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In den letzten Tagen ist medial ( z.B. hier, hier und hier) und in der Politik eine Debatte zu einer Reformierung des Staatsbürgerschaftsrechts entfacht. Die Fragen drehen sich vor allem darum, wie lange man sich rechtmäßig in Österreich aufhalten muss um die Staatsbürgerschaft zu bekommen, und ob hier geborene Kinder automatisch die Staatsbürgerschaft erlangen sollen, wenn zumindest ein Elternteil zum Zeitpunkt der Geburt mehrere Jahre rechtmäßig in Österreich wohnhaft war. 

Österreich ist im internationalen und im EU-Vergleich eines der Länder mit dem schwierigsten Zugang zur Staatsbürgerschaft (eine übersichtliche Darstellung dieser Thematik ist hier zu finden, sowie weitere Informationen hier). Unterschieden muss hier zwischen EU-Bürger*innen und Menschen aus Drittstaaten werden. EU-Bürger*innen können sich nach wenigen Jahren relativ einfach einbürgern lassen, tun dies aber selten, da es für sie kaum Vorteile bringen würde. Die Sache gestaltet sich für Menschen aus Drittstaaten, besonders Flüchtlinge, um einiges schwieriger: Sie kämpfen mit hohen finanziellen, zeitlichen und administrativen Hürden.

Demzufolge ist Österreich unter den Ländern mit den niedrigsten Einbürgerungsquoten in der EU. Das bedeutet, dass viele Menschen, die seit Jahren in Österreich leben, nicht denselben Rechtsanspruch wie ihre eingebürgerten Nachbar*innen haben, geschweige denn sich durch demokratische Prozesse wie zum Beispiel Wahlen am Miteinander und an der Gestaltung unseres Landes beteiligen können. 

Soweit die Theorie. Doch wie sieht die Situation in der Praxis aus? Wir möchten hier einen kleinen Einblick in eine bunt zusammengewürfelte Klasse einer Wiener Mittelschule geben.

Demokratiebewusstsein stärken

Politische Bildung ist eines der Unterrichtsprinzipien, soll also fächerübergreifend in den Unterricht einfließen. Man möchte meinen, das hier vor allem auch die Stärkung des Demokratiebewusstseins im Vordergrund stehen sollte – Wahlen und andere demokratische Prozesse sind die wichtigste Möglichkeit, als Bürger*in mitzugestalten und Entscheidungen zu beeinflussen. Doch wie vermittle ich die Wichtigkeit von demokratischen Prozessen, wenn die Hälfte der Schüler*innen auch mit Erreichen von 16 Jahren nicht wählen wird dürfen? Die meisten davon sind in Österreich geboren und aufgewachsen, haben hier das Schulsystem vom Kindergarten weg besucht und sprechen fließend Deutsch. Österreich ist ihr Zuhause. Aber auch jene, die nicht in Österreich geboren wurden, sind meist schon als kleine Kinder mit den Eltern ins Land gekommen, haben die Volksschule und Mittelschule besucht, die Sprache gelernt, Freunde gefunden und erträumen sich eine Zukunft in diesem Land. Sie haben Österreich zu ihrem Zuhause gemacht. Wählen werden beide Gruppen nicht können. Damit fehlt ihnen eine wertvolle Erfahrung im Leben eines Jugendlichen. Ich persönlich kann mich noch sehr an meine erste Wahl-Erfahrung erinnern: Ich war aufgeregt und nervös, ich fühlte mich erwachsen und als einen wichtigen Teil dieses Landes. Meine Meinung, meine Stimme, zählte. Die Meinung und Stimme vieler Jugendliche und junger Erwachsene in Österreich zählt nicht, wird nicht gehört. 

Was macht das mit den Jugendlichen? Sie merken, sie zählen nicht in diesem Land, sie dürfen nicht mitbestimmen, sie werden ausgegrenzt. Bei manchen trifft das Thema also auf Desinteresse: Es betrifft mich ja eh nicht, es geht nicht um mich. Andere beginnen, sich lieber mit dem Herkunftsland der Eltern zu identifizieren. Dort ist es wahrscheinlich besser. Wieder andere werden ärgerlich: Was kann ich dafür, dass meine Eltern aus einem anderen Land kommen? Ist meine Meinung deswegen weniger wert? Bin ich deswegen weniger wert? In Österreich ist die Antwort auf diese Frage leider nach wie vor: ja.

Ich bin ein Teil von Österreich!

Unsere Schüler*innen sind zwischen 14 und 15 Jahren alt und beenden in wenigen Tagen alle erfolgreich ihre Pflichtschulzeit. Nur ungefähr die Hälfte der Klasse wird bald wählen dürfen. Nach einer Diskussion über die aktuelle politische Debatte zum Thema Staatsbürgerschaft fassen viele ihre Meinung zum Thema zusammen: 

“Integration bedeutet für mich die Sprache zu lernen, mich ans Gesetz zu halten und eine Bildung zu bekommen. Wir alle hier tun das.”

Abbas*, tschetschenischer Staatsbürger, in Österreich seit 12 Jahren

“Ich hätte gerne die österreichische Staatsbürgerschaft, weil ich selbst eine Partei wählen will, die meine Interessen vertritt.” 

Farisa, tschetschenische Staatsbürgerin 

“Kinder, die in Österreich von österreichischen Eltern geboren werden, haben es besser.”

Aman, afghanischer Staatsbürger, seit 6 Jahren in Österreich

“Kinder, die in Österreich geboren sind, deren Eltern nicht aus Österreich sind, sollten als Österreicher angesehen werden, weil sie hier geboren sind.”
Stefan, österreichischer Staatsbürger

“Ich bin hier geboren und zu Hause. Es macht mich traurig, dass das offiziell nicht anerkannt wird.

Cemal, bosnischer Staatsbürger, in Wien geboren 

“Die österreichische Staatsbürgerschaft bedeutet für mich in Österreich normal leben zu können.“

Lisa, österreichische Staatsbürgerin 

“Kinder, die in Österreich geboren sind, sollten auch die österreichische Staatsbürgerschaft haben. Sie ist wie ein wichtiges Ticket, das man für viele Dinge im Leben braucht.” 

Edita, albanische Staatsbürgerin, in Wien geboren 

Wann beginnt Integration? 

