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Im folgenden Text möchte ich über meine Erfahrung als Lehrende an der Sommerschule 2023 berichten. Die letzten beiden Wochen hinterlassen viele Eindrücke,  leider schwingt hauptsächlich die Realisierung mit, dass die Organisation und Administration des Projektes, sowie die unterstützende Begleitung von Lehramtstudierenden auf diesem Weg, komplett versagt hat.

Ich habe mit 1. September 2023, meinen Dienst im Rahmen der Sommerschule 2023 an einem Gymnasium im sechsten Bezirk beendet und schreibe aus Sicht einer Lehramtstudentin im Master, welche sich nach diesen zwei Wochen bezüglich der Organisation dieses Projekts deutlich vor den Kopf gestoßen fühlt. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass der Hintergedanke der Sommerschule ein richtiger ist und halte auch den gewonnenen Erfahrungswert für Student:innen für nutzbringend. Allerdings finde ich es gleichermaßen wichtig, mitzuteilen, welche Zumutung die Organisation und Administration der Sommerschule in meinem Fall (und dem meiner Kolleg:innen) war. Gerade angesichts des derzeitigen Lehrer:innenmangels ist es meines Erachtens mehr als kontraproduktiv für alle Beteiligten, besonders auch für die Schüler:innen, so eine Arbeitsweise an den Tag zu legen.

 Holpriger Start der Sommerschule

Schon2 Wochen bevor die Sommerschule startete, schrieb ich eine Mail an die Standortleitung, ob es möglich wäre, die Schule zu besichtigen und meine Gruppengröße wie auch die Schulstufe zu erfahren. Laut dem FAQ auf der Homepage des Bildungsministeriums sollte es schließlich auch vor dem offiziellen Start eine standortspezifische Konferenz geben. Letztendlich fand die erste Kommunikation erst am Samstag (19.8), zwei Tage vor dem Start, statt. Dabei wurde auch nicht auf nähere Fragen eingegangen, es wurde nur ein Rundmail an alle Unterrichtenden ausgeschickt, zwar mit einer Klassenliste, jedoch war daraus nicht ersichtlich, welche Schulstufe man bekommt. In der Mail wurde bedauert, dass man nicht auf Anfragen eingegangen ist, die Standortleitung sei die letzten Wochen auf Urlaub gewesen. Ich verstehe, dass man in den Sommermonaten zeitweise aufgrund von Urlaub unerreichbar ist, aber so lange und so knapp vor der Sommerschule sehe ich das nicht ein, vor allem wenn es sich nur um ein kurzes Mail zurück handelt, in dem es um essentielle Informationen geht.

Als wir schließlich am Montag in der Schule eintreffen, herrscht vollkommenes Chaos. Die Standortleitung händigt uns bloß die Schlüssel und ein Stück Kreide aus, führt uns aber nicht herum, gibt uns lediglich vage Beschreibungen, wo sich die Klassen befänden (als wären wir jemals vorher schon in dieser Schule gewesen). Zeit für Fragen gibt es keine mehr, beziehungsweise bekommen wir keine hilfreichen Antworten. Funktioniert der Beamer, das Internet? Das könne er uns nicht sagen, da „müsse man halt schauen, er sei die letzten Wochen auch nicht dagewesen“. Kann man irgendwo rausgehen, in den Hof oder den Turnsaal benutzen? Nein, die Schule würde gerade generalsaniert. Ich möchte an dieser Stelle erinnern, dass es in der ersten Woche durchschnittlich um die 35 Grad hatte. Man kann sich also vorstellen, wie schlimm dann die Atmosphäre in einer Klasse ist, in der die Jalousien teilweise kaputt sind und vorm Fenster Baustellenlärm herrscht. Ich frage mich, weshalb so ein Standort für die Sommerschule überhaupt ausgewählt wurde. 

Zurück zum ersten Schultag: Bald kommen Eltern und Schüler*innen herein, diese irren herum, wir können ihnen auch nicht helfen, weil wir selbst einmal unsere Klassen finden müssen. Die Klassenlisten beim Eingang werden in letzter Sekunde von der Standortleitung aufgehängt, wir könnten ja stattdessen Auskunft geben und die Kinder in ihre Klassen lotsen. Nachdem sich das Chaos langsam legt, bemerke ich, dass ich statt dem vorgegegbenen Maximum einer Schüler:innenanzahl von 15 Schüler:innen, 19 Kinder bei mir habe, wobei sich alle Klassenstufen in meiner Gruppe befinden. Ich möchte dabei betonen, dass ich mich im Laufe meiner Ausbildung mit Differenzierung heterogener Lerngruppen und Projektarbeit auseinander gesetzt habe und ich auch weiß, dass ich eine kompetente Lehrperson bin. Allerdings ist es eine Zumutung, projektorientierten Unterricht planen zu müssen, in dem auf individuelle Bedürfnisse eingegangen wird, wenn ich gleichzeitig 11- bis 14-jährige Lernende da sitzen habe und keinerlei Ressourcen zu Verfügung gestellt bekomme. 

Unterstützung seitens der Standortleitung

Laut der Homepage des Bildungsministeriums „unterstützt die Sommerschulleitung bei der Planung und Organisation der Sommerschule am Standort“. Leider haben meine Kolleg:innen und ich das überhaupt nicht so empfunden. Die Standortleitung ist entweder nicht imstande, unsere Fragen zu beantworten (beispielsweise wie der Beamer funktioniert: „das kann ich nicht sagen, da müssen Sie schauen“) oder ist nicht aufzufinden. Wir bekommen nie eine Telefonnummer, es gibt keinen Raum oder Zeit für interne Vernetzung. Beispielsweise wäre es sehr praktisch, bei den umherirrenden Eltern eine Ansprechperson weitergeben zu können, jedoch werden wir auch nicht informiert, wo sich der Zuständige befindet. Ich finde ihn selbst irgendwann einmal in der Bibliothek. Uns teilt er nicht mit, dass er sich dort befinden wird. Ich kümmere mich währenddessen darum, dass eine WhatsApp-Gruppe entsteht.

