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Wenn wir es mit Inklusion in der Bildung wirklich ernst meinen, wird es nicht reichen, an einzelnen Schrauben zu drehen. Und wenn an Schrauben im System gedreht wird, muss immer mitbedacht werden, was die Veränderung für bestimmte Gruppen – zum Beispiel Kinder mit Behinderung – bedeutet.

Die Vision:
Eltern kommen mit einem Kind, das nicht in die Schublade „NORMAL“ passt, zur Schuleinschreibung in die Schule, für die sie sich entschieden haben.
Sie werden freundlich begrüßt und willkommen geheißen. Die Schule macht sich ein Bild von den Bedürfnissen des Kindes und schafft Bedingungen, damit das Kind sich in einer Gruppe von Kindern gut weiterentwickeln kann. In der Schule gibt es gut ausgebildete Pädagog:innenteams mit der Haltung, jedem Kind einen guten Platz zum Lernen zu bieten. Diese Teams begleiten eine Gruppe von Kindern kontinuierlich. Der Personalschlüssel ist so, dass genügend Ressourcen da sind, um Beziehung zu den Kindern aufzubauen und jedem einzelnen Kind, ob „tief-, mittel- oder hochbegabt“ (frei nach Andreas Steinhöfel: Rico, Oskar und die Tieferschatten, 2008) einen guten Platz zum Lernen zu schaffen.
Wenn es eine kleinere Gruppengröße als die übliche braucht, kann die Schule das im Rahmen ihrer Autonomie ermöglichen.
Wenn Unterstützungspersonal notwendig ist, kann das zur Verfügung gestellt werden.
Wenn es fachliche Expertise braucht (z.B. unterstützte Kommunikation, Gebärdensprache, Brailleschrift), wird sie zur Verfügung gestellt, so viel und so lange wie nötig – darüber kann die Schule entscheiden.
Die Schule bietet ganztägige Betreuung für ALLE Kinder an.
Die Schulverwaltung vertraut darauf, dass die Schulleitung mit ihrem Team gute Entscheidungen trifft und sich Unterstützung holt, wenn sie welche braucht. Es muss nicht ständig alles kontrolliert und gerechtfertigt werden.
Es gibt unbürokratischen Austausch auf Augenhöhe mit der nächsten Hierarchieebene.

Derzeitiger Stand der Dinge ist jedoch:
Es gibt Integrationsklassen mit motivierten Lehrer:innen. Teams mit langjähriger Erfahrung und guten Unterrichtskonzepten. Sie tun was sie können, unter Rahmenbedingungen, die ihre Arbeit zunehmend erschweren.
Im Rahmen unserer intensiven Auseinandersetzung mit dem Thema in der Initiative Bessere Schule Jetzt! tauchte der Leitfaden für Inklusion, Integration und Sonderpädagogik in Wien (Hrsg. Stadtschulrat für Wien, 2014) auf. Hier sind die Rahmenbedingungen für die Integration von Kindern mit Behinderungen klar formuliert. Darauf konnten sich Pädagog:innen jahrelang stützen.
Ein Schelm, wer glaubt, die Bedingungen hätten sich in Richtung Inklusion verbessert. Nein, der Leitfaden hat keine Gültigkeit mehr.
Die Regelungen ändern sich so schnell, dass es fast unmöglich ist, am neuesten Stand zu sein.

