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Wir haben nicht mehr viel Zeit, oder warum ein Virus das Schulsystem zu Fall bringt

Lockdown 2

Lange habe ich gehofft, dass es in Österreich keinen zweiten Lockdown geben würde.  Als dieser unausweichlich schien, habe ich gehofft, dass zumindest der Unterricht an den Schulen stattfinden könne. Diese, meine letzte Hoffnung, wurde vergangenen Samstag brutal zerstört. Schulen nur für Betreuung offen, alle anderen bleiben zuhause. Distance-Learning, wieder einmal.

Nur Betreuung?

Ich habe mich sehr schnell für die Betreuung der Schüler*innen an der Schule entschieden und zwar täglich bis zum Ende des Lockdowns. Zum einen braucht Betreuung gerade in Krisenzeiten Kontinuität. Jeden Tag von unterschiedlichen Lehrer*innen betreut zu werden, schafft keinen sicheren Rahmen. Zum anderen will ich die Schüler*innen nicht jenen überlassen, die der Überzeugung sind, dass sowieso alle Kinder und Jugendlichen zuhause bleiben sollten.

Viele Fragen beschäftigen mich zu Beginn des zweiten Lockdowns. Wie wird es den Schüler*innen gehen? Medial wurde und wird immer noch betont, wer es zuhause nicht schafft, soll kommen. Wer Unterstützung braucht, soll kommen. Wer zuhause nicht gut aufgehoben ist, soll kommen. Die Kinder, deren Eltern unbedingt arbeiten müssen, sollen kommen.  Zusammenfassung: Wer sich oder seine Eltern als defizitär erlebt, der ist in der Schule besser aufgehoben.

Wie würde es also für die Schüler*innen sein, als Verlierer*in einer Klasse zu sitzen, während die Freund*innen zuhause sind?  Innerlich habe ich mich auf viel Frustration und Traurigkeit eingestellt.  Nicht in der Schule anwesend sein zu müssen, ist, in Zeiten wie diesen, allem Anschein nach ein Privileg, fällt mir spontan ein. Wer es sich leisten kann, bleibt zuhause. Wo Eltern unterstützen können, ist Distance-Learning okay. Wenn Eltern das nicht können, Pech gehabt. Letzter kleiner Hoffnungsschimmer: das Kind ist gut selbst organisiert. Doof nur, dass diese Kompetenz im Jahr 2020 noch immer eine Art Fremdkörper in unserem Bildungssystem ist. Seit unendlich vielen Jahrzehnten besteht der Unterricht doch hauptsächlich aus „Lehrer*in sagt, Schüler*in führt aus“.

Einschub 1

Es erschließt sich mir noch immer nicht, warum wir nicht sofort ab Schulbeginn im Unterricht komplett neue Wege gegangen sind. Warum haben wir nicht schon im Herbst alles umgekrempelt und damit begonnen, die Schüler*innen in ihrer Eigenständigkeit zu bestärken? Warum gibt es nicht schon seit Schulbeginn 20/21 Arbeitspläne? Häufigste Antwort der Kolleg*innen, die Kinder können das nicht. Ja, vielleicht die im Gymnasium, aber unsere? Nie im Leben! Ja, es gibt einen tatsächlichen Zusammenhang zwischen „einem Kind etwas zutrauen“ und dem, was sich ein Kind zutraut. Oder anders ausgedrückt, halte ich ein Kind für dumm, wird es sich über diesen, meinen Erwartungshorizont, nicht herausentwickeln.

Einschub Ende

Arbeitspläne

Einzelplätze und Maskenpflicht für alle ist die einzige Grundregel, die ich aufgestellt habe. Im Laufe der Woche werde ich erkennen, dass Einzelplätze viel mehr als eine Vorsichtsmaßnahme sind. Endlich haben alle genug Platz, um in Ruhe arbeiten zu können.

Gut, da sitzen sie nun vor mir. Sehr ruhig, sehr schüchtern. Um ja nichts falsch zu machen, haben die meisten Schüler*innen all ihre Schulsachen mitgenommen. Die Schultaschen wiegen gefühlt eine Tonne. Gleich zu Beginn legen alle ihre Arbeitspläne auf den Tisch. Ich schaue kurz durch. Wow, ziemlich umfangreich, denke mich mir. Als Kind hätte mich bei der Menge an Aufgabenstellungen vermutlich der Mut verlassen.  Ähnlich wie im ersten Lockdown beschleicht mich der Verdacht, dass sich keine*r meiner Kolleg*innen nachsagen lassen möchte, man würde den Kindern und Jugendlichen zu wenig abverlangen, würde etwas schleifen lassen.  Meine Verwunderung wird auch nicht kleiner, als ich die Chance bekomme, die einzelnen Aufträge genauer durchzusehen. In Biologie soll sich Merve zwei Seiten im Biologiebuch durchlesen, das Wichtigste unterstreichen. Danach muss sie eine kurze Zusammenfassung ins Biologie-Heft schreiben. Am Schluss gibt es dann im Arbeitsbuch noch zwei Seiten, die ausgefüllt werden müssen. Überthema: die Säugetiere. Merve arbeitet still vor sich hin. Sie liest die Seiten, blickt hin und wieder verloren zu mir und liest weiter. Dann nimmt sie einen Bleistift und beginnt zu unterstreichen. Wieder sucht sie meinen Blick. Sie kennt mich nicht, hat also auch sichtlich Hemmungen aufzuzeigen. Da wir insgesamt drei Kolleg*innen sind, die an diesem Tag vor Ort sind, setzte ich mich zu ihr. Ich frage nach, ob sie denn verstanden hat, was sie gelesen hat. „Nicht wirklich,“ flüstert sie. Es ist ihr unangenehm, das spüre ich. Ich überfliege die kleinbedruckten Seiten und drifte kurz ab.

