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oder – Wie viel Kommunikation braucht es?

Nachricht, Anfang der Schuljahres, 14:36 Uhr 

(Diese Nachricht wurde von ChatGPT umgeschrieben, um die Anonymität des Verfassers zu gewährleisten.)

 Wer sind Sie, dass Sie mir vorschreiben wollen, was ich tun soll? Die Entscheidung, mein Kind von der Schule an- oder abzumelden, geht Sie nichts an. Als Lehrerin sollten Sie in der Lage sein, mit Kindern und deren Konflikten umzugehen, anstatt wegzuschauen. Sie werden für Ihre Arbeit bezahlt, und wenn Sie Ihre Aufgaben nicht richtig erfüllen können, haben Sie den falschen Beruf gewählt. Ich werde persönlich vorbeikommen und mich beschweren.

Im September 2023 habe ich von einem sehr migrationsreichen Bezirk von Wien in einen weniger diversen Bezirk gewechselt. Hätte ich vorher gewusst, was das für die Elternkommunikation bedeutet, hätte ich mir diesen Schritt besser überlegt. An meiner alten Schule wurde ich von den Eltern wertgeschätzt, immer freundlich und respektvoll behandelt und hatte – mit Hilfe von Videodolmetscher:innen und mehrsprachigen Elternabenden – einen wunderbaren Weg gefunden, mit ihnen auf allen möglichen Sprachen zu kommunizieren. 

Wir hatten keine Probleme. Alle Kinder sind auf Klassenfahrten mitgefahren, ich hatte besonders zu den Eltern herausfordernder Kinder einen guten Draht gefunden und an Weihnachten und vor den Sommerferien bekam ich immer Blumen. 

Dies hat sich geändert. An der neuen Schule sind ebenfalls Kinder aus bildungsfernen Elternhäusern – wir sind schließlich noch immer an einer Wiener Mittelschule – aber viele dieser Eltern scheinen ein allgemein gültiges Misstrauen,  ja geradezu eine Verachtung gegenüber Lehrkräften zu hegen. Egal aus welchem Herkunftsland. Einige Kinder kommen in die Schule und erklären mir, sie bräuchten eh keine Bildung, ihre Eltern hätten auch nie was gelernt und würden trotzdem „voll viel Geld“ verdienen. Andere kommen nur selten in die Schule, unterstützt von den Eltern, die jedes Wehwehchen bereitwillig entschuldigen. 

Per Mail oder SMS erhalte ich Drohungen, Verwünschungen und Vorwürfe. 

(Formulierungen wieder von ChatGPT)

Ich wünsche, dass Ihre Tochter täglich weinend von der Schule nach Hause kommt, damit Sie sehen, wie das ist. Sie haben einen Eid abgelegt, alle Kinder gleich zu behandeln, aber ein behindertes Kind gehört nicht in eine normale Klasse.

Es ist unglaublich, was an dieser Schule alles passiert.

Alle Beschwerden wurden sowohl von der Schulpsychologie als auch seitens der SQM als absolut haltlos befunden. Dies wurde den Eltern auch von offizieller Seite kommuniziert. Im Laufe des Schuljahres haben sich die meisten Wogen geglättet, die oben erwähnten Eltern haben ihren Ton geändert und ihren Kommunikationsstil gezähmt. 

Ich bin aber definitiv gewarnt. 

Ja, ich bin eine Lehrkraft, die ihre Telefonnummer bereitwillig am Schuljahresanfang hergibt, in der Annahme, dass Eltern dies nicht ausnutzen. In vier von fünf Fällen ist dem auch so. Dennoch verbringe ich mindestens drei bis vier Zeitstunden wöchentlich mit Elternkommunikation. Ich glaube an die Zusammenarbeit, ich möchte erreichbar sein und Entscheidungen transparent kommunizieren. Ich teile Bewertungsskalen und Erwartungskriterien. Ich schreibe alle sechs Wochen Elternbriefe und informiere die Eltern über die Geschehnisse in der Klasse, die behandelten Themen, die anstehenden Events. Ich sende Fotos von Ausflügen und schönen gemeinsamen Momenten im Schulalltag.