Die Verleihung der Staatsbürgerschaft müsse an Leistung geknüpft sein und solle am Ende eines gelungenen Integrationsprozesses stehen, so die die Gegner*innen eines möglichen neuen Staatsbürgerschaftsgesetzes. Für Menschen, die als Erwachsene nach Österreich kommen, scheint diese Forderung bis zu einem gewissen Grad einleuchtend und nachvollziehbar. Für in Österreich geborene und aufgewachsene Kinder ist sie eine Verhöhnung. Die Forderung beinhaltet, dass sie sich von Tag 0 an beweisen müssen, fortwährend eine Leistung für etwas erbringen müssen, das für die meisten anderen selbstverständlich ist: Das Recht, in ihrem Zuhause auch als gleichwertig*e Bürger*in anerkannt zu werden. 

Doch wie sieht denn nun dieser gelungene Integrationsprozess aus, von dem alle sprechen? Das gesamte Bildungssystem zu durchlaufen, Deutsch zu erlernen und trotz aller Widrigkeiten nicht aufzugeben, zählt für manche Politiker*innen noch nicht als Integration, die einen österreichischen Pass wert ist. Sicherheitshalber werden daher auch Kinder, die bereits ihre gesamte Schullaufbahn in Österreich durchlaufen haben, zu einem Wertekurs verdonnert. Die Konsequenz eines Nichtbesuchs ist die Streichung der Sozialleistungen für die ganze Familie. Ganz normal, dass sich 12-jährige damit herumschlagen müssen oder? Sie sollen schließlich etwas leisten. Darüber, dass man im Rückschluss annehmen könnte, dass die Schule eben diese integrationserforderlichen “österreichischen” Werte nicht vermittle, müssten wir einen eigenen Artikel schreiben. 

Wenn du es schaffen willst, musst du härter arbeiten als die anderen. Ja, das ist unfair, aber es ist nunmal so.” Diesen Satz haben bereits viele 10-jährige verinnerlicht und leben ihn. Sie strengen sich mehr an, geben immer ihr Bestes und bekommen am Ende wieder zu hören und zu spüren, dass es nicht reicht. 

In einem Punkt stimmen wir den Gegner*innen eines möglichen neuen Staatsbürgerschaftsgesetzes zu: Geboren zu werden ist keine Leistung.  Nein, wo man geboren wird ist schlicht eine Frage des Glücks. 

*Namen von der Redaktion geändert.

Die Autor*innen sind Lehrerinnen an einer Mittelschule in Wien.

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Zugegeben, die Abneigung gegen Elternsprechtage oder Elterngespräche nimmt mit den Jahren, die viele Lehrer*innen unterrichten, direkt proportional zu. Für alle Nicht-Mathematiker*innen: Je mehr Dienstjahre, desto weniger Lust auf die herkömmliche Elternarbeit. Das liegt in keinem Fall an den Eltern der Schüler*innen, sondern viel mehr daran, wie diese Gespräche ablaufen. Eltern, die sich, ob unterschiedlicher Barrieren defizitär fühlen, treten zum halbjährlichen Rapport an. 

Die Barrieren

Gerne werden diese Barrieren ausschließlich am sprachlichen Unvermögen in der Landessprache festgemacht. Es könnte, so hören wir es immer wieder, alles so einfach sein, würden die Erziehungsberechtigten gut genug Deutsch sprechen.  Ist dem tatsächlich so? 

Die gute Nachricht: Dieses Problem kann seit kurzer Zeit sehr leicht gelöst werden. Das Zauberwort heißt Videodolmetscher*innen.

Seit knapp einem Monat fördert die Stadt Wien an unserer Schule die Möglichkeit, zu Elterngesprächen professionelle Dolmetscher*innen per Livestream hinzuzuschalten. In 61 Sprachen kann konversiert werden, 13 davon sind ad hoc, also ohne jegliche Anmeldung verfügbar. Es ist ein wahres Aha-Erlebnis, mit den Eltern hier endlich auf Augen – oder eher Mundhöhe zu sprechen. Geschichten, Details, Informationen, Hintergründe sprudeln bald aus ihnen heraus und relevante Informationen (Gab es vorher überhaupt einen Schulbesuch?, Hatte das Kind schon immer Schwierigkeiten beim Rechnen? Steht gerade ein Umzug an?), die man sonst jahrelang nicht wusste und welche doch oft so relevant für die Förderung der Kinder sind, kommen plötzlich ans Tageslicht. Elterngespräche, die sonst häufig nur wenige Minuten dauerten, da das Unbehagen auf beiden Seiten groß war: Versteht er/sie mich? Verstehe ich sie/ihn richtig? Sage ich was Falsches? Was passiert, wenn ich etwas nicht verstanden habe? Wie oft darf ich nachfragen?

Diese Zeiten sind zum Glück vorbei und eine große Hürde wurde uns genommen, eine große Hilfe angeboten. Es erleichtert unsere Arbeit ungemein und wir sind wieder einen Schritt weiter in Richtung Fortschritt gewandert.

Tatsächlich gibt es aber noch weitere Hindernisse für ein gleichwürdiges Miteinander außerhalb der sprachlichen Diskrepanzen.

Gespräch unter Expert*innen

Wir sind der Überzeugung, dass es an viel mehr Dingen scheitert als ausschließlich an der Sprache. So entsteht im Umgang mit den Eltern zeitweise der Eindruck, Kolleg*innen würden nicht unterscheiden können, wen sie vor sich haben. Erwachsene, mündige Menschen werden zu gerne wie ihr Nachwuchs behandelt. Deutlich wird in derart geführten Gesprächen der Status-Unterschied demonstriert. „Ich bin die Lehrperson und werde wohl am besten wissen, wie ich mit meinen Schüler*innen umgehe“. Aus den Augen verloren wird, dass nicht nur Lehrer*innen, sondern auch Eltern Expert*innen für das betreffende Kind sind. In Wahrheit treffen zwei unterschiedliche Expert*innen an einem Tisch zusammen. Das wäre doch die perfekte Ausgangssituation für Auseinandersetzungen in Gleichwürdigkeit. Jede/r kann sein/ihr Wissen ins Spiel bringen, gemeinsam können Lösungen zum gelingenden Arbeiten gefunden werden.