Einschub 2

Eine Biologiestunde aus meiner Zeit in der ersten AHS fällt mir ein. Ich glaube es war die sechste Stunde. Ich muss aufstehen und eine Stundenwiederholung machen. Würde ich auch gerne, nur es ist nichts hängengeblieben. Die Ente ist das Thema. Klar, ich kannte schon damals Enten, aber mir fiel nichts ein, gar nichts. „Du wirst ja wissen, wie viele Beine eine Ente hat,“ herrscht mich die Lehrerin an. Klar weiß ich das. Blöd ist nur in diesem Zusammenhang, dass eine Klassenkolleg*in mir von hinten „vier“ einflüstert. In meiner totalen Verunsicherung und Angst, bin ich nicht mehr fähig, in mein Wissen zu vertrauen. Also plappere ich brav nach, dass dieses Tier auf vier Beinen die Welt erkundet.

Einschub Ende

Heute kann ich mir gut vorstellen, welche Katastrophe meine Antwort im Lehrer*innenzimmer ausgelöst hat. Genau deshalb spüre ich Merve so gut. Sie weiß vielleicht ein bisschen etwas über Katzen, aber weil sie sich defizitär fühlt, will sie nicht zugeben, dass sie nicht versteht, was sie liest. Also lesen wir die zwei Seiten noch einmal, ganz genau.

Nach zweieinhalb Stunden sind wir mit den zwei Seiten fertig. Weil die Chance da war, Merve das ganz genau zu erklären, füllt sie selbständig und richtig den Arbeitsteil aus. Sie ist gefühlte zehn Zentimeter gewachsen.

Für Mustafa organisiere ich einen Globus. Mit Hilfe der Taschenlampe finden wir heraus, wie das nun so ist, mit den Jahreszeiten. Mehr als eine Stunde sitze ich bei ihm. Mustafa liebt Geografie und freut sich enorm, dass auch er nach dem Einzelgespräch fehlerfrei arbeiten kann.

Eine Kollegin holt aus dem Physiksaal unterschiedliche Gewichte. Ein Schüler soll die Massenmaße umwandeln. Und anstatt eine Tabelle auszufüllen, darf Elias alle Gewichte angreifen und vergleichen. Zwanzig Dekagramm können ja gar nicht zwanzig Kilo sein, kommen einige andere im Laufe dieser Woche drauf.

Zehn Schüler*innen unterschiedlichen Alters, mit unterschiedlichen Anforderungen und drei Lehrer*innen, die sie begleiten. Das könnte doch die Schule der Zukunft sein.

Einschub 3

Wie wäre das alles im sogenannten normalen Unterricht abgelaufen? Wenn eben nicht genug Zeit für jedes einzelne Kind ist? Wo sich alle, ob sie nun Interesse haben oder nicht, dem gleichen Thema widmen müssen? Wie hätten Merve, Mustafa und die anderen profitiert? Mustafa sagt von sich aus, dass er eben von seinem Sitznachbarn abgeschrieben oder darauf gewartet hätte, dass die Lehrerin die Lösungen an die Tafel schreibt. Und dass er nicht am nächsten Tag zu ihr gegangen wäre, weil er das mit der Sonne und der Erde nochmals erklärt haben wollte.

Einschub Ende

Um halb elf dürfen drei Schüler*innen mit Yogamatten auf den Gang. Ein Kollege bietet eine tägliche Bewegungseinheit via Youtube an.  Sie wollen sich bewegen, haben Lust mitzumachen. 

In der letzten Stunde gibt es die Möglichkeit zu zeichnen, zu lesen, zu spielen oder auch nur zu plaudern. Wir spielen mit den Kindern, sie lieben es.  Elisabeth blendet sich aus. Warum sie nicht mitmacht, frage ich sie. Sie möchte unbedingt noch Deutsch fertigmachen, ist ihre Antwort.

Alle wollen sie am Montag wiederkommen. Unbedingt, und ob das dann wieder so wie diese Woche sein wird? Ob ich eh dabei sein werde? Und, ob sie dann auch wieder am Gang turnen dürfen?

Geile Woche“, ruft mir ein Schüler hinterher, der sonst nicht so gerne in der Schule ist.

Corona fährt das Schulsystem gegen die Wand

Mehr denn je ist mir am Ende der Woche bewusst, dass Corona das Schulsystem zu Fall bringt. Noch nie wurden Schwachstellen so deutlich aufgezeigt. Dieses System, an dem wir seit vielen Jahrzehnten festhalten, ist nicht krisentauglich. Es unterstützt nur jene, die bildungsnahe Eltern, genügend finanzielle Ressourcen haben, und die anpassungsfähig sind. Kein Platz in diesem System ist für Kinder und Jugendliche aus prekären Verhältnissen, für Systemsprenger und solche aus bildungsfernen Elternhäusern. Denen legt das System Schule jede Menge Steine in den Weg. Sie müssen ständig um Dinge bitten, die selbstverständlich sein sollten.

Bitte, ich brauche einen Laptop! Bitte, ich brauche Unterstützung! Bitte, ich brauche Aufmerksamkeit! Bitte, ich brauche Betreuung!

Damit all das auch gewährt wird, muss die Anpassungsfähigkeit noch höher sein. Ein bisschen Demut kann man schon erwarten, wenn man einen gratis Laptop und die Möglichkeit, trotz Lockdowns in der Schule zu sein, bekommt. Man muss fleißig, interessiert und ordentlich sein. Und dann braucht man noch Eltern, die sich ebenso verhalten.  Schlussendlich darf es diesen Kindern und Jugendlichen in Krisenzeiten nicht schlecht gehen. Sie dürfen nicht durchhängen und müssen noch mehr leisten als andere. 

