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Hürden, Eigeninitiative und pures Glücksgefühl

Manche wollen sie haben, andere wehren sich vehement dagegen. Viele Personen sprechen darüber, einige setzen sich dafür ein und ein paar haben sich dem Thema voll und ganz verschrieben.

Mich haben technische Innovationen schon immer interessiert. Ich war zwar weder an einer technischen Schule, noch habe ich ein Studium in diese Richtung absolviert. Digitale Geräte und Tools haben in mir aber schon sehr früh eine gewisse Faszination ausgelöst, von der ich mich nicht lösen konnte.

Vor meiner Lehrtätigkeit war ich mehrere Jahre als Projektmanager in einer Agentur tätig. Schon dort stieß mein Drängen auf den Einsatz neuer Technologien nicht selten auf taube Ohren. Gewisse Abläufe mache man ja immer schon so – und zwar ganz erfolgreich. Wozu also Veränderung? Also habe ich mich mehr und mehr dem System gefügt und meine E-Mails nicht nur digital abgelegt, sondern Zettel für Zettel akribisch genau in einen großen Aktenordner sortiert – unabhängig davon, von welcher Relevanz der Inhalt war.

Einige Jahre später befinde ich mich im Lehrerberuf, stehe in der Klasse und stelle mir die Frage, was ich den Kindern hier vermitteln möchte. Will ich dazu beitragen, dass sie so analog arbeiten, wie es immer gemacht wurde? Oder will ich vielleicht derjenige sein, der ihnen neue, digitale Wege aufzeigt und einen Beitrag dazu leistet, dass sie selbst neue Dinge ausprobieren? Ich habe mich für Letzteres entschieden und mir im Herbst 2017 zum Ziel gesetzt, so viel wie möglich für die Digitalisierung meiner Schule beizutragen. Was folgte, war eine zweijährige Achterbahnfahrt mit Hürden, von denen ich nicht zu träumen wagte.

Ein erster Versuch

Da es an der Schule an Beamern mangelte, organisierte ich mir privat einen aussortierten Flachbildfernseher, zerrte ihn zuerst ins Uber und dann in meine Klasse. Die erste große Innovation – eine Präsentationsmöglichkeit im Klassenzimmer – war gegeben. Zumindest für drei Monate. Dann musste das Gerät aus Sicherheitsgründen wieder aus meiner Klasse verschwinden. Es hätte ja sein können, dass ein Kind durchs Bildschirmglas köpfelt. Eine fixe Montage an der Wand war leider auch nicht möglich, weil ja nichts in die Wände gebohrt werden durfte. Also durchforstete ich alle Schulschränke und fand tatsächlich noch ein paar alte Projektionsgeräte, die von der Schulgemeinschaft als defekt erklärt wurden. Es fehlten aber lediglich ein paar günstige Kabel und Verbindungsstücke – und schon war unsere Schulgemeinschaft um vier Beamer reicher. Eine fixe Montage an der Decke war aus bereits erklärten Gründen weiterhin nicht möglich. Aber immerhin wurden Projektorwägen angeschafft, sodass bei Bedarf meistens ein mobiles Projektionsgerät zur Verfügung stand. „Der erste Schritt ist vollbracht!“, dachte ich mir und bespielte meine damalige 3. Klasse von nun an mit anschaulichen Präsentationen, Erklärfilmen und dem ein oder anderen interaktiven Quiz zur Festigung des Lehrstoffes. Hierfür durften sie ihre Smartphones nützen, wobei natürlich immer ein paar Schüler*innen dabei waren, die keines hatten oder Opfer des lahmen Schul-WLANs wurden.

