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Wenn es um die Auswirkungen der Corona-Krise auf Schüler*innen geht, bedient man sich dieser Tage großer Worte und schicksalschwangerer Rhetorik. Während die einen noch von einem verlorenen Jahr sprechen, wähnen andere bereits eine gesamte Generation als verloren.

Lauscht man diesen Einschätzungen und Urteilen ist man versucht zu glauben, dass Corona lediglich Kinder und Jugendliche ausgebremst hätte, während alle anderen weiter gelebt haben wie bisher. Man stellt sich vor, wie diese Kinder und Jugendlichen im vergangenen Jahr nichts weiter getan haben, als fernzusehen und Playstation zu spielen.

Auch macht sich ein bisschen Erleichterung breit: Gott sei Dank haben wir endlich einen guten Grund. Endlich wird das schlechte Gewissen, das schon jahrelang still an uns nagt, von unseren Schultern gehoben. Wir können aufatmen, denn nicht mehr wir tragen mit daran Schuld, dass viele dieser Kinder vergessen werden, nicht die Zuwendung und Förderung bekommen, die sie bräuchten,  sondern nun ist es Corona. Wir können aufhören uns zu fragen, wie und warum unser Schulsystem bereits seit Jahrzehnten Kinder strukturell benachteiligt, warum Übertrittsempfehlungen nach der Volksschule noch immer eher anhand des Vornamens als anhand der Leistung gegeben werden und zuletzt – und das ist es, was uns wirklich aufatmen lässt – wir werden von der Pflicht befreit, uns zu fragen, was wir gegen all das schon längst hätten tun können. 

Jetzt ist die Regierung gefragt. Wir brauchen große Schritte. Man schütte digitale Endgeräte aus und alles wird besser. Man verspreche medienwirksam zusätzliche Stunden und alles atmet auf. Wo diese Geräte und Stunden tatsächlich gelandet sind und ab wann sie zum Einsatz kommen wird wohl niemand mehr fragen. Hoffentlich. 

Nein, so zynisch, wie es hier klingt, bin ich in Wahrheit nicht. Aber ja, es ist frustrierend, was wir nicht erst seit einem Jahr mitansehen müssen. Es ist frustrierend, dass es einer Pandemie bedarf, damit endlich zögerlich der Blick auf jene gerichtet wird, die sonst gerne übersehen werden, an den Rand und in die „Restschulen“ geschoben werden. Doch wieder ist die Aufmerksamkeit, die sie bekommen, negativ. Wir sprechen von jenen, die nicht erreicht werden, die abtauchen, die überfordert sind. Wir trauen uns kaum zu fragen, warum sie nicht erreicht werden und untertauchen. Und am allerwenigsten wollen wir wissen, was wir dagegen tun können und wie wir diesen Zustand hätten vorbeugen können. Dabei war ein Großteil der Kinder die im vergangenen Jahr „verloren“ gegangen sind, auch davor schon im Verschwinden begriffen. Vielleicht weil sie mit ihren Bedürfnissen übersehen wurden, weil nicht nachgefragt wurde, warum sie so oft fehlen oder unkonzentriert wirken. Vielleicht weil sie seit Jahren in einem System stecken, das ihnen vermittelt, dass sie sich noch so sehr anstrengen können, es aber nicht schaffen werden. Ein System, dass sie wieder und wieder als unzureichend abstempelt, das sie alleine lässt und so nach und nach ihre Motivation und ihre Lernfreude bricht.

Neue Situation – alte Muster

„Die Krise zeigt auf, was schon so lange schief läuft.“ Ich kann nicht mehr zählen, wie oft ich diesen Satz im vergangenen Jahr gehört, gelesen und vermutlich auch selbst gesagt habe. Gut, dass wir endlich hinschauen, weil es nicht mehr geht wegzuschauen. Traurig, dass es eine globale Krise dafür braucht. Und dennoch, auch im Hinschauen wiederholen wir Fehler und folgen wir jenen Mustern, die uns so vertraut sind: über Mittelschüler*innen herziehen, das Verlorene hervorstreichen, ihre Defizite beleuchten. Weil sie nicht ermutigt werden sich zu äußern, weil sie weder eine öffentliche Stimme noch eine gut vernetzte, eloquente Lobby haben, werden Mittelschüler*innen wieder nicht gehört. Wir sprechen (berechtigterweise) ausführlich darüber, wie Maturaprüfungen angepasst und Deadlines für vorwissenschaftliche Arbeiten verschoben werden, weil sie in der momentanen Situation nicht zumutbar sind. Über die Zumutbarkeit einer MIKA-D Deutschprüfung, die seit Beginn der Pandemie nur marginal angepasst wurde, spricht kaum jemand. Einem Kind wie Djamal*, das 3 Wochen vor den Schulschließungen im März 2020 nach Österreich kam, ist doch ohne weiteres ein Test zuzutrauen, der komplexe grammatikalische Strukturen voraussetzt, die auch in manchen Teilen Österreichs keineswegs zur Selbstverständlichkeit gehören. Während sich Maturant*innen sorgen, ob sie als der Corona-Jahrgang abgestempelt und ihre Abschlüsse weniger wert sein werden, müssen sich Kinder wie Djamal sorgen, durch die endlose und teils sinnlose Wiederholung von Schuljahren (die Folge eines nicht bestandenen MIKA-D Tests), überhaupt die Chance auf einen Pflichtschulabschluss zu haben. Sowohl die Sorgen der Maturant*innen als auch Djamals Sorgen sind ernst zu nehmen, verdienen öffentliche Aufmerksamkeit und ein Entgegenkommen in der momentanen Situation. Aber die Tatsache, dass die Matura angepasst wird, während die MIKA-D Prüfung praktisch abgehalten wird wie eh und je zeigt auf, dass wir sogar noch unter dem Deckmantel der Krisenbewältigung reproduzieren, was „schon so lange schief läuft“. Wir hören jene, die für sich selbst sprechen können, die sich ihrer Rechte bewusst sind und sie einfordern können und wir übersehen wieder die, die wir auch sonst so gerne an den Rand stellen und denen niemand eine Stimme gibt. 