Schwierige Eltern

Ja, auch Eltern können unangenehm sein, das steht außer Zweifel. Aber es würde sich auch in diesem Fall lohnen, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Viele Erziehungsberechtigte der Mittelschulkinder haben, wie ihre Kinder, auch „nur“ die Hauptschule bzw. die Mittelschule besucht. Sie haben schon am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, eine Schule zu besuchen, deren Ansehen gesellschaftlich nicht das beste war. Sie selbst haben oft schlechte Erfahrungen mit Lehrer*innen gemacht. Und manche waren so mies, dass sie nicht vergessen werden konnten. Ungleichwürdige Situationen triggern ganz schnell frühere Erlebnisse. Und selbst wenn man erwachsen ist, im Namen des Kindes hier ist, passiert es dennoch, dass man eben nicht erwachsen reagiert. Selbst auf die Gefahr hin, dass ein nicht gelungener Auftritt in der Institution Schule dem eigenen Kind sehr schaden kann. Sippenhaftung heißt das und trägt nur zu weiteren Gräben in der Eltern-Lehrer*innen-Beziehung bei.

Die falsche Reflexionskultur

Ein anderer Fakt ist, dass Eltern und Erziehungsberechtigte oft nur dann in die Schule geholt werden, wenn ein Problem aufpoppt, für deren Behebung jetzt mal die Eltern zur Verantwortung gezogen werden müssen. Wenn alles gut läuft, dann suchen Lehrer*innen nur in seltenen Fällen den Kontakt zu den Eltern. Wenige sind bisher dazu übergegangen zum Beispiel auch positives Verhalten ins Elternheft zu schreiben. „Stimmt, es heißt bei mir nicht Mitteilungs- sondern Elternheft. Ich weiß noch sehr genau, dass meine Schüler*innen zu Beginn sehr verwundert waren, wenn ich sie auf diese Art lobte. Noch erstaunter waren die Empfänger*innen der frohen Botschaften. So gab es einmal den Vater einer Schülerin, der sich bei mir telefonisch versichern wollte, ob die Nachricht eh nicht gefälscht wäre“, berichtet eine Lehrerin, und genau anhand dieser Anekdote lässt sich sehr schön aufzeigen, wie ungewohnt positive Rückmeldungen sind.

Eltern-Cafés?

Eine Möglichkeit wäre Eltern-Cafés, die ein Mal im Monat stattfinden. So könnten wir Räume für den Austausch schaffen, für eine positive Reflexionskultur.  Erziehungsberechtigte hätten im Rahmen dieser Veranstaltungen die Möglichkeit eines Austausches auf Augenhöhe, ohne Angst oder Unterlegenheitsgefühl. Ein Ort, den man besuchen kann, aber nicht muss. Das Sprichwort Es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen, hält sich nicht von ungefähr seit Jahrzehnten. Zusammen, auf Augenhöhe, voll involviert. Das sind die Schlagworte der Elternarbeit. Und das Argument der fehlenden Sprache ist – Technik sei Dank – nun endlich keine Ausrede mehr!

Die Autorinnen sind Lehrerinnen an einer Mittelschule in Wien.

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Ist doch eh schon voll normal!

Das ist ja schon voll selbstverständlich!

Was? Diskriminierung findet überhaupt noch statt?

Ich kann nicht glauben, dass das immer noch so ist….

Tja, und das ist absolute Realität an nicht nur einer „offenen“ Wiener Mittelschule.

Viele werden wahrscheinlich keine Regenbogenflagge aufhängen.. außer sie können die Direktionen noch überreden … warum? Das versteht niemand!

5-10% der Bevölkerung ist LGBTIQA*, das sind bei einem Kollegium von 30 Lehrer*innen 2-3 Personen, bei 300 Schüler*innen 15-30 Kinder. Es ist ein Thema, welches man nicht wegdenken kann, nicht ignorieren und schon gar nicht verhindern.

Wie wichtig sind Role-Models und/oder Identifikationspotentiale an Schulen?

Es ist ein wunderbares Zeichen, wenn die Regenbogenfahne aus der Schule raushängt, keine Frage, aber – war es das dann auch schon? Was ist unsere Aufgabe in Sachen Wertevermittlung, Schaffung von Toleranz, Akzeptanz und Respekt?

Das ist doch nur eine Flagge mit a paar unterschiedlichen Farben.“ Nein. Das bedeutet so viel mehr. Das bedeutet Sichtbarkeit für eine Menge von Menschen, die nicht dem wunderschönen Idealbild von heterosexuell und cis entsprechen, sondern mitunter vielfältiger und bunter sind – nämlich Teil der LGBTIQA* Community. Dass diese Community so akzeptiert und respektiert ist, wie sie es sein sollte, ist leider noch lange nicht so und umso wichtiger ist es, ein Zeichen zu setzen – ein Zeichen von Respekt, Toleranz, Akzeptanz und eigentlich von … Selbstverständlichkeit, dass wir alle so sein dürfen wie wir sind und lieben dürfen wen wir wollen.

Um Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben sich zu entdecken, ihre Identität zu erforschen und zu verstehen, was eigentlich alles möglich ist – brauchen Kinder Vorbilder. Vorbilder, die hinter ihnen stehen, wenn sie ein offenes Ohr brauchen, und Vorbilder, die selbst aufgrund ihres Aussehens schon das klassische Bild einer Frau bzw. eines Mannes zu durchbrechen.

Erst wenn sie Bilder, die sie aus dem Internet kennen, insbesondere durch Plattformen wie Instagram oder TikTok, auch im realen Leben wiederfinden, sehen sie eine Möglichkeit und Chance, sich auch frei zu entfalten. Anfangs ist es oftmals nur eine Fantasie und man fühlt sich zu dem, was man im Internet sieht, hingezogen, kann aber oft nichts damit anfangen. Insbesondere Kinder, die mitunter unter ihren Peers niemanden finden, mit denen sie ihre Gedanken teilen können und diese deshalb verdrängen und versuchen wegzustoßen. Will ich anders sein? Traue ich mich anders zu sein? Vermutlich nicht…

Hilft es mir, jemanden zu sehen, der auch anders ist? Finde ich diese Person, oftmals sogar unausgesprochen, auch nur durch gegenseitiges Angrinsen à la wir wissen voneinander dass wir beide anders sind, kann alleine diese Tatsache helfen: zu wissen, da ist noch jemand anders.

In meiner Schulzeit hat es diese Person leider nicht gegeben. Ich hätte mir gewünscht, eine Lehrkraft zu haben, die ebenfalls nicht in das klassische Bild einer Frau passt, um so zu sehen, dass mein Drang anders zu sein okay ist und ich nicht alleine bin. Damals, zu meiner Schulzeit, hat die Schule für mich nur aus Schulfreund*innen und Hoffreund*innen bestanden. Der Radius war sehr begrenzt und in diesem Falle niemanden zu haben, dem man ähnlich ist, ist durchaus eine Herausforderung.