Die gute Nachricht ist, dass Schüler*innen dieser Art immer mehr werden. Damit steigt auch meine Hoffnung, dass sie gemeinsam mit ihren Eltern und Lehrer*innen auf die Barrikaden gehen.  Denn die Krise ist auch dann nicht vorbei, wenn es eine Impfung gegen das Virus geben wird. Denn Gräben, die sich in diesem Jahr aufgetan haben, sind nicht damit zu schließen, dass wir wortlos zum altgewohnten Trott zurückkehren. Die Furchen und Rillen können nur geschlossen werden, wenn wir endlich anfangen, das Bildungssystem zu erneuern. Wir alle können unseren Beitrag leisten.  Abkehr von der Diktatur des Lehrplans, der vermeintlichen Kompetenzraster und der Erwartungshaltung der Wirtschaft. Wir haben nicht mehr viel Zeit, also fangen wir damit an.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

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Alice*: Da die Schüler*innen aus meiner Klasse das System mit dem wir arbeiten bereits gut kannten, war es weniger chaotisch als erwartet. Die meisten Schüler*innen waren trotzdem am Montag sehr aufgeregt und überfordert – vor allem wegen der technischen Herausforderungen bzw. fehlender technischer Unterstützung zuhause. Laptops, gute Internetverbindung bzw. ruhige Arbeitsplätze sind weiterhin oft nicht vorhanden! Nach einem anfänglichen “Frau Lehrerin, warum müssen wir immer so früh aufstehen?”-Jammern, habe ich seit Tag 1 eine Anwesenheit von 90% in den Video-Calls und die meisten Kids sind froh, dass es weiterhin eine Struktur gibt bzw. die gewohnte Routine aufrecht bleibt (früh aufstehen, 1. Videocall, nach Stundenplan die Aufgaben erledigen, Fragestunde,…). Heutiges Feedback von einem Schüler: “Ich habe gedacht dieses ganze Online-Ding wird ur schwierig, aber ist eh ur leicht, Frau Lehrerin.”

Pia: Unsere Schüler*innen wurden bereits in den letzten Wochen auf den heutigen Tag eingestimmt. Sie wissen, wo sie die Aufgaben finden und wie sie am Online-Unterricht teilnehmen. Im Videounterricht heute haben wir einander freudig begrüßt, bis auf ein paar Ausnahmen waren alle online. Ein Teil der Schüler*innen war sogar schon 15 Minuten früher online. Sie waren voller Vorfreude und sagten: „Ich wollte nur sicher gehen, dass es funktioniert.“ Das hat es! Die Hälfte der Klasse hat schon jetzt die Hausübung abgegeben und das obwohl sie bis 16 Uhr Zeit haben. Einige haben vorgearbeitet und die Aufgaben in Mathematik für heute und morgen schon gemacht.

Fabian: Die Stimmung ist entspannt, sowohl bei den Lehrer*innen als auch bei den Schüler*innen. Diesmal hat man sich etwas auf den Lockdown vorbereiten können. So wurden z.B. manche Themen, die sich für das Distance Learning eignen zurückgehalten, damit sie dann jetzt als Thema gegeben werden (z. B. die Freiarbeit, die sich für das Selbststudium hervorragend eignet). Auch bei den Schüler*innen ist eine Routine erkennbar, auch weil zuvor schon im Regelunterricht mit Moodle gearbeitet wurde. Sie arbeiten die einzelnen Punkte auf ihrer Liste ab, die der Klassenvorstand und die Klassenbetreuerin erstellt haben. Wir haben 25 Laptops und 25 Tablets zum Ausborgen gehabt, davon sind noch 2 Laptops und 16 Tablets übrig. Die Endgeräte waren an unserer Schule aber im Frühjahr schon kein großes Problem. 

Laura und Barbara: Die Kinder sind diesmal klarerweise weniger aufgeregt, selbstständiger und routinierter. Sie kennen die Abläufe und es gibt kaum technische Hürden mehr. Gleichzeitig haben wir aber auch den Eindruck, dass sie etwas schwieriger zu motivieren sind als im 1. Lockdown, in dem noch alles irgendwie “aufregend und neu” war. Wir erleben allerdings auch, dass Schüler*innen sich und ihre Arbeitsweise zunehmend besser einschätzen. So haben sich bereits am 2. Lockdown-Tag einige freiwillig für die Betreuung angemeldet. Da sich viele mit mehreren Geschwistern und Familienangehörigen verhältnismäßig wenig Wohnraum teilen, genießen sie in der Schule die ruhige und geordnete Arbeitsatmosphäre und die Möglichkeit, Unterstützung zu erhalten.

Dominik: Nach wie vor haben nicht alle Schüler*innen die notwendigen Geräte, immerhin sind diese Woche einige eingetroffen,die jetzt dort zum Einsatz kommen, wo sie am dringendsten benötigt werden. Eine Herausforderung ist weiterhin, die Motivation der Schüler*innen zu stärken und jene mitzunehmen, die mit beengten Wohnverhältnissen oder fehlender Ruhe zu kämpfen haben.

Lukas: Die Kinder sind großteils gut vorbereitet, einen Online-Unterricht zu überstehen, ja, teilweise sogar davon zu profitieren. So halbwegs. Vermutlich. Immerhin sind sie im Umgang mit dem bereits erwähnten MS Teams in den letzten Monaten von einem Teil der Kolleg*innenschaft vertraut gemacht worden. Nur unsere Erstklässler kommunizieren über zwischengeschaltete Erziehungsberechtigte via Schoolfox. Aber auch das geht so halbwegs. Die Motivation der Kinder ist – noch – gut, vor allem deswegen, da drei Wochen ein absehbarer Zeitraum sind. Das Motto bei Klein und Groß lautet momentan „Des biag ma scho ummi„. Waldviertlerisch sollte man in Wien ja auch verstehen. Ich übersetze es also nicht.