Pilotprojekte und Fortbildungen

Ja zur Digitalisierung“, sagte ich mir, „aber wenn, dann ordentlich. Tablets müssen her!“. Ich schrieb ein Konzept, reichte es für ein Pilotprojekt ein und bekam kurze Zeit später für drei Monate Tablets in Klassenstärke. Um den Unterricht so kreativ und begeisternd wie möglich zu gestalten, informierte ich mich über die Einsatzmöglichkeiten, schaute hunderte, vorwiegend skandinavische und amerikanische Videos zur digitalen Bildung und testete unzählige Apps. Die Begeisterung der Schüler*innen war enorm, ließ aber innerhalb kürzester Zeit wieder nach. Die zur Verfügung gestellten Tablets waren veraltet, langsam und so klein, dass viele lieber zum Smartphone griffen. Darüber hinaus war auch das WLAN-Problem noch nicht gelöst und es kostete allen Beteiligten viele Nerven, mit diesen Geräten zu arbeiten. Ich erklärte das Projekt für gescheitert – zumindest vorerst – und beschränkte die Digitalisierung im Klassenzimmer in den nächsten Monaten wieder auf meine Präsentationsinhalte und gelegentliche Online-Quizze zur Festigung.

Beim Besuch verschiedener Bildungsmessen und Digitalisierungsveranstaltungen holte ich mir meine Motivation zurück. Ich hörte von einem einmonatigen Pilotprojekt, reichte ein adaptiertes Konzept ein und bekam kurze Zeit später wieder einen Tablet-Koffer geliefert. Diesmal handelte es sich um aktuelle Geräte eines anderen Herstellers mit einem größeren Bildschirm. Inkludiert war auch ein WLAN-Router, der das Problem mit dem lahmen Schul-WLAN löste. Die nächsten vier Wochen standen ganz im Zeichen des Ausprobierens. Wir testeten alle möglichen Apps auf ihre Tauglichkeit. Oft blieben die Kinder, die mittlerweile die 4. Klasse besuchten, auch freiwillig länger an der Schule, um mir als Tablet-Probanden zur Verfügung zu stehen. Schnell entdeckten wir die schier unendlichen Möglichkeiten des digitalen Lernens und spätestens zu diesem Zeitpunkt war mir klar, dass ich diesen Weg weiterhin verfolgen möchte.

Einführung von Tablet-Klassen

Ich überzeugte meine Direktorin von der Einführung einer Tablet-Klasse ab dem darauffolgenden Schuljahr und ein paar Kolleg*innen davon, diesen Schritt mitzutragen. Ich besuchte eine Fortbildungsreihe zum Unterrichtskonzept „Flipped Classroom“, recherchierte was das Zeug hält und tauschte mich mit Lehrkräften anderer Schulen aus, die diesen Weg schon viel früher einschlugen. Nicht selten fand ich mich in meinem alten Beruf als Projektmanager wieder. Ich holte Angebote ein, schrieb Excel-Listen mit komplexen Funktionen und verhandelte Budgets.

Da für die Umsetzung seitens Schule und Elternverein kein Geld zur Verfügung stand, entschieden wir uns für die privat finanzierte Umsetzung. Um die finanziell schwierigen Umstände der Familien unserer Schüler*innen etwas abzufedern, reichte ich wieder einmal ein Konzept ein. Diesmal beim Förderprogramm von „SEED – Hier wachsen Ideen“. Das Projekt wurde aufgenommen und wir bekamen eine Finanzspritze, um einerseits die Erziehungsberechtigten etwas zu entlasten und andererseits notwendige Lehrer*innen-Geräte anzuschaffen. Mit der Förderung einher ging ein einjähriges Begleitprogramm mit regelmäßigen Terminen, um den Fortschritt des Projektes zu beobachten und zu dokumentieren.

Finanzielle Hürden

Als wir die Erziehungsberechtigten bei der Schuleinschreibung im Februar 2019 von unserem Vorhaben informierten, war der Zuspruch überwältigend. Daraus resultierte, dass unser Musikraum beim Informationsabend aus allen Nähten platzte und tatsächlich alle Besucher*innen ihr Kind in der Tablet-Klasse unterbringen wollten. Kurzerhand entschieden wir, den Projektumfang auszuweiten und uns gleich auf drei Tablet-Klassen einzulassen. Um mit Beginn des neuen Schuljahres zu starten, mussten die Geräte noch vor dem Sommer bestellt und auch bezahlt werden. Da dies leider nicht allen Familien möglich war, wurden Kreditangebote eingeholt, Teilzahlungsmodelle ausgearbeitet und private Vorschüsse durch die Lehrkräfte geleistet. Parallel wurden unzählige Telefonate mit Lieferanten, Erziehungsberechtigten und Kolleg*innen geführt, um alles auf Schiene zu bringen – auch inmitten der Sommerferien und direkt aus dem Urlaub.