Das Gute zum Schluss

Als Lehrerin wurde ich in letzter Zeit immer wieder gefragt, ob ich dem Bild des „verlorenen Jahres“ zustimme. Allein diese Frage wirft für mich eine Reihe weiterer Fragen auf. Was ist es, was es im vergangenen Jahr zu verlieren gab? Ist jede Fähigkeit, die bei der Bewältigung einer Situation abseits des Lehrplans erforderlich ist, wertlos und ihr Erwerb damit vernachlässigbar? Warum wird die Frage spezifisch im Hinblick auf Schüler*innen gestellt? Warum wird nicht gefragt, was wir alle tun können um die Versäumnisse dieses Jahres aufzuholen und die Langzeitfolgen für „unsere“ Kinder so gering wie möglich zu halten? Warum werden wir auch jetzt nicht müde den „Stoff“ über alles andere zu stellen? 

Um selbst nicht zu wiederholen, „was schon so lange schief läuft“, werde ich nun nicht mit einer Aufzählung jener Dinge abschließen, die im letzten Jahr für unsere Schüler*innen tatsächlich verloren gingen. Das wurde in den letzten Monaten mehr als genug beleuchtet. Ich will das Muster durchbrechen und den Fokus auf die Gewinne dieses einzigartigen Jahres richten. 

Beginnen wir mit dem Offensichtlichen: Ich traue mich zu behaupten, dass die digitale Kompetenz jeder Schülerin und jedes Schülers (und vieler Lehrkräfte) gestiegen ist. Ganz egal ob am Laptop, Tablet oder „nur“ am Handy – die Notwendigkeit zu digitaler Kommunikation und Lernen hat ganz nebenbei zu einer Reihe neuer Kompetenzen geführt. 

„Das mach ich später, ich habe noch so viel Zeit“. „Nur noch eine Folge.“ „Ich mache mir erst etwas zu essen, dann…“ Genau wie die allermeisten im Homeoffice wurden auch Schüler*innen mit ihrem inneren Schweinehund konfrontiert. Doch sie haben gelernt mit ihm zu leben, sich ihre Zeit einzuteilen und es geschafft sich selbst immer wieder zu motivieren. Das letzte Jahr hat sie in Selbstständigkeit und Eigenverantwortung geschult. Fähigkeiten, die in einem streng in 50 Minuten Einheiten getakteten Unterricht, in dem oftmals nicht einmal die Farbe des Stiftes selbst gewählt werden muss, nur sehr selten trainiert werden. Ein klarer Gewinn dieses Jahres also, und ein Denkanstoß für mögliche Weiterentwicklungen des klassischen Unterrichts.

„Ich verstehe das nicht“ – „Was verstehst du nicht?“ – „Alles.“ In der Schule sind Konversationen wie diese an der Tagesordnung. Als Lehrkraft holt man dann tief Luft und beginnt wieder von vorne zu erklären. Im vergangenen Jahr war eine deutliche Veränderung in dieser Fragekultur beobachtbar. Während am Beginn des Homeschoolings die Fragen noch hundertfach und nach ebendiesem Muster auf uns einregneten, wurden sie im Laufe des Jahres immer präziser und ausgewählter. Schüler*innen haben also gelernt, sich erst selbst mit einer Aufgabenstellung auseinanderzusetzen, sich gegenseitig zu unterstützen, sich selbstständig Informationen zu beschaffen und konkrete Fragen zu formulieren. In dieser Tatsache liegen gleich mehrere Gewinne: Durchhaltevermögen, Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit, selbstständige Informationsbeschaffung, sprachliche Präzision und – vermutlich am bedeutendsten: Verantwortungsübernahme für das eigene Lernen. 

Nein, es ist kein verlorenes Jahr. Es ist ein Jahr, das uns allen unendlich viele Lerngelegenheiten bietet. Ja, es ist tatsächlich auch ein Jahr, das uns gezeigt hat, was wir lange nicht sehen wollten. Ein Jahr, das uns das Angebot macht, alte Muster zu überdenken und von hier an neue, gerechtere und inkludierendere Wege zu beschreiten, in denen alle eine Stimme haben. Nehmen wir dieses Angebot an. 

