Lesezeit: 5 Minuten

 

Inge Eidsvåg  begann einen mitreißenden Vortrag während eines Seminars in Norwegen mit einer Frage und der simplen Antwort: 

„Was ist ein:e gute:r Lehrer:in? Das ist kurz gesagt sehr einfach: Ein:e gute:r Lehrer:in liebt Kinder und sein:ihr Fach.“

Ich würde sagen:

„Ein:e gute:r Mittelschullehrer:in liebt Kinder und sein:ihr Fach.

„Ein:e gute:r AHS Lehrer:in liebt ihr:sein Fach und Kinder.“

Ich selbst wollte schon als kleines Kind Lehrerin werden und habe nach der Matura für das Lehramt an der Uni studiert. Die Fächer, die ich unterrichten wollte bzw. auch jahrelang unterrichtet habe, waren für mich zweitrangig. Ich wollte junge Menschen „unterrichten“, sie am Weg ins Erwachsenwerden begleiten. Die Fächer waren für mich eher „Mittel zum Zweck“.

Während ich viele Jahre später für den Stadtschulrat (heute Bildungsdirektion Wien) und das Bildungsministerium unterschiedlichste Projekte betreute und leitete, hatte ich die Möglichkeit, unzählige Schulen, und ab und an auch den Unterrichtsstunden, von der Volksschule bis zu BHS zu besuchen. 

Damals wurde mir klar: Ich hätte Mittelschullehrerin werden sollen, denn dort wird anders unterrichtet und Lehrer:innen haben auch die Möglichkeit dazu.  

Was will ich damit sagen: 

Im Gymnasium ist man als Lehrer:in extrem gefordert, um die Schüler:innen der Oberstufe zu Matura zu bringen. Umfangreiches Fachwissen, das man ständig aktualisieren und sich aneignen muss, lässt oft wenig Zeit sich mit pädagogischen bzw. didaktischen Themen auseinander zu setzen. Schüler:innen die z.T. noch voll in der Pubertät stecken zum Lernen zu motivieren, ist nicht immer einfach; nicht unbedingt leichter als bei den „Kleinen“ der Unterstufe, aber anders.    

Für die „Kleinen“ bleibt dann meistens wenig Zeit und Energie übrig. Das muss nebenbei funktionieren. Und der Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung mit den Schüler:innen ist, vor allem wenn man nur ein Zwei-Stunden Fach hat und nicht Klassenvorstand ist, schwer. 

In der Mittelschule kann man sich als Lehrer:in voll und ganz auf die 10-14-Jährigen konzentrieren. Die Pädagogik steht im Vordergrund. Also das eigentliche „Lehrer:in-sein“, Kinder und junge Menschen auf den Weg ins Erwachsenwerden zu begleiten, ihre Stärken erkennen, ihr Selbstvertrauen stärken. Der Schwerpunkt liegt nicht am Vermitteln von Lehrinhalten. 

In der Mittelschule kann man meines Erachtens „Mit Leib und Seele Lehrer:in sein“.  

  • Man unterrichtet mehrere Fächer. Manchmal auch solche, die man nicht studiert hat, was nicht unbedingt ein Nachteil ist, weil man als „Lernende:r“ ein großartiges Vorbild für die Schüler:innen ist. Man verbringt also mehr Zeit mit den Schülerinnen und Schülern, das bedeutet 
  • man lernt sie und ihre besonderen Stärken (jedes Kind hat solche!) besser kennen, 
  • man kann leichter Beziehung zu ihnen aufbauen, was grundlegend für ein positives Arbeitsklima ist, 
  • man kann mit der Zeit gut jonglieren, daher manchmal auch Stunden – die man sowieso selbst in der Klasse unterrichtet – umtauschen und kann deshalb
    • geduldiger und einfühlsamer auf die einzelnen Schüler:innen und deren Bedürfnisse eingehen, kann ihr Selbstwertgefühl stärken, 
    • größere – auch fachübergreifende – Projekte durchführen
    • didaktische „Ideen“ und Methoden ausprobieren, um mit „schwierigen“ oder besonders begabten Schüler:innen besser zurecht zu kommen,  
    • die sprachliche und kulturelle Vielfalt in unseren Mittelschulklassen als Bereicherung für alle Schüler:innen bzw. alle Lehrer:innen erkennen und pflegen.
  • Sehr oft sind Mittelschulen geräumige, große, manchmal auch moderne Gebäude, in denen die Schüler:innen nicht zusammengedrängt in den Klassen sitzen, was bei AHS öfter der Fall ist. Die Klassenschüler:innenzahl ist meistens wesentlich geringer als an den AHS. 
  • Der Lehrkörper ist (meistens wesentlich) kleiner, man lernt also Kolleg:inn:en schneller kennen und auch der Austausch untereinander ist einfacher.
  • Die Fortbildungsangebote für die Sekundarstufe 1 sind – nicht nur in Wien – sehr vielfältig  
  • und oft sind Mittelschulen technologisch besser ausgestattet als AHS (Mittelschulen sind Landesschulen, es kommt also aufs Bundesland an).

Drei kleine, meines Erachtens typische, Mittel- „Schulgschichtln“ möchte ich hier noch beschreiben, wie ich sie während meiner zahllosen Schulbesuche erlebt habe. 

Schule 1: 

Ich betrete das schon etwas ältere Schulgebäude, ich habe einen Termin beim Direktor. Es ist gerade Pause. 