Dennoch beschäftigen mich die Vorwürfe. Und der Gedanke: Was ist der richtige Weg? Was die richtige Menge an Erreichbarkeit? 

Ich wasche Durchfall aus Sporthosen, wenn der Weg zum Klo zu weit war. Ich erkläre wie man Binden in Unterhosen klebt. Ich habe in diesem Schuljahr 20 Kindern beigebracht, zweisprachig die Uhr zu lesen, obwohl alle Kinder aus österreichischen Volksschulen kamen. Ich erkläre, wie man Brüche im Alltag verwenden kann, wie man einen Podcast schneidet und mache Lesestunden bei Kerzenschein. 

Wieso sind Lehrkräfte bei all diesen Tätigkeiten immer noch das Feindbild einiger Eltern? Und was können wir tun, wenn zuhause kommuniziert wird: „Auf die brauchst du nicht zu hören, die hält sich eh für was besseres, weil sie studiert hat!“

Ich kenne Kolleg:innen, die ausschließlich mit Webunits oder Schoolfox mit den Eltern kommunizieren. Die niemals ihre Nummer hergeben würden und für die sich Elternarbeit auf KEL Gespräche reduziert – oder die eine oder andere Beschwerde über Unpünktlichkeit oder unlauteres Verhalten. Doch haben wir nicht die Pflicht, eng mit Eltern zusammenzuarbeiten?

Natürlich verstehe ich die Angst der Eltern um das eigene Kind. Ich habe selbst einige und bin oft nicht glücklich mit Entscheidungen und/oder Haltungen ihrer Lehrkräfte. Aber können wir den Kindern nicht beibringen, dass es Teil vom Leben ist, auch mit herausfordernden Menschen wertschätzend und achtsam umzugehen? Dass dies im Leben immer wieder passieren wird, dass wir Leute treffen, womöglich mit ihnen zusammenarbeiten müssen, die nicht unserem Idealtypus entsprechen? Und gibt es da nicht genau einen Weg? Entweder arbeiten wir gut zusammen oder sehr gut – alles andere ist unprofessionell!

Die Autorin ist Lehrerin an einer Wiener Mittelschule.

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Warum berichten unsere Pädagogen*innen immer wieder von Überlastung? Mit dieser Frage ist eine Gruppe von Eltern vor nicht allzu langer Zeit an mich herangetreten. Sie haben eine Arbeitsgruppe gebildet und möchten sich mit diesem Thema beschäftigen. Ich selbst bin Arbeitspsychologin, Mama zweier Mädels an dieser Schule und im Rahmen meiner Elternmitarbeit begleite ich seit 6 Jahren das Team. Das Ziel meiner Arbeit: Pädagogen*innen an einer reformpädagogischen Schule, die gesund bleiben und mit Freude bei der Arbeit sind.

Auf die Frage der Eltern bin ich dann in mich gegangen, habe die Arbeit der letzten Jahre reflektiert und mich mit dem Team besprochen. Die Antwort ist eigentlich ganz klar: der größte Belastungsfaktor sind die Eltern – so traurig das auch klingen mag. Alle Teammitglieder sind einer Meinung: die Arbeit mit den Kids bereitet ihnen viel Freude und ist meistens auch energiebringend. Die Arbeit im Team passt auch sehr gut. Die eine oder andere Besprechung ist zu viel, es bleiben immer wieder spannende Projekte liegen, weil die Zeit fehlt und ab und zu stellt auch die Bürokratie eine Herausforderung dar. Alles part of the job und auch ok – wären da bloß nicht die Eltern.