*Name von der Redaktion geändert.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

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Vorbereitung auf die Sommerschule

Mitte Juli

Ich telefoniere mit dem Organisator der Sommerschule. Es sind nicht genügend Student*innen da, die in Zweiergruppen durchgehend die Kids unterrichten können. Wir Lehrkräfte werden also selbst auch unterrichten müssen, statt die Studierenden nur zu begleiten und ihnen Feedback zu geben.

Montag, 17.8.2020

Es gibt ein Vorbereitungstreffen mit dem Großteil der Studis (3 von 5) und dem Organisator der Sommerschule. Wir machen erste Planungen (Leserolle, Stempelpass) und besichtigen die Klassen und das Schulgebäude. Zur Kommunikation wird eine WhatsApp-Gruppe angelegt. 

Die Studis scheinen sehr motiviert, ihre Vorstellungen aber eher unrealistisch. Sie gehen davon aus, dass die Kids ein durchgehend gutes Deutschniveau haben. Wir bereiten sie auf große innere Differenz vor.

Unsere gemeinsamen Ziele lauten: ein positives Lernklima schaffen, die Kinder nicht stressen, uns nicht stressen, den Kids durch die Sommerschule vor allem positive Erfahrungen ermöglichen.

Donnerstag, 20.8.2020

Absprache mit den zwei Kolleg*innen, die in “meiner” Gruppe sind, über Zoom. Wir planen den ersten Tag (Organisatorisches, Kennenlern-Spiele).

Freitag, 21.8.2020

Der Organisator der Sommerschule meldet sich telefonisch bei mir und meint, es sei wieder alles anders, weil kein (zu wenig) Geld da sei. Eventuell müsse der Stundenplan umgestellt werden. Kurze Zeit später: Entwarnung, der Stundenplan bleibt.

Ich sitze in der Schule, Netzwerk, Internet und Drucker gehen zeitweise nicht, weil das WLAN verlegt wird (yay!).

Die Sommerschule beginnt, das sind die Rahmenbedingungen: 

Am 24.8.2020 begann die Sommerschule, die jenen Kindern zum Aufwärmen für den Unterricht dienen soll, die während des Distance Learnings den Anschluss verloren hatten. 

Der Auftrag lautet: Den Kindern eine positive Lernerfahrung ermöglichen.

Die Rahmenbedingungen: Weniger Lehramtsstudierende als erhofft, dafür mehr Kinder als erwartet, Lehrkräfte, die sich freiwillig melden, um zu unterrichten und ein großes Fragezeichen, was uns alle erwartet. Das ist das “Experiment” Sommerschule, über das hier aus der Sicht einer Lehrkraft berichtet wird.  

Montag, 24.8.2020

Der Tagesbeginn ist etwas chaotisch, Kinder warten in Gruppen mit Abstand vor dem Schulgebäude und werden einzeln eingelassen.
Um 8:30 Uhr sind endlich alle in der Klasse, schneller als angenommen. 55 von 75 Kindern sind da. Einige sind weggezogen, andere entschuldigt, andere kommen gar nicht. 

Schnell stellt sich heraus, dass es große Unterschiede zwischen den Gruppen gibt: Die Gruppe mit den Kids der 8. Schulstufe ist schwer zu motivieren, arbeitet nach Auskunft der Lehrerin (Studi) kaum mit. Im Gegensatz dazu sind zwei Lehramtsstudierende von der jüngsten Gruppe völlig überrascht, weil sie so wissbegierig und lerneifrig sind. Trotz der Verzögerung in der ersten Stunde konnten sie das Programm für vier Stunden in weniger als drei durchziehen. Es steht den KollegInnen der Schweiß auf der Stirn, als sie es mit leuchtenden Augen erzählen. 

Besonders stechen zwei Mädchen – Zwillinge – heraus, deren Mutter dachte, es sei bereits der Beginn des Regelunterrichts.  Sie wollte ihre Töchter vor allem in Mathematik gefördert sehen. Die Reaktion der Zwillinge: “Wir wollten zwar Mathe lernen, aber Deutsch ist auch super!”

Einige der Kids können sich sehr gut im Unterricht einbringen, sind wortgewandt und gewitzt. Andere tun sich noch sehr schwer, sich auszudrücken. Klar ist: Es wird eine Herausforderung, so zu differenzieren, dass alle etwas davon haben.

Die Studis schlagen sich am ersten Tag wacker, jene mit Erfahrung fühlen sich schon ganz wohl. Andere sind noch unsicher. Wir Lehrkräfte sind vorsichtig im Gespräch mit den Studis, um nicht arrogant und aufdringlich zu wirken, aber dennoch hilfsbereit zu sein. Ich versuche, den Studis, die zum Teil noch keine Erfahrung im Unterrichten haben, möglichst viel Raum zu lassen. Am ersten Tag überprüfen wir die Anwesenheit, machen Kennenlernspiele mit Kärtchen und Speed Dating, dann lassen wir sie auf einem Emoji-Spektrum bewerten, wie gern sie gewisse Dinge (Pizza, Schwimmen, TikTok, Capital Bra etc) haben, indem sie auf der Laufbahn zum richtigen Emoji laufen. Ich lasse die Kinder erzählen, damit sie merken, dass es hier um sie geht.

