf ist.

Zusätzlich zu dieser Rolle wurde mir auch die Chance gegeben, einige administrative Aufgaben

der Schule zu erlernen, für den Fall, dass es irgendwann nötig sein sollte

mitzuhelfen/einzuspringen. Auch das mag nach mehr Arbeit klingen, aber für mich war es ein

Zeichen, dass man mir viel zutraut. Ich empfinde es als große Ehre, schon im ersten Jahr so viele

Möglichkeiten zu bekommen. Ich habe dabei meine eigene Theorie entwickelt: Je mehr man am

Anfang lernt und je früher man „ins kalte Wasser geworfen wird“ , desto schneller wächst man in

die Rolle hinein und desto sicherer fühlt man sich im Schulalltag. Dieser Gedanke hat mir

persönlich sehr oft geholfen – besonders in stressigen Situationen.

Was mir bei all diesen neuen Aufgaben und Herausforderungen noch sehr geholfen hat, war das

großartige Team, in das ich aufgenommen wurde. Ich hatte großes Glück, an eine Schule zu

kommen, an der das Kollegium nicht nur professionell, sondern auch unglaublich unterstützend ist.

Gerade im ersten Jahr ist es enorm wertvoll, ein Team zu haben, auf das man sich verlassen

kann. Es gab viele Momente, die anstrengend waren, sei es ein anstrengender Unterrichtstag

oder eine schwierige Situation mit einem:r Schüler:in. Doch zu wissen, dass man sich immer mit den

Kolleg:innen austauschen kann, hat mir die Sicherheit gegeben, dass ich nicht allein bin.

In unserer Schule wird viel mit Humor gearbeitet, was gerade an stressigen Tagen eine große

Erleichterung ist. Es ist wichtig, dass man lernt, auch über schwierige Situationen zu lachen und

den Stress nicht zu ernst zu nehmen. Meine Schulleiterin und ihre Stellvertreterin waren in

diesem ersten Jahr eine große Stütze für mich. Sie haben mir bei vielen Unsicherheiten geholfen,

sei es bei organisatorischen Fragen oder bei der Korrektur von Schularbeiten. Es war beruhigend

zu wissen, dass ich immer auf ihre Unterstützung zählen konnte, und das hat mir gerade im

ersten Jahr sehr geholfen. Sie haben mir nie das Gefühl gegeben, dass es schlimm sei, etwas

nicht zu wissen – im Gegenteil, sie haben mir stets den Rücken gestärkt und mir das Gefühl

gegeben, dass Fehler ein Teil des Lernprozesses sind.

Und trotzdem ein Traumberuf?

Absolut! Trotz all der Kritik an der Ausbildung würde ich diesen Beruf immer wieder wählen. Es

mag sein, dass einige Punkte in diesem Text bislang eher negativ klangen, doch das bezieht sich

hauptsächlich auf die Ausbildung und die mangelnde Vorbereitung. Sobald man sich jedoch

eingelebt hat und den einen oder anderen Fehler gemacht hat, beginnt man, den Beruf wirklich

zu genießen.

Die Kinder sind das, worauf es ankommt. Sie sind der Grund, warum ich diesen Job so liebe.

Viele Lehrkräfte hören oft den Satz: „Bei der heutigen Jugend würde ich mir diesen Job nicht

antun.“ Doch für mich gibt es nichts Schöneres, als zu wissen, dass ein Kind etwas gelernt hat,

weil ich ihm dabei geholfen habe. Oder dass ein Kind mit einem Problem zu mir kommt, weil es

mich als Vertrauensperson ansieht.

Es sind diese Momente, die all die Mühen wert sind. Wenn Kinder einem private Dinge

anvertrauen oder sich an einen wenden, weil sie Hilfe oder Rat brauchen, spürt man, dass man

als Lehrkraft eine wichtige Rolle in ihrem Leben spielt. Man kann als Lehrkraft entscheidend für

die Entwicklung eines Kindes sein – und das gibt mir unglaublich viel Motivation.

Ich liebe diesen Job, weil ich sehe, wie ich das Leben der Kinder beeinflussen kann. Jeder kleine

Erfolg eines Schülers/einer Schülerin oder eine ehrliche Dankbarkeit für Hilfe macht den Stress

und die schwierigen Situationen wett. Solange man nicht vergisst, dass es letztendlich um die

Kinder geht, kann man auch über viele Schwächen im Bildungssystem hinwegsehen.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Wiener Mittelschule.