Sichtbarkeit an der Schule

Es ist immens wichtig, dieses „fremde“ und „komische“ an Wiens Schulen zu bringen, um es greifbarer zu machen und den Schüler*innen eine Möglichkeit zu geben, mit Menschen, die anders wirken, eine Beziehung herzustellen.

Ich kann mich gut an meinen ersten Schultag als Lehrkraft erinnern. Ich habe mich extra eher femininer gekleidet, um ja nicht gleich aufzufallen. Lieber ins Schema passen und nur nicht auffallen. Wer weiß, was diese Kinder fragen werden?

Mehr und mehr, über die Monate, habe ich mit den Kids eine Beziehung aufgebaut und konnte mehr und mehr sein, wer ich eigentlich bin: zurück zu meinem wahren Ich, weniger feminin kleiden und kurze Haare haben. Viele Schüler*innen meinten „Ich dachte, Sie wären ein Mann!“ – hat man aber mal eine Beziehung aufgebaut, kann man dies mit den Schüler*innen sehr gut thematisieren und klassische Bilder etwas in Frage stellen. Selbst der Kleidungsstil wird thematisiert. Sie finden kein Rosa an mir, sie finden keine Blumen an mir und sie werden keinen Schmuck finden, außer schwarze Ohrringe. Das ist für die Schüler*innen ungewöhnlich. Wir thematisieren es – wir machen kein Tabuthema daraus, sondern wir gehen dieses Thema Schritt für Schritt an und hinterfragen, was wir davon halten, wenn jemand anders ist. Gefällt uns das? Nein? Können wir es dennoch akzeptieren?

Aber dennoch entscheiden viele Direktor*innen, dass sie diese Flagge eher nicht aufhängen wollen. An einer offenen Wiener Mittelschule? Wie bitte? Ist das denn dann eigentlich ein sicherer Arbeitsplatz für mich bzw. ein sicheres Umfeld für so viele Schüler*innen? Welche Werte werden hier vermittelt? Die, die viele Menschen ausgrenzen und ihnen nicht das Symbol von Vielfalt, Diversität und Akzeptanz zeigt, das sie sich endlich verdienen, ohne dass es je in Frage gestellt wird.

Nicht nur, dass es konservativer und engstirniger nicht mehr geht, müssen wir uns fragen, was setzen wir uns als Ziel? Wie wollen wir denn, dass die Schüler*innen aus der Schule gehen? Offen, tolerant und respektvoll? Mit Weitblick? Aber nur in den Aspekten, die uns reinpassen… sprich: lernt Deutsch, seid offen, aber nur nicht zu offen!

Ich kann es nicht fassen, dass wir immer noch diskutieren müssen, ob wir eine Regenbogenflagge aus der Schule hängen, wieso darf das überhaupt zur Frage stehen?

Liegt es an der Partei? Geht es darum? Interessiert es einen 10-jährigen, der sich eventuell als schwul outet, ob der Direktor oder die Direktorin Teil einer gewissen politischen Partei ist und eventuell deshalb das Flaggerl nicht raushängen will? NEIN. Die Schüler*innen wissen nur, dass ihre Schule sie in dem Sinne nicht unterstützt und das so wichtige Symbol von Vielfalt, Toleranz und Akzeptanz nicht zeigt. Wie traurig ist das… als ob es nicht eh schon schwer genug ist, sich 2390324 Mal im Leben zu outen und mitunter nicht von jeder Seite Unterstützung zu bekommen, positioniert sich auch noch die Schule gegen einen, wo man jeden Tag ein und aus gehen muss. Danke, dass wir so mit unseren Schüler*innen umgehen und sie „so schätzen wie sie sind“. Die ganzen klassischen faden Aussagen à la „schön, dass wir alle unterschiedlich sind aber wir sind alle gut so wie wir sind“ können wir uns langsam schon am Bauch klatschen… es wird Zeit vom langwierigen Reden ins Tun zu kommen und Action zu zeigen. Langsam ist es mehr als nur mehr unglaublich.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Wien.

Lesezeit: 7 Minuten

Anmerkung: Bei den Schreibarbeiten zu diesem Text kam niemand zu Schaden. So soll es auch beim Lesen sein. Ein etwas anderer Blickwinkel kann aber derzeit nicht schaden. Wenn sich jemand gekränkt fühlen sollte, dann bittet der Autor vorbeugend, nicht nachtragend zu sein, denn dies ist keineswegs die Absicht des Textes.

Der ewige Lockdown

Nun befinden wir uns gefühlt in einem sich selbst ewig verlängernden Lockdown, der nicht wenige bereits in ein Down lockte. Die Maßnahmen sollen noch härter werden. More of the same. Wir werden sehen. Vielleicht wird’s ja noch ein Stopp and Go. Wenn dann die Frisörläden hoffentlich Sommer 2047 wieder dauerhaft ihre Pforten öffnen, benötige ich dringend einen Locken-down, denn die ewigen Corona-Dauerwellen spiegeln sich derweil in meiner Coronafrisur wider, die gerade noch für das Home Office geeignet zu sein scheint. Ich überlege mittlerweile, ob ich nicht das Feature „Mein Erscheinungsbild retuschieren“ aktiviere.
Mein Bart ist auch brav rasiert, die FFP2-Maske fordert Tribut. Vorher sah ich einem Mann ähnlich, jetzt mit der Maske eher einer um Luft ringenden, gerade aufgetauchten Ente. Ich hoffe, meine Schüler*innen erkennen mich wieder, wenn ich sie in der Schule irgendwann treffe.
Ich watschle mit meinem Lockdown-Gewicht und Locken-Gesicht zum Spiegel, überlege mit einer Mischung aus Amüsement und schleichendem Stechschmerz ob des Anblickes folgendes Gedankenexperiment:

Unser Land als Schulklasse

Wie wäre es, wenn wir unser Land mal als Schulklasse betrachten würden? Eine Schulklasse, die unsere Gesellschaft widerspiegelt. Alle Altersstufen, Geschlechter, Religionen usw. kommen ihn ihr vor. Die Regierung: Das wären dann die Pädagog*innen und die Klassenlehrer*innen. Die Schulleitung repräsentiert übergeordnete Stellen. Nun kann ich mich noch sehr gut erinnern, dass ich bei meiner Ausbildung zum Pädagogen unzählige Male lernte, dass Angst – und Schuldpädagogik einer grauen Vergangenheit angehören würden. Differenzierung wäre das Maß der Dinge und eine neue Fehlerkultur wäre neben positiver Motivation Teil des pädagogischen Lern- und Erfolgskonzeptes. In dieser pädagogischen Ausrichtung wären unsere Kinder und Jugendlichen Hoffnungsträger, junge Menschen, die als mündige Bürger in eine freie Demokratie begleitet werden sollten. Alles andere würde zu einem negativen Lernklima führen und das Lernpotential wäre gehemmt. Nun, wie sieht es derzeit aus? Haben wir diese „Lehrer mit Klasse“ im doppelten Sinne?