Danach werden Regeln gemeinsam erarbeitet, besprochen, aufgeklebt, eigene Wünsche noch platziert und das Regelplakat unterschrieben. Der Tag endet mit einer aufgeweckten Runde Tabu.

Nach Unterrichtsende am ersten Tag folgt dann die erste Nachbesprechung, in der das Kollegium die Erlebnisse reflektiert und einheitliche Regeln und Vorgangsweisen ausmacht.

Dienstag, 25.8.2020

Ein paar Schüler*innen, die am vorigen Tag noch nicht da waren, kommen neu dazu. Die Anrufe des Organisators haben Wirkung gezeigt. Eine Klasse ist voll, hat sogar eine zusätzliche Schülerin. Ich habe Begrüßungsdienst, sorge also vor Unterrichtsbeginn dafür, dass vor dem Schulgebäude der Abstand eingehalten wird und sich die Kinder gleich nach dem Schultor (dessen Griffe viel zu hoch für die Kinder und daher ungeeignet sind – aber das ist eine andere Geschichte und soll ein andermal erzählt werden) die Hände desinfizieren. Ich frage sie, ob sie traurig sind, dass die Schule wieder beginnt. Nein, sagen sie. Zuhause sei es stinklangweilig.

Der Tag verläuft aufregend, vor allem die arbeitswütige Klasse stellt sich für die Student*innen als sehr herausfordernd dar. Sie haben zum Teil Mühe, die Kids im Zaum zu halten. Der Lärmpegel ist hoch, die Erschöpfung am Ende des Tages groß.

Mittwoch, 26.8.2020

Eine weitere Schüler*in trifft neu ein. Mehrere Kinder melden, dass sie gerne in die Sommerschule gehen. Eine Kollegin erhält bei den anonymen Rückmeldungen durchgehend positives Feedback von den Kindern. 

Der Lehramts-Kollege, der gestern aus Erschöpfung und Überforderung schon seinen Berufswunsch hinterfragt hatte, ist heute wieder hellauf begeistert und vermeldet, dass ein notorisch schwieriger Bursche mit ADHS verkündet hat: Zum ersten Mal in seinem Leben freue er sich auf die Schule. Bei einigen Lehramts-Studis ist bewundernswerte Zusammenarbeit erkennbar. Andere scheinen eher Einzelkämpfer*innen zu sein.

Eine Kollegin bemerkt kritisch, dass wir als teils einzige Lehrkraft im Unterricht in Gruppen von zwölf bis 15 Kinder nicht genügend auf die diversen Bedürfnisse der Kinder eingehen können. Wir setzen, um die Kinder zu motivieren und aufzubauen, auf das Thema Held*innen und Vorbilder. Als Endprodukt sollen sie eine “Leserolle” in einer verzierten Pringles-Dose haben, in der alle gemachten Arbeitsblätter enthalten sind. Zusätzlich arbeiten wir an einem Stempelpass, der Fortschritte auch in den Sozialkompetenzen dokumentieren soll. 

Donnerstag, 27.8.2020

Wie im normalen Schulalltag verfliegt auch hier die Zeit. “Was, schon wieder Donnerstag vorbei?” Am Beginn des Schultages kommt eine Mutter vorbei und bittet, mehr auf die Bedürfnisse ihres Sohns zu achten, der wegen Legasthenie vor allem bei der Groß- und Kleinschreibung Schwierigkeiten habe. Es sei ihr bewusst, dass das Niveau sehr unterschiedlich sei, weil viele Kinder mit geringen Deutschkenntnissen in der Klasse seien. Sie bittet dennoch, nicht auf jene Kinder zu vergessen, die andere Startvoraussetzungen haben. Wir sagen selbstverständlich zu, ihren Sohn gezielter zu fördern und überlegen uns zusätzliche Aufgaben für ihn. Diese weitere Differenzierung fällt bei der vielen Vorbereitungsarbeit kaum mehr ins Gewicht.

Freitag, 28.8.2020

Wie im Flug ist die erste Woche vergangen und wir planen bereits die Abschlusszeremonie. Eine kleine Zeitung soll produziert werden, um Eindrücke aus jeder Gruppe zu vereinen. Eine Kollegin übernimmt die Koordination und Produktion.

Die Kinder sind am letzten Tag der ersten Woche immer noch voller Energie. Wir haben zwar täglich mindestens ein Lernspiel mit Bewegung im Freien eingeplant, die Kinder wünschen sich aber trotzdem mehr Sport und Bewegung. Wir müssen sie bremsen, da wir wegen der Hygieneregeln einigen Einschränkungen unterliegen. Wir kommen überein, dass eines der Kinder einen Fußball mitnehmen soll und wir schauen, was wir damit machen. Elfmeterschießen in Verbindung mit Wortschatzübungen bietet sich an. Auch einen ganzen Tag Bewegung und Sport wünschen sich die Kinder. Auf der “Wünsche-Wand” kleben Post-Its mit Wünschen nach Fußball. Ich verspreche, mit den Kolleg*innen zu besprechen, was wir unter den gegebenen Umständen tun können. 