Schüler:innen bewegen sich mehr oder weniger ungestüm durch die Gänge, die Stiegen auf- und abwärts. Den meisten Kinder sehe bzw. „höre“ ich an, dass ihre Familien nicht aus Österreich stammen. Die Gesichter der Kinder sind heiter, jedes(!)  grüßt mich höflich und freundlich, obwohl sie mich nicht kennen. Und auf die Frage, wo denn die Direktion sei, findet sich gleich ein kleines Grüppchen, das mich zum Direktor begleitet.
Ich mache dem Direktor gleich ein Kompliment zu seinen höflichen Schüler:inne:n. 

„Ja, das ist das Erste, das wir ihnen beibringen: ein Lächeln, in die Augen schauen, jeden, der ins Schulhaus kommt, bzw. auch jeden Lehrer und jede Lehrerin, höflich grüßen. 

Sie werden wahrgenommen, auch gegrüßt und angelächelt. Das steigert ihr Selbstwertgefühl. So fühlen sich alle hier wohl und auch wenn die Schüler:innen die Schule verlassen, nehmen sie dieses Benehmen – hoffentlich – mit.“

Die Lehrer:innen gehen übrigens mit gutem Vorbild voran, sind freundlich zu den Schüler:innen, respektvoll, hören ihnen zu. Im überfüllten Konferenzzimmer wird viel gelacht und gescherzt. 

Eine großartige Atmosphäre in einer Schule, in der 95% (die Lehrer:innen sagen 110 % ;-) ) der Kinder mit anderen Erstsprachen und kulturellen Hintergründen in den Klassen sitzen.

Es gibt hier viele Probleme zu meistern, das ist klar.  Aber mit einem Lächeln im Gesicht…

Schule 2:

Ich klopfe an der Klassentüre, ich werde erwartet. Ich öffne die Türe. Vor mir steht ein großer, knurrender Schäferhund. Die lächelnde Lehrerin bedeutet dem Hund, dass ich  eintreten darf.
Der Hund legt sich vor dem Katheder nieder, hat alle Schüler:innen im Blick.
Kaum wird es unruhig in der Klasse, hebt er seinen Kopf, knurrt, blickt in die Runde. Alle Kinder sind wieder leise.
Sie lieben ihren Schulhund. Lupo*gehört einer Lehrerin, die ihn zu einem Schulhund ausbilden ließ. Besonders unruhige, unsichere, traumatisierte Kinder und solche mit Einschränkungen finden bei dem Tier Ruhe und Liebe. 

Schule 3:

Chemiestunde. Der Chemielehrer zeigt Versuche, beschreibt was geschieht und bittet nun einen Schüler, noch einmal seinen Mitschüler:innen mit eigenen Worten zu erklären, worum es geht und was er gezeigt hat.

Goran* bemüht sich und erklärt in kurzen, unvollständigen Sätzen, was er verstanden hat. Der Lehrer bittet einen anderen Mitschüler, Goran zu unterstützen ganze zusammenhängende Sätze zu formulieren. 

Noch hat der Lehrer nicht das Gefühl, dass alle Schüler:innen verstanden haben, worum es ging. 

Er bittet eine Schülerin: „Ebru*, wenn du daheim der Mama erklären würdest, was wir da gemacht haben, was würdest du ihr erzählen? Das kann gern auf türkisch sein.“

Ebru versucht es auf türkisch, ihr fehlen aber Fachbegriffe. Mitschüler:innen unterstützen sie. 

Dann noch einmal alles auf Deutsch.

Dass in dieser Klasse auch mehrsprachige Plakate aus dem Biologieunterricht hängen, beeindruckt mich.

Ich bewundere den Lehrer, wie viel Zeit er sich nimmt, bzw. den Schüler:innen gibt. Alles in Ruhe, kein Stress. Er ist erst zufrieden, wenn alle Kinder den Stoff dieser Stunde verstanden haben. Dazu opfert er auch die anschließende Mathematikstunde. Er unterrichtet in der Klasse auch Mathematik und Physik und… Jedenfalls kann er mit den Stunden jonglieren und er erklärt mir: „Wenn die Schüler:innen verstehen, worum es geht, bauen sie ein gutes Fundament auf, dass später viel Zeit erspart.“ Und augenzwinkernd: „Ich bin außerdem auch Sprachlehrer – wie wir alle.“

Ich könnte hier noch viele Schulen, Stunden, Lehrer:innen und Schüler:innen beschreiben, die mich immer wieder beeindruckt und überrascht haben. 

Natürlich darf ich euch nicht vorenthalten, dass ich auch schockierende Situationen erlebt habe. Aber das ist ein anderes Thema. Nur so viel: Rechtzeitig die Schule wechseln und eigene Ideale nicht verkümmern lassen!

Schon vor 50 Jahren hat Don Milani über die Schulen in Italien gesagt:

Die Schule ist wie ein Krankenhaus, das die Gesunden heilt und Kranken hinauswirft.

Oft habe ich das Gefühl, dass es bei uns nicht viel anders ist. Wir Lehrer:innen können das ändern!

Zum Schluss möchte ich noch allen, die Lehrer:insein als Berufung sehen, folgendes Buch (kein belehrendes Sachbuch, als erfrischende Ferienlektüre unbedingt geeignet) ans Herz legen: 

 „Schulkummer“ von Daniel Pennac,   (frz, Chagrin d’école (2007)

Und: in meinem nächsten Leben werde ich Mittelschullehrerin, oder vielleicht Volksschullehrerin? 