Unsere Schule ist recht klein. Sie wird von rund 90 Schüler*innen zwischen 7 und 15 Jahren besucht. Auch wenn wir seit ein paar Jahren eine konfessionelle Schule sind, ist das Schulgeld, das monatlich zu bezahlen ist, doch recht hoch und mit der Höhe des Schulgeldes steigt wahrscheinlich auch der Anspruch der Eltern „etwas Besonderes“ – einen Mehrwert im Vergleich zur Regelschule zu bekommen. Immer wieder fällt die Aussage von Seiten der Eltern „wir zahlen ja dafür“. Und mit dieser Aussage üben sie, wenn auch nicht bewusst, Druck auf das Team aus.

Das Team ist sehr bemüht immer wieder Außergewöhnliches zu leisten. Manchmal scheint es so, als hätte das den gegenteiligen Effekt. Warum? Weil man es niemals allen recht machen kann und die Zielgruppe der Eltern, deren Kinder eine reformpädagogische Schule besuchen ist doch – auch wenn man sich das nicht erwartet – sehr heterogen. Manche Eltern wünschen sich einen sehr freien Schulunterricht. Andere wiederum sind stark verunsichert, wenn die Struktur fehlt. Manche wünschen sich Lernchecks, manche sogar Noten und andere wiederum am liebsten keinerlei offensichtliche Leistungsbeurteilung bis zum Ende der Schulpflicht. Und die Pädagogen*innen – die stehen dazwischen und mühen sich damit ab die Freude an der Arbeit nicht zu verlieren. Nebenbei bemerkt – alle diese Themen sind in einem verschriftlichten Schulkonzept festgelegt, das den Eltern schon vor dem Eintritt ausgehändigt wird – und dennoch führen sie immer wieder zu Diskussionen.

Nur kurz erwähnt, um nicht zu vergessen – der Redebedarf der Eltern. Der, so denken manche Eltern zumindest, in einer Schule, in der man zahlt, auch entsprechend lange gestillt werden sollte. Auch das kostet Zeit und erfüllt man die Erwartungen der Eltern nicht und hört sich ihre Sorgen nur unzureichend an, so gehen sie in den Widerstand und dann wird es erst recht anstrengend.

Gemeinsam mit dem Team haben wir die verschiedensten Varianten überlegt. Die Quintessenz: es sind immer nur ein eine Hand voll Eltern, die anstrengend sind. Die Zusammenarbeit mit dem größten Teil der Eltern ist fruchtbar und wertschätzend. Das Ziel: den Fokus auf jene Eltern zu legen die Energie bringen oder zumindest energieneutral sind.

Und zum Schluss noch ein paar Vorschläge für Eltern: 

  1. Auch wenn ihr eingeladen seid, im Unterricht zu hospitieren: Vielleicht reichen drei Mal im Jahr, um so einen groben Eindruck zu erhalten. Es muss nicht jede Woche sein.
  2. Überlegt vorher, wie wichtig die Kontaktaufnahme am Sonntagabend zu der Lehrperson ist. Und dann teilt die Wichtigkeit durch 25… denn soviel Schüler:innen betreut die durchschnittliche Lehrkraft. 
  3. Außer im Fußball gibt es vermutlich nirgends so viele Expertinnen wie im Bildungsbereich. Die Lehrkräfte wissen meist was sie tun und das was sie tun tun sie nach bestem Wisen und Gewissen. Sie haben sich den Beruf ausgesucht und machen ihn im Normalfall gut und gerne. Natürlich kann es Ausnahmen geben. Aber gerne einfach mal „the benefit of the doubt“ geben. 
  4. Und zu guter Letzt Rosegger – schließlich sind wir in der Steiermark: Wenn du wen gern hast, lege ihm alles zum Guten aus – dann hast du meistens recht. 

Die Autorin ist Arbetispsychologin und aktive Mitwirkende in der Elternarbeit in der Steiermark.

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Lehrplanänderungen. Neue Curricula. Neue Arbeitsverträge. Verlängerung des Lehramt-Studiums. Verkürzung des Lehramt-Studiums. 