Und wie hat den Kindern die erste Woche gefallen? Das Feedback auf den bunten Notizzetteln spricht eine klare Sprache: “Die Woche war ganz super :)”, “Das war gut und hat Spaß gemacht”, “Es war schön”. 

Der Autor ist Lehrer an einer Sommerschule in Niederösterreich.

Lesezeit: 2 Minuten

Kurz vor den Sommerferien des denkwürdigen Schuljahres 2020. Im „ausgedünnten“ Klassenzimmer dümpeln 10 müde Schüler*innen dahin. Sie haben eine lange Phase des Homeschooling hinter sich und ein paar merkwürdige Schulwochen unter widrigen Bedingungen. Das bereits erworbene Wissen wurde vielfach wieder vergessen, es fällt den Kindern zunehmend schwerer, sich an den „Hausaufgabentagen“ zu ihren Aufgaben zu motivieren. Auch mir fällt es derzeit schwer, als Lehrkraft motiviert und optimistisch zu bleiben …

Wir wiederholen zum gefühlt dreihundertsten Mal das Futur. An die Tafel schreibe ich Beispiele; achte darauf, dass sie der Lebenswelt der Kids entsprechen: Ich werde ins Kino gehen. Du wirst einkaufen fahren. Er/Sie/Es wird in die Schule kommen. Wir werden in den Park gehen. Ihr werdet die Jause essen. Sie werden …

Ich werde von einem Geräusch unterbrochen. In der Tür stehen zwei junge Männer in schwarzen Anzügen mit blütenweißen Hemden und schmalen Krawatten. Einer hat einen John-Lennon-Look, der andere eine Frisur wie aus einem Tarantino-Film. Sie winken, grinsen. An ihren Sakkos prangen kleine Abzeichen der HTL. Jetzt erkenne ich die beiden. Es sind meine ehemaligen Schüler, A. und M. Vor mittlerweile fünf Jahren habe ich sie in meinem ersten zwei Jahren als Lehrerin in Deutsch unterrichtet. Wir haben die beiden damals als Lehrer*innenteam stark gefordert, immer wieder zu besseren Leistungen gedrängt und ihnen zuletzt guten Gewissens Noten gegeben, die ihnen einen Eintritt in eine weiterführende Schule ermöglicht hatten.

Die Wiedersehensfreude ist groß. Ich bitte sie in die Klasse und sie erzählen, dass sie gerade maturiert haben. Sie zeigen die kleinen Nadeln an ihren Anzügen her; eine ist silbern und steht für einen guten Erfolg, die andere ist golden und belegt die Matura mit Auszeichnung. Die 1B ist plötzlich aufmerksam und wach. Sie erzählen den Kids von ihrer Schulzeit an der NMS, geben Tipps, machen ein paar witzige Bemerkungen über mich und berichten, wie sehr ihnen unsere Schule geholfen hat, ihren Weg zu gehen. Next step: Uni.

Ich freue mich unglaublich und spüre, wie meine Motivation wieder erwacht. Wir machen ein Selfie zur Erinnerung an diesen besonderen Moment. Im Hintergrund prangt das Tafelbild mit der symbolträchtigen Überschrift „Das Futur / die Zukunft“.

Nachdem die beiden weg sind, vervollständige ich das fehlende Beispiel an der Tafel:

„Sie werden maturieren.“

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

Lesezeit: 3 Minuten

Seit nunmehr 10 Tagen sitzen wir Lehrer*innen, Schüler*innen und Eltern der NMS St. Agatha zu Hause an unseren Computern. Warum? Unser Leben hat sich in jeder Hinsicht von heute auf morgen um 180 Grad gewendet!

Warum 10 Tage?

Der Stundenplan hat sich ausgeweitet. Von einer für jede Schulstufe vorgegebenen Stundentafel, die unterteilt wird in fixe 50-Minuten-Einheiten und dazwischen Pausen, um die Klasse zu wechseln, oder einen Schluck vom kalten Kaffee zu nehmen oder auf die Toilette zu gehen, wenn es sich in den verbleibenden 30 Sekunden noch ausgeht, sind wir zu einer 7-Tage-Woche mit unbegrenzten Arbeitsstunden ohne Fachschwerpunkte mutiert. Jeder teilt sich seine Arbeits- und Pausenzeit selbstständig ein…

Ist das so?

Zwischen die App Teams für alle handlungsfähig zu gestalten, Waben in der Lernwelt ChabaDoo zu erstellen und auszuprobieren, Arbeitsblätter zu erstellen und hochzuladen, Arbeitsaufträge verständlich niederzuschreiben, Bildschirm-Tutorials und PDF-Guides zu erstellen, braucht Roland* um 9:37 Uhr Hilfe in Mathematik. Doch Regina* kommt genau zur gleichen Zeit nicht in die Lernplattform ChabaDoo, weil sie ihre Zugangsdaten vergessen hat. Ach ja, und da waren ja noch Sibille* und Lilly* aus der 1. Klasse, die schon seit 7:22 Uhr im Teams-Chat versuchen mich zu erreichen, weil sie ihre Englisch-Hausübungen nicht hochladen können. Gerade sehe ich, dass Johanna um 8:41 Uhr geschrieben hat, sie braucht ein neues Kennwort für ihr Office365. Um 10:59 Uhr läutet das Telefon zum dritten Mal, weil der Server einer Seite nicht erreichbar ist. Und so wäre diese Liste noch bis spät abends fortsetzbar, aber…