Wir haben uns bewusst dafür entschieden, die Tablets erst ein paar Wochen nach Schulbeginn an die Schüler*innen zu verteilen, damit die Gewöhnungsphase an die neue Schule nicht gestört wird. Diese Wochen nützten interessierte Lehrkräfte auch für den Besuch von Weiterbildungen und Tablet-Trainings. Anfang Oktober stand ein Spediteur vor den Schultoren und hatte zwei Paletten voller Tablets im Gepäck. Nach wenigen Tagen waren sie richtig zugeordnet, konfiguriert und bereit für den Einsatz im Unterricht.

Begeisterung und Glücksgefühle

Heute, etwa ein halbes Jahr später, gehe ich durch die Reihen der drei Tablet-Klassen und verspüre ein pures Glücksgefühl. Die Schüler*innen navigieren durch die unzähligen Bildungsapps, als würden sie das immer schon so machen. Sie gestalten kreative Präsentationen, recherchieren im Internet und erstellen Online-Quizze für die Mitschüler*innen. Sie drehen Wetterberichte, kreieren englische Comics und bearbeiten gemeinsam, aber vom eigenen Tablet aus, literarische Texte. Im Unterricht arbeiten sie selbständig an digitalen Arbeitsplänen, während wir Lehrkräfte als Lerncoaches agieren. Für viele Aufgaben benötigen sie das Tablet, auch wenn die klassischen Hefte und Schulbücher auf gemeinsamen Wunsch des Kollegiums weiterhin dominieren. Es herrscht eine angenehme und förderliche Arbeitsatmosphäre und die Kinder haben innerhalb kürzester Zeit eine Problemlösungskompetenz entwickelt, die mich zum Staunen bringt.

Besonders stolz war ich am Tag der offenen Tür, als die Schüler*innen den Volksschulkindern zeigen durften, was sie schon gelernt hatten. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meiner Klasse nicht glauben, dass sie erst seit wenigen Monaten mit den Tablets arbeitet.

Es kommt nicht selten vor, dass mir Schüler*innen morgens im Bus erzählen, dass sie die Arbeitspläne des aktuellen Tages schon fertiggestellt hätten, weil ich sie am Abend zuvor schon für sie freigeschaltet habe. Diese Motivation und Eigeninitiative beobachte ich auch, wenn ich ihnen mittels zentraler Verwaltung der Tablets neue Apps installiere, ohne ihnen genauere Anweisungen dazu gegeben zu haben. Sie probieren, gestalten und lösen von zuhause aus, ohne dass sie dazu aufgefordert werden. Damit ist genau das auf sie übergeschwappt, was meine Motivation für dieses Projekt war und ist: Neugierde, Begeisterung und Eigeninitiative.

Nicht alle Lehrkräfte im Kollegium waren von der Projektumsetzung angetan. Viele davon konnten aber in den letzten Monaten überzeugt werden und setzen die Tablets mittlerweile selbst regelmäßig im Unterricht oder für Hausaufgaben ein. Die Vorbereitungen für die nächsten Tablet-Klassen sind voll im Gange, was bedeutet, dass sich wieder neue Lehrkräfte unserer Schule dafür entschlossen haben und dazu beitragen, dass unser Digitalisierungsprojekt wächst.

