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Kurz vor den Sommerferien des denkwürdigen Schuljahres 2020. Im „ausgedünnten“ Klassenzimmer dümpeln 10 müde Schüler*innen dahin. Sie haben eine lange Phase des Homeschooling hinter sich und ein paar merkwürdige Schulwochen unter widrigen Bedingungen. Das bereits erworbene Wissen wurde vielfach wieder vergessen, es fällt den Kindern zunehmend schwerer, sich an den „Hausaufgabentagen“ zu ihren Aufgaben zu motivieren. Auch mir fällt es derzeit schwer, als Lehrkraft motiviert und optimistisch zu bleiben …

Wir wiederholen zum gefühlt dreihundertsten Mal das Futur. An die Tafel schreibe ich Beispiele; achte darauf, dass sie der Lebenswelt der Kids entsprechen: Ich werde ins Kino gehen. Du wirst einkaufen fahren. Er/Sie/Es wird in die Schule kommen. Wir werden in den Park gehen. Ihr werdet die Jause essen. Sie werden …

Ich werde von einem Geräusch unterbrochen. In der Tür stehen zwei junge Männer in schwarzen Anzügen mit blütenweißen Hemden und schmalen Krawatten. Einer hat einen John-Lennon-Look, der andere eine Frisur wie aus einem Tarantino-Film. Sie winken, grinsen. An ihren Sakkos prangen kleine Abzeichen der HTL. Jetzt erkenne ich die beiden. Es sind meine ehemaligen Schüler, A. und M. Vor mittlerweile fünf Jahren habe ich sie in meinem ersten zwei Jahren als Lehrerin in Deutsch unterrichtet. Wir haben die beiden damals als Lehrer*innenteam stark gefordert, immer wieder zu besseren Leistungen gedrängt und ihnen zuletzt guten Gewissens Noten gegeben, die ihnen einen Eintritt in eine weiterführende Schule ermöglicht hatten.

Die Wiedersehensfreude ist groß. Ich bitte sie in die Klasse und sie erzählen, dass sie gerade maturiert haben. Sie zeigen die kleinen Nadeln an ihren Anzügen her; eine ist silbern und steht für einen guten Erfolg, die andere ist golden und belegt die Matura mit Auszeichnung. Die 1B ist plötzlich aufmerksam und wach. Sie erzählen den Kids von ihrer Schulzeit an der NMS, geben Tipps, machen ein paar witzige Bemerkungen über mich und berichten, wie sehr ihnen unsere Schule geholfen hat, ihren Weg zu gehen. Next step: Uni.

Ich freue mich unglaublich und spüre, wie meine Motivation wieder erwacht. Wir machen ein Selfie zur Erinnerung an diesen besonderen Moment. Im Hintergrund prangt das Tafelbild mit der symbolträchtigen Überschrift „Das Futur / die Zukunft“.

Nachdem die beiden weg sind, vervollständige ich das fehlende Beispiel an der Tafel:

„Sie werden maturieren.“

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

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Aus meiner Sicht ist die präsenzunterrichtsfreie Zeit gut mit einer unbefriedigenden Achterbahnfahrt vergleichbar – Es gab mehr Tiefen als Höhen. Die Höhen kamen vor allem durch einzelne besonders engagierte Lehrpersonen. In meiner Klasse hat der Fernunterricht in Mathe beispielswiese großartig funktioniert. Wir haben immer genau gewusst, was zu tun ist, unser Lehrer hat uns Fragestunden angeboten und uns sogar gebeten, mittels Umfragen Feedback zu geben. In anderen Fächern sah das jedoch nicht so aus. Der digitale Teil des Unterrichts bestand oft darin, Arbeitsblätter vom Computer aus auszudrucken, die erledigten Arbeitsblätter dann wieder zu fotografieren und zurückzuschicken. Einige Lehrpersonen waren in ihrer Überforderung mehr darauf bedacht, ihre eigene Arbeit so unkompliziert wie möglich zu gestalten, als das Lernsetting für uns Schüler*innen. Mit einer Lehrperson hatten wir Schwierigkeiten, da sie nahezu jedes Wort in ihren E-Mails abgekürzt hat und wir so nicht verstehen konnten, was sie uns vermitteln wollte. Doch solche Probleme konnten wir meistens mit der betreffenden Lehrperson lösen. Die wirklichen Tiefen waren die unlösbaren Probleme, vor die viele Schüler*innen durch das Agieren des Bildungsministeriums gestellt worden sind.