Erika Hummer, ehemalige AHS Lehrerin, Mitarbeiterin der Bildungsdirektion und Mitbegründerin von VoXmi

 1 Inge Eidsvåg ist ehem. Direktor der „Nansen Academy – the Norwegian Humanistic Academy” – https://nansenskolen.no  

2 https://iicamburgo.esteri.it/iic_amburgo/de/gli_eventi/calendario/2013/05/don-milani-come-la-scuola-cambia-il-mondo-una-lezione-per-l-europa.html

3 https://de.wikipedia.org/wiki/Daniel_Pennac

*Namen geändert

Lesezeit: 3 Minuten

Die Entscheidung Polascheks, die mündliche Matura wieder verpflichtend einzusetzen, wurde von AHS und BHS Schüler*innen zurecht lautstark kritisiert. Prominente Gegenstimmen ließen nicht lange auf sich warten. Kulturpessimistisch angehaucht jammerte Liessmann, dass der jungen Generation Biss und „Disziplin“ fehle, sie jede „Anstrengung“ vermeide und sie lieber feiere, statt Schwierigkeiten überwinden zu wollen. Die Staatsekretärin Palkolm verklärte in einem ZIB Interview die Matura zu einer „großen Chance“ und einem „besonderen Tag“ für junge Menschen, um aller Welt zu zeigen, was sie alles gelernt hätten. Zudem sei es ein wichtiger „Schritt zurück in die Normalität“.

Während Liessmann über die Leere eines einst „strengen und sinnvollen Rituals“ weint, das seine Versprechungen wie z.B. der Hochschulzugänge nur noch bedingt erfülle und überhaupt an Niveau sehr zu wünschen übrig ließe – von welchem Norm-Wissen redet er hier? -, wünscht sich Palkolm in eine Vergangenheit zurück, die für die Schüler*innen mit Angst und Stress verbunden ist und herkunftsabhängige Chancen zementiert statt beseitigt. Ihre proklamierte Chance ist ein Euphemismus sondergleichen.

Die wieder aufgeflammte Diskussion über die Notwendigkeit der Matura ist ein guter Zeitpunkt, ihre Sinnhaftigkeit einmal mehr in Frage zu stellen und ihr Ende einzufordern!

Die Matura beruht in meinen Augen auf zwei Rechtfertigungsgründe: Einmal dient sie der Zulassung für die Hochschulen. Zum anderen stellt sie das Abschlussritual der 12-jährigen Schullaufbahn dar.

Ersterer ist in den letzten Jahren zunehmend in den Hintergrund getreten, sind doch Aufnahmeprüfungen und Eignungstests bei Studiengängen immer häufiger Usus – ein schlechter noch dazu, wie ich finde; ausreichende Finanzierung wäre hier wünschenswerter.

Der zweite ist ebenso fragwürdig. Mir erschließt sich die Sinnhaftigkeit dieser Abschlussprüfung nicht. Weder als Prüfung noch als Ritual. Prüfungen im Sinne eines Wiederkäuens zuvor auswendig Gelerntem ist nicht mein Verständnis von Wissensaneignung. Allein als Abschluss-Ritual wäre eine ganzjährige Projektarbeit, auch in Verbindung mit der VWA eine deutlich sinnvolle Angelegenheit. Ansonsten ist sie eine weitere Hürde und Disziplinierung. Ohnehin zeigen Schüler*innen tagtäglich, was sie können. Und das zwölf Jahre lang! Schüler*innen also mangelnde Disziplin oder Anstrengungsverweigerung vorzuwerfen grenzt an Arroganz.

Einzig die Versteifung unseres Bildungssystems auf Prüfungen und Überprüfungen der Prüfungen erklärt mir diesen (Über-)Prüfungsfetisch. Generell sollte meines Erachtens das Ziel jeden Unterrichts sein, möglichst viele Übungssituationen zu schaffen. Das würde folglich die Konditionierung, für Noten zu lernen, aushebeln und Motivation und Interesse an Neuem wieder in den Vordergrund rücken. Ferner würden die ungleichen familiären Unterstützungsmöglichkeiten der Schüler*innen ausgeglichen werden, die nach wie vor die allergrößte, wenn auch unsichtbare Mitverantwortung am schulischen Erfolg tragen. So maturieren nur 4 von 10 Arbeiter*innenkinder und 2 von 10 beginnen ein Studium, wohingegen 8 von 10 Akademiker*innenkinder eine Matura machen und ganze 7 von 10 studieren gehen. Nur zur Wiederholung: Ziffernoten sagen per se mehr darüber aus, wie Schüler*innen mit Spielregeln und Verhaltensnormen von Schule zurechtkommen als über das Leistungsniveau selbst. Somit treffen negative Noten insbesondere Schüler*innen aus bildungsfernen Schichten, weil sie viel öfters Schwierigkeiten mit dem sozialen Setting Schule haben.

Ferner zwingt die Matura in der Oberstufe – und hier vor allem im letzten Jahr – auf eine Fokussierung aller Ressourcen und Energien auf diese letzte Prüfung. Im Unterricht wird nur noch in Hinblick auf die Matura gelernt. Nicht Maturafächer geraten selbst bei Interesse gezwungenermaßen ins Hintertreffen. Folglich ist das letzte Jahr ein Bulimielernen auf eine Prüfung hin, die ihr altes Versprechen nur noch zum Teil erfüllt. Ein Zurück-zur-Normalität war schon immer nur für ÖVP und Konservative wünschenswert, die vom herrschenden (Bildungs)System profitieren.

Meine Vision ist hingegen ein Abschlusszeugnis der zwölften Klasse, das den Namen Matura trägt.

Für mich ist und bleibt die Matura, um es mit Natascha Strobel auf den Punkt zu bringen, ein „Statussymbol einer reaktionär-bürgerlichen Klasse“, um eine breite gesellschaftliche Chancengerechtigkeit einzuschränken.