Ich kann nur alle interessierten Lehrkräfte dazu ermutigen, sich für die Digitalisierung im Klassenzimmer stark zu machen und nicht darauf zu warten, bis es die Bundesregierung macht. Ja, es ist ein steiniger und mühsamer Weg, auf dem viele Hürden warten, mit denen man vorher nicht gerechnet hat. Aber die Schüler*innen werden es ihnen mit Begeisterung, strahlenden Augen und – vielleicht wie in unserem Fall – einer regelmäßigen Hausaufgaben-Abgabequote von fast 100 Prozent danken.

Der Autor ist Lehrer an einer NMS in Wien.

Lesezeit: 3 Minuten

Wer heutzutage schon als Lehrer*in in der Klasse gestanden ist, weiß, dass es ganz anders ist als früher. Ich hätte mich als Schüler nie getraut, einem Lehrer oder einer Lehrerin eine Frage zum Privatleben zu stellen. Mich hat es also extrem überrascht, als schon in den ersten paar Tagen meine Schüler*innen von mir alles Mögliche wissen wollten, und vor allem: „Herr B., haben Sie eine Freundin?

Die Antwort auf diese Frage war auf der einen Seite ein eindeutiges „Nein“, auf der anderen Seite etwas komplexer. Denn die Frage, die danach immer gekommen ist – „Warum denn nicht?“ – wollte ich nicht ehrlich beantworten. Was würde passieren, dachte ich mir, wenn ich ihnen erzählen würde, dass ich schwul bin? Können sie selbst damit umgehen, was werden die anderen Kolleg*innen oder sogar ihre Eltern sagen? Ich fragte ein paar mir vertraute Kolleg*innen, was sie davon hielten – fast alle haben mir davon eindeutig abgeraten.

Aber Schüler*innen sind Schüler*innen und lassen bei dem Thema nie los. In meinem zweiten Jahr an der Schule bekam ich zwei kleinere Gruppen (zu je 14 Schüler*innen) der 4. Klassen, die ich jeden Donnerstag den ganzen Tag betreute und die ich sehr gut kennen lernen konnte. Die haben mich auch regelmäßig gefragt und da habe ich meine Entscheidung getroffen: Ich wollte es ihnen irgendwann erzählen.

Warum? Ich habe zurück an die eigene Schulzeit gedacht – da hatte ich in dem Alter noch keine schwulen Vorbilder. Obwohl ich in einem sehr liberalen Umfeld aufgewachsen bin, habe ich nicht wirklich gewusst, wie ein Schwuler ein „normales“ Leben führen könnte, da ich es selbst nie gesehen habe. Ich wollte meinen Schüler*innen zeigen, dass es doch auch in ihrem Umfeld solche Menschen gibt. Schließlich gibt es statistisch gesehen ein paar LGBTQ Schüler*innen in meinen Klassen, die vielleicht noch mit dem Thema kämpfen.

Also nach der Entscheidung kam nur noch die Frage des Wie und Wann. Da das für mich ein gewisses Risiko geborgen hat, wollte ich einen späten Zeitpunkt wählen – falls es nach hinten losgehen sollte, wären die Klassen nicht mehr länger dort. Gleichzeitig wollte ich genug Zeit lassen, damit die Schüler*innen noch Fragen stellen könnten, die ihnen vielleicht nicht sofort eingefallen wären. Da der Juni sowieso meistens mit Ausflügen und Sportwochen ausgebucht ist, entschied ich mich für die letzte Stunde im Mai. Als Bedingung nannte ich allerdings, dass die Frage nach meinem Beziehungsstatus bis dahin nicht gestellt wird – daran hielten sich die Schüler*innen auch brav.

Um die Schüler*innen dort abzuholen, wo sie waren, habe ich eine Geschichte aus meiner Schulzeit erzählt. Hierbei ging es um mein eigenes Coming Out, das durch meine Ex-Freundin erfolgt ist. Die Geschichte baute ich absichtlich so auf, dass die Tatsache meiner Sexualität die Pointe gebildet hat – damit wollte ich eine ehrliche, sofortige Reaktion bewirken.