Falscher Fokus

Vor den Schulschließungen hieß es erst, der Inhalt des Distance Learnings solle nicht in die Leistungsbeurteilung einfließen. Das wurde dann noch am allerletzten Schultag geändert. Anschließend gab es immer wieder Pressekonferenzen mit eher geringem Informationsgehalt. Auf Instagram gingen etliche Memes über Minister Faßmann viral, also sich über seine Planlosigkeit lustig machende Postings. So etwas ist für das „Opfer“ nie ein gutes Zeichen. Als dann die Entscheidung über die Matura verkündet wurde, offenbarten sich grundsätzlich falsch gesetzte Prioritäten. Statt nämlich den Fokus darauf zu legen, die Eltern jüngerer Schüler*innen schnellstmöglich in der Betreuung zu entlasten, sollten als allererstes die Abschlussprüfungen abgehalten werden. Dass die Megaprüfung Matura hier wichtiger war als die politische Verantwortung gegenüber den Hunderttausenden Eltern, ist ein Armutszeugnis für das Krisenmanagement des Bildungsministeriums.

Platz und Sicherheit

Zu guter Letzt wurde nun auch der Präsenzunterricht für die Sekundarstufe 2 wieder aufgenommen. Die dafür benötigten Räumlichkeiten der Oberstufenklassen hätten auch verwendet werden können, um mehr Platz und Sicherheit für die Schüler*innen der Unterstufe zu schaffen, oder sie an mehreren Tagen in die Schule zu holen. So wäre auch die Ansteckungsgefahr deutlich geringer, sie könnten mit gutem Gewissen in die Schule gehen. Wir als Oberstufe, die ja keine Betreuung durch Eltern mehr brauchen, hätten dann die letzten Schulwochen wie inzwischen gewohnt von zuhause aus absolvieren können.

Notwendige Anpassungen

Klar ist: Das nächste Schuljahr kann nicht ohne Anpassungen im Bildungssystem stattfinden. Wir brauchen flächendeckende Schulungen zum digitalen Lernen für Lehrpersonen, die Lehrpläne müssen angepasst werden, wir müssen unsere Bundesschüler*innenvertretung endlich selbst wählen können, damit sich in solchen Situationen wirklich jemand für uns einsetzt. Außerdem sollen auch künftig Leistungen der Oberstufe ins Abschlusszeugnis einfließen.

Der Autor ist Schüler an einem Gymnasium in Wien.

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Herr Professor, können wir nicht noch eine Stunde Geo machen? Das ist so wichtig.“ Das Thema: Rassismus. Die Umsetzung: Fotos, Eigenerfahrungen, ganz viel Gespräch – super reflektiert. „Herr Professor, es ist so schön… können wir nicht rausgehen?“ Sicher. Spaziergang. Die Straße entlang hin zum Wiederkehr. „Mein Normal: Unternehmen entlasten – Jobs schaffen“ ist am NEOS-Plakat bei der schulnahen Bushaltestelle plakatiert. Was bedeutet das? Warum hängt das? Durch welche Entlastung können welche Jobs geschaffen werden? Wie sehen es die anderen Parteien? Spazieren wir weiter. Information, Fragen, Debatte. Fazit: „Das hat so viel Sinn gemacht. Voll super.“ Und außerdem: „Ich hab über das Rassismus-Thema nachgedacht. Darf ich Ihnen nachher noch ein Video zeigen?“ Klar.