Jonathan Herkommer, BHS Lehrer in Wien

Lesezeit: 4 Minuten

Corona nervt! Das lässt sich wohl aus allen verfassten Texten herauslesen. Manche sind geimpft, manche nicht, manche finden eine Impfpflicht gut, andere weniger, viele sind dennoch geimpft. Doch sind die meisten von ihnen der Meinung, dass es nichts gebracht habe. Es wurde ihnen versprochen, dass sie dann keinen Lockdown mehr haben werden, keine Masken, kein Testen. Tatsächlich hat sich das Leben von allen verschlechtert.

Keiner geht mehr raus, nicht ins Kino, kein Treffen mit Freunden. Zu viele haben schon bezahlt, weil sie zu wenig Abstand hielten, keine Masken trugen oder keinen gültigen PCR Test hatten, um etwas einzukaufen oder irgendwo was zu essen. 

Corona nervt. 

Ja! Die Mittelschüler und Mittelschülerinnen trifft es besonders hart. Viele haben vier und mehr Geschwister, viele wohnen in sehr engen Wohnverhältnissen. Durch das Ansteigen der Betriebskosten hat sich diese Situation verschärft. Etliche unserer SchülerInnen mussten umziehen. Sie haben jetzt einen längeren Schulweg. Mehr öffentliche Verkehrsmittel, noch mehr Möglichkeit sich anzustecken. Und wenn nicht sie, dann die Eltern in ihren systemrelevanten Jobs als Reinigungskraft, Pflegepersonal und/oder im Lager. „Die Arbeit meiner Eltern ist schwerer geworden!“, sagt Maria. Auch Pia stöhnt: „Wir sind alle zweimal geimpft – wir hatten alle schon Corona. Früher hatte ich Angst, jetzt habe ich keine Angst mehr. Ich möchte keinen Masken mehr tragen. Ich möchte auch nicht mehr täglich testen. Es kostet sehr viel Zeit in der Schule.!“

David hat Angst etwas anzugreifen, seinen Freunden nah zu sein. Tanja klagt, sie bekäme von der Maske Pickel. Klaus ist sich sicher, dass Corona, also zumindest die Delta und die Omikron Variante nur Erfindungen der Regierungen seien, damit die Menschen Angst hätten. Denn Angst bekäme man vor allem vor dem Unbekannten, Unsichtbaren. Er glaubt, dass die Regierung diese zur Manipulation der Menschen ins Leben gerufen hätten. 

Hannah hat Angst um ihre fünf kleinen Geschwister. Sie wäre seit Jahren zuhause eingesperrt, nichts sei mehr lustig. Man gehe nicht mehr gemeinsam raus, denn dass alle Familienmitglieder gleichzeitig einen gültigen PCR Test hätten, sei ein Ding der Unmöglichkeit. 

Fast alle Geimpften hatten auf ein Ende der Masken gehofft. Auf ein Ende des Testens. 

„Frau Lehrerin, lügen die uns an?“

„Aus meiner Familie hatten schon alle COVID“, schreibt Daniel, „ich finde, sie sollten die Schulen gleich schließen und uns nicht dauernd nach Hause schicken.“ „Und schon zweimal durfte ich nicht in die Schule, weil ich keinen gültigen PCR Test hatte. Das nervt!“

„Ich möchte Frieden und Ruhe! Die Medien machen die Welt verrückt!“ konstatiert Jens. „Ich hoffe, das hört dieses Jahr auf!“

Ja ständige positive Test in der Klasse, die Unklarheit, ob ein Schultag, eine Schulwoche „normal“ zu Ende geführt werden können. Solbad die Lehrkraft sagt: „So, und jetzt packen wir alle Sachen ein!“ Die Angst im Nacken – werden wir schon wieder nach Hause geschickt?

Paul meint: „Homeschooling macht mir nichts, da bin ich eh brav!“, aber viel lenke ihn zuhause ab. Die kleinen Geschwister, das Handy in Griffweite, die Mama in der Küche…

Informationen bekämen sie von TikTok, also alle. Oder eben aus dem Internet. Manchmal auch aus der Kronenzeitung. Aber TikTok erklärt eh alles. Und ja, Corona hat das Leben verändert: Die Erschöpfung der Bevölkerung, das seelische Verhalten. Alles sei halt ein bissi schwerer geworden. 

Corona NERVT!

Corona NERVT! Das ist auch der Grundtenor an einer Wiener HAK. Viele sind von der oft widersprüchlichen Kommunikation der Politik frustriert. Können die Inkonsistenz der verlautbarten Regelungen nicht nachvollziehen. Dennoch: Mittlerweile ist die überwiegende Mehrheit der befragten Schüler*innen geimpft. Sie stehen der Impfung positiv – „sie schützt mich vor schwerem Verlauf“ – bis pragmatisch – „ich wollte wieder Freund*innen treffen“ – gegenüber. Einige führten Solidarität als Beweggrund an. Andere nannten ihre Eltern als maßgeblichen Einflussfaktor.

Nur wenige sind nicht geimpft. Hier sind es die Eltern und Geschwister häufig auch nicht. Sie sehen die Impfung skeptisch; wollen lieber abwarten, haben noch Ängste wegen möglicher Nebenwirkungen. Eine will sich erst impfen lassen, wenn es „notwendig“ ist, eine weitere erst, wenn es „Pflicht“ werde. Andere wiederum führen die Angst ihrer Eltern oder deren Impfaversion an.

Aber: Corona nervt! Viele nervt das Thema. Es nervt sie, tagtäglich mit News rund um Corona konfrontiert zu werden. Neue Bestimmungen, neue Verbote, neue Einschränkungen. Lockerungen folgen Einschränkungen folgen Lockerungen folgen – Sie wissen, wie es weiter geht. Einige haben das Thema satt. Sie wollen nicht mehr darüber reden, vermeiden es „so gut wie möglich“ darüber zu sprechen. Eine dazu: „Mir ist es egal geworden“, sie habe sich an die „Pandemie/Situation gewöhnt“.