Die großen Werte in Zeiten von Corona

Um gleich auf den Punkt zu kommen, ich beobachte Folgendes: Diese großen Werte wurden mit der Corona-Krise über Bord geworfen bzw. umgedeutet. Alte Werte sind das neue Maß. Das Kind wurde nicht nur sprichwörtlich, sondern buchstäblich mit dem Bade ausgeschüttet. Gleich zu Beginn der Krise fand sich das spektakuläre interne Strategiepapier der deutschen Regierung. Wenn wir bei unserem Vergleich bleiben, dann wäre dieses wie der neue „pädagogische Maßnahmenkatalog“ des fiktiven Bildungsministeriums für unsere Schulklasse. Nun, was findet sich in diesem? Unter 4a werden „Worst-case-Szenarien“ als Mittel der Wahl empfohlen. Qualvoller Erstickungstod, arbeiten mit Urängsten, Schuld am Tod der Großeltern usw. werden als pädagogische Schock-Maßnahmen in diesem staatlichen Lehrplan beworben. Das Papier ist eigentlich eine verdeckte Wegkarte zum Traumatherapeuten der Wahl. Diese neuen Richtlinien spiegeln sich in den Unterrichtsmedien wider, die die Schüler*innen, also wir alle, konsumieren.
Die medialen Beiträge richten nach unten, statt aufzurichten. Und das stündlich, täglich – seit Monaten.

Die neue Expertokratie

Expert*innen werden zu Rate gezogen. So viel, dass wir von einer Expertokratie der ewig selben Expert*innen sprechen können. Gut, die Lage ist prekär. Die Schule kennt diese Vorgehensweise mit Expertisen nur allzu gut, besonders dann, wenn Expert*innen ihre Einschätzung aus Elfenbeintürmen verkünden. Diese sprechen nun aber keine tröstlichen Worte, sondern Monate hindurch wiederkehrende drostliche. Und natürlich irgendwie weltfremde. Eine einzige tröstliche Botschaft in all den Monaten? Fehlanzeige. Ausschließlich drostliche.
Ich merke meine Sehnsucht nach positiven, differenzierten Beiträgen, nach denen ich mich recke und strecke. „Bist du noch bei Drosten, Gates noch?“, muss ich mir daraufhin von empörten Mitbürger*innen anhören. In der Klasse herrscht ausschließlich Frontalunterricht. Keine Differenzierungsmaßnahmen mehr. Klassenfahrten, Praktika, Sprachreisen, Schullandwochen usw. werden gestrichen. Andere Klassen dürfen nur in Ausnahmefällen besucht werden. Besonders über die Schwedenklasse lästert man. Die Klassenkassa dünnt langsam aus. Der Kompetenzkatalog wird gerade noch abgehakt. Immerhin sollen wir noch funktionieren.

Ab nach Hause!

Aufgrund der Gefahr für die älteren und vorbelasteten Schüler*innen werden nun alle Schüler*innen nach Hause geschickt. Fernlernen ist angesagt. Eine ältere Klassenkollegin meint: „Warum bleiben die Jüngeren nicht hier? Ich hab nichts davon, wenn die auch alle nach Hause müssen. Außerdem fehlt dann Geld in der Klassenkassa.“ Ihre Wortspende wird als unsolidarisch und zu wirtschaftsfreundlich abgeurteilt. Jeff, der mittlerweile die Schulbücherei und vieles mehr übernommen hat, lächelt, während er seine Bezos zählt. In die Klassenkassa zahlt er nichts ein. Wenn wir zu Hause brav sind, dann kommt auch das Christkind und später der Osterhase, wird uns erklärt. In Österreich werden sogar Babyelefanten zum Abstandhalten verschenkt. Später gilt der Bildungsminister als genormtes Abstandsmaß. Ein „Faßmann“ ist dann gleich so viel wie zwei Meter. Zwei Meter Abstand? Echt? Ich genehmige mir einen Flachmann.

Testen, testen, testen!

Weiterhin lernen alle dasselbe. Differenzierung zählt nun als unsolidarisch, das „Über- einen- Kamm-scheren“ als die neue Solidarität. Wer besonders heftig Angst verspürt, gilt ab jetzt als empathisch und wird hervorragend benotet. Generell dominiert nun, was in der Schule schon seit einigen Jahren gelebte Praxis ist: testen, testen und nochmals testen. Flächendeckend. Nach PISA nun der PCR-Test. Nach OECD nun WHO. Klassenrankings werden auf Dashboards im Dauertakt in den leitenden Unterrichtsmedien veröffentlicht. Die Tests sind teuer, die Stäbchen der neue Maßstab.

Umkehrung der Werte

Negativ gilt plötzlich als positiv. Die alten Werte sind die neuen. Die ehemals hinten rechts Sitzenden kämpfen zur Überraschung der Freiheitsliebenden aggressiv für Grund- und Präsenzrechte. Die Kritischen, die früher gerne friedlich links vorne neben dem offenen Fenster saßen, müssen in Zukunft auch bei denen hinten rechts sitzen, meinen die Lehrer*innen. Moralisch sich upgradende Denker lesen nun ausschließlich Leitmedien. Die Welt ist kehrvert. „Sie sind mit Abstand die beste Klasse!“, läuft als Werbeslogan über die Bildschirme. Vor einem Jahr wäre diese Aussage noch positiv konnotiert gewesen. Jetzt isoliert uns diese Botschaft. Noch dazu kein Singen, Tanzen, Umarmen, laut Lachen, Feiern. Ein „Aerosolemio“ – und schon schwingen sich die Aeorosole zu einem Tröpfchencluster hoch.