Lesezeit: 2 Minuten

„Sie müssen strenger sein, Sie sind zu nett.“ 

Seitdem ich seit Anfang September Lehrerin an einer Mittelschule in Wien bin, habe ich diesen Satz schon von einigen meiner Schülerinnen und Schüler zu hören bekommen – meist als Reaktion auf eine Unterrichtsstunde, die in mehr Chaos als lehrreichen Momenten endete. Ich stehe als Lehrerin vor Klassen und doch sehe ich mich selbst nicht als solche – fühle mich überfordert von vielen Situationen und überwältigt von dem Gefühl, meinen Schülerinnen und Schülern nicht gerecht werden zu können. Sechs Jahre Ausbildung, in denen ich unzählige lateinische Namen von Tieren und Pflanzen auswendig gelernt, zwölfseitige Stundenplanungen verfasst und mir Methoden zur Differenzierung angeeignet habe, nur um beim Einstieg in den Lehrberuf festzustellen, dass ich mehr die Rolle als Lernende als jene der Lehrenden einnehme und zunehmend damit beschäftigt bin, auf Situationen im Unterricht zu reagieren als diesen zu initiieren. 

Die Gretchenfrage des „Warums“ 

Erst letzte Woche, es war die sechste Unterrichtseinheit, fand ich mich vor einer vierten Klasse wieder. Auf die anfängliche Frage „Machen wir heute Freistunde?“ seitens der Schülerinnen und Schüler, die ich empört verneinte, folgte eine, die Stunde abschließende, ernüchternde Aussage meinerseits: „Nach dieser Stunde frage ich mich echt, warum ich Lehrerin geworden bin“. Zum Beginn der Ausbildung hätte ich diese Frage, basierend auf meinen eigenen Erfahrungen als Schülerin, äußerst enthusiastisch und mit großen Zielen vor Augen beantwortet. Als eine Schülerin in der darauffolgenden Stunde jedoch von mir wissen wollte, warum ich denn nun Lehrerin geworden bin, kam mir seltsamerweise keine Antwort passend vor. Die Erwartungen, die ich vor diesem Schuljahr an den Lehrberuf hatte, waren zum einen von der Naivität geprägt, selbst alles anders machen zu wollen, und zum anderen von den positiven Gefühlen beeinflusst, die ich mit meiner eigenen Schulzeit verband. Die Realität, die mich erwartete, war eine völlig andere. Und dennoch, oder gerade deshalb, fühlt es sich so richtig an, Lehrerin zu sein. 

Die Schule als Ort des lebenslangen Lernens

Auch wenn meine Anfangszeit von vielen Fragen, auf die ich noch keine Antwort gefunden habe, geprägt ist, so gewinnt die Auffassung der Schule als Ort des lebenslangen Lernens eine ganz andere Bedeutung für mich. Denn vielleicht sind es nicht nur die Schülerinnen und Schüler, die die Schule als Lernende besuchen, sondern gerade wir, als Lehrerinnen und Lehrer. Und möglicherweise ist auch dieses Gefühl, dass ich noch so viel lernen darf und kann, meine persönliche Antwort auf die Frage nach dem „Warum?“.  

Lara Kriechbaum, 1. Dienstjahr und fast fertig mit ihrem Master in Englisch und BU

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Mein erstes Dienstjahr als Lehrerin liegt hinter mir, und ich kann rückblickend sagen, dass es eine intensive, aber auch unglaublich bereichernde Zeit war. Als Quereinsteigerin war mir von Anfang an bewusst, dass der Einstieg in den Lehrberuf eine große Herausforderung sein würde. Neben einer vollen Lehrverpflichtung mache ich parallel den Master für den Quereinstieg, was das Jahr noch einmal anspruchsvoller gemacht hat. Dennoch war alles machbar, und ich konnte mir weiterhin Raum für Freizeitaktivitäten schaffen.