Teamarbeit auf höchstem Niveau

Von zuerst kurz erwähnten 6 Tagen, blieben uns dann 4 Tage – (Gott sei Dank, gibt es Samstag und Sonntag, die genutzt werden konnten) – um an unserer Schule eine Kommunikations-, eine Lern- und eine Datenaustauschplattform zu implementieren. Alle Kolleg*innen sind jetzt im digitalen Boot und die Herangehensweise an Themen, Arbeitsaufträge, Wiederholungen, Erklärungen usw. ist für alle transparent – das heißt, jeder gibt seine Ideen automatisch an alle anderen Kolleg*innen weiter. Es wird tatsächlich fächer- und schulstufenübergreifend Material ausgetauscht… vorher hat eben jeder „seins“ gemacht! Alle Kolleg*innen, Schüler*innen und Eltern arbeiteten in diesen Tagen auf Hochtouren, ohne zu wissen, wie lange dieser Zustand des Homeschoolings andauern würde bzw. könnte. Die Herausforderung bestand bzw. besteht aber nicht nur darin, Plattformen für den digitalen Unterricht von und für zu Hause aufzubauen…

Hilfe von ChabaDoo

An unserer Schule sind wir seit zwei Jahren in einem Feldtest der Firma ChabaDoo, einer innovativen österreichischen Start-up-Firma im Bereich E-Learning. Seit dem Schuljahr 2018/19 haben wir das Glück, dass unsere Schüler*innen der 3. und 4. Klassen von ChabaDoo mit Hardware ausgestattet worden sind. Für unsere „Kleinen“ konnten wir so kurzfristig keine Geräte zur Verfügung stellen und müssen daher auf die Eltern vertrauen, dass sie ihren Kindern Zugang zu den Computern gewähren. Aber was alle unsere Schüler*innen bekommen haben, sind Zugangsdaten für die E-Learning-Plattform der österreichischen Firma. In ständiger Begleitung durch Mitarbeiter von ChabaDoo und kritischer Abwägung der Vor- und Nachteile des Einsatzes der Hardware und der E-Learning-Plattform in den letzten beiden Jahren, fiel uns an der NMS St. Agatha dieser kurzfristige Umstieg auf „Total-Digital“ etwas leichter, wie wahrscheinlich an so manch anderen Schulstandorten.

Chance, Trend, Schule neu denken

Heute, nach 10 Tagen im Homeschooling, Home Office, Distance Learning und Distance Teaching (kein Anspruch auf Vollständigkeit der Begrifflichkeiten!) merke ich, dass der Einzug in das digitale Zeitalter mit voller Wucht eingeschlagen hat – ohne Vorankündigung! Wir sollten diese Zeit der Krise als Chance nutzen, einem neuen Trend entgegenzugehen und gemeinsam „Schule neu denken“!

*Namen frei erfunden.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Oberösterreich.

Lesezeit: 6 Minuten

Hürden, Eigeninitiative und pures Glücksgefühl

Manche wollen sie haben, andere wehren sich vehement dagegen. Viele Personen sprechen darüber, einige setzen sich dafür ein und ein paar haben sich dem Thema voll und ganz verschrieben.

Mich haben technische Innovationen schon immer interessiert. Ich war zwar weder an einer technischen Schule, noch habe ich ein Studium in diese Richtung absolviert. Digitale Geräte und Tools haben in mir aber schon sehr früh eine gewisse Faszination ausgelöst, von der ich mich nicht lösen konnte.

Vor meiner Lehrtätigkeit war ich mehrere Jahre als Projektmanager in einer Agentur tätig. Schon dort stieß mein Drängen auf den Einsatz neuer Technologien nicht selten auf taube Ohren. Gewisse Abläufe mache man ja immer schon so – und zwar ganz erfolgreich. Wozu also Veränderung? Also habe ich mich mehr und mehr dem System gefügt und meine E-Mails nicht nur digital abgelegt, sondern Zettel für Zettel akribisch genau in einen großen Aktenordner sortiert – unabhängig davon, von welcher Relevanz der Inhalt war.

Einige Jahre später befinde ich mich im Lehrerberuf, stehe in der Klasse und stelle mir die Frage, was ich den Kindern hier vermitteln möchte. Will ich dazu beitragen, dass sie so analog arbeiten, wie es immer gemacht wurde? Oder will ich vielleicht derjenige sein, der ihnen neue, digitale Wege aufzeigt und einen Beitrag dazu leistet, dass sie selbst neue Dinge ausprobieren? Ich habe mich für Letzteres entschieden und mir im Herbst 2017 zum Ziel gesetzt, so viel wie möglich für die Digitalisierung meiner Schule beizutragen. Was folgte, war eine zweijährige Achterbahnfahrt mit Hürden, von denen ich nicht zu träumen wagte.