Die Standortleitung kommt nur vorbei, um Anwesenheitslisten einzusammeln oder mit dem Dienstvertrag, den ich auf der Stelle unterschreiben soll. Ich bekomme keine Zeit, ihn mir näher anzusehen. Von ihm kommen keine Informationen, erst auf Nachfrage, wie wir vorgehen sollen, wenn Schüler:innen beispielsweise nicht erscheinen, gibt es eine Antwort, jedoch scheint er sich hier selbst unklar. Die Kontaktdaten der Schüler:innen mitsamt Telefonnummern der Erziehungsberechtigten erhalten wir erst am 23.8. Auf Nachfrage, was wir tun sollen, wenn sich ein Kind verletzt, heißt es bloß, dass die Schüler:innen ja eh selbst ein Handy mithätten, wo sich die Nummern drin befänden. Hier möchte ich wissen, was ich dann machen soll, wenn in Ernstfall ein Kind bewusstlos ist und ich nicht weiß, wie ich das Handy entsperren kann. Weiters bekommen wir zwar Schlüssel bekommen, jedoch funktionieren diese erst ab 8:00 Uhr. Dies ist sehr kontraproduktiv, wenn man um 7:15 Uhr vor der Schule steht, die Klasse vorbereiten, kopieren oder auch die Toilette benützen möchte. 

Mangel an Ressourcen

Während der ersten Woche merke ich bald, dass ich aufgrund der verschiedenen Schulstufen in meiner Gruppe weitaus mehr Material benötigen werde, als ich mir vorgestellt habe. Natürlich könnte ich auch irgendwelche Arbeitsblätter aus dem Internet vorlegen, jedoch verdienen diese Kinder auch qualitätsvollen Unterricht. Außerdem versuche ich stets, sie bei dieser Hitze und dem Mangel an Ressourcen (Beamer funktioniert erst am dritten Tag, Kopierpapier ist immer wieder mal leer) zu motivieren. Ich beginne also, aus eigener Tasche Materialien zu besorgen. Laut Ihrer Homepage sind „Materialkosten, die zur Durchführung der Sommerschule anfallen, vom jeweiligen Schulerhalter zu tragen“. Das war bei uns natürlich nicht der Fall. Mir ist bewusst, dass es meine Entscheidung und Verantwortung ist, ob und zu welchem Preis ich Material besorge. Allerdings möchte ich aus oben genannten Gründen den Schüler:innen qualitätsvolle Förderung sowie ein abwechslungsreiches Programm anbieten. Leider konnte ich mir auch keine Ideen aus einer Begleitlehrveranstaltung holen, da ich mich bereits im Masterstudium befinde und daher seitens der Universität Wien nicht mehr an einer solchen teilnehmen durfte, diese sei nur für Bachelorstudierende gedacht.

Ich habe bereits 2020 im Rahmen der Sommerschule unterrichtet und es macht mich nach wie vor wütend, wie wenig Studierende auch in Bezug auf Materialien unterstützt werden. Wieso gibt es heuer nicht wieder einen Sozialtopf für zusätzliche Kosten in Kooperation mit der ÖH? Die Lebenserhaltungskosten sind für arbeitende Studierende sowieso schon eine Zumutung. Da läuft dieses Projekt bereits das dritte Jahr und noch immer gibt es keine Unterstützungsangebote bezüglich Material. Man lernt natürlich im Laufe der Ausbildung, wie man Stunden plant, aber wie bereits erwähnt, nicht in derart heterogenen Lerngruppen und mit dem Anspruch auf Projektunterricht – allerdings ohne jegliche Ressourcen. Wieso kann man nicht beispielsweise Studierenden während dieser zwei Wochen Zugriff auf digitale Schulbücher (Stichwort digi4school) geben? Davon würden doch auch die Schüler:innen selbst profitieren. So könnte man wenigsten schon mal sehen, mit welchem Stoff sie sich im vorherigen Semester auseinander gesetzt haben sollten. 

Das Chaos ist noch nicht zu Ende

Zu Beginn der zweiten Sommerschulwoche setzt sich das Chaos fort. Eltern sowie Schüler:innen überraschen uns zu Unterrichtende mit dem Anliegen die Gruppe zu wechseln. Manche möchten eine Woche beispielsweise Englisch besuchen, in der zweiten dann aber Mathematik. Wir hören zum ersten Mal etwas davon. Die Standortleitung ist nicht im Haus, der unterstützende Lehrer an der Schule beginnt selbst erst im September an diesem Standort zu unterrichten und hat noch nichts von der Wechselmöglichkeit gehört. Eine Mutter berichtet mir auch, dass sie der Bildungsdirektion bereits vor Beginn der Sommerschule drei Mails im Laufe des Sommers geschrieben habe, ob ein solcher Wechsel nach einer Woche möglich sei. Sie erhielt nie eine Antwort.

Abschließendes Resümee

Zu guter Letzt möchte ich noch einmal betonen, dass ich das Projekt Sommerschule grundsätzlich für sehr sinnvoll halte. Ich habe auch den Eindruck, dass meine Schüler:innen sich etwas mitnehmen und ihr Wissen aufbessern konnten sowie gerne gekommen sind. Allerdings liegt das daran, dass ich zu teilweise furchtbaren Arbeitsbedingungen mein Bestes gegeben habe um ein motivierendes und funktionierendes Programm zusammen zu stellen. Der Stundenlohn passt auch nicht mit dem Arbeitspensum zusammen, wenn ich mich mit so viel organisatorischen Malheurs herumschlagen muss und bis in die Nacht hinein Stunden plane, die 11- sowie gleichzeitig 14-jährige Schüler:innen anspricht. Ich arbeite gerne und scheue auch nicht vor Arbeit zurück, jedoch vergeht einem die Lust an diesem eigentlich sehr erfüllenden Beruf, wenn man in solch einer Art und Weise seitens der Administration behandelt wird. Darunter leiden alle Beteiligten. Am Ende auch die Schüler:innen.