Andere wiederum beschäftigen sich intensiv damit. Diskutieren in den Familien und halten sich gegenseitig am Laufenden. Manche über die Vorteile der Impfung, andere nur über „die Nachteile der Impfung“. Als Quelle dient ihnen häufig Insta und TikTok. Der ORF wird auch immer wieder genannt. Ob wegen „sozialer Erwünschtheit“ oder seinem neuen TikTok-Kanal bleibt hier unbeantwortet.

Corona nervt!

 Es nervt, weil Freund*innen erkranken und nicht getroffen werden können. Es nervt auch, weil es eine weitere Sorge um Angehörige und Verwandte darstellt. Viele kennen zumindest eine Person, die an Corona erkrankt ist. Davon hatten die meisten – zum Glück – einen leichten Verlauf. Einer erwähnt seinen Vater, der unter Long Covid leide; eine ihre Tante, die einen schweren Verlauf mit Hospitalisierung hinter sich habe. Manche waren selbst schon Corona positiv. Eine schon zweimal: Delta und Omikron, trotz Impfung. „Überall gekostet“, scherzt sie müde.

Die Demos gegen Corona-Maßnahmen halten die meisten für „unnötig“, sie „bringen nichts“ und würden nur zu „mehr Ansteckungen“ führen. Sie sollten sich „lieber an die Ordnungen“ halten. Trotz dieses Hangs zur Ordnung wird demonstrieren für viele als gut und richtig angesehen. Seine Meinung öffentlich kundzutun, wird als wichtig erachtet: „Meinungsfreiheit“ sei wichtig, genauso wie das „Recht auf ein freies Leben“. Jedoch wird ihr Effekt für Veränderungen als kaum existent eingeschätzt. Vielleicht liegt das auch an dem gerade erst mit massivem Polizei-Einsatz geräumten Protest-Camp.

Ein anderer wiederum schreibt, dass Freunde auf die Demo gingen, sie seien gegen die Impflicht und sähen die Maßnahmen der Regierung als „unnötig“ an.

Corona nervt, voll hart! 

Besonders tangiert die Jugendlichen Corona in ihrem Sozialleben. Eine fühle sich nicht mehr „frei“. Eine betont, „Jugendliche wollen ihre Freiheit und ihren Spaß“ – wer kann dem nicht zustimmen? Keine*r sagt, es hätte sich nichts verändert. Viele klagen über Verlust von sozialen Kontakten. Vereinsamung. Vermisste Partys. Regelmäßige Treffen und Unternehmungen seien unmöglich bis eingeschränkt. Das Maskentragen nerve. Man kenne kaum noch die Gesichter der Freund*innen. Zudem sei die Haut vom vielen Tragen irritiert. Oftmals wird sie auch zu Hause vergessen und dann stünde man „blöd“ da.

Bei einigen seien die Eltern „ständig“ zuhause. Einige wegen Jobverlust. Andere wegen Homeoffice. Allemal nerve ihre ständige Anwesenheit. Es fehlten Rückzugsorte. Privates. Intimität. Enge Wohnverhältnisse, fehlende Kontakte, eingeschränkte Treffmöglichkeiten, das ständige Testen. Oftmals ist es viel. Viel, das nervt.

Der Text ist eine Zusammenfassung von Schüler*innen-Befragungen an einer HAK und einer MS in Wien.

Lesezeit: 5 Minuten

Abenteuer Mittelschule

Es ist vollbracht! Nachdem an der Schulform Mittelschule in den vergangenen Jahren kein gutes Haar gelassen wurde, sich die Politik für Schüler*innen dieses Schultyps nicht zu interessieren scheint und auch in diversen Medien die Negativberichte klar überwiegen, kommt das Problem des Lehrer*innenmangels schneller als erwartet auf uns zu. Denn all die oben aufgezählten Punkte haben zur Folge, dass viele Student*innen gar nicht mehr an der Mittelschule unterrichten wollen, außer besagte Schule ist in einem kleinen Dorf am Land, wo angeblich alles noch besser sein soll. Es ist eine Entwicklung, die absehbar war und ist.

Gemeinsame Unterstufe und das neue Lehramtsstudium

Der Traum von der einer gemeinsamen Unterstufe für alle 10 bis 14jährigen scheint ausgeträumt zu sein. Das Festhalten an jenem Modell, das wir seit Jahrzehnten bedienen, nämlich der Trennung nach der Volksschule in privilegiert und weniger privilegiert, lässt keine grundlegenden Änderungen zu. Immer noch will man Eliten heranziehen und diese hübsch fein vom Pöbel trennen. Der Niedriglohnsektor will bedient werden, also darf der Nachwuchs nicht fehlen. Das Fatale aber ist, dass die Pädagog*innenbildung neu ursprünglich auf einer gemeinsamen Unterstufe aufbaute. Prinzipiell ist zu begrüßen, dass AHS und MS Lehrer*innen die gleiche Ausbildung erfahren. Lange Zeit wurde auch in diesem Bereich fein säuberlich getrennt, die einen für den Pöbel, die anderen für die Elite. Der Gedanke, dass man defizitär ist, wenn man nur sechs Semester an der Pädag studiert hat, ist irgendwann auch in mir kurz aufgepoppt. Gut, dass sich darüber niemand mehr den Kopf zerbrechen muss. Im Austausch dafür machen sich manche Lehramtsstudierende andere Gedanken. Da geht es zum Beispiel darum, dass man verhindern will, jemals an einer Mittelschule eingesetzt zu werden. Prinzipiell kann es jeden und jede treffen, außer es gibt die gewählten Unterrichtsgegenstände an einer Mittelschule nicht. Es kommt also auf eine „kluge Auswahl“ an. Ja, und selbst wenn man in der Mittelschule einen Zwischenstopp macht, länger als ein Jahr kann niemand dazu gezwungen werden. 