Ökonomisierung der Schule

 „Wir sollten das lehren, was uns von Robotern unterscheidet“, hatte Jack Ma einmal gemeint, als er noch seine Meinung sagen durfte, ohne untertauchen zu müssen. Oder untergetaucht zu werden… Die Klasse, ja die ganze Schule wird ökonomisiert. Neue Leute geben den Ton an, wie die personifizierte Daueralarmglocke von Charité. Oder Bill, der neue Freund, der große Bruder und reiche Onkel. Er kennt sich bei Viren aus. Durch sie lassen sich nach Resets immer wieder neue, beherrschende Betriebssysteme verkaufen und implementieren. „Kann man Freunde kaufen?“, will jemand beim Fernlernen über Teams wissen, das irgendwie auch zu Bill gehört. „Nein, keine echten. Aber dafür der Titel Menschenfreund.“ „Kann man sich dann noch in den Spiegel schauen?“ „Oja, für 2,5 Millionen Dollar. Kein Problem.

Wir sind zu Virenträgern geworden, potentielle Gefährder

Die Jüngsten unter uns mutierten sogar vom Hoffnungs- zum Virenträger. Sie leiden, meist stumm. Selten an der Krankheit, oftmals an der Angst, Schuld und Einsamkeit. Sie tragen den Lockdown mit. Und sie tragen die Gesundheits-, die Schulden- und die Umweltlast. Zumindest in der Zukunft. Hoffentlich sind sie dann nicht nachtragend. Vorbeugend werden sie jedenfalls zuhause gelassen, viel zu viele finden sich jetzt in einem psychischen Knockdown wieder. Die Schulpsychologie muss immer wieder triagieren. Wie das Verlassen des Beichtstuhls empfinden einige das Gefühl nach einem negativen Corona-Test. Negativ ist gleichbedeutend mit einem sündenlosen Körper. Sind Virologen auch mutiert – zu unseren neuen Hohepriestern im weißen Kittel in heiligen Laboren, das patentierte Orakel namens PCR-Test befragend? „Wenn ich das Orakel mehr als dreißig Mal befrage, erhalte ich ziemlich sicher eine positive Antwort“, erklärt Robert, der gerade seine eigene Suppe in seinem Labor kocht.

Die Fehler-Politik

Stündlich erfahren wir, welche meist älteren Klassenkollegen wieder verstorben sind. Es ist sehr traurig. Das Durchschnittsalter beträgt über 80 Jahre, aber natürlich sterben manchmal auch Jüngere. Wir konzentrieren uns im Unterricht auf Todesfälle und Erkrankungen. Es ist beängstigend. Ich weiß noch, wie vor Jahren an den Schulen begonnen wurde, bei Tests die korrekten Ergebnisse zuerst auszuweisen, danach die Fehler. Unsere Corona-Lehrer*innen aber wurden von der Direktorin mit einem säuerlichen Lächeln angewiesen, ausschließlich die Fehler zu veröffentlichen. Die korrekten Antworten werden ausgeblendet. Die Verbesserungen auch. Alles wird von einem Experten – ich nenne ihn mal Johns – auf einer speziellen Tafel, einem sogenannten Dashboard, international ausgewiesen. Die Fehler wachsen und wachsen.
Der Ausblick ist düster. Positives Denken und Optimismus gelten mittlerweile als psychische Erkrankungen. Bei Fehlverhalten werden nun auch die Mitschüler*innen jedes Alters angehalten, dies unverzüglich der Schulleitung zu melden.

Ein neues Schulfach wird eingeführt: Virologie

Ökologie, Psychologie, Soziologie, politische Bildung, Geschichte werden vom Lehrplan gestrichen. Neue Wissenschaftlichkeit nennt sich dies. Orchideenfächer wie Musik, Sport und Werken werden abgeschafft. „Sind die alle verwirrt? Das ist doch ein lupenreiner Tunnelblick“, findet ein Klassenkollege. „Wir sind alle schon ver-virt“, gebe ich bei der Videokonferenz zur Antwort. „Bald haben wir einen Lach-down.“ Der Lehrer verwarnt mich, als ich noch von „Wirr-ologie“ und vom Wirt rede, den ich dringend brauche wie ein Virus. Als ich dann behaupte, Corona wäre mittlerweile mehr Spaltpilz als Virus, beschimpft er mich als Verschwörungstheoretiker und stummt mich. Der Lehrer erklärt dann noch, dass die Grippe heuer keine Chance habe. Ein Schüler, der ihn daraufhin „Influenza-Leugner“ nennt, wird auch gestummt. Eine Klassenkollegin, die gesteht, dass das Unter- und Nachrichten sie nach unten drücke, drückt der Lehrer weg. Neue Toleranz und Liberalität nennt er dies später. Da eh alles verdreht zu sein scheint, verdrehe ich die Buchstaben von Pfizer und öffne den Drehverschluss von meinem Zipfer.

Unter-richten statt aufrichten

Eine Zeitung im Süden Deutschlands interviewt Bill. Er freue sich schon auf die nächste Pandemie, meint er. Zehnmal stärker werde sie. Ich sehe ihn lächeln. Wieso weiß er das? Die neue Realität also. Unterrichten statt aufrichten. Das neue pädagogische Konzept. Wer dagegen aufbegehrt, gilt als empathielos und intelligenzfrei. Außerdem wären Menschen schlechte Wirte. Technokraten würden uns schon in optimierte Maschinen verwandeln, dann hätten wir das Potential, auch Computerviren zu tragen. Neuroverlinkte Doppelvirenträger. Schöne, neue Welt. Die neue Normalität. „Wir müssen einfach besser zurückbauen“, meint der Klaus vom Schulforum. Er ist wieder mal in eine Besprechung geschwabt.

Ausblick

Zum Schluss aber wagen wir aber doch einmal einen unverschämt positiven Blickwinkel: Stellen wir uns vor, die Pädagog*innen und Expert*innen führen uns statt in den Nebel in das Leben.
Vielleicht haben sie das Wort Nebel nur verkehrtherum gelesen, weil gerade alles etwas kehrvert läuft? Sie haben ab jetzt bei allen Maßnahmen die Verhältnismäßigkeit im Auge, ohne zu verharmlosen. Sie geben ermutigende Ziele vor und glauben an die Schüler*innen. Neue Expert*innen erscheinen auf den Bildschirmen. Nicht mehr jene, deren Botschaft auf uns hereinprasselt wie ein mitleidloser lauter Bach, uns in Formation bringend. Sie begeistern uns für eine achtsame, gesunde und ökologische Lebensweise und sehen die Krise als Chance. Sie wissen: Wir sind freie Wesen mit unantastbarer Würde. Sie erklären, wir sollten den Wirt heilen und nicht das Virus bekriegen. Sie wissen auch um die Weisheit des ungesicherten Lebens. Die neuen Lehrer*innen lassen die Jüngeren unter uns wieder leben und schützen die Älteren besser und transparenter als die Monate zuvor. Sie leben Differenzierung, Pädagogik ohne Angst, positives Denken, wertschätzende Beurteilungen.
Sie halten Versprechungen ein und sehen die Jüngsten als Hoffnungs- statt Virenträger.