Johannes: Ich habe auch das Gefühl, dass die Schüler*innen diesmal insgesamt besser mit der Situation umgehen. Schon alleine das (hoffentlich haltbare) klar vorbestimmte Ende des Lockdowns macht die Sache für die Schüler*innen, aber auch für Lehrer*innen deutlich leichter. Auch haben die Kinder den ganzen Herbst über selbst mit der Möglichkeit eines zweiten Lockdowns gerechnet, immer wieder gefragt, ob es jetzt soweit ist. Manche Kinder haben sich sogar darüber gefreut, jetzt wieder knappe drei Wochen von zu Hause aus arbeiten zu können, manche waren eher traurig darüber und haben sich eher davor gefürchtet. Als erstes Fazit nach einer Woche erlebe ich vor allem die täglichen Online-Unterrichtseinheiten als sehr angenehm und ich habe auch das Gefühl, dass es den Kindern hilft und ihnen guttut, diesen täglichen Austausch zu haben. Die technische Ausstattung und der Umgang damit ist diesmal (fast) gar kein Thema mehr. Manko bleibt aber trotz der deutlich besseren Voraussetzungen die Probleme mancher Schüler*innen mit dem selbstständigen Arbeiten zu Hause, oft ohne Unterstützung von Eltern oder älteren Geschwistern. Viele scheitern teilweise immer noch daran. Diese Schüler*innen und deren Eltern fordern wir dieses Mal jedoch sehr aktiv dazu auf, die Betreuungsmöglichkeit in der Schule wahrzunehmen. 

Susanne: Am Dienstag war ich noch ein bisschen in Sorge, wie denn die Betreuung klappen sollte. Unterschiedliche Altersgruppen und Schulstufen, und die damit verbundenen unterschiedlich Aufgabenstellungen. Sicher eine besondere Herausforderung. Heute, nach fast einer Woche, stelle ich zu meiner großen Freude fest, dass meine Befürchtungen unbegründet waren. Alle waren die ganze Woche gerne in der Schule, hatten nicht das Gefühl, dass sie deshalb in irgendeiner Form defizitär wären. Im Gegenteil, sie freuen sich auf Montag. Den Lockdown selbst empfinden die meisten als einen groben Einschnitt. Freund*innen treffen, draußen Fußball spielen, ins Kino gehen, das fehlt ihnen am meisten. Und sie machen sich Sorgen, ziemlich erwachsene Sorgen. Sie haben Angst vor dem Virus, und dass ihre Eltern ihre Jobs verlieren könnten. Eine Schülerin hat mir erzählt, dass der Frisörsalon ihrer Mutter jetzt pleite ist. Dass sie richtig sparen müssen. Auch deshalb ist sie in der Schule, alles besser als zuhause zu sein. „Aber,“ hat sie mir versichert, „ich spare jetzt richtig. Ich brauche keine neuen Sachen. Ich glaube ich wachse eh nicht mehr.“  Das Schlimmste war, ich konnte sie nicht einmal in den Arm nehmen. Mein Fazit: Lernen und Lehren braucht Nähe zu den Schüler*innen. Schüler*innen und Lehrer*innen brauchen sich gegenseitig, und zwar am selben Ort.

Reza: Nachdem unser Distance Learning mit dem Terroranschlag zusammenfiel, drehten sich die ersten Tage vor allem um die Aufarbeitung des Attentats und der persönlichen und kollektiven Care-Arbeit. In den darauffolgenden Tagen spielte sich der Online-Unterricht überraschend schnell ein. Das liegt daran, dass wir an unserer Schule das große Privileg einer guten EDV-Infrastruktur genießen. Zumindest im Vergleich zu vielen anderen Schulen. Daher verfügen die Schüler*innen über ein gutes technisches Know-how und es blieben nennenswerte technische Schwierigkeiten aus. Vielmehr galt es zu Beginn des Lockdowns, einige Schüler*innen an den Online-Unterricht nach Stundenplan zu erinnern. Hier tendierten einige zum Fernbleiben bzw. dachten, dass es wie im Frühjahr gestaltet werden würde (Arbeitsaufträge gemäß den Wochenstunden). Insgesamt zeigten die Rückmeldungen der Schüler*innen eine große Akzeptanz des Home-Schoolings. Auch gegenüber den neuen Formaten. Dieses führe, so viele Schüler*innen, dazu, dass die meisten Lehrer*innen eher zu angemessenen Aufgabenstellungen betreffend die Zeit und den Umfang neigen. Ansonsten schwanken die Gemüter zwischen Humor und Resignation. Je nach Wochentag oder Tageszeit. Ein Schüler meinte unlängst, die Schulleistung würde besser, das soziale Leben schlechter. Zu den größten Hürden des Lockdowns dürften daher die Einschränkungen im sozialen Nahbereich sowie die unterbundene Kontaktpflege gehören. Wenig überraschend.

Lena: Die Reaktionen der Schüler*innen letzten Montag vor dem Lockdown waren sehr unterschiedlich. Einige waren sehr froh, sich dem Risiko, Corona zu bekommen, nicht mehr aussetzen zu müssen und andere hatten Angst, zuhause wieder nicht arbeiten zu können. Bis auf die ersten Klassen, bei denen es teilweise noch Probleme gab, waren aber alle Schüler*innen mit Teams ausgerüstet und wussten durch viel Üben und etliche „geprobte“ Online-Stunden, wie’s funktionieren wird. Dass der Stundenplan so weitergeführt wird und sie trotzdem einen geregelten Tagesablauf haben, beruhigt sie denke ich auch sehr. Vor allem die 3. und 4.-Klässler, die größtenteils auch den letzten Lockdown bravourös gemeistert haben, gingen am Montag sehr „gechillt“ nach Hause. Ein Schüler aus der 4. Klasse hat sich sogar mit „Happy Lockdown, bis in 3 Wochen!“ verabschiedet. Die ersten Klassen waren eher verunsichert, je öfter wir uns aber online treffen und sie merken, dass sie nicht alleine gelassen werden, umso erleichterter und glücklicher wirken sie. 