Hier haben die organisierenden Instanzen gänzlich versagt und mir ist es ein Anliegen, darüber zu informieren, damit es die nachkommenden Studierenden und Schüler:innen vielleicht besser haben. Ich hatte eine tolle Zeit mit meinen Schüler:innen und habe viel gelernt, allerdings würde ich unter solchen Bedingungen nie wieder an der Sommerschule teilnehmen und auch anderen davon abraten. Man sollte überdenken, welche Personen als Standortleitung eingestellt sowie welche Standorte ausgesucht werden und wie man Studierende besonders bezüglich des Materials unterstützen könnte. Es braucht eine bessere Kommunikation und Organisation, das schuldet man allen Beteiligten.

Die Autorin ist Studentin und war Lehrende an einer Sommerschule in Wien 

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Das Ende des Schuljahres ist nahe. Das erkennen wir zum einen daran, dass wir alle, Schüler:innen und Kolleg:innen, schon ein bisschen ausgelaugt sind. Zum anderen daran, dass wieder vermehrt Lehrausgänge gemacht werden. Ich persönlich finde das perfekt, weil Schule viel mehr als nur in der Klasse sitzen und lernen ist. Die Kinder und Jugendlichen kommen endlich aus ihrer vertrauten Hood raus. Lernen Wien und die Umgebung kennen. Stellen fest, dass Niederösterreich gar nicht so weit weg von Wien ist. Dass sie auch mitten in Wien in den Wald gehen können. Dass ein Museumsbesuch zwar langweilig klingt, aber gar nicht so übel ist. Allerdings hat die Sache in meinen Augen einen Haken.

Bitte geben Sie ihrem Kind 30 Euro mit!

Die Aufforderung stand in einer Klasse an der Tafel. Ein Ausflug nach Krems soll stattfinden, ganz traditionell mit dem Schiff und der Bahn. In Schoolfox wird diese Botschaft noch mit dem Hinweis ergänzt, dass es sich um Pflichtveranstaltung handelt. Wer an diesem Tag fehlt, muss eine ärztliche Bestätigung vorlegen.

Mir verschlägt es mal kurz die Sprache. Zusätzlich zu dem besagten Ausflug muss die Klassenfahrt im Juni bezahlt werden und in Biologie noch der Eintritt ins Haus des Meeres an die Kollegin abgeliefert werden.

In Zeiten der Inflation und der zunehmenden Verarmung der Mittelschicht erscheinen mir diese Beträge utopisch. Meine Sprache finde ich bald wieder, aber der Gedanke, dass manche Kolleg:innen kaum Bodenhaftung besitzen, will nicht aus meinem Kopf raus. Wie abgehoben muss jemand sein, der genau in diesen Zeiten teure Ausflüge und Exkursionen plant?

Prekäre Verhältnisse

Das Problem, dass dauernd Geld von den Eltern eingefordert wird, gibt es nicht seit diesem Jahr. Der ohnehin teure Schulstart wird noch teurer, weil Geld in die Klassenkasse eingezahlt werden muss. Weil die Klasse dann noch das JÖ-Heft und andere scheinbar unentbehrliche Dinge braucht. Zu den 20 Euro für das  besagte Heft wird den Eltern noch eine freiwillige Spende an das Jugendrotkreuz verordnet. Ja, die Inhalte sind informativ, aber ist es nicht auch so, dass im Internet ganz umsonst Begleitmaterial zum Unterricht gefunden werden kann? Ist es nicht auch so, dass unsere Eltern eher Spenden brauchen würden? Unsere Schüler:innen wachsen größtenteils in prekären Verhältnissen auf. Ein oder zwei Euro für einen wohltätigen Verein mögen uns Lehrer:innen wenig erscheinen. Für manche Familien ist das das Geld für zwei Laib Brot. 

Geh bitte! Die haben genug Geld

Wenn ich jedes Mal, wenn ich diesen Satz höre, 50 Cent von den Kolleg:innen verlangte, dann hätte ich meine Urlaubskasse schon gut aufgepeppt. Ähnlich verhält es sich mit Aussagen wie:

Geh bitte! Die teuren Sportschuhe trägt er oder sie aber auch.

Geh bitte! XY hat schon wieder ein neues Handy.

Geh bitte! Der hat jeden Tag eine Jause vom Supermarkt.

Und wie immer, schon fast gebetsmühlenartig, antworte ich, dass Schuhe und Handy gesellschaftliche Teilhabe bedeuten. Dass ich mir ganz sicher bin, dass die tägliche Jause aus dem Supermarkt nicht so exklusiv ist, wie es scheint. Eine trockene Semmel und eine Dose Aufstrich, die vielleicht auch von zuhause kommt, stellen keine Beweise für versteckten Reichtum dar. Mir ist auch bekannt, dass die meisten unserer Kinder und Jugendlichen genau ein Paar Schuhe haben, Sommer wie Winter, und diese tragen, bis sie ihnen vom Leib fallen. Zusätzlich habe ich die Information, dass viele ihre Schuhe auf Secondhand-Plattformen kaufen. Weil eines wollen sie gar nicht: arm aussehen. Mal abgesehen davon, dass wir immer noch  Schüler:innen haben, die weder Handy noch Markenkleidung besitzen.

Wer sich das nicht leisten kann

Das Tüpfelchen auf dem I sind dann jene Kolleg:innen, die vor der Klasse denen, die sich das nicht leisten können, Unterstützung anbieten. Die wundern sich dann noch, weil sich niemand auf dieses Angebot hin meldet. Ich bin selbst in prekären Verhältnissen groß geworden. Nie im Leben hätte ich mich vor der ganzen Klasse geoutet. Nein, das ist kein gut gemeintes Angebot, sondern der absolute Mangel an Empathie. Und zur Sache mit der ärztlichen Bestätigung fällt mir noch ein, dass ich mir die beim Arzt erkämpfen würde, sollte ich in der prekären Lage unserer Eltern sein. 

Auch nicht viel besser war die Aussage eines Kollegen, der meinte, dass die Schüler:innen, die noch keinen Eintritt wofür auch immer bezahlt haben, dann eben die Ausstellung nicht besuchen können.  Dass sie im Foyer einen Arbeitsauftrag erfüllen müssten. Wie jetzt? Bestrafen wir jetzt schon Kinder und Jugendliche, weil sich die Eltern 9 Euro nicht leisten können?

Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen (Erich Kästner)

Wenn ohnehin schon bekannt ist, dass viele Familien finanzielle Probleme haben, warum findet nicht endlich ein Umdenken statt? In Wien ist die Liste der Museen, in denen alle Menschen bis 18 gratis hineinkommen, lang. Muss es dann wirklich noch eine Führung um sechs Euro geben? Oder könnte sich die Lehrperson nicht an einem Wochenende vorbereiten und selbst zur Ausstellung etwas erzählen? Muss es besonders in Zeiten des Klimawandels wirklich der Bus sein, der alle von A nach B bringt? Ist es wirklich dringend notwendig, in das teure Haus des Meeres zu gehen?

Dazu könnten sich die Kolleg:innen auch ein bisschen umhören. So gibt es im Dschungel-Theater die Kulturpatenschaften. Vor dem Besuch einer Vorstellung haben Kolleg:innen die Möglichkeit bekannt zu geben, wie viel eine Klasse bezahlen könnte. Alles ganz unbürokratisch, einfach weil die Leitung des Theaters der Meinung ist, dass junge Menschen ein Anrecht auf Kultur haben.

Sind Klassenfahrten in Zeiten der Inflation wirklich notwendig? Würde nicht eine Projektwoche in Wien und Umgebung mit kostenlosen Tagesausflügen genauso gut für das Klassengefüge sein? Besonders auch unter dem Aspekt, dass unsere Schüler:innen selten Einzelkinder sind.

Falsche Umverteilung

So toll es ist, wenn Klassen für die ganze Schule ein Buffet anbieten um ihre Klassenfahrt finanzieren zu können, wäre auch in dieser Situation Nachdenken angebracht. Denn letztendlich wird dann eine Klassenfahrt von all jenen Schüler:innen mitfinanziert, die beim Buffett einkaufen. Oder die Eltern, die das Geld für sich bräuchten, backen Kuchen, um den Nachwuchs nicht in Schwierigkeiten zu bringen. Streng genommen ist dieser Ansatz der Finanzierung gut gemeint, aber nicht durchdacht. 

Aber müssen wir auf alles verzichten?

Auf der anderen Seite sind Klassenfahrten, besonders ins oft unerschwingliche Ausland, eine unglaubliche Möglichkeit für unsere Kinder, das Meer mal von der Urlaubsseite aus zu betrachten. Selfies am Strand, dem Modesport SUPping einen Begriff zuordnen, andere Kinder kennenlernen und andere Sprachen hören als die in der Schule. Wen nehmen wir hier in die Verantwortung? Wie schaffen wir den Spagat zwischen gesellschaftlicher Teilhabe und gerechter Finanzierung? Ja, es gibt Angebote zur Unterstützung. Viele unserer Kinder können diese aber entweder wegen sprachlichen Barrieren nicht beantragen oder aber haben sie einfach nicht den Status, um die erforderlichen Dokumente nachzuweisen. 

Doch an was erinnern wir uns wirklich aus unserer Schulzeit? Meistens doch an die Ausflüge, an das Andere, an die Abenteuer, die nicht im Klassenzimmer stattgefunden haben. Wir brauchen also eine niederschwellige und schnelle Unterstützung für Aktivitäten dieser Art, damit die Kinder aus sozialschwachen Familien nicht auch noch hier benachteiligt werden. 

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

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Die Evaluierung 

Vor fast zwei Monaten fand in der Arbeiterkammer Wien die offizielle Präsentation der Evaluierung der Deutschförderklassen statt. Es wurde erhoben, wie sich das Modell bis jetzt bewährt hat. Das Ergebnis ist wenig überraschend. Das System, so wie es zurzeit besteht, bringt nicht die erwarteten Ergebnisse.

Der Blick zurück

98 % Prozent der Schulleiter:innen und 91 % der Sprachförderlehrer:innen sehen Optimierungsbedarf*. Das System erlaubt wenig Freiheiten im Umgang mit den Schüler:innen. Zum Einstieg in die Klasse erfolgt die Sprachstandserhebung mittels MIKA-D-Test. Dann die Zuteilung in die Deutschförderklasse. Nach einem halben Jahr wird erneut getestet. Wenn der Sprachstand, wenig überraschend, ungenügend ist, dann folgt ein weiteres halbes Jahr in einer Extra-Klasse bis zur nächsten Testung. Dazwischen gibt es nicht viel. Mal abgesehen davon, dass das Messinstrument an sich einer grundlegenden Überholung bedarf. Die Klassen sind mancherorts viel zu groß, der Pool an Kolleg:innen, die berechtigt sind in diesen zu unterrichten, zu klein. Bis heute gibt es keine Klassenschüler:innenhöchstzahl. An manchen Standorten, vornehmlich in Wien, sitzen bis zu zwanzig Schüler:innen in einer dieser Klassen.  Selbst begnadete Pädagog:innen haben einem solchen Setting kaum eine Chance die erwarteten Erfolge zu liefern. Dazu gibt es eine Vielzahl an Schüler:innen, die im Alter von vierzehn oder dreizehn Jahren nach Österreich kommen. Die, bis der Spracherwerb vielleicht abgeschlossen ist, im zehnten oder elften Schuljahr sind. Denn der Verbleib von nur neun Stunden in den Stammklassen gewährt keinen Zugang zum Regelunterricht. Die achte Schulstufe muss im schlechtesten Fall drei Mal wiederholt werden, sollte ein elftes Schuljahr gewährt werden. Das folgt keiner Logik sondern einer persönlichen Einschätzung, die wiederum stark an das Verhalten der Schüler:innen anknüpft. Nicht jedem fällt es leicht in einer Klasse mit Kolleg:innen zu sitzen, die drei Jahre jünger sind. Die Aussicht auf einen positiven Schulabschluss ist gering.

Das System ist nicht flexibel. Von den Kolleg:innen, die in der Deutschförderklasse unterrichten, wird das aber im hohen Maß verlangt. Nach mehr als vier Jahren Erfahrungen mit diesen Klassen weiß ich, dass sich die Schüler:innenzahl innerhalb weniger Tage ändern kann und damit das gesamte Setting. Wir haben schon oft erlebt, dass endliche alle die Basics des Schulbetriebs kannten und genau zu diesem Zeitpunkt uns zwei neue Schüler:innen zugeteilt wurden.