Erwartungen vs. Realität

Als ich meinen neuen Weg als Lehrerin begann, hatte ich die Vorstellung, dass die ersten Monate extrem fordernd und zeitintensiv sein würden. Die Idee, kein „Leben“ außerhalb der Schule zu haben und meine Zeit in die Unterrichtsvorbereitung zu investieren, war zunächst belastend. Überraschenderweise war die Realität besser als meine Erwartungen. Obwohl es Phasen gab, in denen die Arbeit überwältigend erschien, hatte ich auch immer wieder Momente, in denen ich mir bewusst Zeit für mich nehmen konnte. Ich habe es geschafft, ein Gleichgewicht zwischen Beruf, Studium und meinem Privatleben zu finden. Meine Mentorin, die gleichzeitig auch meine Teamteaching-Partnerin war, war mir dabei eine große Stütze. Durch den Austausch und das gemeinsame Unterrichten konnte ich viel von ihrem Erfahrungsschatz lernen. Dieses „ins kalte Wasser geschmissen werden“ war somit weniger beängstigend, da ich auf ihre Hilfe zählen konnte. 

Betreuung und Kollegium

Ein weiterer Punkt, bei dem ich großes Glück hatte, war die Aufnahme im Kollegium, welches sich von Anfang an freundlich und hilfsbereit zeigte. Diese Erfahrung ist nicht selbstverständlich, wie ich von anderen Quereinsteiger*innen gehört habe, die oft das Gefühl haben, nicht willkommen zu sein und in das Schulteam nicht integriert werden. Bei mir war das zum Glück nicht der Fall. Mein Kollegium steht mir immer unterstützend zur Seite. Mit einigen Kolleg*innen konnte schnell eine gute Verbindung aufgebaut werden, sodass wir auch außerhalb der Schule etwas unternommen haben. Das soziale Miteinander hat mir den Einstieg wesentlich erleichtert.

Überraschungen und Herausforderungen

Eine der größten Überraschungen war das Leistungsniveau in einigen Klassen. Ich hatte nicht damit gerechnet, wie stark manche Schüler*innen in ihrer Konzentration und ihrem Arbeitstempo beeinträchtigt sind. Besonders in den Klassen, die durch die COVID-19-Krise stark betroffen waren, bemerkte ich ein deutliches Defizit in der Arbeitsweise und der Ausdauer. Diese Klassen stellen mich nach wie vor vor besondere Herausforderungen, da ich oft das Gefühl habe, dass der Unterricht nicht so voranschreitet, wie ich es mir wünsche.

Doch ich bin eine Person, die Herausforderungen liebt – und genau deshalb habe ich auch den Beruf gewechselt. Es war mir von Anfang an klar, dass der Lehrberuf nicht immer einfach ist und es Tage geben würde, an denen ich völlig erschöpft ins Bett falle. Tatsächlich gab es solche Tage, an denen ich das Gefühl hatte, dass einzelne Stunden oder Klassen mich körperlich und emotional stark fordern. Der Unterricht verlangt nicht nur Konzentration, sondern auch eine ständige Präsenz und Energie. Jede Klasse und jede Stunde ist anders – die Dynamik, die Aufmerksamkeitsspanne der Schüler*innen und ihre Reaktionen fordern einen in ganz unterschiedlichen Weisen. Nach einem Schultag merke ich oft, dass ich erschöpfter bin, als ich es nach einem langen Bürotag je war – das hätte ich so nicht erwartet. Diese Erschöpfung ist jedoch eine andere: Sie ist intensiver, aber auch mit mehr Sinnhaftigkeit und Erfüllung verbunden.

Ich habe gelernt, dass der Schlüssel zu erfolgreichem Unterricht oft in der Beziehung zu den Schüler*innen liegt. Ob im Sportunterricht oder in Mathematik – es geht nicht nur darum, Fachwissen zu vermitteln, sondern auch darum, die Schüler*innen sozial und emotional zu begleiten.

Rückblick und Ausblick

Trotz aller Herausforderungen überwiegt für mich das Positive. Es erfüllt mich mit Freude und Stolz, den Schüler*innen etwas beizubringen, sei es im Fachlichen oder im sozialen Miteinander. Jede kleine Entwicklung, die ich bei ihnen sehe, gibt mir das Gefühl, dass meine Arbeit wertvoll ist. Besonders schön ist es, Beziehungen zu den Schüler*innen aufzubauen und zu sehen, wie sie über das Jahr hinweg Vertrauen aufbauen und wachsen.