Dynamisches Lernen, gemeinsames Reflektieren und Diskutieren, Thematisierung gesellschaftspolitisch relevanter Phänomene – es macht Sinn und nach dem Unterricht wird im lebendigen digitalen Raum weiterdebattiert. Es beschäftigt und ermutigt. Die halbierte Klassenportion ist erfreut über die Möglichkeit nachzufragen und Meinung kund zu tun. Es geht leichter von der Hand für beide Seiten. Man fühlt sich gehörter denn je im Kleingruppenformat. Sacré bleu und quelle surprise.

Dass es so bleibt (weniger Schüler*innen je Lehrer*in in Kombination mit gesteigerter Diskussionsmöglichkeit im dem Wetter angepassten Outdoor-Unterricht): Illusion. Also zurück zum alten Schema ab September? Schema F: Notendruck, Lernzwang, zu viele Kinder auf zu wenig Raum. Doch kann es das geben? Eher zu wenig Lehrer*innen und zu wenig Raum. Änderungsbedarf, Investitionspflicht – Outdoorklassen, späterer Unterrichtsbeginn, gesünderes Angebot in der Schulkantine, interaktives Lernen in Kleingruppen, verbesserte Kommunikationsstruktur im analogen und digitalen Raum, gemeinsames Reflektieren über Erlebtes, Sinndebatte über die Reifeprüfung, individualisiertes Lernen statt kollektivem Schweigen – ein Aufschrei der verstummt. Denn, das was kommt, sei fördernd, innovativ und sozial, der Mehrwert sei unbestritten: die Sommerschule.

Geh bitte… da geht dir ja keiner freiwillig hin“, so der allgemeine Tenor im Konferenzzimmer (m)einer Wiener AHS. Also ab ins Schema F – mit den Eltern reden, ihnen vermitteln, dass das schwache Kind MUSS. Wir müssen sie zwingen und für die Notenschwäche bzw. die Inkompatibilität mit dem existierenden System bestrafen. Der vom Minister ausgeschickte Stundenplan für die Volksschule (wie sieht es für NMS und AHS aus?), liest sich verheißungsvoll: Förderung der Kreativität, Erkundung der Umgebung, Basteln, Bewegung, Sprachtraining… so macht (Sommer)-Schule Sinn. Was aus mir „spricht“, ist die tiefe Überzeugung, dass Lernen Freude bereitet und dass Kinder Sinnhaftigkeit und Freude erkennen, spüren und schätzen. Lasst uns mit den Kindern reden und sie davon überzeugen, vom Lernen mit Sinn, Freude und Variation – abwechslungsreich und vielfältig, bewusst und individuell.

Aber: Wenn schon, dann g’scheit.

Von einer, meiner AHS läge der nächste Sommerschul-Standort 40 Öffi-Minuten entfernt. Es gibt schlichtweg keine einzige Sommerschule im zweitgrößten Wiener Gemeindebezirk mit massenhaftem Förderpotenzial – auch im Sommer. Den Eltern wird nun sieben Tage vor Meldeschluss vermittelt, dass sie ihre nach den Anstrengungen der Corona-bedingten schulischen Neuerungen die Ferien herbeisehnenden Kinder anmelden können, wenn sie denn wollen. Schema F. Die unzähligen Eltern mit nicht-deutscher Muttersprache und mangelhaften Deutsch-Kenntnissen, die vielzähligen Eltern, die von der beruflich-familiär-sozialen Konstellation täglich bis an und über’s Limit gefordert werden, die hunderttausenden ambitionierten Kinder mit Gestaltungs-, Partizipations- und Lernmotivation werden mit einem formellen Schreiben allein gelassen, wenn nicht die Klassenlehrer*innen die Notwendigkeit erkennen, individuell, persönlich, empathisch, geduldig, motivierend mit denen zu reden, die bereit sind und wollen, wenn das Angebot stimmt: mit unserer Zukunft, unseren Kindern. 

Also dann: bitte g’scheit.

Der Autor ist Lehrer an einer AHS in Wien.

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Das bildungspolitische Hin und Her hält Lehrer*innen kontinuierlich auf Trab und erfordert ausgeprägte Anpassungsfähigkeit von allen am Schulgeschehen Beteiligten. Eine Reform, die vermeintlich alles besser machen soll, wird ohne Evaluation von der nächsten abgelöst. Mit der Umsetzung werden Schulen und Lehrkräfte schließlich alleine gelassen. “Schulautonomie” ist das Schlagwort der Stunde.