Wie in jedem Beruf kommt es wohl auch im Lehrberuf immer wieder zu Veränderungen. Und gerade in einer Zeit, in der sich die Gesellschaft, die Medien und die Umstände, rascher weiterentwickeln als sonst, ist das wohl auch nachvollziehbar und gut. Nur manchmal kommt man da als Student:in nicht so ganz mit. 

Gut, wenn Lehrpläne angepasst werden, betrifft uns das zunächst einmal nicht direkt. Wir stehen schließlich noch nicht in der Schule und hätten eine Jahresplanung o.ä. die wir dann verändern oder umschmeißen müssten. Und im Studium wird der Lehrplan, der eigentlich später unsere Arbeitsgrundlage bildet, wenn du Glück hast, nur in den Fachdidaktik-Vorlesungen kurz einmal behandelt. Denn „bis Sie in der Klasse stehen, wird sich der Lehrplan sowieso noch einmal verändern“, wie ein Professor einmal zu uns sagte. (Ob das nun ein Argument dafür ist, sich damit gar nicht zu beschäftigen, sei in Frage gestellt.) D.h. wir bekommen zwar mit, dass der Lehrplan, für welche Schulstufe und für welches Fach auch immer, wieder einmal eine Generalsanierung bekommt, so richtig damit auseinandersetzten, tun wir uns aber nicht. Also zumindest nicht im Studium. Und wenn wir ehrlich sind, werden die meisten Student:innen auch ihre Freizeit nicht damit verbringen, sich durch den meist sehr kryptisch geschriebenen Lehrplan zu kämpfen. Was ich also damit sagen will, ist, dass Veränderungen im Bereich der Lehrpläne durchaus gut und erforderlich sind. Nur der Umgang damit im Studium (und vielleicht auch in den Schulen) könnte ein wenig besser laufen. Denn ob es so zielführend ist, das erste Mal in einen Lehrplan reinzusehen, wenn ich am nächsten Tag meine erste Schulstunde halten muss, weiß ich nicht so ganz. Und ja klar, die Verantwortung liegt dabei sicher auch zu einem größeren oder kleineren Teil bei uns Student:innen. Doch wenn wir schon von Lehrplan oder eben Curricula-Veränderungen sprechen, könnten wir dieses Anliegen doch durchaus einmal auf den Tisch legen und so vielleicht erreichen, dass wir uns auch im Studium schon damit auseinandersetzten, müssen. 

Wenn wir schon dabei sind: Curriculum Veränderungen sind auch so eine mystische Sache. Irgendwie sind sie immer auf einmal da und keiner weiß, wie und was sich genau verändert hat. Man kann umsteigen auf das neue, es ist aber auch kein Problem, wenn man im alten bleibt. Außer, es vergehen zu viele Jahre. Klar, solche Änderungen durchzuführen, und dann tausende von Studierenden in ein neues System einzugliedern, ist eine Mammut-Aufgabe. Nur vielleicht wäre es ja ein möglicher Ansatz, Veränderungen, die durchaus wichtig sind, in kleineren Bereichen wie den einzelnen Lehrveranstaltungen anzusetzen, anstatt immer das Große-Ganze zu verändern. 

Dass sich also Lerninhalte auch auf Ebenen der Unis verändern, ist essenziell für ein immer innovativer werdendes Schulsystem in Österreich. Wie wir mit diesen Veränderungen aber umgehen, könnten wir durchaus noch einmal überdenken. Und wie das Ganze dann nach der Verkürzung des Lehramt-Studiums aussieht, darüber reden wir dann, wenn es so weit ist. 

Anna Lemmerer, Lehramtsstudentin in Wien und Schulgschichtn-Redakteurin

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Wie wird mit dem Thema psychischer Gesundheit an deiner Schule umgegangen?