Sophia: „Juhuu, Coronaferien!“ Eine Aussage, die ich beim ersten Lockdown doch öfter gehört habe. Bei der zweiten Schließung hörte ich diesen Satz jedoch nicht ein einziges Mal. Die Schüler*innen hatten schon eine Ahnung, was auf sie zukommen wird und wussten bereits, dass das nichts mit Ferien zu tun hatte. In unseren Reflexionen nach der ersten Lockdownwoche schrieben sie Aussagen auf wie:

Lockdown ist? Doof. Es ist besser in der Schule.

In der Schule lernen wir mehr.

Ich hasse es, meine Freunde nicht zu sehen.

Wir haben zwar viel dazugelernt, aber ich fühle mich so eingeschränkt, ich möchte wieder raus und in die Schule gehen.

Aber, sie freuen sich durchwegs, endlich ein wenig länger schlafen zu können, die ersten Live Sessions beginnen erst um 8 :)

*Alle Namen von der Redaktion geändert.

Alice unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Pia unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Fabian unterrichtet an einer AHS-Unterstufe in Wien.

Laura und Barbara unterrichten an einer Mittelschule in Wien.

Dominik unterrichtet an einer Mittelschule in Niederösterreich.

Lukas unterrichtet an einer Mittelschule in Niederösterreich.

Johannes unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Susanne unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Reza unterrichtet an einer BHAK in Wien.

Lena unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Sophia unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Lesezeit: 7 Minuten

Ein knappes halbes Jahr ist seit Ende des ersten Lockdowns vergangen. Damals im März wurden wir in allen Lebensbereichen überrumpelt. Auch in der Schule fehlte es an vielem: Vorbereitungszeit, technischer Ausstattung und Know-How. Es war für alle Beteiligten ein Sprung ins kalte Wasser. Anders als damals, kam der zweite Lockdown und die damit einhergehenden Schulschließungen für die meisten nicht wirklich überraschend. Doch was haben Schulen und Lehrkräfte wirklich dazugelernt, wie wurden Kinder auf das Homeschooling vorbereitet, welche Baustellen bestehen nach wie vor und wie steht es um die Arbeitsmotivation im 2. Lockdown? Wir haben uns unter Lehrkräften umgehört. So viel können wir schon verraten: Wieder ist das Gelingen vor allem dem Einsatz einzelner Lehrkräfte und Schulleitungen zu verdanken, strukturelle Unterstützung “von oben” gibt es nach wie vor kaum. 

Was unterscheidet für dich den zweiten vom ersten Lockdown? Was hat deine Schule aus dem ersten Lockdown gelernt?

Alice*: Seit dem 1. Lockdown wurde bei uns an der Schule viel umgestellt. Wir hatten dank des letzten Lockdowns endlich einen Digitalisierungsschub an der Schule und jede Klasse hat jeweils drei Laptops und einen Beamer erhalten. Zusätzlich haben wir uns auf eine E-Learning-Plattform einheitlich geeinigt – alle (sollten) Google Classroom verwenden. Jede*r Schüler*in  hat zu Schulanfang auch eine eigene Schul-Emailadresse erhalten. Während einige Lehrer*innen ab Schulanfang die meisten Hausübungen, Aufgaben und Benotungen nur noch über Google Classroom gemacht haben, wurden andere von diesem 2. Lockdown komplett überrascht und sind seit Montag gerade erst dabei den Kindern (und sich selbst) beizubringen wie man sich jetzt eigentlich anmeldet. Hier hätte meiner Meinung nach die Direktion mehr dahinter sein müssen! In meiner Klasse haben wir in allen Fächern alle Aufgaben und Benotungen seit Schulanfang nur noch über Classroom gemacht, sowie auch die Abgabe der Hausübungen online ermöglicht. Für meine Kinder ändert sich die Arbeitsweise nicht, sondern nur noch, dass die Input- und Fragestunden online stattfinden. Die meisten andere Routinen, sowie Arbeitsweisen wie Wochenpläne, können weitergeführt werden wie bisher. Es gibt bei uns einen täglichen Login um 9 Uhr in einem Videocall, wo sich alle Schüler*innen einloggen und der Tagesplan besprochen wird. Zusätzlich gibt es Check-in Stunden in allen Fächern, wo die jeweiligen Fachlehrer*innen für Fragen online immer zur Verfügung stehen.

Pia: Der Lockdown 2 war sehr gut vorbereitet an unserer Schule. Bereits zu Schulbeginn haben wir uns für die Lernplattform entschieden, die digitale Kommunikation für die Eltern eingerichtet und etabliert.In den letzten zwei Wochen liefen meine Aufgabenstellungen, Abgaben und Korrekturen online ab. Die Schüler*innen konnten sich an die Form der Zusammenarbeit gewöhnen und Probleme haben wir vorab gelöst.In meinen Klassen richteten wir bereits im ersten Lockdown vor Ostern eine Lernplattform und Videounterricht ein, jedoch war es sehr kompliziert die individuellen technischen Probleme, das Kennenlernen und das Verständnis für die Technik von zu Hause aus zu lösen. Beim ersten Lockdown haben wir für die Schüler*innen ohne Endgerät Handys organisiert. Diesmal sind die Schüler*innen schon besser vorbereitet und nur wenige brauchen ein zusätzliches Endgerät. Die gesamte Schule arbeitet jetzt über eine Plattform, das macht es Kolleg*innen, die in allen Stufen arbeiten, leicht. Unsere Direktorin hat den finanziellen Schritt gewagt, Endgeräte für alle Kolleg*innen, die eines benötigen, zu besorgen und das trotz der geringen finanziellen Mittel.