Meine Entscheidung, den Beruf zu wechseln, bereue ich keine Sekunde. Die Erfahrungen, die ich im ersten Jahr als Lehrerin gemacht habe, haben mir gezeigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin. Natürlich gibt es noch viel zu lernen und viele Herausforderungen, die vor mir liegen. Aber gerade diese Herausforderungen machen den Lehrberuf so spannend und abwechslungsreich.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Wiener Mittelschule.

Lesezeit: 4 Minuten

Den Wunsch Lehrer zu werden, sehe ich als eine Art Berufung. Auch wenn sich dies jetzt komisch anhört, kann ich nur von meiner Erfahrung sprechen. Die Schule war für mich immer ein wunderbarer Ort. Ich konnte dort meine Freunde treffen, jeden Tag gab es Abwechslung und meine Neugier wurde gestillt. Ich hatte wirklich nette Lehrerinnen und Lehrer, die mich unterstützten und mir in allen Lebenslagen halfen. Es war ein Ort zum Wohlfühlen, zum Lernen, zum Wachsen und zum Erwachsen werden. Mein Wunsch Lehrer zu werden begann in der Oberstufe und wurde durch nichts ersetzt, es gab nur einen Weg für mich: das Lehramtsstudium zu absolvieren und Lehrer zu werden. Ich wollte zu einer von den Personen werden, die mich unterstütz, mir die Welt erklärt und mich vor allem zu dem gemacht hatten, was ich heute bin, zu einem gewissen Teil jedenfalls. Also zwei Fächer wählen, die man gerne unterrichten möchte und von denen man eine gewisse Ahnung hat, gepaart mit Pädagogik und ein paar Praktika und mein Traum in der Klasse zu stehen und Lehrer zu sein würde sich erfüllen. Dachte ich jedenfalls.

Fachwissen statt Pädagogik und Didaktik

Schnell erkannte ich, dass ich hier nicht das Unterrichten meiner Fächer lernen würde, sondern die Fächer selbst. Viele Germanistik-, Philosophie- und Psychologiestudierende waren in meinen Seminaren, und auf meine Frage, ob ich mich im richtigen Raum befand, nickte man nur und sagte, es sei normal, dass Lehramtsstudierende und reine Fachstudierende gemeinsam in einem Seminar sind. Nun gut, dachte ich mir, mehr Wissen kann mir ja nicht schaden, und ich hatte selbst großes Interesse an diesen Fächern. Doch schnell merkte ich, dass ich Dinge lernte, die ich in meinem Unterricht nie brauchen würde. Eines der schwierigsten Seminare war „Einführung in das Mittelhochdeutsche“. Ein ganzes Semester mühte ich mich durch diese Sprache, lernte Grammatik, Lesen und Sprechen. Der Aufwand wurde mit 3 ECTS belohnt, und ich fragte mich, wozu mir das nützen sollte, wenn ich vor einer Schulklasse stehe. 

Ausbildung nicht praxisrelevant

Das Studium gab mir leider nicht die nötige Ausbildung, die ich gebraucht hätte, was mir nach einem Jahr Arbeit an einer Mittelschule in Wien klar wurde. Bevor man jedoch in die Schule darf, muss man noch fünf Tage an der sogenannten Induktionsphase teilnehmen. Diese umfasst eine Einführung in Themenbereiche wie Recht, Strukturen des Schulwesens, Professionsbewusstsein und Kommunikation. Warum hat man solche Inhalte nicht ausführlich und während des Studiums vermittelt, anstatt sie in einem fünf Tage langen Schnellverfahren abzuhandeln? Dann ging es los in die Schule, und plötzlich passierten tausend Dinge gleichzeitig. Ich erfuhr, dass ich Co-Klassenvorstand (Co-KV) einer Klasse werde – aber was ist ein Co-KV? Ich kannte nur den Klassenvorstand. Außerdem sollte ich in eine I-Klasse kommen. Was ist eine I-Klasse? Und natürlich hatte ich auch noch einen AO-Schüler in meiner Klasse. Was bitte sind AO-Kinder? Meine wenigen Vorlesungen und Seminare in Pädagogik hatten mir darüber nichts erzählt. Doch als ein Kind auf mich zukam und mir zwei Wörter sagte, wusste ich, was gemeint war: „Arabisch, Toilette.“ 