Sarah*: Unsere Direktorin hat sich darum bemüht, Unterstützungspersonal an die Schule zu holen und auch zu halten. An jeweils 3 Tagen pro Woche ist eine Schul-Sozialarbeiterin sowie eine Beratungslehrerin und an 3-4 Tagen eine Jugend-Coach da. Dieses Personal beschäftigt sich auf Anfrage der Lehrpersonen und/oder in Absprache mit der Direktion mit Schüler:innen. Anlässe dafür gibt es viele, meistens kommt das Unterstützungspersonal meiner Wahrnehmung nach aber dazu, wenn es einen negativen Vorfall mit den betreffenden Kindern und Jugendlichen gab. Dies ist meiner Einschätzung nach auf die begrenzten Ressourcen, die dem Unterstützungspersonal zur Verfügung stehen, zurückzuführen, obwohl Prävention in der emotionalen und sozialen Arbeit effektiver als Reaktion ist.

Seit April kooperieren wir außerdem einmal wöchentlich mit einem Verein, der mit Kindern arbeitet, die durch Krisen und Krieg eventuell traumatische Erfahrungen gemacht haben.

Zudem arbeiten an unserer Schule 4 Integrationslehrer:innen, die sich in Integrationsklassen um besondere Lernbedürfnisse der Schüler:innen kümmern. Diese Klassen sind im besten Fall kleiner als die anderen Klassen, damit die I-Lehrer:innen sich wirklich mit den Kindern beschäftigen können.

Last but not least kommt einmal pro Woche Personal vom MIT (= multikulturelles Integrationsteam) an unseren Standort.

Elisabeth*: Wir haben 12 Wochenstunden Unterstützung von einer Psychagogin und genauso viele von einer Schulsozialarbeiterin. Wir haben ca. 270 Schüler:innen und mindestens ein Drittel würde permanente Betreuung brauchen. Die Gründe sind unterschiedlich. Entschieden wird bei Erstgesprächen nach Dringlichkeit. Aus der Sicht der beiden Fachfrauen durchaus einleuchtend, weil die Ressourcen beschränkt sind. Aus der Sicht der Schüler:innen, denen es schlicht und einfach nicht gut geht, warum auch immer, eine Katastrophe. Auch wenn uns als Lehrer:innen auffällt, dass es einem Schüler oder einer Schülerin nicht gut geht, müssen wir damit rechnen, dass nicht zeitnah geholfen werden kann.

Im Kollegium sind die Ansichten in Bezug auf psychische Erkrankungen durchaus geteilt. Es gibt jene, die nur wenig Einfühlungsvermögen haben. Die im Jahr 2024 immer noch der Meinung sind, die Schüler:innen sollen sich einfach zusammenreißen. Genau bei diesen Kolleg:innen wird die Arbeit der Beratungslehrerin meistens argwöhnisch betrachtet. Auch der Verdacht wird laut geäußert, dass sich die Kinder nur vor den Unterrichtsstunden drücken wollen. Andere Kolleg:innen erkennen die Nöte der Mädchen und Jungen und agieren dementsprechend.

Hat sich dabei in den letzten Jahren etwas verändert?

Sarah: Ich bin erst seit 3 Jahren an der Schule. Seitdem arbeiten die selben Unterstützungspersonen an unserem Standort. Das ist natürlich sehr hilfreich, weil ich glaube dass eine gute Zusammenarbeit Zeit und Routinen braucht.

Vorher wechselten die Unterstützungspersonen nach Angaben von Kolleg:innen häufiger, auch weil z.B. die Sozialarbeit an einer Schule andere Rahmenbedingungen vorgibt als die Arbeit in einer betreuten Wohngemeinschaft.