Fabian: Was auffällt ist, dass alle Schüler*innen nun auf einer Plattform (Moodle) Zugänge haben und eingeschult sind, weil dies schon vorab im Unterricht eingeübt wurde. Es gibt Klassenkurse, von denen die einzelnen Fachkurse zu erreichen sind und zudem die Videostunden koordiniert, sowie Streaminglinks angelegt sind. Zudem haben die Schüler*innen dort einen Überblick, was bis wann in welchem Fach zu erledigen ist. Die Kommunikation läuft auch über Moodle. Da alle auch die App am Handy haben, können die Lehrfilme direkt dort angeschaut werden und die Arbeitszeit am Computer und Laptop somit verringert werden, dies war ja im 1. Lockdown auch eine Engstelle. Auch die Lehrer*innen sind organisierter mit Moodle, zu dem jede*r zuvor eine Einschulung erhalten hatte. Zudem wurde jede zweite Klasse mit WebCams ausgestattet, sodass ein Unterrichts-Live-Streaming möglich ist. Die Hauptgegenstände müssen mindestens einmal pro Woche eine Onlinestunde anbieten, die Nebengegenstände können dies tun. Das aufgestockte vierköpfige IT-Team unterstützt dabei kompetent die anderen Lehrer*innen. 

Laura und Barbara: Nach dem Ende des letzten Lockdowns war bei einigen Lehrer*innen unserer Schule die Motivation den Unterricht generell digitaler zu gestalten groß. Doch sehr schnell hat sich wieder die althergebrachte analoge Routine eingeschlichen. Eine schulinterne Lehrer*innenfortbildung zum Programm MS Teams vor einigen Wochen hat einigen diesen Vorsatz wieder in Erinnerung gerufen. Im Unterschied zum ersten Lockdown sind viele Lehrer*innen-Teams diesmal strukturierter und besser vernetzt. Es wird nun auch darauf geachtet, den Gesamtaufwand der Schüler*innen im Blick zu behalten, indem sich die einzelnen Fachlehrer*innen besser austauschen. Außerdem löst MS Teams schrittweise die Kommunikation via WhatsApp ab. Während wir für unsere Klasse im 1. Lockdown tägliche Zoom-Unterrichtsstunden gehalten haben, haben wir uns dieses Mal dafür entschieden, die Möglichkeit der “Lerngruppen” vor Ort zu nutzen. In Kleinstgruppen kommt nun jedes Kind einmal pro Woche für drei Stunden (Englisch, Mathematik und Deutsch) in die Schule. Einerseits ist das für die Kinder eine willkommene Abwechslung und andererseits stellen wir fest, dass der Lerneffekt und die Nachhaltigkeit  einer Stunde realen Unterrichts wesentlich größer ist als online. Für die übrigen Schultage haben die Kinder einen Arbeitsplan, der Aufgaben für alle Fächer enthält, die innerhalb einer Woche abgegeben werden müssen. 

Dominik: Im Vergleich zum Frühjahr ging unsere Schule fast entspannt in den Lockdown. Einige Lehrer*innen nutzten die Zeit seit Schulbeginn, um die Google Suite for Education (und damit Google Classroom, einheitliche Email-Adressen für die Schüler*innen, Chat-Funktionen, etc.) und SchoolFox für die digitale Kommunikation mit den Eltern zu ermöglichen. Die Kolleg*innen wurden bereits im Vorfeld eingeschult, erstellen nun eigenständig Aufgaben über Google Classroom oder halten ihre Stunden zum Teil mit großer Begeisterung online ab.

Lukas: Der primäre Unterschied zum ersten Lockdown im März besteht an unserer kleinen, feinen Landschule (der nördlichsten Mittelschule Österreichs) darin, dass sich auch die letzten Arbeitsblattfanatiker*innen mittlerweile tränennassen Auges – und sich leise seufzend in Resignation hüllend – mit der ausschließlich digitalen Kommunikation zwischen ihrer (Lehr-)Person und den Schüler*innen abgefunden haben. Als neues Selbstverwirklichungsfeld wurde nun die Videokonferenz via MS Teams entdeckt. Dass diese Vorliebe allerdings zu Spitzenzeiten die Internetverbindung unserer Schule (in der allerdings ohnehin nur etwa 15 Prozent der Kinder anwesend sind) zum Schwächeln oder kompletten Erliegen bringt, sei hier lediglich als Randnotiz vermerkt.

Johannes: Im Vergleich zu Lockdown 1 waren wir diesmal einfach viel besser vorbereitet. Im Prinzip haben wir unsere Kinder schon seit September auf diesen Fall vorbereitet. Im September ist unsere ganze Jahrgangsstufe mit Laptops ausgestattet worden und wir sind darauf übergegangen, Hausaufgaben digital zu verschicken und anzunehmen. Auch im Unterricht haben wir die Laptops der Kinder verstärkt eingesetzt. Deshalb waren die ganzen technischen Schwierigkeiten oder unzulängliche Ausstattung (mit Ausnahme WLAN!) diesmal kein Thema. Dazu haben wir mit den Kindern schon sehr früh besprochen, dass, sollte ein zweiter Lockdown kommen, sie nach Stundenplan arbeiten müssen. Wir schauen diesmal sehr genau darauf, dass die Kinder wirklich schon ab 8 Uhr an ihren Geräten arbeiten. Mathe, Deutsch und Englisch unterrichten wir jeweils viermal die Woche/Klasse online, wobei für alle Anwesenheitspflicht gilt. Die Aufgaben in den Nebenfächern sollen sie nach Möglichkeit auch in den nach Stundenplan dafür vorgesehenen Stunden erledigen. 

Susanne: Ich habe mich beim 2. Lockdown bewusst für die Betreuung an der Schule entschieden. Ich verbringe die Zeit mit den Schüler*innen, die spätestens seit dem ersten Lockdown wissen, dass es ihnen vor Ort besser geht. Manche wären den ganzen Tag alleine zuhause, weil ihre Eltern arbeiten müssen. Andere brauchen unsere Unterstützung und ein paar wenige sind auf Empfehlung ihrer Lehrer*innen da. Seit Dienstag waren immer zwischen 20 und 30 Schüler*innen anwesend. Deutlich mehr als im Frühjahr, wo maximal 10 Schüler*innen zur gleichen Zeit in der Schule waren. Wobei damals, zumindest am Anfang des Lockdowns, nur jene Schüler*innen kommen sollten, deren Eltern in sogenannten systemrelevanten Berufen arbeiten. Im 1. Lockdown habe ich die Schüler*innen nahezu ausschließlich von zuhause betreut. Klar, ich habe viele von ihnen erreicht. Dennoch hatte ich das Gefühl unendlich weit weg von der Schule zu sein. 