Was in den Deutschförderklassen auch fehlt ist muttersprachliches Unterstützungspersonal in Form von Psychagog:innen, Beratungslehrer:innen und Schulsozialarbeiter:innen. Wir wissen nicht mit welchen Blessuren die Kinder und Jugendlichen zu uns gekommen sind. Wir haben mit wenig Ausnahmen keine Ahnung von Flucht und Krieg. Und es ist eine Farce zu verlangen, dass große Dankbarkeit und Anpassung von Seiten der Schüler:innen zu erfolgen haben. Ehrlich, wäre ich ein Mädchen, das gar nicht in dieser Schule sein möchte; wäre ich ein Kind, das auf der Flucht hungern musste; wäre ich ein Teenager, der viele Nächte immer wieder in einen Keller flüchten musste, wäre das letzte Gefühl, das in mir hoch käme, dass ich dankbar sein muss. Und ich hätte auch keinen Kopf vier Stunden am Tag Grammatik abzuspeichern. Ich würde wahrscheinlich nur auf meinem Sessel sitzen und warten, dass der Tag vergeht. Dass ich nach Hause komme und die Sicherheit habe, dass meine Eltern noch am Leben sind. Aber das darf alles in diesem System nicht sein. In zwei Jahren muss die Sprache beherrscht werden, der Rest ist „Nebensache“.

Woran es auch fehlt? Es gibt tatsächlich Kolleg:innen, die immer noch nicht bereit sind, für diese Kinder und Jugendlichen Empathie zu entwickeln. Denen müssen wir nämlich jedes Jahr vom Neuen erklären, dass jedes Kind ein Recht auf eigene Schulbücher habe, unabhängig von der Zeit, die es in der Klasse verbringt. Es sollte selbstverständlich sein, dass alle Kinder der Klasse an einem Ausflug oder einem Projekttag teilnehmen. Und schon gar nicht okay ist, die Schüler:innen auf ihre Herkunft oder auf ihre Religion zu reduzieren. Im „normalen Klassenverband“ kann das schon auch passieren. Aber viel leichter ist es natürlich Schüler:innen auszugrenzen, die ohnehin durch das System segregiert wurden. Es muss endlich eine Sensibilisierung dieser Kolleg:innen erfolgen.

Der Ausblick

So, nun weiß man also, dass dieses System nicht die erwarteten Ergebnisse bringt. Welche Lehren werden daraus gezogen? Kaum welche.

Die Deutschförderklassen werden bestehen bleiben. Sie haben sich zwar nicht bewährt, aber das ist allem Anschein nach egal. Schließlich handelt es sich um ein Prestigeprojekt der damaligen schwarz-blauen Regierung. Schule ist also ein Politikum. Kinder und Jugendliche spielen in diesem Zusammenhang eine untergeordnete Rolle. Wie so oft geht es in der Schule nicht um sie.

Es gibt Zugeständnisse von Seiten des Bildungsministeriums. So hat man finanzielle Ressourcen freigeschalten, um zum Beispiel die Betreuung durch mehr Kolleg:innen gewährleisten zu können. Dieses Angebot liest sich in Zeiten des akuten Personalmangels wie ein schlechter Witz. Eine Schulleiter:in kann nicht irgendwelche Kolleg:innen zum Unterricht in die Deutschförderklasse einteilen. Theoretisch ist es gar nicht erlaubt, dass ohne DAF/DAZ- Ausbildung in diesen Klassen unterrichtet wird. In der Praxis sieht es allerdings anders aus, denn es gibt viel zu wenige Kolleg:innen mit diesem Studium. Daher können alle in die DKL eingeteilt werden. Die Vermittlung einer neuen Sprache erfordert didaktische Höchstleistungen. Wenn jemand das nicht beherrscht, wird es problematisch. Außerdem brauchen wir in diesem Zusammenhang Kolleg:innen, die empathisch genug sind zu verstehen, was es heißt keine Heimat mehr zu haben. Was sich also ändern wird? Nichts, so einfach ist das.

Vor langer Zeit habe ich hier mal einen Beitrag geschrieben, in dem ich den Verdacht geäußert habe, es soll Menschen, die in Österreich Arbeit oder Schutz oder beides suchen, nicht zu gemütlich gemacht werden. Ich sehe das nach wie vor so.

Eine mögliche Zukunft, die immer mehr zur Utopie wird

Nach der Bekanntgabe der Evaluierungsergebnisse fand eine Podiumsdiskussion statt. Was klar zur Sprache kam, wäre ein möglicher Lösungsweg. Es ist an der Zeit, dass wir uns von dem monolingualen Schulsystem verabschieden. Gerade im urbanen Raum ist Mehrsprachigkeit stark vorhanden. Nein, es handelt sich nicht um einen Makel, sondern um ein Geschenk. Wir haben Kinder und Jugendliche an der Schule, die drei oder vier Sprachen sprechen. Auch diese, die noch nicht lange in Österreich leben, beherrschen zumeist mehr als eine Sprache. Aber anstatt dem Rechnung zu tragen, reduzieren die Behörden sie auf die fehlende Sprachkompetenz in der Unterrichtssprache Deutsch. Gerade im urbanen Raum könnte man mit einem Umdenken Neues und Großartiges schaffen.  

Quelle: https://www.lv-wien.at/downloads/Quo vadis Deutschförderklassen-kurse.pdf

Maria Lodjn, Lehrerin an einer MS in Wien

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Ein Schüler, nennen wir ihn Julian, rastet kurz nach dem Beginn der Stunde aus. Es ist die letzte Woche vor den Weihnachtsferien. Am nächsten Tag steht ein Besuch des Weihnachtsmarkts an. Julian wird von diesem Ausflug ausgeschlossen und muss in der Schule bleiben. Muss schreiben, lesen und lernen, während die anderen Spaß haben. Muss!