Es fällt uns schwer zu beurteilen, ob die psychische Belastung von Kindern in den letzten Jahren, z.B. durch die Schulschließungen durch Covid-19, zugenommen hat. Unverändert hoch ist jedenfalls die psychische Belastung von Kindern und Jugendlichen, die von sozialer Ungleichheit und Rassismus betroffen sind. An einer Schule wie unserer, wo über 90% der Kinder Erfahrungen mit Migration und Armut haben, konzentrieren sich diese beiden Lasten leider auf den Schultern vieler Schüler:innen.

Elisabeth: Ja, die psychischen Probleme werden mehr. Ich persönlich glaube, dass das immer noch die Nachwirkungen der Corona-Zeit sind. Aber auch die Bereitschaft unserer Schüler:innen offen über psychische Probleme zu reden, ist gewachsen. Umso schlimmer ist, dass wir sie oft auf einen späteren Zeitpunkt vertrösten müssen. Oder wir verweisen auf Fachleute, die nicht in der Schule arbeiten. Das stellt aber für viele ein Hindernis dar. Außerhalb der vertrauten Umgebung wird nicht gerne um Hilfe gebeten.

Bekommt ihr die (externe) Unterstützung, die ihr benötigt?

Sarah: Es ist sehr gut, dass wir das genannte Unterstützungspersonal an der Schule haben. Allerdings wäre es wichtig, dass dieses Personal genügend Stunden, Räume und Ressourcen zur Verfügung hätte, um bereits präventiv, nicht erst in Reaktion auf einen negativen Vorfall, zum Einsatz zu kommen. Denn es muss betont werden, dass Kinder, die ihre psychische Belastung nicht durch auffälliges Verhalten äußern, sondern sich zurückziehen, eventuell von Lehrpersonen und Unterstützungspersonal übersehen werden.

Elisabeth: Wir bräuchten einfach mehr niederschwellige, mehrsprachige Hilfsangebote an der Schule. Externe Hilfe zu bekommen, darf nicht „ewig“ dauern. Wir brauchen in dieser Richtung auch gezielte, mehrsprachige Elternarbeit. Viele unserer Eltern haben große Scheu, wenn es um die psychische Gesundheit ihrer Kinder geht. Auch da fehlt es an Unterstützung. Im Übrigen bin ich der festen Überzeugung, dass Mehrsprachigkeit bei den Beratungslehrer:innen und Schulsozialarbeiter:innen enorm wichtig ist.

Wie siehst du deine Rolle als Lehrperson, um deine Schüler:innen in ihrem Wohlbefinden zu unterstützen?

Sarah: Ich denke, dass ich als Lehrperson im Klassenzimmer auf Struktur, Sicherheit und ein wertschätzendes Klima achten muss, damit die Belastungen, die Kinder von außen mitbringen, nicht noch durch den Besuch der Schule verstärkt werden. Das bedeutet zum Beispiel, dass es im Unterricht und in den Pausen so ruhig sein soll, dass sich alle wohl und sicher fühlen. Lernen ist neurowissenschaftlich gesehen übrigens überhaupt erst dann möglich. Ich bemühe mich, den Kindern den Unterrichts- und Schularbeitsstoff transparent, verlässlich und auf Augenhöhe zu vermitteln, um ihnen Stress durch Schularbeiten zu ersparen. Es muss darüber hinaus Raum für Kinder geben, ihre Persönlichkeit zu entwickeln, kleine Fehler im Sozialverhalten zu machen und aus ihren Fehlern zu lernen. Soziales Lernen ist ebenso ein Schulfach wie Mathematik und wird im besten Fall fächerübergreifend vermittelt.

Zu meinem Selbstverständnis als Lehrperson gehört außerdem die Kooperation mit dem Unterstützungspersonal. Das heißt zum Beispiel, dass ich mir Zeit nehme, um über Fälle in der Klasse zu sprechen, mir anzuhören, was Sozialarbeiterin und Beratungslehrerin berichten und Erkenntnisse gegebenenfalls im Umgang mit dem Kind oder Jugendlichen zu implementieren. 