Ein erster Versuch

Da es an der Schule an Beamern mangelte, organisierte ich mir privat einen aussortierten Flachbildfernseher, zerrte ihn zuerst ins Uber und dann in meine Klasse. Die erste große Innovation – eine Präsentationsmöglichkeit im Klassenzimmer – war gegeben. Zumindest für drei Monate. Dann musste das Gerät aus Sicherheitsgründen wieder aus meiner Klasse verschwinden. Es hätte ja sein können, dass ein Kind durchs Bildschirmglas köpfelt. Eine fixe Montage an der Wand war leider auch nicht möglich, weil ja nichts in die Wände gebohrt werden durfte. Also durchforstete ich alle Schulschränke und fand tatsächlich noch ein paar alte Projektionsgeräte, die von der Schulgemeinschaft als defekt erklärt wurden. Es fehlten aber lediglich ein paar günstige Kabel und Verbindungsstücke – und schon war unsere Schulgemeinschaft um vier Beamer reicher. Eine fixe Montage an der Decke war aus bereits erklärten Gründen weiterhin nicht möglich. Aber immerhin wurden Projektorwägen angeschafft, sodass bei Bedarf meistens ein mobiles Projektionsgerät zur Verfügung stand. „Der erste Schritt ist vollbracht!“, dachte ich mir und bespielte meine damalige 3. Klasse von nun an mit anschaulichen Präsentationen, Erklärfilmen und dem ein oder anderen interaktiven Quiz zur Festigung des Lehrstoffes. Hierfür durften sie ihre Smartphones nützen, wobei natürlich immer ein paar Schüler*innen dabei waren, die keines hatten oder Opfer des lahmen Schul-WLANs wurden.

Pilotprojekte und Fortbildungen

Ja zur Digitalisierung“, sagte ich mir, „aber wenn, dann ordentlich. Tablets müssen her!“. Ich schrieb ein Konzept, reichte es für ein Pilotprojekt ein und bekam kurze Zeit später für drei Monate Tablets in Klassenstärke. Um den Unterricht so kreativ und begeisternd wie möglich zu gestalten, informierte ich mich über die Einsatzmöglichkeiten, schaute hunderte, vorwiegend skandinavische und amerikanische Videos zur digitalen Bildung und testete unzählige Apps. Die Begeisterung der Schüler*innen war enorm, ließ aber innerhalb kürzester Zeit wieder nach. Die zur Verfügung gestellten Tablets waren veraltet, langsam und so klein, dass viele lieber zum Smartphone griffen. Darüber hinaus war auch das WLAN-Problem noch nicht gelöst und es kostete allen Beteiligten viele Nerven, mit diesen Geräten zu arbeiten. Ich erklärte das Projekt für gescheitert – zumindest vorerst – und beschränkte die Digitalisierung im Klassenzimmer in den nächsten Monaten wieder auf meine Präsentationsinhalte und gelegentliche Online-Quizze zur Festigung.

Beim Besuch verschiedener Bildungsmessen und Digitalisierungsveranstaltungen holte ich mir meine Motivation zurück. Ich hörte von einem einmonatigen Pilotprojekt, reichte ein adaptiertes Konzept ein und bekam kurze Zeit später wieder einen Tablet-Koffer geliefert. Diesmal handelte es sich um aktuelle Geräte eines anderen Herstellers mit einem größeren Bildschirm. Inkludiert war auch ein WLAN-Router, der das Problem mit dem lahmen Schul-WLAN löste. Die nächsten vier Wochen standen ganz im Zeichen des Ausprobierens. Wir testeten alle möglichen Apps auf ihre Tauglichkeit. Oft blieben die Kinder, die mittlerweile die 4. Klasse besuchten, auch freiwillig länger an der Schule, um mir als Tablet-Probanden zur Verfügung zu stehen. Schnell entdeckten wir die schier unendlichen Möglichkeiten des digitalen Lernens und spätestens zu diesem Zeitpunkt war mir klar, dass ich diesen Weg weiterhin verfolgen möchte.

Einführung von Tablet-Klassen

Ich überzeugte meine Direktorin von der Einführung einer Tablet-Klasse ab dem darauffolgenden Schuljahr und ein paar Kolleg*innen davon, diesen Schritt mitzutragen. Ich besuchte eine Fortbildungsreihe zum Unterrichtskonzept „Flipped Classroom“, recherchierte was das Zeug hält und tauschte mich mit Lehrkräften anderer Schulen aus, die diesen Weg schon viel früher einschlugen. Nicht selten fand ich mich in meinem alten Beruf als Projektmanager wieder. Ich holte Angebote ein, schrieb Excel-Listen mit komplexen Funktionen und verhandelte Budgets.

Da für die Umsetzung seitens Schule und Elternverein kein Geld zur Verfügung stand, entschieden wir uns für die privat finanzierte Umsetzung. Um die finanziell schwierigen Umstände der Familien unserer Schüler*innen etwas abzufedern, reichte ich wieder einmal ein Konzept ein. Diesmal beim Förderprogramm von „SEED – Hier wachsen Ideen“. Das Projekt wurde aufgenommen und wir bekamen eine Finanzspritze, um einerseits die Erziehungsberechtigten etwas zu entlasten und andererseits notwendige Lehrer*innen-Geräte anzuschaffen. Mit der Förderung einher ging ein einjähriges Begleitprogramm mit regelmäßigen Terminen, um den Fortschritt des Projektes zu beobachten und zu dokumentieren.