Klasse 2e kommt heute nicht zur Ruhe, dem Lärmpegel ist nicht wirklich beizukommen. Kaum ist in der einen Ecke die Konzentration hergestellt, geht es in den vorderen Reihen los. Irgendwann reißt der Kollegin der Geduldsfaden. Den Schüler:innen wird die Kunststunde gestrichen. Statt malen müssen eine Doppelstunde lang die Lebensläufe von Picasso und Flora geschrieben werden. Sie müssen schreiben.

Sebastian und zwei andere Schüler:innen vergessen immer wieder ihre Sportsachen. Anstatt mitzuturnen, müssen sie die Schulordnung schreiben. Sie müssen schreiben!

Dann gibt es noch Valerija und Iris, die sich in der Pause nicht benommen haben. Die Konsequenz daraus ist, dass sie ein Gedicht auswendig lernen müssen. Sie müssen auswendig lernen.

Echt jetzt?

Die oben angeführten Beispiele könnte ich beliebig fortsetzen. Was sie alle eint? Dass wir in der Schule Kinder und Jugendliche mit Tätigkeiten bestrafen, die mit Schule und Lernen zu tun haben. Dass Fehlverhalten mit Abschreiben, doppelt so viel Hausübung, absagen der Sportstunde geahndet werden. Dass wir Schüler:innen alles streichen, was Spaß macht. Übrig bleibt der normale Unterricht im frontalen Setting und die Botschaft, dass Lernen eben keinen Spaß macht. Dass Schreiben und Auswendiglernen keine kreativen Prozesse sind, sondern ein Erziehungsmittel. Dass Hausübungen keine Übung sind, sondern die Möglichkeit Schüler:innen die Freizeit zu versalzen. Dass in der Schule bleiben müssen, eine Strafe ist.

Ja, auch ich habe mich im Zuge meiner fast 30-jährigen Lehrerinnentätigkeit dieser Mittel bedient. Habe meinen Klassen Lehrausgänge gestrichen und sie zum in der Schule bleiben verdonnert. Habe statt Malen und Zeichnen Kunstgeschichte gemacht. Okay, die Nummer mit der Schulordnung statt der Bewegung, habe ich ausgelassen. Weil mir lieber ist, die Kinder und Jugendlichen bewegen sich in ihrem Alltagsgewand als gar nicht.

Wie schräg diese unterschiedlichen Facetten der Bestrafung sind, fällt mir erst in den letzten Monaten vermehrt auf. Wir machen uns selbst das Leben schwer.

Also muss der Lehrer die Möglichkeit haben, Strafen auszuteilen

„Die Unterrichtszeit soll dazu genutzt werden, den Stoff durchzugehen.
Für Diskussionen ist da keine Zeit. Also muss der Lehrer die Möglichkeit haben, Strafen auszuteilen damit das Kind den Unterricht nicht weiter stört.“ (Leser:innenzitat Der Standard)

Zitate wie dieses lese ich immer wieder. Auch solche, in denen bitter geklagt wird, dass den Lehrer:innen im Jahr 2023 die Hände gebunden sind. Früher, ja da war alles besser. Da hat die Lehrperson ein Machtwort gesprochen und alle waren ruhig.

Mein Volksschullehrer hat nicht nur Machtwörter gesprochen, sondern auch gehandelt. Als meine Finger voll mit blauer Tinte waren, schickte er mich nicht Hände waschen, sondern machte mich vor der ganzen Klassen lächerlich. Danach stand ich in der Ecke mit immer noch blauen Fingern. Wiederholt wurde er handgreiflich, zog und zerrte Kinder von A nach B. Auch die eine oder andere Ohrfeige gab es. Keine gebundenen, sondern schlagende Hände.

Ist dieses Früher gemeint? Ich hoffe nicht!

Mir ist klar, dass Regelbrüche Konsequenzen haben müssen. Es geht nicht, dass ein Schüler eine Klasse terrorisiert. Es ist nicht okay, wenn statt einem gesunden Arbeitslärm, Chaos herrscht. Ja! Kinder und Jugendliche wollen und brauchen Grenzen. Nur wie sollen wir es anstellen?

„Das ist doch keine Strafe, sondern eine wunderbare Gelegenheit!“

Das erklärt der Rabe Abraxas der kleinen Hexe in dem gleichnamigen Film, als diese bis zur nächsten Walpurgisnacht alle Hexensprüche auswendig lernen muss. Wenn wir Strafen oder Konsequenzen in der üblichen Art austeilen oder setzen, dann versperren wir den Schüler:innen sämtliche Gelegenheiten, die freudvolles und lustbetontes Lernen bieten.

Pablo Picasso und Paul Flora sind wunderbare Künstler, die sich mehr als negative Aufmerksamkeit verdient haben. Kunstgeschichte ist kein Trauerspiel, sondern ein wichtiger Beitrag zur Bildung.

Aber ich warne an dieser Stelle davor, Kinder und Jugendliche sämtliche Konsequenzen als super Gelegenheit zu mehr Bildung zu verkaufen. Die sind zum Glück nämlich nicht dumm und durchschauen diesen Schwindel innerhalb kürzester Zeit. Ich glaube, wir müssen weg von dieser Art der Straf-Kultur.

Aber was tue ich, wenn?

Vielleicht sollten wir mal unterscheiden lernen, welches Verhalten tatsächlich dringend Konsequenzen braucht und welches eigentlich nur unsere persönlichen Befindlichkeiten stören. Bei ersterem es ist mE leicht, diese zu definieren. Grobe Verstöße wie Gewalt, Mobbing oder andere kriminelle Straftaten müssen mit Hilfe von Expert:innen besprochen werden. Konsequenzen setzt da im Übrigen das Strafgesetzbuch. Ich bin mir dessen bewusst, dass eine Meldung solcher Straftaten schwere Folgen für Kinder und Jugendliche haben kann. Aber in diesem Fall nicht zu reagieren, finde ich persönlich fatal. Weil ich Gewaltausbrüche als Hilfeschreie sehe. Hilfe, die ich aber nicht geben kann. Das sehe ich nicht als ein Zeichen von Hilflosigkeit, sondern viel mehr als eine Sache, die meine Kompetenz übersteigt. Ob dann der Lehrausgang mitgemacht werden darf oder nicht, steht nicht zu Debatte. Wenn wir die Ressourcen hätten, dann würde ich in diesem Fall eher eine zusätzliche Lehrperson mitnehmen, die hauptsächlich für XY zuständig ist. Er oder sie darf sich nicht mit Freund:innen auf dem Weihnachtsmarkt bewegen, sondern nur in Begleitung der Lehrer:innen. Mit der Erklärung, dass es zurzeit keine Vertrauensbasis gibt.