  • Höchstens 21 Kinder in der Integrationsklasse – Geschichte
  • Verminderung der Klassenschüler*innenhöchstzahl abhängig vom Grad der Behinderung – diese Zeiten sind vorüber
  • Regelung, wie viele Kinder mit Behinderung höchstens in einer Integrationsklasse sein dürfen – nicht vorhanden
  • Schulleiter:innen, die die Zusammensetzung der Klassen ihrer Schule genau kennen, entscheiden, wie viele Kinder mit welchen Beeinträchtigungen neu aufgenommen werden können – vorbei
    Jetzt werden Schulplätze zentral vergeben, aufgrund der Zahlen im Schulverwaltungsprogramm, ohne die Situation vor Ort zu kennen.
  • Klar zusammengefasste Information für Schulen mit Integrationsklassen über derzeitige Regelungen – gibt es nicht
  • Ansprechpersonen, die schnell und unbürokratisch Auskunft geben – wir warten auf Rückruf
  • Plätze für Kinder mit schwereren Beeinträchtigungen am Nachmittag – mit viel Glück ein paar Bezirke weiter
  • Teamstunden in Integrationsklassen für Kinder, die zusätzliche Förderung brauchen, aber keine Behinderung haben – wieso? „Da sind eh 2 Lehrer:innen drin.“
  • Möglichkeit der alternativen Beurteilung für Kinder, die Fortschritte beschreibt, den konkreten Leistungsstand widerspiegelt und sie nicht an einer vorgegebenen Norm misst – nein, Ziffernnoten ab Ende der 2. Schulstufe auch für Kinder mit Lernbehinderung
  • Schulpsychologische Gutachten, die eindeutig aussagen, dass ein Kind dringend individuelle Unterstützung braucht, um die Anforderungen des Volksschullehrplans erfüllen zu können – Ressourcen dafür? mit viel Kreativität und Verhandlungsgeschick – unter Umständen
  • Verdacht auf Autismus Spektrums Störung – 12 Monate Wartezeit auf einen Termin zur Abklärung – außer es kann privat bezahlt werden
  • Kinder mit Behinderung, die bisher keine Entwicklungsdiagnostik hatten – alle kostenfreien Angebote über Monate ausgebucht, bitte warten, wenn Sie nicht privat bezahlen
  • Kinder mit Lese-Rechtschreibschwäche in der Klasse: Die Schule muss durch gezielte und regelmäßige symptomspezifische Fördermaßnahmen reagieren (vgl. Rundschreiben Nr. 2021-24, Rundschreiben Datenbank bmbwf.gv.at) – Ressourcen gibt es dafür keine
  • Vertretung für Pädagog:innen im Krankenstand – niemand da, muss irgendwo anders abgezogen werden und fehlt dann dort

Diversität und Inklusion erfordert vor allem eines: Flexibilität, die Fähigkeit, sich auf unterschiedliche Bedürfnisse einzustellen – die Neuerungen im Schulsystem der letzten Jahre haben die Spielräume der einzelnen Schule, der einzelnen Pädagog:innen zunehmend beschränkt.

Innovative Schulkonzepte dürfen nicht zum Etikettenschwindel werden

Gerade Wien nimmt hier als Großstadt eine Sonderstellung ein. Die Bevölkerung wächst, sie ist bunt und heterogen. Es gibt viele Familien mit besonderen Herausforderungen. Das spiegelt sich auch in den Schulklassen wider.
Gleichzeitig werden die Klassen größer, die Personalressourcen weniger. Es fehlt an allen Ecken und Enden. Das steht einem zeitgemäßen Unterricht entgegen.
Viele innovative Schulkonzepte wurden in Wien entwickelt und erfolgreich gelebt, zum Beispiel die verschränkte Ganztagsschule oder integrative Mehrstufenklassen. Ohne genügend Personalressourcen werden sie verschwinden oder zum Etikettenschwindel.

Wenn der Computer nicht mehr funktioniert, hilft manchmal ausschalten und neu starten.
Was hilft im Schulsystem???

Die Autorinnen sind eine Sonderpädagogin in einer Wiener Volksschule und eine Mutter, die ein IT-Unternehmen und eine inklusive Familie managt. Beide sind engagiert in der Initiative Bessere Schule Jetzt!

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Wenn man vor großen Herausforderungen und Problemen steht, hilft es ja meistens, ein wenig über den Tellerrand zu blicken. Seit einigen Jahren fahren wir (wir, das sind hier die 2 Schulgschichtn-Redakteur:innen Verena und Felix) daher mit Kolleg:innen in andere Länder, um deren Bildungssysteme kennenzulernen, Schulen zu besichtigen und internationale best-practice Beispiele zu sehen.  Heuer waren wir mit einer Gruppe in Estland. Das estnische Bildungssystem ist, wenn es nach PISA geht, eines der effizientesten und besten Bildungssystem Europas, das obendrein auch noch relativ fair ist. 