Finanzielle Hürden

Als wir die Erziehungsberechtigten bei der Schuleinschreibung im Februar 2019 von unserem Vorhaben informierten, war der Zuspruch überwältigend. Daraus resultierte, dass unser Musikraum beim Informationsabend aus allen Nähten platzte und tatsächlich alle Besucher*innen ihr Kind in der Tablet-Klasse unterbringen wollten. Kurzerhand entschieden wir, den Projektumfang auszuweiten und uns gleich auf drei Tablet-Klassen einzulassen. Um mit Beginn des neuen Schuljahres zu starten, mussten die Geräte noch vor dem Sommer bestellt und auch bezahlt werden. Da dies leider nicht allen Familien möglich war, wurden Kreditangebote eingeholt, Teilzahlungsmodelle ausgearbeitet und private Vorschüsse durch die Lehrkräfte geleistet. Parallel wurden unzählige Telefonate mit Lieferanten, Erziehungsberechtigten und Kolleg*innen geführt, um alles auf Schiene zu bringen – auch inmitten der Sommerferien und direkt aus dem Urlaub.

Wir haben uns bewusst dafür entschieden, die Tablets erst ein paar Wochen nach Schulbeginn an die Schüler*innen zu verteilen, damit die Gewöhnungsphase an die neue Schule nicht gestört wird. Diese Wochen nützten interessierte Lehrkräfte auch für den Besuch von Weiterbildungen und Tablet-Trainings. Anfang Oktober stand ein Spediteur vor den Schultoren und hatte zwei Paletten voller Tablets im Gepäck. Nach wenigen Tagen waren sie richtig zugeordnet, konfiguriert und bereit für den Einsatz im Unterricht.

Begeisterung und Glücksgefühle

Heute, etwa ein halbes Jahr später, gehe ich durch die Reihen der drei Tablet-Klassen und verspüre ein pures Glücksgefühl. Die Schüler*innen navigieren durch die unzähligen Bildungsapps, als würden sie das immer schon so machen. Sie gestalten kreative Präsentationen, recherchieren im Internet und erstellen Online-Quizze für die Mitschüler*innen. Sie drehen Wetterberichte, kreieren englische Comics und bearbeiten gemeinsam, aber vom eigenen Tablet aus, literarische Texte. Im Unterricht arbeiten sie selbständig an digitalen Arbeitsplänen, während wir Lehrkräfte als Lerncoaches agieren. Für viele Aufgaben benötigen sie das Tablet, auch wenn die klassischen Hefte und Schulbücher auf gemeinsamen Wunsch des Kollegiums weiterhin dominieren. Es herrscht eine angenehme und förderliche Arbeitsatmosphäre und die Kinder haben innerhalb kürzester Zeit eine Problemlösungskompetenz entwickelt, die mich zum Staunen bringt.

Besonders stolz war ich am Tag der offenen Tür, als die Schüler*innen den Volksschulkindern zeigen durften, was sie schon gelernt hatten. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meiner Klasse nicht glauben, dass sie erst seit wenigen Monaten mit den Tablets arbeitet.

Es kommt nicht selten vor, dass mir Schüler*innen morgens im Bus erzählen, dass sie die Arbeitspläne des aktuellen Tages schon fertiggestellt hätten, weil ich sie am Abend zuvor schon für sie freigeschaltet habe. Diese Motivation und Eigeninitiative beobachte ich auch, wenn ich ihnen mittels zentraler Verwaltung der Tablets neue Apps installiere, ohne ihnen genauere Anweisungen dazu gegeben zu haben. Sie probieren, gestalten und lösen von zuhause aus, ohne dass sie dazu aufgefordert werden. Damit ist genau das auf sie übergeschwappt, was meine Motivation für dieses Projekt war und ist: Neugierde, Begeisterung und Eigeninitiative.

Nicht alle Lehrkräfte im Kollegium waren von der Projektumsetzung angetan. Viele davon konnten aber in den letzten Monaten überzeugt werden und setzen die Tablets mittlerweile selbst regelmäßig im Unterricht oder für Hausaufgaben ein. Die Vorbereitungen für die nächsten Tablet-Klassen sind voll im Gange, was bedeutet, dass sich wieder neue Lehrkräfte unserer Schule dafür entschlossen haben und dazu beitragen, dass unser Digitalisierungsprojekt wächst.

Ich kann nur alle interessierten Lehrkräfte dazu ermutigen, sich für die Digitalisierung im Klassenzimmer stark zu machen und nicht darauf zu warten, bis es die Bundesregierung macht. Ja, es ist ein steiniger und mühsamer Weg, auf dem viele Hürden warten, mit denen man vorher nicht gerechnet hat. Aber die Schüler*innen werden es ihnen mit Begeisterung, strahlenden Augen und – vielleicht wie in unserem Fall – einer regelmäßigen Hausaufgaben-Abgabequote von fast 100 Prozent danken.

Der Autor ist Lehrer an einer NMS in Wien.