Ein echter Spagat ist es, auf Kinder und ihre individuellen Bedürfnisse einzugehen und trotzdem Schritt mit Schularbeiten und Abgabeterminen zu halten. Diesen Spagat schaffe ich manchmal nicht und verlasse das Klassenzimmer in dem Wissen, dass ich den Kindern Unmögliches abverlange. Aber statt mich selbst zu kasteien habe ich begonnen, meine Kritik am Schulsystem, nicht an Individuen, zu formulieren. Die fällt immer drastischer aus und reiht sich in einen seit Jahren bestehenden Kanon ein. Das Schulsystem in Österreich gehört zu den teuersten auf der ganzen Welt, bringt aber nur mangelhafte Ergebnisse.

Elisabeth: Klar gehen Lehrer:innen auch an ihre Grenzen, wenn Schüler:innen, die psychische Probleme haben, in ihren Klassen sind. Es erfordert ein hohes Maß an Sensibilität von Seiten der Lehrkräfte. Und die Frage aller Fragen, die wir uns stellen müssen, ist, ob wir im Stande sind zu helfen. Ich persönlich hole mir in solchen Fällen Rat von Expert:innen. Klar, ich will helfen. Ich kann zuhören und auch vermitteln. Ich verbalisiere das auch, wenn Schüler:innen sich mir anvertrauen. Ich sage klar, wenn ich mich überfordert fühle. Und in Wahrheit zeige ich damit, dass es okay ist, sich Hilfe zu holen.

Wir haben viel Nachholbedarf in Bezug auf die psychische Gesundheit unserer Schüler:innen. Es gibt viel zu tun.

*Namen von der Redaktion geändert.

Beide Lehrer:innen unterrichten an Mittelschulen in Wien.

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Meine Liste mit den Schularbeitsnoten der 4b zirkuliert in der WhatsApp-Gruppe der Schüler*innen. Ich habe sie ihnen weder geschickt, noch habe ich ihnen die Noten schon gesagt. Jemand muss an meine Sachen gegangen sein, die ich in der Pause immer am Tisch liegen lasse. Ich vertraue meinen Schüler*innen, das wissen sie. Jemand muss in Windeseile mein Notenheft geöffnet, das Handy gezückt und ein Foto geschossen haben. Ich bin schockiert, enttäuscht, und richtig wütend…

„Das Lehrerzimmer“

Dieser Vorfall liegt bereits fünf Jahre zurück. Trotzdem kam er mir sofort in den Sinn, als ich kürzlich den Film „Das Lehrerzimmer“ im Kino sah. Im Film können wir eindrücklich beobachten, wie an einer Schule ausgelöst durch Diebstähle zunehmend die Stimmung kippt. Die Suche nach dem Dieb oder der Diebin treibt die Handlung voran: Wer ist schuld? 

Im Mittelpunkt steht eine engagierte Lehrerin, die versucht das Richtige zu tun. Das versuchen auch andere, und dabei wird alles nur noch schlimmer. Schnell verbreitetet sich eine ungute Atmosphäre. Misstrauen, Kontrolle, und Angst wachsen – die Anspannung ist im Kinosessel spürbar. Aus Lehrer*innen werden Ermittler*innen, Gespräche zu Verhören, Anschuldigungen gemacht und Beweise gesammelt. Wer war zur falschen Zeit am falschen Ort? Wer könnte ein Motiv haben? Wer verstrickt sich in Widersprüchlichkeiten? Wer hat vielleicht die „falsche“ Herkunft? 

Am Ende des Films sind mehr Fragen offen als beantwortet, und die Frage, wer gestohlen hat, sowieso. Einzig klar ist: Die Situation ist komplex.