Wieder alles neu

Es war ja schon im Gespräch, also wir wussten bereits von abermals neuen Veränderungen, doch nun ist es amtlich: Wir bekommen wieder ein neues Differenzierungs- und Notensystem! Ich bin wirklich wütend und zugleich traurig und erschüttert darüber, wie man sich innerhalb von 30 Jahren immer wieder etwas Neues ausdenken kann ohne endlich das umzusetzen, was schon lange diskutiert und sogar schon erprobt und als gut empfunden wurde.

Vor ca. 30 Jahren waren wir umgestiegen von A und B Zug auf drei Leistungsgruppen, um noch besser differenzieren zu können. Das Ergebnis war genauso schlecht wie vorher, nämlich dass Schüler*innen weder voneinander lernen konnten noch das „bessere“ Vorbild hatten, um einen Ansporn zur Verbesserung zu bekommen. Schließlich wurden auch die Leistungsgruppen abgeschafft zugunsten von heterogenen Klassen, die von mehr Lehrkräften betreut werden sollten. Anfangs funktionierte das auch gut, doch bald wurden die Ressourcen gestrichen und mittlerweile haben wir weder nur gering reduzierte Schülerzahlen noch mehr Lehrkräfte in einer Klasse. Damit wird das Differenzieren und Individualisieren natürlich schwierig.

Nebenbei läuft seit Jahren die Diskussion, ob man Noten abschaffen sollte zugunsten von verbalen Beurteilungen. Teilweise liefen sie parallel und engagierte Lehrer*innen beherzigten diese Möglichkeit und nutzten sie sehr gut und positiv für die Schüler*innen. In meiner Schule – einer NMS – gibt es (zumindest bis jetzt) keine Noten bis zur achten Schulstufe. Dann müssen wir Noten geben, um die Schüler*innen in höhere Schulen oder in eine Lehre entlassen zu können. Auch das verstehe ich nicht, da wir bereits von Lehrherr*innen wissen, wie dankbar sie um die verbalen Einschätzungen sind, weil sie wesentlich aussagekräftiger sind als Noten.

Mit dem neuen Differenzierungssystem „AHS Standard“ oder „Standard“ spalten wir nicht nur wieder die Schülergemeinschaft in zwei Gruppen – auch wenn sie nicht räumlich getrennt werden – sondern wir haben unsere „wunderbare“ Notenskala erweitert auf nunmehr neun Noten, die ja übrigens in den letzten Jahren bereits erweitert wurde auf sieben Noten (auch hier kann man die Sinnhaftigkeit in Frage stellen)!

Handeln wider besseren Wissens

Wir wissen, dass (leistungsbezoge) heterogene Gruppen viel Gutes bringen weil sich die Kinder gegenseitig motivieren, und es ihnen ermöglicht wird, einander zu helfen. Sie profitieren davon also enorm.

Wir wissen, dass eine geringe Schülerzahl es ermöglicht, individuell auf die Bedürfnisse der Schüler*innen eingehen zu können.

Wir wissen, dass es durch Teamteaching möglich ist, sich zu einzelnen Schüler*innen zu setzen und gezielt mit ihnen  – und konkret an einzelnen Problemen – zu arbeiten.

Wir wissen, dass verbale Beurteilungen unsere Schüler*innen motivieren, weiterzukommen und sich zu verbessern. Im Gegensatz dazu sagen Noten weder aus, was der oder die Schüler*in kann, noch wirken sie motivierend – schlimmer noch: schlechte Noten demotivieren.  