Als ich in die Stunde ging, war ich ziemlich nervös. Die Schüler*innen hatten teilweise den Termin sogar in den eigenen Kalender eingetragen, es führte also für mich kein Weg vorbei. Ich war auf ziemlich alles vorbereitet – homophobe Beleidigungen hatte ich unter den Schüler*innen immer wieder gehört und ich wusste nicht, wie genau sie dazu stehen würden.

Auf die Reaktion, die kam, hätte ich mich aber nicht vorbereiten können. Eine Reaktion so voller Freude hatte ich noch nie erlebt. Alles von „Ich hab‘ es gewusst!“ über „Ich mag Sie jetzt viel mehr.“ bis „Haben Sie einen Freund? Kann ich Fotos sehen?“. Meine Bedenken und Vorurteile, sowie die meiner Kolleg*innen, wurden sofort widerlegt.

Dabei wurde für mich bewiesen, dass es sich auszahlt, den Schüler*innen mehr zuzutrauen, als man selbst glaubt. Der Tag bleibt für mich eine der schönsten Erinnerungen an meine Zeit als Lehrer.

Der Autor war bis 2018 Lehrer an einer NMS in Wien.

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Eine Onlinediskussion unter Kolleg*innen

Für gewöhnlich bin ich alles andere als ein emotionaler Mensch. Ja, viele Leute, die mich kennen, finden es teilweise verwunderlich, was mich so alles nicht aufregt. Und doch gibt es vereinzelt Momente, in denen jemand offenbar eine Saite in mir zum Schwingen bringt, die mich verhältnismäßig menschlich erscheinen lässt. So erst neulich.

Da las ich in einer Lehrer*innengruppe eines so genannten sozialen Mediums die Frage einer Kollegin, wie denn am besten einem Elfjährigen zu begegnen sei, der die Mitarbeit im Unterricht komplett verweigert, also nicht mitliest und –schreibt. Die Antwort einer anderen Dame lautete wörtlich: “Ich würde, nach einem Elterngespräch, die Strategie des Jungen respektieren. Er scheint ja bereit zu sein, die Konsequenz (entsprechende Note) hinzunehmen. Lassen Sie ihm seine Entscheidung.

Dieser auf den ersten Blick äußerst liberal erscheinende Tipp forderte den Widerspruch einer weiteren Kollegin heraus, die vor allem auf das Alter des Kindes hinwies. Ich schloss mich ihr an.

Höflich, aber ebenfalls widersprechend.

Problembewältigung oder Flucht

Erst einige Zeit später wurde mir klar, was hier eigentlich geraten worden war: nämlich das Kind aufzugeben. Nein, besser ausgedrückt: die eigene Machtlosigkeit vor dem Kind und seinen Eltern einzugestehen.

Nicht, dass man als Lehrerin oder Lehrer nicht an seine Grenzen stoßen könnte, ganz im Gegenteil. Es ist sogar eine wichtige Erfahrung, die man gemacht haben muss, um beruflich wachsen zu können. Erst wenn man weiß, wo die Grenzen liegen, kann man daran arbeiten, sie zu verschieben.

Doch schulterzuckend zu sagen “Gut, es ist deine Entscheidung”, erinnert frappant an Eltern, die ihr Desinteresse am Kind als partnerschaftliche Behandlung (miss-)verstanden wissen möchten. Bei Nichtpädagog*innen kann dieses Verhalten ja noch durch Unwissen erklärt werden, diese sind sich wahrscheinlich tatsächlich der Konsequenzen ihres Tuns nicht in vollem Umfang bewusst, aber welche Ausrede haben wir Profis? Durch unsere Ausbildung wissen wir, dass Wegschauen in der Kindererziehung der falsche Weg ist. Freiheiten lassen, ja, das ist wichtig, natürlich. Doch dort, wo es selbstzerstörerisch wird, dort, wo ein Kind Handlungen setzt, die es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit einmal bereuen wird, dort ist es unbedingt notwendig, Orientierungspunkt, Stütze, ja, vielleicht auch Reibebaum zu sein.