Fächer und Fachbegriffe

Ich hatte auch sechs Integrationskinder in der Klasse. Also durfte ich Unterricht planen – für ein AO-Kind, das nur zwei Wörter Deutsch sprach und mich nicht verstand. Gleichzeitig musste ich für die I-Kinder planen, die ihre eigenen individuellen Schwächen hatten. Ohne die Unterstützung der I-Lehrerin wäre ich überfordert gewesen. Ach ja, und natürlich gab es den anderen Unterricht auch noch. Insgesamt hatte ich drei verschiedene Unterrichtspläne zu erstellen. Da es keine Psychologie oder Philosophie in der Unterstufe gibt, unterrichtete ich außerdem Textiles Werken, Bildnerische Erziehung, Soziales Lernen sowie Lern- und Betreuungszeit. Nicht nur weil ich an einer verschränkten Ganztagsschule arbeite, gehören auch solche Aufgaben zu meinem Alltag.

So viele Fragen

Mein Jahr begann mit vielen Fragen, und ich war froh, ein nettes und hilfsbereites Kollegium zu haben, denn es tauchten ständig neue Fragen auf. Doch ich konnte mich nicht immer auf diese Fragen konzentrieren, weil ich gleichzeitig unterrichten musste. Obwohl ich einige Praktika absolviert hatte und versucht hatte, so viel Praxiserfahrung wie möglich zu sammeln, fühlte ich mich auf das, was mich erwartete, nicht vorbereitet. In meinen ersten Wochen hatte ich den Eindruck, dass es nur verhaltensauffällige Kinder in meiner Klasse gab.  Die Schüler schienen das Konzept von Unterricht nicht verstanden zu haben: Sie standen mitten im Unterricht auf, waren laut und lenkten sich gegenseitig ab. Es wirkte, als hätten manche von ihnen noch nie eine Schule besucht.

Kontrolle und Konsequenzen

Zuerst musste ich die Klassen unter Kontrolle bringen und ihnen die grundlegenden Verhaltensregeln beibringen, bevor an Unterricht überhaupt zu denken war. Es folgte viel Erziehungsarbeit, bei der ich mir Unterstützung von Expertinnen und Experten und dem Kollegium holte. Ein langer Weg lag vor mir: Elterngespräche – worüber an der Universität nie gesprochen wurde –, Konsequenzen setzen und Beziehungsarbeit. Einer der größten Kämpfe war das Smartphone, an dem die Kinder regelrecht klebten. Zielsetzungen waren ein Schlüssel für guten Unterricht, denn viele der Kinder wussten nicht, warum sie überhaupt in der Schule waren oder warum sie etwas lernen sollten. Viele träumten davon, Influencer, Profifußballspieler, Youtuber oder Rapper zu werden. Als diese Illusion der Realität weichen musste und die Kinder erkannten, dass ihre Chancen auf diese Berufe nicht sehr groß waren, war das ein Schock für sie. Doch genau dafür kämpfe ich: für Chancengerechtigkeit, für Bildung und dafür, dass jedes Kind seine Ziele erreichen kann – realistische Ziele. Mein Traum als Lehrer ist in Erfüllung gegangen, und auch wenn die andere Seite der Klasse viel mehr Nerven und Geduld benötigt als gedacht, bin ich froh, diesen Weg gegangen zu sein. Kein Job könnte mir mehr Sinnhaftigkeit, Erfüllung und Spaß bereiten, als mit Schülerinnen und Schülern zu lernen die Welt zu verstehen, menschlich eine Beziehung aufzubauen und die Gesellschaft etwas besser zu machen.

Michael Murauer, Lehrer an einer Wiener Mittelschule.