Ein demotivierendes System – Was verbale Beurteilungen bewegen können 

Einer meiner Schüler kam vor vier Jahren an unsere Schule mit keiner sehr großen Begabung in Deutsch (Muttersprache). Er hatte nicht nur Defizite in der Rechtschreibung und Syntax, sondern auch im Ausdruck und beim Lesen. Er arbeitete intensiv und trotz immer wiederkehrender Rückschläge konnten wir ihn gut motivieren und ihm immer wieder rückmelden, dass er besser geworden war und vor allem durch seinen Fleiß weitergekommen war. In den verbalen Zeugnissen stand nicht, dass er so toll in Deutsch war, doch es stand, dass er immer besser wurde und was er nicht schon alles gelernt hatte. Mittlerweile kann er sich korrekt ausdrücken, hat eine recht gute Rechtschreibung, liest flüssig und kann korrekte Texte formulieren. Im Halbjahr konnte ich ihm (erstmals Notenzeugnis!) einen Zweier geben und er freute sich. Nun möchte er aber gerne einen Einser bekommen und tut alles dafür. Allerdings musste ich ihm sagen, dass er den Einser nicht erreichen wird, weil ihm dazu noch das gewisse Etwas an Begabung und sprachlicher Eloquenz fehlt, das schwierig zu erlernen ist. Er sagt nun mit Recht: „Wenn ich nichts tue, kann ich mich verschlechtern, aber wenn ich viel bzw. alles mache, was gefordert ist und noch darüber hinaus, kann ich mich trotzdem nicht verbessern. Warum ist das so? Das ist ungerecht!“ Ich kann ihm nur recht geben. Es wäre nie zu so einer Diskussion gekommen, wenn die Noten nicht wären. Er hätte für sich und sein Weiterkommen einfach weitergearbeitet. Nun ist er gebremst durch die Notengebung, der Anreiz ist ihm genommen!

So – denke ich – geht es vielen unserer Schüler*innen. Sie lernen nur für die Note und „erledigen“ ihre Arbeiten, darüber hinaus denken sie aber nicht an ihr eigenes Vorwärtskommen und das Ziel, aus eigenem Interesse besser zu werden, etwas zu beherrschen und Freude daran zu haben. Das nehmen wir ihnen durch diese nicht-aussagekräftigen Ziffern!

Ich wünsche mir, dass unsere „Schulgschichten“ auch im Ministerium gelesen werden und Neuerungen vor Inkrafttreten besser hinterfragt und geprüft werden. Vielleicht wäre es gut, wenn sich die dafür zuständigen Personen einmal kontinuierlich in Schulen aufhalten, am Unterricht teilnehmen, mit Schüler*innen und Lehrer*innen sprechen würden.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Oberösterreich.

Lesezeit: 3 Minuten

Still ist es geworden

Im Schulhaus ist so still wie schon lange nicht mehr. Am Gang sehe ich selten Schüler*innen und aus den Klassenräumen dringt kaum Lärm. Meine Kolleg*innen sehe ich ab und zu, manche in der Früh, manche mal zwischendurch und manche schon seit drei Tagen nicht mehr. Und auch in den diversen Lehrer*innenzimmern ist kaum etwas los. So könnte ein Albtraum beginnen, denke ich mir. Wenn es ein Traum wäre, dann müsste jetzt aus irgendeiner Ecke ein schleimiges, grünes Monster kriechen, das mich mit lautem Schmatzen langsam zerkaut.

Vielleicht ein Geschenk?

Die ersten Tage der Schulöffnung fühlten sich eigenartig an. Die Stille machte mir zu schaffen. Ich empfand sie als  bedrückend, auch weil die Verunsicherung und die Angst aller deutlich zu spüren waren. Es war keine neue Normalität. Nichts war normal. Es war und ist immer noch eine Ausnahmesituation.

In der zweiten Woche ging es mir besser. In mir keimte der Gedanke auf, dass diese letzten Schulwochen ein Geschenk sein könnten. Die Klassen sind in zwei Kleingruppen geteilt. Aufgrund der aktuellen Bestimmungen sollten die Schüler*innen keinen Notendruck mehr haben. Sie können sich, rein theoretisch, nur mehr die Zensuren verbessern. Auch von den Lehrer*innen fällt der Druck weg, denn es muss nicht mehr irgendein Kapitel des Lehrplans noch schnell abgeschlossen werden.

Was geht, geht. Was nicht mehr geht, geht eben nicht mehr.