Warum verweigert ein elfjähriges Kind das Mittun im Unterricht? Auf keinen Fall, weil es ihm gut geht. Auf keinen Fall, weil es das witzig findet. Auf keinen Fall, weil es so unglaublich träge ist. Hier steckt – und da lehne ich mich nicht zu weit aus dem Fenster, wenn ich das behaupte – mehr dahinter. Vielleicht sogar so Gravierendes, dass ich als Lehrer auch mit meinem Latein am Ende wäre, durchaus möglich. Aber cool lächelnd die Verantwortung für die Situation auf das Kind zu schieben, geht gar nicht. Niemals. Nicht auf einen Elfjährigen.

Ein Vergleich aus dem Straßenverkehr

Es ist wie bei einem Verkehrsunfall mit Verletzten: Fühle ich mich außerstande, in der Situation korrekt zu agieren (weil mein letzter Erste-Hilfe-Kurs zu lange her ist oder ich generell nicht fähig bin, Stresssituationen zu ertragen), muss ich das in meiner Macht Stehende tun. Und das ist in diesem und in dem weiter oben angesprochenen Fall einfach, Hilfe zu holen. Nicht mehr, nicht weniger.

Noch gibt es sie, die Beratungslehrer*innen, die Psychagog*innen, die Schulpsycholog*innen. Greifen wir auf sie zurück, wenn unsere Ausbildung uns nicht ausreichend erscheint!

Der Gesetzgeber sieht ein Nichtstun beim Verkehrsunfall als unterlassene Hilfeleistung. Ich sehe das auch im schulischen Bereich so.

Der Autor ist Lehrer an einer NMS in Niederösterreich.

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Bildungscampusse

Ich muss gestehen, dass ich seit dem letzten Tag der Weihnachtsferien immer wieder von Neidgefühlen heimgesucht werde. Exakt an diesem Tag stolperte ich auf W24 über eine Sondersendung zum Thema Bildungscampusse und Clusterschulen. Also Orte, an denen sich unterschiedliche Pflichtschultypen und Kindergärten architektonisch klug durchdachte Gebäude zum Zwecke der gemeinsamen, zeitgemäßen Bildung teilen. Es gibt Lerninseln, viele Fenster, helle Gänge, verschiebbare Wände, Sitzmöbel, die mitwachsen, Ruheräume und noch viel mehr. Wie zum Beispiel einen Kino- oder Theatersaal. Einen von diesen, wo die Sitzreihen stufenförmig angeordnet sind und die Bühne am tiefsten Punkt des Saales ist. Ein Ort, von dem ich als begeisterte Leiterin einer wunderbaren Theatergruppe nicht einmal zu träumen wage.

Eine andere Schule

Mein Arbeitsplatz ist eine andere Schule. Dunkel Gänge, kleine Klassenräume, zwei Turnsäle, in denen es schon vor dem Sportunterricht so riecht, als hätte man bereits mit 400 Schüler*innen beinhartes Crossfit-Training gemacht. Lüften hilft da nicht mehr. Dann gibt es noch einen EDV-Raum, eine Schulküche, drei Werkräume, je einen Raum für die Beratungslehrerin und fürs Jugendcoaching. Wobei letzteres eher als Kammerl zu bezeichnen ist. Während der Unterrichtszeit sind alle Türen geschlossen, nur ein paar Kolleg*innen unterrichten bei offener Klassentür. Aber nicht um andere an ihrem Unterricht teilhaben zu lassen, sondern um den Durchzug von frischer Luft in den alten Gemäuern zu gewährleisten. In den Pausen ist Laufen am Gang verboten. Es ist zu gefährlich.

Neidgefühle

Neid ist ein mieses Gefühl, das, ähnlich den Dementoren bei Harry Potter, sämtliche Energie aus dem Körper zieht. Neid hat perfekten Partner, das Jammern und Klagen. Das immer alles auf etwas schieben, warum etwas nicht klappen kann.