Auf der Suche nach dem richtigen Handeln 

Wer in einer Schule arbeitet, kennt solche Szenarien. Etwas passiert, ob klein oder groß, und sofort beginnt die Suche nach der oder dem Schuldigen. Wer hat in der Pause die Wasserflasche über dem Heft von Ivana verschüttet? Wer hat die Prügelei am Gang begonnen? Wer hat das iPad von David genommen? Wer hat gepetzt? Wer hat das Fenster aufgemacht? Wer hat für Unordnung gesorgt? Und so weiter. Nicht nur von Seiten des schulischen Personals, sondern gerade auch Schüler*innen fordern mit oft großer Vehemenz ein, dass ein Urteil gefällt wird: Wer ist schuld? In einem Moment stehe ich da und halte Pausenaufsicht, im nächsten Moment soll ich Polizistin und Richterin gleichzeitig spielen. Stunden um Stunden, die ich in der Vergangenheit damit zugetragen habe, entsprechende „Ermittlungen“ anzustellen, stets im Bemühen fair und richtig zu handeln.  

Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass es nach vielen Vorfällen eine relevantere Frage als die nach der Schuld gibt: Was brauchst du? Was wünschst du dir? Und zwar an die ganze Gruppe gestellt, nicht nur an Opfer und Täter*in einer konkreten Handlungssituation. Was brauchen wir alle um weitermachen zu können? Um ein Miteinander (wieder) zu ermöglichen? Um das Vertrauen (wieder) herzustellen? Um das Geschehene hinter uns lassen zu können? 

Diese Fragen können wir als Lehrer*innen stellen. Das können Schüler*innen als Peer-Mediator*innen machen. Manchmal braucht es dafür auch externe Mediator*innen. Und das schließt nicht aus, dass es auch Konsequenzen („Strafen“) geben kann oder soll. Gerade weil Situationen oft komplex sind, sollten Konsequenzen jedoch Produkt eines anders gestalteten Prozesses sein. Manchmal nimmt das mehr Zeit in Anspruch, viele Male sogar weniger.  

Aus Fehlern lernen

Auch vor 5 Jahren wollte ich in erster Linie herausfinden, wer schuld ist, wer es getan hat. Wer war an meinen Sachen, und hat meine Privatsphäre und mein Vertrauen verletzt? Und natürlich habe ich es herausgekriegt. Gerade weil die Basis zu dieser Klasse so stark war, hat meine Welle an Vorwürfen und emotionalem Druck wirkungsvoll eingeschlagen. Ich habe schnell und mit wenig Aufwand herausbekommen, wer es getan hat. Ein Erfolg war es jedoch keiner, wie ich bald erkennen sollte. Es war der Schüler, von dem ich es am wenigsten erwartet hätte. Früher als schlecht in Mathe abgestempelt, ist er in meinem Unterricht aufgeblüht, hat sich angestrengt und beeindruckende Leistungen erbracht. Einige Tage nach der Schularbeit habe ich der Klasse gesagt, dass ich die Ergebnisse schon hätte, sie ihnen aber noch nicht sagen würde. War das aus Unbedachtheit? Eine „Erziehungsmethode“? Praktischen Umständen geschuldet? Ich erinnere mich leider nicht mehr. Aber dieses „Ihr-müsst-noch-warten“ hat mit allen Schüler*innen etwas gemacht, und den Schüler, dem seine Mathematik-Leistungen so wichtig geworden waren, hat es unter großen Stress und psychischen Druck gesetzt. Er konnte nicht länger warten, keine weiteren Minuten oder gar Stunden mit Grübeln und Sorgen verbringen, er wollte unbedingt sein Ergebnis wissen, wo es doch so verlockend am Tisch vor ihm lag. Und er wollte den anderen auch zur Erleichterung und Klarheit verhelfen. Damals war die Sache für mich abgehakt, nachdem ich wusste, wer es getan hat und wer Konsequenzen bekommen würde. Heute frage ich mich, wie sich die Beziehung zwischen mir und meinen Schüler*innen weiterentwickelt hätte, hätte ich all diese anderen Fragen gestellt. 

Wenn ich statt „Wer ist schuld?“ gefragt hätte „Was brauchen wir?“.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.