Dieser Umstand öffnet neue Türen, nämlich sechs Wochen Zeit mit Kindern und Jugendlichen für lustvolles Lernen abseits eines vorgegebenen Plans. Es könnten die besten sechs Wochen meines Lehrerinnendaseins werden. Wir machen das, was uns gefällt.

Mit einer Klasse möchte ich in jedem Fall die Werkstücke fertig machen, die wir vor Corona angefangen haben. Zum einen, weil es schade wäre, wenn diese unfertig im Mistkübel landen. Zum anderen steckt da jede Menge Arbeit und Herzblut der Schüler*innen drinnen.

Dann werde ich versuchen mit theaterpädagogischen Mitteln den Lockdown zu thematisieren. Vielleicht gelingt uns ja eine kleine Präsentation zum Abschluss des Jahres.

Wenn es das Wetter erlaubt, will ich mit den Schüler*innen in den Park gehen. Sie sollen sich am Spielplatz mit ihren Freund*innen austoben, das nachholen, was zehn Wochen lang verboten war.

Es dürfen zwar keine Lehrausgänge gemacht werden, aber in jedem Wiener Bezirk steckt ganz viel Geschichte, die es zu erkunden gilt. Außerdem könnten Klimawandel und andere aktuelle Tagesthemen behandelt werden.

Geile Zeit, denke ich mir. Was für ein Geschenk.

Die Wirklichkeit

Soweit es mir möglich ist, ziehe ich meine Pläne durch, stoße dabei aber sehr schnell auf Widerstände. Als ich mit einer Gruppe in den Werkraum gehen will, ist meine Kollegin wenig begeistert. Die Gruppe A hat eine einzige Mathematikstunde in dieser Woche. Die muss genützt werden, um im Kapitel XY weiterzukommen. Denn schließlich brauchen die Schüler*innen auch eine Hausübung. Das ist so vorgeschrieben. Ich halte dem entgegen, dass sie ja ohnehin in anderen Unterrichtsfächern unter Garantie Arbeit für die freien Tage bekommen würden. Ich schlage vor, dass sie zur Abwechslung einen Arbeitsauftrag in Bildnerischer Erziehung bekommen könnten. Denn mir ist aufgefallen, dass einige Schüler*innen in der Coronazeit ein Sketch-Book angelegt haben.

Fülle ein paar Seiten in deinem Sketch-Book. Wer keines hat, bekommt eines. Wir zahlen es mit dem Geld der Klassenkasse. Dann kann jede*r Schüler*in mitmachen. Ich mag diese Idee.

Mein nächstes Angebot ist, dass wir gemeinsam eine Choreografie entwickeln könnten. Zuhause soll die dann gefestigt werden.

Nein, das sind alles keine richtigen Hausübungen, wird mir deutlich gemacht. Es muss Mathe sein.

So wie es Mathe sein muss, muss es auch Deutsch, Englisch, Biologie und so weiter sein. Schließlich müssen wir ganz dringend jetzt noch sechs Wochen Schule spielen.

Wieder eine nicht genützte Chance

Kein Monster hat Schüler*innen und Lehrer*innen verschluckt. Die Stille rührt daher, dass in den meisten Klassen die Schüler*innen auf ihren Plätzen sitzen und geduldig dem hauptsächlich angebotenen Frontalunterricht folgen, der nur eines zum Ziel hat: Nämlich in den kommenden sechs Wochen so viel wie möglich nachzuholen, damit der Start ins neue Schuljahr möglichst reibungslos verläuft. Vielleicht gelingt es ja sogar, dass alle Kapitel des Lehrplans erfüllt werden. Was für ein Erfolg. Trotz zehn Wochen Distanzlehre, wurde alles in die Köpfe der Kinder und Jugendlichen hineingestopft. Ob es dort hängenbleibt, ist eine andere Frage.

Schade. Wir hätten die Chance gehabt zu beweisen, dass Schule auch ohne Notendruck großartige Lernerfolge liefern könnte.

Anmerkung der Autorin:

Aber in ein paar Klassen gibt es kleine, feine Projekte. Und das finde ich großartig.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.