Ein kurzer Einblick in meinen Alltag

Es ist 10 Uhr. Theoretisch ist die Pause zu Ende. Als ich zur Schule ging, bedeutete das die Schüler*innen auf ihrem Platz gestanden sind und auf die Ankunft des Lehrers/der Lehrerin warteten. Okay, es gab dieses eine Kind, das bei der Klassentüre wartete, um dann zu brüllen: „Sie kommt!“ Spätestens dann war es ruhig. Im Schlepptau hatte sie, die Lehrerin, eine besonders angepasste Schülerin, die der Lehrerin die Tasche oder die Unterlagen trug. „Setzt euch!“ Segnung erteilt, der Unterricht konnte beginnen.

Zu Beginn meiner Lehrer*innentätigkeit agierte ich ähnlich. Wobei ich nie zuließ, dass ein Schüler oder eine Schülerin meine Tasche oder Hefte trug. Das kam mir von Anfang an ziemlich bescheuert vor. Mag daran liegen, dass ich nie im Leben nur einer Lehrerin oder einem Lehrer irgendetwas hinterher getragen hätte.

Zurück ins Jahr 2022. Die Klasse, die ich jetzt beglücken sollte, hat das mit dem Pausenende nicht so richtig realisiert. Fünf Schüler*innen nehme ich vom Gang mit. In der Klasse spielen vier Kinder Tischfußball, sieben hängen am trotz Handyverbot an diesem, aber sie sitzen auf ihrem eigenen Platz. Meine Stunden beginnen dann, wenn alle ihren Platz gefunden haben. Aufstehen, bitte nicht. Nein, das ist kein Akt der Höflichkeit, sondern einer des Gehorsams. Mein Arbeitgeber ist das Bildungsministerium und nicht das Bundesheer. Ich warte noch weitere drei Minuten. Ha, jetzt könnte es gehen. Da zeigt ein Mädchen auf. Sie ist am Verdursten. Schuld ist die quietschtrockene Wurstsemmel. Ein Problem, das sich lösen lässt. Ich schicke sie zum Wasserhahn. Die anderen Schüler*innen gucken mich erwartungsvoll an. Sie wollen zeichnen und  fast alle haben Lust mitzumachen. Ich genieße die drei Minuten Stille, und fange zu erklären an. Hat länger gedauert, aber was soll es. Zeit ist ohnehin relativ.

„Eine schwierige Klasse“, höre ich immer wieder. Stimmt, ein Waldspaziergang ist das Unterrichten hier nicht, mehr eine Art Abenteuerurlaub. Man weiß nie, was im nächsten Moment passieren könnte.  So ist es auch heute. „Elvira weint“, ruft ihre Sitznachbarin in die Stille. Vier Schüler*innen springen auf, weil sie erstens wissen wollen, warum sie weint und zweitens sie trösten wollen. Ich gehe auch zu Elvira. „Was ist los?“ Elvira schluchzt mir vor, dass ihre Oma gestorben ist. Also nicht ihre Oma, so eine Art Leihoma. Dragana wird blass. „Oh mein Gott. Wie alt war sie?“ „Vier-schluchz-und-schluchz-fünfzig.“  Dragana, nicht mehr blass, dreht sich um und sagt: „Ah so! Ist eh schon alt.“

Die Wogen sind geglättet, es kehrt wieder Ruhe ein. Elvira wurde mit Taschentüchern, Wasser und Schokolade versorgt. Nach einer abermaligen klitzekleinen Unruhe bedingt durch Wasser und Malkasten holen, sind alle beschäftigt und im Flow.

Schwierige Klassen, na und!

Unter schwierig kann man sich unterschiedliche Dinge vorstellen und ausmalen. Kriminelle, bildungsresistente und lernunwillige Schüler*innen. Solche, die ihre Pflichtschulzeit absitzen und dann ihre kriminelle Laufbahn endlich vollzeit ausüben können. Solche, die mit Messern in die Schule kommen, und alles, was sich ihnen in den Weg stellt, kurz und klein schlagen. In diesen Klassen stellt man sich vor, kann ja nicht einmal unterrichtet werden. Da muss man dann Sozialarbeiter*in sein, und nicht Stoffvermittler*in. Letzteres streben ja viele an, die den Lehrer*innenberuf anstreben. Vornehmer formuliert, will man den Kindern und Jugendlichen etwas beibringen. 

Ja, ich gebe zu, wir haben schwierige Klassen. Jene Klasse, von der ich ein bisschen weiter oben erzählt habe. 24 Individualist*innen, die mich gemeinsam immer wieder vor Herausforderungen stellen. Die dafür sorgen, dass mir in meinem Beruf nicht langweilig wird. Die mir, die ich nie ausschließlich die hohe Kunst der Mathematik vermitteln wollte, mit ihrem Verhalten zeigen, wie wichtig es ist, dass es uns gibt. Solche, die manchmal nur uns MS-Lehrer*innen als Lobby haben. Aber mein subjektives Empfinden von schwierig unterscheidet sich deutlich von dem der wagen Vorstellung der konservativen Politiker*innen, manch angehenden Pädagog*innen und der Boulevardpresse.