Unter Befindlichkeiten verstehe ich Dinge, die mich persönlich stören. Dass die sich nicht immer mit denen meiner Kolleg:innen decken, ist mir bewusst. Daher ist schwer, eine einheitliche Lösung zu finden. Nicht einmal ich selbst reagiere immer gleich. Klar, meine Schüler:innen beschweren sich dann, aber so lange ich erklären kann, warum ich welche Konsequenzen setze, habe ich auch damit kein Problem.

Statt Ausflüge zu streichen, würde ich Inhalte oder Lernstoff mal beiseitelassen und mit einer Klasse, die nicht zu beruhigen ist, eine Woche lang nach draußen gehen, in den Wald oder einfach ins Freie. Eine Woche mit viel Gehen, Bewegung und frischer Luft, unabhängig von der Jahreszeit. Mit Hilfe von Expert:innen würde ich so arbeiten, dass wieder Unterricht für alle möglich ist. Dafür fehlt uns Lehrer:innen der Handlungsspielraum, aber nicht um grausam und hart zu bestrafen.

Strafen und ihr Einfluss auf das Klassenklima

Es ist bis heute nicht bewiesen, dass in Klassen, in denen eine härtere Strafkultur vorherrscht, das Klassenklima besser ist oder der Unterricht größere Erfolge erzielt. Im Gegenteil: dort  wo hart bestraft wird, die Lehrpersonen keine Widerrede dulden, wird Mobbing und versteckter Gewalt Tür und Tor geöffnet. Die Lehrer:innen bekommen das oft nicht mit, weil in den Stunden ja die Disziplin passt. Was Schüler:innen in diesem Setting lernen ist, dass sie machen können, was sie wollen, Hauptsache es wird von den Erwachsenen nicht bemerkt. An diese wenden sich die meisten Mobbingopfer auch nicht, weil sie Angst haben. Und das wiederum spielt den Täter:innen in die Hände. Dass ein Klima der Angst keine lernfreundliche Umgebung ist, muss ich nicht näher ausführen, weil es längst bewiesen ist.

Als Ausklang gewähre ich Einblick in das Schulunterrichtsgesetz, wo genau festgelegt ist, was Lehrer:innen dürfen oder nicht. 

Im Schulunterrichtsgesetz ist klar geregelt, welche „Strafen“ Lehrer*innen verteilen dürfen. Verboten sind jede Art von körperlicher Züchtigung, also Gewalt, Handgreiflichkeiten, aber auch Beleidigungen oder Strafen an der ganzen Klasse. Es darf also z. B. nicht die ganze Klasse bestraft werden, wenn „der*die Schuldige“ nicht gefunden wurde.

Wer möchte kann das als kleinen Reminder an sich selbst sehen und vor der nächsten Bestrafung kurz innehalten. Um dann in weiterer Konsequenz darüber nachzudenken, ob sich um eine Befindlichkeit oder ein echtes Problem handelt.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

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Passierschein A38

Es klingelt. Um mich herum hasten Kolleg:innen zurück in die Klassen, noch schnell ein illegaler Schluck aus der Cola Zero Flasche genommen – immerhin sind wir Vorbilder- und weiter geht’s. 

Als ich den Klassenraum betrete, finde ich einen einsamen Haufen an Jugendlichen vor, der Rest dürfte noch irgendwo in den unendlichen Weiten des Ganges verloren sein, bevor sie dann mit fünfminütiger Verspätung endlich den Weg zurück in die Klasse finden. Ich möchte gerne starten, aber leider bin ich anscheinend die einzige Person in diesem Raum, die das im Sinn hat. Die meisten Schüler:innen sitzen noch auf Plätzen, die nicht ihnen zugeteilt wurden, in der Hoffnung, dass ich es nicht merke und sie neben ihrem „Bro“ sitzen bleiben können. Sehr zum Verdruss merke ich es aber doch und schicke sie zurück. Während ich auf Ruhe warte, kommt von hinten plötzlich ein Papierknäuel geflogen und landet neben mir auf dem Boden. Großes Gelächter folgt, denn das Ziel war eigentlich der Papierkorb drei Meter neben mir. 

„Kannst du nicht zielen, Alter?“, ruft es von ganz hinten.

„Der schießt wie Mädchen!“, ertönt es von links vorne. 

„He, hast du was gegen Mädchen?“, schaltet sich nun auch die weibliche Fraktion ein. 

„Ihh, er hat gefurzt!“, schrillt es von der Mitte. 

Sofort eilt ein Schüler zum Fenster und reißt dieses auf, streckt kurz den Kopf hinaus und holt theatralisch Luft. Einige Zeit vergeht bis er endlich meinen Aufforderungen folgt und sich wieder hinsetzt. 

Ich setze mich auf den Lehrertisch und warte immer noch, dass Ruhe einkehrt. Endlich begreifen auch die letzten, dass ich gerne mit dem Unterricht starten würde und hören auf miteinander zu reden, als plötzlich, wie aus dem Nichts, das Unvorstellbare passiert. 

„Oh Gott!“, schreit es hysterisch vom Fenster. Kinder springen auf, rennen durcheinander, fuchteln wild mit den Armen. Eine Biene hat die Bühne des Klassenraums betreten. All mein gutes Zureden von wegen, bleibt ruhig, dann passiert nichts, eine Biene stirbt, wenn sie einmal sticht und hat kein Interesse daran, außer sie hat Todesangst, wird geflissentlich ignoriert. Endlich – nach gefühlt Stunden – erbarmt sich die Biene, lässt uns alle am Leben und verzieht sich wieder nach draußen. 