Reza: Das Schuljahr startete bei uns schon mit der Vorkehrung für ein erneutes Distance Learning. So wurde geschaut, dass sich alle (neuen) Schüler*innen mit Microsoft Teams vertraut machen und über entsprechende Gerätschaften wie Kameras oder Mikrofone verfügen. Darüber hinaus wurde versucht, Leihgeräte für jene zu organisieren bzw. zu beschaffen, die zu Hause über gar keine bzw. zu wenige verfügten. Und vor den Herbstferien waren alle aufgefordert, ihre Schul- bzw. Arbeitssachen mitzunehmen. Denn die Möglichkeit eines erneuten Lockdowns wurde greifbar. Nach den Herbstferien setzte in allen Oberstufen das Home-Learning ein. Im Vergleich zum ersten Mal mache ich zwei Unterschiede fest. Erstens: Lag im Frühjahr die Wahl der Plattform bei den Lehrer*innen, müssen diesmal alle mit Teams arbeiten. Hier fand somit eine Vereinheitlichung statt. Die, wie alles, Vor- und Nachteile besitzt. Ich persönlich arbeite in weiten Teilen sehr gerne mit Teams und würde allein bei den Telefonkonferenzen gerne auf Zoom ausweichen. Zweitens: Richteten sich im Frühjahr die Aufgaben an die Wochenstunden, aber nicht selbst an den Stundenplan, müssen wir diesmal minutiös nach diesem unseren online Unterricht halten. Der Vorteil: Es wird ein enger Kontakt mit den Schüler*innen gepflegt und sie erhalten eine Tagesstruktur. Mich persönlich beschäftigt am meisten die Raumsituation vieler meiner Schüler*innen. Gerade in den Telefonkonferenzen höre ich alltäglich, dass viele keinen Rückzugsort haben, wo sie in Ruhe und im Privaten arbeiten können. Umso perfider klingt die Anmerkung des Bildungsministers, mensch solle Spiel- und Arbeitsbereich trennen, in meinen Ohren. Zu guter Letzt ist im Austausch mit den Kolleg*innen zu bemerken, dass vor allem die mangelnde Information der Regierung sowie der nicht vorhandene Mut seitens des Bildungsministeriums, innovative und neue Ideen/Projekte/Unterrichtsformen/Räume etc. auszuprobieren, zur Weißglut treibt! Eine Pressekonferenz reiht die nächste, doch die Informationen und Lösungsansätze gehen über reinen Populismus nicht hinaus. Dabei gäbe es so viele kluge und gute Alternativen! Dazu müsste mensch aber zuhören wollen.

Lena: Man hat durchaus gemerkt, dass wir auf diesen Lockdown besser vorbereitet waren, als auf den letzten. Obwohl es für Landesschulen in Wien noch immer nicht flächendeckend Endgeräte für die Schüler*innen gibt und das in unserer Brennpunktschule ein relativ großes Problem ist, konnten wir zumindest am Sonntag noch Laptops für die Schüler*innen bestellen, die gar keinen anderen Zugang zu Internet haben. Diese wurden dann gleich am Montag geliefert und konnten von den betroffenen Schüler*innen mit nach Hause genommen werden. Dadurch, dass diesmal oft betont – und so auch von den Medien kommuniziert wurde -, dass die Schulen diesmal „wirklich offen“ hätten, herrscht auch weniger Druck auf den Schüler*innen und uns, weil wir wissen, wenn es ihnen zuhause schwer fällt zu arbeiten, können sie jederzeit problemlos in die Schule kommen und werden dort unterstützt. Die Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen der Betreuung in der Schule und den Lehrer*innen, die von zuhause via Videokonferenz unterrichten, ist dieses Mal auf jeden Fall besser. 

Sophia: Der erste Lockdown kam sehr überraschend und ohne jegliche Vorbereitung. Wir starteten in unserem Jahrgang mit Google Classroom, was wir während der Osterferien auf unsere gesamte Schule ausweiteten. Bereits seit des Schulstarts im September führt jede Klasse alle Aufgaben auch auf Google Classroom, die Schüler*innen mussten somit täglich damit arbeiten und brauchten keine Einführung/Erklärung mehr. Nächste Woche holen wir jene Schüler*innen in die Schule, die zu Hause die Aufgaben nicht (gut) bewältigen können, um sie zusätzlich zu unterstützen. Eine wichtige Maßnahme, die den zweiten Lockdown erheblich erleichtert. Dennoch stellt dieser uns vor neue Herausforderungen, die Müdigkeit ist deutlich zu spüren – und Fragen tauchen bei uns und v.a. bei den Kids auf: „Wie lange wird uns das noch begleiten?“ „Wird es nach dem Lockdown Sicherheitsvorkehrungen geben und wie werden diese kommuniziert?“ „Wann werden wir wieder normal Unterricht haben?

*Alle Namen von der Redaktion geändert.

Alice unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Pia unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Fabian unterrichtet an einer AHS-Unterstufe in Wien.

Laura und Barbara unterrichten an einer Mittelschule in Wien.

Dominik unterrichtet an einer Mittelschule in Niederösterreich.

Lukas unterrichtet an einer Mittelschule in Niederösterreich.

Johannes unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Susanne unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Reza unterrichtet an einer BHAK in Wien.

Lena unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Sophia unterrichtet an einer Mittelschule in Wien.