Ein Blick hinter die Fassade

Was die Personen, die sich vor der Mittelschule fürchten, einmal tun sollten, ist einen Blick hinter die Fassade zu machen. In der besagten Klasse mache ich das täglich und entdecke so wunderbare Kleinigkeiten, die mir das Herz aufgehen lassen.

Weil wir aufgrund von Corona nicht in die Sporthalle gehen sollten, weichen wir, so es das Wetter zulässt in den Park aus. Schnelles Gehen ist besser als gar keine Bewegung.

Ich: Zieht euch um. Wir gehen in den Park.

Ali: Mit oder ohne Stäbchen?

Ich: Womit?

Semih: Oida, können wir nicht lieber Kebab essen gehen? 

Angi: Du sollst Sport machen, damit du dünner wirst. Essen ist kein Sport, da wird man fetter.

Semih: Okay, zuerst Park und dann Kebab.

Ich: Semih, finde ich nicht so gut. Nicht jeder hat Geld mit. Und, dass dann ein paar euch beim Essen zugucken, finde ich nicht so prickelnd.

Semih: Wieso? Alle, die Geld haben, geben Geld. Da kann jeder in der Klasse Kebab haben.

Semih ist ein schwieriges Kind, ohne Zweifel. Aber für diese, für seine Klasse würde er sich das letzte Hemd ausziehen, und für seine Klassenvorständin. Sie ist toll, auch wenn ihr hin und wieder berechtigter Weise die Energien ausgehen. 

Um die Weihnachtszeit erzählen mir die Schüler*innen, dass sie ihr ein ganz tolles Geschenk machen wollen, weil sie so ein großes Herz hat, und ihnen, der Klasse, so viel gibt. Und das wollen sie ihr zurückgeben. Zehn- und elfjährige Kinder haben ohne die Hilfe von Eltern oder Lehrer*innen ziemlich viel Geld gesammelt. Jede/r hat gegeben, was er konnte. Als die Summe noch nicht passt, legt Semih noch was dazu. „Hab ich von meinem Onkel bekommen, für mich. Aber besser für Frau R.“, erklärt er.

In dieser Klasse können alle sein, wie sie wollen. Es ist völlig egal, dass Nurhan mit 12 Jahren blickende Sportschuhe trägt. Es ist nebensächlich, dass Elvira schwer übergewichtig ist. Es ist unerheblich, dass Rohid immer die gleichen Klamotten trägt und ab und zu nicht so gut riecht. Wenn es hart auf hart geht, dann setzten sie sich auch für die Klassenkolleg*innen ein, die ihnen manchmal selbst fest auf die Nerven gehen.

Darum unterrichte ich in der Mittelschule

Klassen, wie diese, sind der Grund, warum ich nach fast 30 Jahren immer noch gerne arbeiten gehe, auch wenn ich sie manchmal verfluche, so wie andere auch. Ich habe sie noch nie als schwache Schüler*innen gesehen. Klar, sie haben Defizite in vielen Bereichen, aber unterm Strich nicht mehr oder weniger als ich selbst. Sie leben ein Leben, das ich nicht kenne. Sie kämpfen sich mit ihren Familien durch die Widrigkeiten des Alltags, und werden außerhalb der Schule oft nicht wahrgenommen, außer sie sind kriminell. Diese Schüler*innen haben volle Aufmerksamkeit verdient, und leben auf, wenn ihnen nicht nur der Stoff vermittelt wird. Und gerade die, die mich im Laufe meiner Schulzeit am meisten gefordert haben, melden sich bis heute bei mir und berichten mir stolz, dass sie entgegen allen Erwartungen doch im richtigen Leben angekommen sind.

Kleiner Nachsatz an die Verantwortlichen

Wir brauchen in Zeiten des Klimaschutzes nicht gratis Parkpickerln, sondern Politiker*innen, die die Mittelschule und deren Lehrer*innen wahrnehmen und wertschätzten. Und die, die junge Menschen dazu motivieren sich auf das Abenteuer Mittelschule einzulassen.

Die Autorin ist Lehrerin an einer Wiener Mittelschule

Lesezeit: 4 Minuten

Er ist wieder da. Gemischte Gefühle kommen in mir hoch, als ich am Montagmorgen zwei aufgeweckte Augen über der FFP2 Maske blitzen sehe und mir ein freudig schwungvolles „Frau Lehrerin! Guten Morgen!“ entgegengeschmettert wird. Einerseits freue ich mich, einen Schüler wieder zu sehen, der mich oft zum Lachen bringt und bei dem ich weiß, dass ihm das selbstständige Arbeiten im Lockdown schwerfällt, der gezielte Deutschförderung benötigt. Andererseits realisiere ich erst nachdem mir ein freundlich strenges „Schön, dass du wieder da bist! Die Maske haben alle auf und das diskutiere ich nicht“ rausrutscht, dass es mich auch stresst. Alle Kinder werden leise und schauen etwas verwundert drein. Frau Lehrerin, die in der Regel nicht so schnell eisige Töne anschlägt, legt gleich in den ersten 45 Sekunden dieser Schulwoche damit los. 

Was mich nachdenklich macht an meiner Aussage, ist nicht der Hinweis auf die sinnvolle Maske, sondern das Ende meiner Diskussionsfreudigkeit. Die Worte „Ich diskutiere das nicht“ entsprechen nicht gerade meinem Ideal einer Deutschlehrerin. Mir, der Dialog auf Augenhöhe, Demokratieerziehung, Medienverständnis und Diskussionsfähigkeit doch sonst so wichtig sind. 