Während unserer vier intensiven und hochspannenden Tage in Tallinn haben wir dutzende Lehrer:innen getroffen, mit Menschen aus dem Bildungsministerium, von der Lehrer:innenausbildung und dem NGO-Bildungssektor diskutiert und zwei Schulen besucht. Dabei wurde uns von Gespräch zu Gespräch und von Stunde zu Stunde immer offensichtlicher, dass wir im österreichischen Bildungssystem noch viel Luft nach oben haben. Von der Organisation des Systems über die Möglichkeiten der Schulautonomie bis hin zu Fragen der Transparenz und verfügbaren Daten. Nachdem Estland auch nicht zaubern kann, wären alle dortigen Lösunge auch bei uns umsetzbar. Wir wollen hier nun kurz unsere größten Learnings und spannendsten Eindrücke teilen:  

Die Gesamtschule steht außer Zweifel 

Das estnische Bildungssystem ist grundlegend anders aufgebaut als das österreichische. Das beginnt beim vorhandenen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. So besuchen 84% der 1-3-Jährigen und 95% der 3-7-Jährigen einen Kindergarten. Nach dem Kindergarten folgt eine 9-jährige gemeinsame Schule, die alle Kinder im Alter von 7-16 besuchen. Die allermeisten (ca. 90%) dieser 9-jährigen Gesamtschulen sind öffentliche municipality Schulen, also sind im Zuständigkeitsbereich der Gemeinden. 

Auf unsere Nachfrage, ob diese Art der Gesamtschule denn auf viel Widerstand stößt und ob sie politisch bekämpft wird, haben wir nur verständnislose Blicke geerntet. Wie in den allermeisten Europäischen Ländern, waren unsere Estnischen Kolleg:innen eher erstaunt darüber, dass wir unsere Schüler:innen im Alter von 10 Jahren in verschiedene Schultypen schicken.

Eine einheitliche, standardisierte Prüfung beendet die 9 Jahre Pöhikool. Im Anschluss daran gibt es dreijährige höhere Schulen, entweder das Gymnasium oder berufsorientierte Schule. 

Echte Schulautonomie

Hierzulande wird das Wort Schulautonomie ja gerne als Synonym für Einsparungen und Notlösungen am einzelnen Standort verwendet. Nicht so in Estland. Die Direktor:innen und Schulen haben eine unglaubliche Autonomie. Die Direktor:innen stellen all ihre Lehrer:innen selber an und können diese auch selber kündigen. Starre, einheitliche Dienstrechte gibt es nicht, Mindestlöhne aber sehr wohl. Die Dienstverträge schauen so sehr unterschiedlich aus. Manche Lehrer:innen unterrichten 22h, andere nur 15h, weil sie sonst die Mathe-Koordination leiten oder Schulentwicklung Reflexionsgespräche mit Kolleg:innen machen. Auch die Gehälter sind teilweise flexibel, können von den Schulleiter:innen bestimmt werden und basieren nicht nur auf der Anzahl der Dienstjahre. Karrierepfade und Anreize für junge Lehrer:innen werden so möglich. 

Aber auch die Curricula sind teils autonom. Wir haben Schulen besucht, die haben nur eine 4-Tage-Unterrichtswoche. Am 5. Tag unterrichten diese Schulen im „independent learning“, wo die Kids entweder daheim lernen, in Gruppen ins Museum oder in die Natur gehen. Im Anschluss daran, zeigen sie den Lehrer:innen, per Zoom, was sie heute gelernt haben. Auf unsere verwunderte Frage hin, dass dies schulautonom möglich ist und wer denn die Aufsicht in dieser Zeit regele und wie das Stundenabrechnungstechnisch liefe, kam ein leicht verwundertes: “I don´t really understand your question. We can decide how we want to teach”.