Also zum Beispiel: Ich würde ja so gern mit Kindern Theater spielen. Aber wie soll das gehen? Weder gibt es einen geeigneten Raum, noch eine Bühne. Ich könnte ja so tolle Dinge machen, aber wie soll es unter diesen Umständen gehen.

Bescheidenheit

Ich spiele dennoch Theater, und zwar in einem der Sportsäle. Meinen Spieler*innen ist es ziemlich egal, ob es eine Bühne gibt oder nicht. Sie würden mit mir auch in einer Rumpelkammer Theater spielen. Ich trotze diesen widrigen Bedingungen seit vielen Jahren.

Gemessen an den uns zur Verfügung stehenden Räumen bieten wir unseren Schüler*innen viel, sind Weltmeister*innen im Improvisieren. So werde ich aller Voraussicht nach im Keller einen Raum für meine Theatergruppe bekommen, den ich in Gedanken schon mit kleinen bunten Teppichen, Pölstern und einem Regal einrichte. Richtig kuschelig wird das dort. Da bin ich mir sicher. Genauso sicher bin ich mir allerdings auch, dass meine Schüler*innen den Turnsaal als Spielstätte vermissen werden.

Andere Schulen haben weder eine eigene Küche, noch drei Kreativräume. Sollte ich nicht damit zufrieden sein? Es könnte so viel schlimmer sein. Unsere Fenster sind dicht und nirgendwo tropft das Regenwasser hinein, wir haben eigene Spindräume, saubere WC-Anlagen und einen winzig kleinen Schulhof.

Dennoch

Trotz aller Bescheidenheit muss klar sein, dass die Ungerechtigkeit in der Verteilung der finanziellen Ressourcen im Pflichtschulbereich nicht in Ordnung ist. Es kann nicht sein, dass sogar innerhalb der einzelnen Bezirke Schulen grob vernachlässigt werden. Die neue Regierung hat versprochen Brennpunktschulen mehr zu unterstützen. Allerdings habe ich das Gefühl, dass wir neben personellen Ressourcen eben auch räumliche Veränderungen brauchen. Wen wundert es, dass Aggressionen zunehmen, wenn sich bis zu 25 Jugendliche einen viel zu kleinen Klassenraum teilen? Einen Raum, in dem ein normal gewachsener Teenager nicht einmal seine Beine ausstrecken kann, weil sich die Schüler*innen in der Reihe davor attackiert fühlen. Räume, in denen Lehrer*innen eine Art Tetris spielen müssen, um einen geeigneten Sitzplan zu entwerfen. A kann nicht neben B sitzen, weil C sonst hinter A verschwindet. D würde so gerne in der ersten Reihe sitzen, aber ihre Körpergröße lässt das nicht zu. Denn dann verschwindet nicht nur C, sondern auch gleich E, F und G.

Ich bin die letzte, die nach starren Sitzordnungen schreit. Am liebsten würde ich alle Tische an die Wand stellen, vieles im Sitzkreis erarbeiten, auf die Tafel und meine rauen Kreidehände verzichten. Ich bräuchte auch keinen eigenen Tisch. Aber ich bin keine Insel und die meisten Kolleg*innen bevorzugen das klassische Sitzmodell.

Fazit

Ich will nicht, dass der einen Schule Mittel zulasten der anderen entzogen werden. Ich will, dass insgesamt mehr Geld in den Neu-, Aus-, und Umbau der Schulen fließt. Ich verstehe diesen Beitrag als offizielle Einladung an jene Architekt*innen, die die großartigen Clusterschulen entworfen haben.  Ich möchte mit diesen durch mein Schulgebäude gehen und ebenso kluge Lösungen finden, um auch unseren Schüler*nnen die Chance auf neues, zukunftsorientiertes Lernen zu geben.

Die Autorin ist Lehrerin an einer NMS in Wien.

Lesezeit: 4 Minuten

Zahlen & Fakten 

Unser erstes Schulgschichtn-Planungstreffen war am 27.09.2018. Die ersten Beiträge gab es am 11.02.2019 zu lesen! Seither ist eine Menge passiert. Ein paar Zahlen und Fakten:

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