Ich sehe vor meinen Augen die derzeitigen Pädagog*innen – und male mir aus, ob sie das schaffen. Mir wird schwarz vor Augen.

Vielleicht könnte eine verpflichtende psychotherapeutische Begleitung für diese Pädagog*innen helfen. Behandeln wir nicht ständig psycho-therapeutisch sowieso die Falschen? Vornehmlich jene, die an den kranken Maßnahmen erkranken? Bevor wir die Pädagog*innenen in diesem Beispiel therapieren – sollten wir uns nicht davor noch schnell von den Psychopath*innen verabschieden und diese isolieren? Wie wäre es mit Psychopath*innen-Tests bei unseren Lehrer*innen? Wahrscheinlich ist der neue Anal-Abstrich aus China für solche Tests gedacht. Vielleicht bräuchten wir dann kaum noch Therapien, da zu viele Ärsche positiv auf den Psychopath*innen-Test getestet würden. Dann bekommt die „Heimquarantäne“ auch wieder eine andere Bedeutung. Und sogar die Spritze.

Auf einen neuen Weg raus aus dieser Krise!

Mit dem alten Richten nach unten wird’s ganz sicher nichts. Mit den alten und echten Rechten, die nach Freiheit grölen und das Recht mit Füßen treten, auch nichts. Und was machen wir, wenn die jetzigen Pädagog*innen weiterhin nicht als gute Hirten taugen? Wir führen uns selbst aus dem Sumpf und richten uns auf. Wir verzichten auf Lehrkräfte, die nach unten richten. Wir lernen aus eigener Kraft. Wir wissen die Richtung. Die Reise beginnt mit dem Selbstwert. Die neue Pädagogik ist unser Kompass. Und bei dieser begleiten in Zukunft die Lehrer*innen nur mehr. Sie richten nicht. Höchstens auf!

Gerald Ehegartner ist Lehrer an einer Mittelschule in Niederösterreich.

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Komm, heute spielen wir ein Spiel!

Wir wollen heute ein Spiel spielen. Nennen wir das Spiel: Mensch, wundere dich nicht. Vier Kinder habe ich mir dafür ausgesucht. Sie heißen Tanja, Fatih, Lisa und Kamran. Lisa bekommt von mir 10€, Fatih 5€, Tanja 2€ und Kamran 1€. Um dieses Spiel zu gewinnen, müssen die vier folgende Challenge bestehen: Mit diesem Betrag sollen alle exakt das Gleiche einkaufen gehen.  Sagen wir Milch, Butter, Brot, Wurst und Eistee. Nur wer es schafft, alles einzukaufen, kann das Spiel gewinnen.

Vermutlich werden sich Fatih und Tanja beschweren, dass dieses Spiel ungerecht ist. Kamran wird sich denken, dass er einfach zu doof ist, um mit einem Euro die Challenge zu meistern. Deshalb beschließt er, gar nichts zu sagen. Er nimmt den einen Euro und geht nach Hause. Nach Kamran werde ich nicht lange suchen. Er hat es nicht verstanden. Tanja und Fatih klopfe ich auf die Schulter und sage: „Wer will, der schafft es auch!

Alles nur eine Frage des Willens und des Fleißes

Den Tüchtigen gehört die Welt, hat zumindest meine Oma gesagt. Ganz erschlossen hat sich dieser Spruch mir nie. Immerhin gab es schon zu meinen Zeiten die Klassenkolleg*innen mit 10€ und jene mit 1€. Auch wir unterrichten Kinder und Jugendliche, die schon seit Jahren im Bildungssystem verharren, alle ausgestattet mit einem Rucksack, in dem sich ihr persönliches soziales Kapital befindet. So stehen in dem oben genannten Spiel Butter, Brot, Wurst, Milch und Eistee für Herkunft, Resilienz, „heile Kindheit“, Beziehungen, Kontakte und Leistungsvermögen. Zusammenfassend also die Gesamtheit der aktuellen und potentiellen Ressourcen, die ein Mensch mitbringt. 

Sprechen wir über Butter. Die Herkunft, und wie sie sich in der Realität gestaltet. Hier am Beispiel der Corona-bedingten Quarantäne, die für viele unserer Kinder schon lange kein Spiel mehr ist.

Die eine und die andere Quarantäne

(Bericht einer Mutter und DaZ-Lehrerin)

Einer der Vorteile von Corona ist ja, dass die Kinder viel neues Vokabular lernen. Maske, K1, Quarantäne und Abstand sind nur einige davon. Wie unterschiedlich die Bedeutung dieser Worte jedoch in der Realität sind, ist kaum jemandem bewusst.

In der Klasse meiner Tochter war kürzlich ein positiver Corona-Fall. Das bedeutet 10 Tage Quarantäne. Zwei PCR Tests. „Sie dürfen nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen,“ stand auf dem Bescheid des Gesundheitsamtes. Gut, mein Mann ist Autofetischist, vier davon stehen vor meiner Haustür. Kein Problem, auch dass die Termine mitten am Tag sind, wenn normale Menschen arbeiten, ist hier in der Speckgürtelschicht kein Thema. Zur Not fährt die Oma, die um die Ecke wohnt. Das Kind war glücklich, endlich keine Schule, mehr Zeit am Hof bei ihren Pferden, da dort keine Menschen sind, gehörte dieser noch zu ihrem Wirkungskreis. Den Rest des Tages verbrachte sie, nach den Aufgaben, die sie selbstständig mit ihrem iPad und ihren Heften lösen konnte, auf dem Trampolin, im Garten oder in ihrem Zimmer. Sie hat zwei Geschwister mit denen sie spielen konnte. Wurde es ihr langweilig, schaute sie über Netflix ein paar Serien oder las ein Buch. Meine Tochter liebt Quarantäne.

Anders sieht es bei meiner Schülerin aus. Ich unterrichte an einer Mittelschule in Wien. Wir haben ausschließlich multilinguale Kinder und sozio-ökonomisch benachteiligte und oft diskriminierte Familien. Wie tief diese Diskriminierung geht, sieht man auch im alltäglichen Leben.