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Ich gehe um ca. 8:30 Uhr durch den Haupteingang und fahre mit dem Lift hinauf in den 3. Stock. Ich nutze meine Zugangskarte, um die Tür zu öffnen und gehe die paar Schritte zu meinem Büro. Ich bin als erstes hier, alles ist noch still. So mag ich das. Ich setze mich an meinen Platz und drehe den Computer auf. Dann stehe ich auf und hole mir aus der Küche einen Krug Wasser und einen Löffel für mein Joghurt, das ich morgens immer in der Arbeit esse. Ich schaue auf meinen Kalender und die To Dos für den Tag: unser wöchentliches Jour fixe im Team, Anrufe und Mails beantworten, ein paar administrative Aufgaben, ein paar inhaltliche Aufgaben, später noch ein Meeting. Ich ziehe meine Schuhe aus und lege los.

Vor ein paar Jahren war das noch anders. Vor ein paar Jahren wäre ich um diese Uhrzeit in einem Raum mit 25 Jugendlichen gestanden, hätte womöglich gerade Formulare eingesammelt oder ausgeteilt, Unterschriften im Mitteilungsheft kontrolliert, die Woche besprochen. Montag eben. Mein Arbeitstag hätte schon eine gute Stunde früher begonnen, mit einem hektischen Last-Minute Anstehen am Kopierer, um die Arbeitsmaterialien für die 5. Stunde noch zu kopieren, weil ich in meiner freien Stunde supplieren müsste und bis dahin keine Pause mehr hätte. Oder mit einem Gespräch mit einem Elternteil. Oder vielleicht hätten wir im Klassenzimmer auch Musik aufgedreht und auf das Eintrudeln der Schüler_innen gewartet.

Zwischen meinem alten und meinem neuen Arbeitsalltag liegt eine Elternkarenz. Sicherlich hat meine Elternschaft auch meinen Blick auf mein Arbeitsleben verändert: Wo liegen meine Prioritäten? Was will ich schaffen, was ist mir wichtig? Wo sind meine Energien gut eingesetzt?

Die Entscheidung, nicht mehr in den Lehrberuf zurückzugehen, war vor allem eine sehr persönliche. Die Gründe sind vielschichtig und lassen sich nicht einfach in ein paar Stichpunkten zusammenfassen. Trotzdem möchte ich hier einen Versuch wagen. Denn obwohl meine Entscheidung sehr persönlich war, die Gründe, die dazu führten, sind es nicht (alle).

Die mental load – “Ich kann einfach nicht mehr”

Es mag sicher Lehrer:innen geben, die eine ruhige Kugel schieben, wie man so schön sagt. Mir sind davon nicht sehr viele untergekommen. Klar, nach zig-Dienstjahren ist man sicher routinierter und nimmt manches leichter oder weiß schon, wie man am besten damit umgeht. Meiner Erfahrung nach war die Zeit an der Schule alles andere als eine „ruhige Kugel”. Den vielen verschiedenen Ansprüchen gerecht werden (nicht zuletzt den eigenen!), Wissen zu vermitteln, Schüler_innen bei diversen Problemen zuhause zu unterstützen, Konflikte in der Klasse bearbeiten, Konflikte im Kollegium bearbeiten, Konflikte mit Eltern bearbeiten. Schüler_innen beim Formulare-Ausfüllen helfen (wissend, dass es teilweise um Ansuchen geht, wo die Existenz der Familie am Spiel steht). Schüler_innen, die mitten im Schuljahr neu dazukommen und andere, die plötzlich nicht mehr da sind. In meiner Zeit als Lehrerin brauchte ich nach meinem Arbeitstag oft noch mehrere Stunden, um den Tag zu verdauen. Um mit Menschen in meiner Umgebung Gespräche nochmal durchzugehen, Lösungen durchzudenken. Es war viel, oft zu viel. Damit komme ich auch schon zu Punkt 2 –

Die fehlende Unterstützung

Alle oben genannten Punkte sind machbar, müssen ja auch bearbeitet werden. Doch Lehrpersonen alleine, denen darüber hinaus die Ausbildung in vielen Bereichen schlicht fehlt, können das nicht schaffen. Es braucht Sozialarbeiter:innen, Schulpsycholog:innen, Schulärzt:innen, Jugendcoaches, Muttersprachenlehrer:innen, Lehrer:innen zur Deutschförderung, zur Alphabetisierung, Supervision für Lehrer:innen, administrative Unterstützung an den Schulen. Und allem voran: eine bessere Durchmischung. Denn manche Probleme sind in ihrer Menge nicht bewältigbar, manche Konflikte spitzen sich zu, weil es zu viele verschiedene Konfliktherde gibt. Zu viele Belastungen. Irgendwann geht es nicht mehr.