Der Schüler, über dessen Anwesenheit ich mich eigentlich freue, hadert mit dem Gedanken, dass es Corona wirklich gibt. Seine gesamte Familie ist zwar mittlerweile genesen, aber die Medien würden weltweit Lügen verbreiten und die Maßnahmen seien Teil einer großen Verschwörung, so der immer wieder durchflackernde Grundtenor. Das Tragen der FFP2 Maske also eine Tortur und eine Gemeinheit, um arme Kinder zu quälen. Auch „diese Tests“ werden laufend mit Kommentaren begleitet, die ich hier mit dem sanften Wort der Zumutung umschreiben möchte. 

In der Regel meldet sich auf seine Äußerungen sofort jemand aus der Klasse und es gibt Pro und Kontra, verschiedene Meinungen stehen nebeneinander im Raum. Pragmatisch, wie Schule so oft ist, testen sich schließlich alle nach Vorschrift und lassen die Maske auf. 

Es ist mir wichtig, dass jede Meinung geäußert werden darf, weil ich denke, dass Silencing keine Lösung ist, sondern nur noch mehr Öl ins Feuer gießt und Verschwörungstheoretiker*innen sich vermutlich erst recht in ihrer Perspektive gestärkt fühlen. Dennoch war bei mir an diesem Montagmorgen die Luft schon beim ersten Anblick einer neuen Diskussion draußen. Am Weg zum Klassenzimmer hatte ich mich gefreut, dass wir mittlerweile auch PCR-Tests für Lehrkräfte haben und dass bestätigt wurde, dass die FFP2 Masken sehr gut vor Ansteckung und Übertragung schützen. Ich freute mich über jedes Kind, das mir in Fleisch und Blut gleich gegenübersitzen würde, das ich nicht digital mehr schlecht als recht versuchen würde zu erreichen, parallel mitzubetreuen, auf Distanz individuell zu fördern – für mich gefühlt die Quadratur des Kreises. Ich freute mich auf ein kleines Stückchen Struktur und geregelte Abläufe im Anbetracht der sich überschlagenden Ereignisse der letzten Wochen. Auf Unterricht und Bedürfnisse, auf die ich ad hoc reagieren und wahrnehmen könnte, im Gegensatz zum distance learning. Vielleicht wollte ich mir mit diesem Diskussionsriegel die Freude, das Privileg und den kleinen Triumph über das Virus nicht nehmen lassen, dass es zumindest unter gewissen Voraussetzung möglich ist, Kinder regulär zu unterrichten. 

Schule wird oft als der Ort konstruiert, an dem gesamtgesellschaftliche Konflikte sichtbar seien, weil bis zu einem gewissen Alter jede*r hinmuss, der*die in Österreich wohnt. Müsste ich der gesamtgesellschaftlichen Dialog- und Konfliktkultur der letzten Wochen eine Note geben, wäre es ein knappes Genügend. Müsste ich mir selbst eine geben, verstumme ich lieber mit meinen Urteilen. Die Situation, in der wir uns alle befinden, ist so komplex, so vielschichtig und blöder Weise gleichzeitig so dringend, dass der ruhige, nachvollziehbare Dialog oder ein gründliches, fundiertes Abwägen von Darstellungen oder Maßnahmen viel zu oft auf der Strecke bleibt. Es ist Verunsicherung spürbar: bei den Schüler*innen, den Eltern, den Kolleg*innen, bei mir selbst. 

Ich schätze an meinem Kollegium, dass viele andere Standpunkte stehen lassen können. Wir waren nicht alle einer Meinung, dass es so toll ist, die Kinder doch in die Schule gehen zu lassen, während alles andere zusperrt. Dafür ziehen manche zum ersten Mal seit über 50 Jahren auf Demos mit, die von Polizeihubschraubern begleitet werden und mir wiederum nur ein Kopfschütteln abringen. Trotzdem gehen an einem Dezembermorgen Kolleg*innen mit FFP2 Maske durch das Konferenzzimmer und verteilen Schokolade. Ein Mini-Nikolaus gesellt sich zu meinem sehr geschätzten PCR-Test. Jede*r freut sich über diese kleine Geste der Normalität, das Bekannte, das Verbindende und den Zusammenhalt. 

Obwohl ich eisig sagte, ich wolle nicht darüber diskutieren, ob wir die Maske im Unterricht tragen, verkraften die Kinder das recht gut. Es wird gescherzt, mitgearbeitet und vor allem auf den Adventkalender und unser Keksritual hingewiesen. Das darf ja nicht vergessen werden! 

Die Kinder haben wie so oft recht. Es sind auch diese kleinen Dinge, die uns zusammenbringen und auf die ja nicht vergessen werden darf. Wer an Beziehung und Dialogkultur in guten Zeiten arbeitet, hat sich für die großen Brocken in schweren Zeiten einen Startvorteil verschafft, denke ich. 

Utopisch würden viele meine Vision von Dialogkultur an der Schule bezeichnen. Vermutlich haben sie recht. Schließlich sind wir alle nur Menschen, die jeden Tag unterschiedlich gut drauf sind, umgeben von einer Vielzahl an Faktoren, die ein friedliches Miteinander und gute Kommunikation nun mal stören. Trotzdem finde ich es wichtig, dass wir uns weiterhin bemühen, vielfältige Gedanken, Ängste, Vorstellungen und Pläne zu besprechen und ernst zu nehmen. 

Ich komme zu dem Schluss, dass manche Themen und Diskussionen besondere Zeitpunkte und Orte brauchen und nicht „sofort montags um 7:31“ stattfinden müssen. Dankbar bin ich aber auch dafür, dass wir es jeden Tag besser machen können. Jeden Tag gibt es die Chance aus dem gestrigen für den morgigen zu lernen und um’s Lernen geht es doch schließlich an der Schule. 

Die Autorin ist Lehrerin an einer Mittelschule in Oberösterreich