Auch die Notengebung ist autonom. Viele Schulen geben bis zur 6. Schulstufe gar keine Noten, ab dann gibt es unterschiedliche Systeme. Und, so bundeseinheitliche Systeme wie Deutschförderklassen sind undenkbar. Diese große Autonomie funktioniert natürlich nur weil es in den Schulen Management-Teams gibt (wir erinnern uns an die Möglichkeit unterschiedlicher Dienstverträge) die das alles machen. Da arbeiten dann 5-6 Lehrer:innen, die teilweise noch unterrichten, gemeinsam mit der:dem Direktor:in an der Leitung der Schule. 

Transparenz und Daten

Es gibt über das estnische Bildungssystem so ziemlich alle Daten, die man sich vorstellen kann. Diese Daten sind für jede einzelne Schule öffentlich einsehbar. So kann man z.B. Ergebnisse der standardisierten Prüfung, die Noten, die Ausbildung der jeweiligen Lehrer:innen, die Fehlstunden, die Größe der Klassen, die Anzahl der PCs, den Background der Schüler:innen und noch Vieles mehr für jede Schule einsehen und mit anderen vergleichen. Diese Daten werden für fundierte Entscheidungen verwendet. Sowohl das Ministerium, als auch die einzelnen Schulen verwenden das als Grundlage ihres Arbeitens und Unterrichtens. 

Und, es gibt jährlich einen „satisfacory survey“ wo alle Schüler:innen gefragt werden, wie es ihnen geht, was sie sich wünschen, wie sie mit ihren Lehrer:innen zurechtkommen und welche Probleme sie haben – einsehbar für alle.

Eine klare Governance 

Die governance Struktur des ganzen Bildungssystems ist sehr einfach. Fast alle Schulen sind, wie gesagt, öffentliche Gemeinde-Schulen. Der „Bund“ überweist den Gemeinden Geld für ihre Schulen. Die einzelnen Gemeinden machen sich mit den Schulen dann ein Budget aus, das diese autonom verwalten können. Der Rest der Entscheidungen wird an und von den Schulen getroffen. Unsere Erklärversuche, was der Unterschied zwischen Bundes- und Landesschulen ist oder was Bildungsdirektionen und SQMs sind, sind leider kläglich gescheitert. Die Bürokratie ist auf ein Minimum reduziert, die Verantwortlichkeiten sind ganz klar geregelt und der Gestaltungsspielraum ist daher riesig.

Und, was sind die Herausforderungen?

Ein großes Thema in Estland ist die inoffizielle Zweisprachigkeit: Russisch-Estnisch. Viele Schulen sind entlang dieser zwei Sprachen segregiert. Kaum eine Schule lehrt beide Sprachen, aber alle müssen Estnisch lernen. Mehrheitlich russischsprachige Schulen werden als second-class angesehen. Und, die Drop-Out-Rate der 16 Jährigen nach der gemeinsamen Schule ist hoch: 20% der Jugendlichen fallen nach den 9 Jahren aus dem System. 

Darüber hinaus sind die Lehrer:innengehälter vergleichsweise gering, was einen Lehrer:innenmangel zur Folge hat. 

Fazit

Vor allem im Vergleich mit dem österreichischen Bildungssystem beeindruckt das estnische durch unglaubliche Möglichkeiten an autonomen Handeln und mit seinen klaren Strukturen und Verantwortlichkeiten. Bei unsere Schulbesuchen konnten wir sehen, wie positiv sich das in den Klassenzimmern, bei den Kolleg:innen und Schüler:innen auswirkt. All das könnte Österreich auch machen. 

Felix und Verena, Schulgschichtn Autor:innen

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Dr. Patrick Frottier, Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie:

„Hass gab es immer schon, etwa als Reaktion auf unbewältigte Kränkungen, als Folge eines Selbstwertproblems,  eines bewussten oder unbewussten Gefühls innerer Unsicherheit. Die Projektion dieses Minderwertigkeitgefühls auf eine Person, auf eine Personengruppe,  auf alle anderen außer sich selbst oder gar unter Einbeziehung seiner eigenen Person ist demnach nicht neu. Neu ist jedoch die Geschwindigkeit der Verbreitung, die mögliche Unbegrenztheit der Reichweite, die Perfektionierung der Anonymität des verursachenden Auslösers. Das Neue liegt also in den Möglichkeiten, die der digitale Raum dem Hassenden  bietet und nicht der Hass an sich.“