Zwanzig Minuten sind vergangen, als endlich alle leise auf ihren Plätzen sitzen und mich erwartungsvoll anschauen. Na gut, anschauen, die Hälfte starrt auf ihre unter dem Tisch versteckten Handys, aber wenigstens ein Teil blickt zu mir und wartet. Ich selbst bin nach diesen 20 Minuten schon etwas erschöpft, denn der Weg zu dieser Stille war kein leichter. 

Ich denke an ein Lied „Dieser Weg, wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer“ und seufze, ja steinig ist es hier auf alle Fälle. 

Ich teile den Kindern ein Arbeitsblatt aus, es geht um Kinderrechte und sie sollen die einzelnen Artikel daraufhin leise für sich lesen. Während das mit dem „Leise lesen“ nicht ganz so perfekt funktioniert, wie ich es mir gewünscht hätte, schweifen meine Gedanken ab. 

Ich erinnere mich daran, als ich genau dieses Thema damals in meiner Schulpraxisklasse machen sollte. Was war das für eine traumhafte Stunde, was war ich motiviert. 25 Augenpaare strahlten mich begeistert an, warteten nur darauf, dass ich ihre Köpfe mit Wissen überschütten würde. Stundenlang hatte ich diese eine Unterrichtseinheit geplant und mich darauf vorbereitet und freute mich auf angeregte Diskussionen und Erfahrungsaustausch mit den Jugendlichen. Alles klappte wunderbar und danach verließ ich fröhlich summend das Schulgebäude und freut mich schon darauf, endlich mit dem Studium fertig zu sein und unterrichten zu können. 

Jetzt saß ich da und fragte mich, was zur Hölle ich hier eigentlich tat. Hier waren 22 Kinder vor mir, die mich tagtäglich an den Rand des Wahnsinns trieben. Regeln? Ja, sind gut, aber muss man sich nicht unbedingt daran halten. Neues Lernen? Ja, auch das wird irgendwie von uns Lehrpersonen überbewertet, bockt einfach total nicht. Hausübungen machen? Na wo kommen wir da denn hin, immerhin haben die Jugendlichen von heute Wichtigeres zu tun, dringende Termine und so. 

Was zur Hölle war mit meinem Traum des Unterrichtens passiert und wo waren all die lieben, leuchtenden Augen meiner Praxisklasse hin verschwunden, die doch so gerne etwas lernen wollten?

Hier starren mich gerade eher genervte und gelangweilte Augen an. Viele davon starren auch nicht mich an, geht ja auch schwer, wenn man gerade nebenbei auf Tiktok hängt. 

„Kann ich Klo?“ „War doch gerade erst Pause!“ „Frau Lehra, da musste ich andere Sachen machen!“ Alles klar, wie konnte ich auch denken, dass man in der Pause Zeit hat, um in Ruhe die Toilette aufzusuchen. Während A also zur Tür hinaus verschwindet, steht V auf. „Was machst du?“ „Wasser!“ „Kannst du nicht bis zur Pause warten?“

„Man, Frau Lehraaaa, ich verdurste.“ 

Während ich V zugestehe, sich vor dem sicheren Tod durch Verdursten zu bewahren, schießen sich E und F hinten in der letzten Reihe gegenseitig mit Kugelschreibern ab. 

„Genug jetzt!“, sage ich etwas lauter, während hinter mir beim Wasserhahn ein lautes Schlürfen erklingt. Allgemeines Gelächter folgt darauf. 

Genervt rolle ich mit den Augen und sage: „Bei euch ist es wie bei Asterix und Obelix im Haus, das Verrückte macht, mir fehlt nur der Passierschein um weiterzukommen!“ 

„Was für ein Pissschein?“ 

Jetzt werden sie doch neugierig und wollen wissen, was es mit Asterix und Obelix auf sich hat. 

Ich erkläre kurz und nun wenden wir uns dann doch gemeinsam den Kinderrechten zu. 

„Jedes Kind hat das Recht auf Schutz vor Gewalt.“ steht da und ein allgemeines Raunen geht durch die Menge. „Wenn Vater sauer ist, ist er halt sauer, kann man nix machen!“, ruft A von hinten. 

Ich versuche ruhig zu erklären, dass niemand – auch nicht Eltern – das Recht haben, Kinder zu schlagen, aber das wollen sie so leicht nicht gelten lassen. 

„Ach, bisschen Schlag tut nichts, tut mir gar nicht weh!“, meint A., doch seine Augen sagen etwas Anderes. „Ja genau, Watsche ist bei uns ganz normal, ist bei Ausländern so!“ „Meine Mutter schießt immer mit Patschen, wenn sie sauer ist!“ 

Nach und nach tauschen die Kinder ihre Erfahrungen aus und man merkt, dass die meisten schon mit Gewalt innerhalb der Familie zu tun hatten. 

Wir besprechen die verschiedenen Formen von Gewalt und was das mit einem macht, als es zur Pause läutet. Wildes Durcheinander, die meisten stürmen auf den Gang, sicher nicht, um die Toilette zu besuchen, sondern um andere Sachen zu machen, wichtigere Sachen. 

Am Gang angekommen, landet eine Flasche vor meinen Füßen. „Ups Frau Lehra, sorry, du musst doch fangen!“ Ich hebe die Eisteeflasche auf und runzle die Stirn. „Jaja, ich weiß, ist verboten, aber ist für dich!“ 

Ich rufe meinem Schüler noch ein Danke nach, lasse die illegale Eisteeflasche schnell in meinem Rucksack verschwinden und mache mich auf den Weg zum Lehrer:innenzimmer. 

Auf dem Weg dorthin, fängt mich eine Schülerin ab und sagt leise: „Frau Lehrerin, war eine gute Stunde. Können wir bitte noch einmal über das Thema reden? Hat mir gefallen.“ Ein bisschen perplex nicke ich und gehe weiter. 

Ich denke wieder an das Lied. Nein, dieser Weg wird nicht leicht sein, aber vielleicht lohnt er sich ja doch! Auch in einem Irrenhaus kann es schöne Momente geben, Momente, in denen die Augen leuchten, in denen man zusammen weiterkommt und vielleicht sind es genau diese kleinen Momente, die es ausmachen! 

Die Autorin ist Lehrerin an einer Wiener Mittelschule.