Lesezeit: 3 Minuten

Salih

Ich halte Gangaufsicht. Für eine Zehn-Uhr-Pause ist es erstaunlich ruhig, irgendwie fast zu ruhig. Liegt es an diesem trüben Herbsttag, der auch mich nicht so richtig wach werden lässt? Jussuf bietet mir einen Teil seiner Jause an. „Selbst gemacht von meiner Mama, Lahmacun. Nehmen Sie! Ich hab genug!“ Ich greife zu und denke mir, dass ich an dieser Schule sicher nie verhungern werde. „Lass deine Mama grüßen. Ich liebe es,“ sage ich zu Jussuf. Er strahlt mich an und verschwindet in seine Klasse. Gerade als ich den letzten Rest der geschenkten Glückseligkeit hinunterschlucke, höre ich nicht definierbare Schreie aus dem Klassenraum der 1c. Es folgt ein dumpfer Knall.

Was geht da ab? Und wo zur Hölle ist eigentlich jene Kollegin, die laut Plan mit mir am Gang stehen sollte?

Ahh! Frau Lodjn, kommen Sie! Kommen Sie schnell! Salih ….!“, ruft mir Kübra zu. Ohne meine Reaktion abzuwarten, schnappt sie mich an der Hand und zerrt mich ins Klassenzimmer.

Ich will Respekt! Respekt, R-e-s-p-e-k-t!“, schreit Salih. Um ihn herum stehen seine Klassenkolleg*innen und starren ihn fassungslos an. „R-e-s-p-e-k-t! R-e-s-p-e-k-t!“, skandiert Salih mit hochrotem Kopf und beginnt sich um seine eigene Achse zu drehen. Immer schneller, wie ein Derwisch. Meine Schockstarre dauert keine zwei Sekunden. Ich dränge mich an den Schüler*innen vorbei und versuche Salih zu bremsen. „Lass mich“, kreischt er und holt aus. Um Schlimmeres zu verhindern halte ich ihn fest. Wir straucheln und landen beide am Boden. „Lass mich!“, schluchzt er noch einmal und dann vergräbt er seinen Kopf in meinen Sweater.

Salih leidet an einer Autismus-Spektrum-Störung. Wobei ich mir mit dem Begriff leiden ein bisschen schwer tue. Leidet er wirklich? Die meiste Zeit erleben wir ihn alle als einen sehr ausgeglichenen Jungen. Aber es gibt eben auch ganz schlechte Tage, so wie heute. Da taucht ein klitzekleines Störgefühl auf, das ihn völlig aus der Bahn wirft.

Was war? Will mir irgendjemand was erzählen?“, frage ich vorsichtig in die Runde. Ein paar Schüler*innen gucken sich an. Andere zucken mit den Schultern. „Keine Ahnung, Frau Lodjn. Plötzlich hat Salih Selmas Tisch umgekippt und dann hat er zu schreien angefangen,“ sagt Marco.

Stimmt! Da liegt ein Tisch. Ist mir gar nicht aufgefallen. Der dumpfe Knall, klar.

Ehrlich Frau Lodjn, es war nichts,“ pflichtet ihm Selma bei. Sie hat begonnen ihre Hefte, Bücher und Stifte einzusammeln. „Ich glaube, dass Salih nur will, dass ihr ihn in der Pause in Ruhe lassts,“ wirft Ayse ein und setzt sich zu Salih und mir. Ganz vorsichtig beginnt sie Salihs Arm zu streicheln. Ein Wagnis, das scheitern könnte. Aber, er lässt es zu. Rada bringt ihm ein Taschentuch, Emre schenkt Salih eine Flasche Eistee und Fatih legt eine Handvoll Nüsse neben ihn. Alle drei gesellen sich zu uns. Nach und nach sitzt die ganze 1c am Boden.

Ayse hat Salihs Hand genommen. „Weißt du Salih, wenn du Respekt willst, dann darfst du nicht schreien. Das musst du anders machen,“ rät sie ihm.

Aber wie?“, will Salih wissen.

Ayse guckt mich planlos an. „Keine Ahnung!

Salih legt seinen Kopf schief, kneift die Augen zusammen. Das macht er immer, wenn er nachdenkt. „Soll ich alle schlagen?

Bitte nicht,“ werfe ich ein. Gelächter erfüllt den Raum.

Die Anspannung, die vor ein paar Minuten noch so stark zu spüren war, ist verflogen. Ich schlage vor, dass wir ja mal den Tisch aufstellen könnten. Da steht die Kollegin, die ich in der Gangaufsicht schmerzlich vermisst habe, in der Türe. Sie beginnt sofort zu brüllen. „Seid ihr verrückt geworden? Stellt den Tisch auf! Geht auf eure Plätze! Wieso holt ihr niemanden, wenn keine Lehrerin in der Klasse ist?“ Ich versuche mich bemerkbar zu machen, leider erfolglos. Salih löst sich aus meiner Umklammerung und steht langsam auf. Er guckt die Lehrerin an. „Weißt du, wenn du Respekt willst, dann darfst du nicht schreien,“ erklärt er ihr ernst. Schweigen. Die  Kollegin ist dabei den Mund aufzumachen, als sie mich erblickt. Kopfschüttelnd verlässt sie die Klasse.

Schüüüsch! Respekt Bruder. Hätte ich mich nie getraut. Die ist urstreng,“ stellt Dejan fest. Er klopft Salih anerkennend auf die Schulter.

Salih geht lächelnd zu seinem Platz, schlägt das Mathematikbuch auf und sagt: „Können wir jetzt bitte mit Mathe anfangen? Ich bin hier, um zu lernen. Wir werden sonst nicht fertig.

Maria Lodjn ist Lehrerin an der Mittelschule Staudingergasse

Dieser Text entstand im Rahmen des Gschichtnwettbewerbs „Respekt“, einer Kooperation zwischen Schulgschichtn und dem Projekt Respekt – gemeinsam stärker der Stadt Wien.

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