Dienstagnachmittag erreicht mich eine Teams-Nachricht: „Frau Lehrerin, bitte Sie müssen mir helfen! Bitte! Mein Vater und meine große Schwester sind positiv. Sie dürfen es niemandem sagen, denn“ :

[Dienstag 14:55] Tanja

Sie müssen mir helfen

[Dienstag 14:56] Tanja

Sie müssen mir eine Tabletten 💊 bringen das ich morgen Schule kommen kann sie haben gesagt ich kann dir helfen ich will nicht wieder in Quarantäne bleiben

[Dienstag 14:57] Tanja

Ich werde sterben wenn ich wieder in Quarantäne bin letztes mal war das gleiche ich will nicht wieder

Sie lebt mit ihren sechs Geschwistern auf 70 Quadratmetern. Sie haben drei Zimmer und waren in den letzten vier Monaten schon drei Mal in Quarantäne. Die Mutter arbeitet als Pflegerin, die Kinder gehen in sechs verschiedene Schulen.

Tanja kommt immer zur Betreuung in die Schule. Sie bleibt zu jedem freiwilligen Förderkurs. Sie schreibt nur gute Noten, obwohl sie erst seit kurzem Deutsch lernt. Als Lehrerin bricht mir hier das Herz. Als Mutter würde ich sie gerne zu mir nach Hause holen.

Trotz Fleiß kein Hauptpreis – zurück zur Butter!

Noch ist Tanja sehr fleißig und bemüht, um es in Lehrer*innen-Sprache auszudrücken. Es ist aber zu befürchten, dass auch sie eines Tages bemerken wird, dass ihr das nicht viel weiterhelfen wird im Leben. Denn Tanja ist nicht doof. Sie sieht wie sich ihre Eltern abrackern, wie sie versuchen eine neue, größere Wohnung zu bekommen. Sie spürt den rauen Wind, der ihr und ihren Eltern entgegenweht, weil sie keine autochthonen Österreicher*innen sind. Weil sie aus einem Land geflohen sind, deren Einwohner*innen hier wenig Ansehen haben. Weil sie die „falsche Religion“ haben. Tanja wird auch mit viel Fleiß keinen Preis bekommen. Außer, sie hat Glück und findet Menschen, die tatsächlich an sie glauben. Aber ein Bildungssystem auf dem Faktor Glück aufzubauen ist blauäugig und zerstört wichtiges Potential.

Und das andere Mädchen?  Bei ihr wird es vermutlich egal sein, ob sie fleißig oder bemüht ist. Aus ihr wird sicher etwas. Denn auf sie ist das System Schule perfekt zugeschnitten.

Der Teufel sch…t immer auf den größten Haufen

Wie eingangs erwähnt, besuchen unsere Schule 98% nicht-autochthone Österreicher*innen. Unser Lehrkörper ist äußerst innovativ was Aufgabenstellungen, Kommunikation mit den Eltern, hohe Fluktuation der Klassen und Beschäftigungen draußen ohne Schulhof angeht. Auch im Krisenmanagement und im Umgang mit Konflikten sind wir ziemlich gut. An unserer Schule arbeiten Psychagog*innen, Jugendchoaches, Autismusspezialist*innen und Sozialarbeiter*innen Hand in Hand. Unsere Schule ist sauber, die Wände unbeschmiert, die Toiletten funktional und hygienisch. Kunstwerke zieren den winzigen Außenbereich, wir bieten gratis Freizeitprogramme an und Theaterkurse. Wir haben uns um den Innovationspreis des BMBWF beworben – ebenso wie 191 andere Schule österreichweit. Kürzlich kam die Mail für die engere Auswahl. Wir sind nicht dabei. Wohl aber eine bilinguale Schule in einem anderen Bundesland, welche mein Sohn besucht. Die Schule ist ein grauer Betonklotz, vor dem Schultor eine jahrelange Baustelle. Externe glauben, das Gebäude sei möglicherweise ein Gefängnis gewesen, so einladend sieht es aus. Die Schule betreut gut 800 Schüler*innen, die Eltern zahlen über hundert Euro pro Semester als Beitrag für den Förderverein. Die Eltern kommen zum größten Teil aus sehr wohlhabenden Familien, ein Klassenausflug, Paddeln, Klettern, kostet gerne mal 30€. Mehrmals pro Schuljahr. Extra.

Die Toiletten hier sind mit Graffiti verziert, der Betonbau gleicht einem Gefängnis. Materielles an sich ist hier kein Wert, sondern eine Selbstverständlichkeit.

Der Preis der Innovationsstiftung ist mit 50.000€ dotiert, oder fünf Mal 10.000€ für die weiteren Sieger*innen. Das Geld hätten wir gut gebrauchten können, denn da unsere Eltern leider gar kein Geld übrig haben, gibt es bei uns nicht mal mehr einen Förderverein.

Wie sagt mein Vater immer, der selber 40 Jahre als Lehrer arbeitete: Der Teufel sch*** immer auf den größten Haufen – und anscheinend trifft dieses nirgendwo so sehr zu, wie im österreichischen Bildungssystem.

Die Spielregeln

Lisa hat das Spiel gewonnen. Wurst und Butter sind aus Bioanbau und das Brot hat die Hausfrau und Mutter mal eben schnell selbst gebacken, damit das Geld reicht. Fatih sitzt leider im Knast, weil er versucht hat Milch, Brot, Butter und Wurst zu klauen, den Eistee hat er für das Geld bekommen. Tanja verhandelt immer noch mit den Angestellten des Supermarkts und Kamran arbeitet heute als Leiharbeiter auf einer Baustelle, wenn sein Chef einen billigen Arbeiter braucht. Er klagt nicht, schließlich ist er selbst schuld.

Auch die Eltern derjenigen Kinder, die kürzlich in der Volksschule meiner Tochter eine brennende Mülltonne in den Keller bugsierten, klagen nicht. Sie sind gut versichert und haben teure Anwälte. Die Kinder waren 9 und 10 Jahre alt. Ihnen war langweilig, sagt man. Man müsse Verständnis haben, glaubt man.

Wären es unsere Schüler*innen gewesen, die Boulevardpresse hätte sich überschlagen.

So geht das Spiel des Lebens. Alle kennen die Regeln, niemand tut etwas dagegen. Ist doch eh gerecht, wenn Bildung, Wohlstand und Zukunft vererbt werden. Oder?

Die Autorinnen sind Lehrerinnen an einer Mittelschule in Wien.