Die Verantwortung – zu viel und zu wenig

Verantwortung hatte ich genug. Verantwortung für 25 Jugendliche und deren Lernerfolg, deren Zukunft, deren Wohlergehen. Und trotz all der Überforderung schlich sich manchmal auch ein Gefühl der Unterforderung ein. Wie kann ich mich beruflich weiterentwickeln? Welche Möglichkeiten habe ich, strukturell Verantwortung zu übernehmen? Macht es beruflich überhaupt einen Unterschied, wenn ich Fortbildungen absolviere? Natürlich kann ich immer weiterlernen, mich weiterentwickeln – und das ist super für mich persönlich und für meine Schüler_innen. Wer berufliche Aufstiegsmöglichkeiten sucht, ist falsch an der Schule. Wer nicht gleich Direktor_in werden möchte, hat keine anderen Möglichkeiten. Und selbst wenn ich zur kompetentesten Lehrperson des Landes werde, so bringt mir das im System nichts, was mich zum nächsten Punkt bringt:

Das Gehalt

Sicher, Lehrpersonen kurz vor der Pension verdienen super. Außerdem hat man viele Ferien und dadurch sicherlich einen höheren Stundenlohn. Trotzdem verdiene ich jetzt in einem Teilzeitjob so viel wie an der Schule in Vollzeit*. Am frustrierendsten aber fand ich: Meine Kollegin, die mit Ende 50 nur noch das Nötigste macht, verdiente das doppelte und dreifache von dem, was ich mit all meinem Einsatz und meiner Motivation verdiente. Konsequenzen gibt es dafür natürlich keine  – weder für meinen Einsatz noch für den Mangel an Einsatz bei meiner Kollegin. Und ich meine hier auch nicht nur finanziell. Es machte überhaupt keinen Unterschied in der Art und Weise, wie wir vom “System” gesehen wurden.

Das Prestige

Ja, hier kommt jetzt zum Schluss vielleicht noch ein bisschen mein Ego zu Wort. Wenn ich Bekannten erzählte, was ich mache, war die Antwort meist eine von zweien:

“Boah, arg. Das könnte ich nicht!”

oder

“Aha.”

Lehrer:in, das wird man doch nur wegen Juli und August. Dienstag Z’Mittag mach ich Schluss. Demgegenüber Horror-Stories aus den Wiener Mittelschulen. “Kulturkampf.” Nein. Keines von beiden. Ich will mich weder rechtfertigen müssen noch als einfältig abgestempelt werden, nur aufgrund eines Jobs.

Denn was ich hier alles nicht sage, ist, dass ich es auch vermisse. Nicht all das, was oben im Text steht, aber das, was jetzt kommt: Die Arbeit mit den Schüler_innen. Es gibt nichts Schöneres, als junge Menschen beim Erwachsenwerden zu begleiten. Zu sehen, wie mein Input ankommt, wie sie lernen, sich kritisch mit sich und ihrer Umwelt auseinanderzusetzen. Wie man zusammenwächst und so viel gemeinsam schafft. Wie viel ich in Diskussionen von meinen Schüler_innen lernen konnte. Wie oft ich stolz war auf sie. Wie unglaublich bereichernd der Zusammenhalt und die Zusammenarbeit mit Kolleg:innen sein kann. Schule ist ein eigener Mikrokosmos. Mit Herausforderungen, mit Höhen und Tiefen, mit wunderbaren Kindern und Jugendlichen. Und das vermisse ich auch. Also, liebe Politik, tut was, damit dieser Job auch wieder so geleistet und gelebt werden kann, wie er das verdient, wie sich das unsere Schüler_innen verdienen!

*Der Vollständigkeit halber sei hier erwähnt, dass sich das Lehrer:innendienstrecht mittlerweile geändert hat und das Einstiegsgehalt für neue Lehrpersonen nun etwas höher ist; die Gehaltskurve flacher. Da man das Dienstrecht allerdings nicht wechseln darf, bringt mir diese Neuerung leider nichts.

Die Autorin war mehrere Jahre Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.