Wir sprechen über Klassenchats. Shitstorms, Hass im Netz – oft wird man „versehentlich“ Opfer. Klassenchats sind allgegenwärtig. Die berühmten „WhatsApp“ Gruppen, wohlgemerkt oft von Lehrpersonen selbst initiiert – „so Kinder, dann könnt ihr euch gegenseitig die Hausaufgabenafträge senden, das Organisatorische besprechen und euch gegenseitig an Referatstermine erinnern.“ Das ist die oft naive Vorstellung der Inhalte eines Klassenchats. Manchmal sind die Lehrpersonen dabei, oft nicht. Legal wäre das nicht, aber das ist die Nutzung von WhatsApp für Kinder unter 14 auch nicht. Und schon im 1. Lockdown 2020 wurde WhatsApp als zwar nicht gewünschte, dennoch aber (von der Bildungsdirektion) geduldeter Einstieg ins Distance-Learning schweigend toleriert.

Als Lehrperson bekommt man oft wenig mit von den wahren Ausmaßen des „Bashings“, welches an Stelle der Referatserinnerungen innerhalb der Klassenchats kursiert. Die mildeste Variante ist noch das Spammen, das Versenden von mehreren hundert Nachrichten ohne Inhalt. Es steigert sich oftmals bis hin zu einer wahren Hexenjagd, Bloßstellungen, Beschimpfungen, Beleidigungen. Bei einem Kind kursierten gefakte Pornobilder unbeliebter Lehrerinnen, bei einem anderen wünschte jemandes Mutter einen unfreiwilligen Geschlechtsverkehr mit einem überdimensionales Geschlechtsteil eines nicht österreichischen Mannes, an dessen Folgen sie bitte verenden möge. Ohne das „Bitte.“

Schulen sind machtlos. Die Inhalte zu kurzlebig, zu schnell wieder gelöscht. Doch sind sie das wirklich? Nichts was einmal im Netz war verschwindet für immer…

„Es ergibt sich eine Dynamik von digital versendeten Hassnachrichten, die im sozialen Netzwerken weder bezüglich der Verbreitung noch bezüglich der Reaktion irgendeiner Steuerung unterliegt. Der sich daraus ergebende emotionale Kontrollverlust berührt alle Beteiligte in schwer vorhersehbarer Weise, die möglichen wirksamen Variablen übersteigen bisher alle gültigen Prognose- und Gegensteuerungsmaßnahmen. Dieser Kotrollunmöglichkeit ist für den Nachrichtensender Anreiz sein Gefühl auszuleben und Vermeidung einer diesbezüglichen Konsequenz zugleich. Er setzt mittels weniger gedrückter Tasten einen minimalen Impuls mit einer unvorhersehbar großen Konsequenz, ganz der Symbolik seines Minderwertigkeitsgefühls entsprechend: aus ganz klein wird ganz groß.“ 

Doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Was können wir tun? SaferInternet Workshops werden besucht, Schilfs zu diesen Themen wachsen aus dem Boden.

„Die  Sehnsucht nach allgemein gültigen Tipps im pädagogischen Bereich entsprechen meist der eher naiven Sehnsucht, jedes Problem hätte auch eine zugehörige Lösung. Jede Eingrenzung des Benützens von sozialen Netzwerken führt regelhaft zu Widerstand, sei aus einer demokratischen oder trotzigen Reaktion heraus. Da jedoch Hass als Mischgefühl des Neides, des Zorns und der inneren Angst seit Bestehen der Menschheit, also in unserer Kultur seit Kain und Abel, gegenwärtig ist, wäre die offene Diskussion über die ganze Palette der Gefühle, ihrer Ursachen und der Umgang mit ihnen, auch als Unterrichtsstoff, welcher unabhängig von inadäquatem und dysfunktionalen Umgang mit digitalen Medien gelehrt werden sollte, sinnvoller als eine Begrenzung neuer Medien.“

Aber irgendwas müssen wir doch tun!?

„Mit Schülern und Schülerinnen eine Diskussion über enttäuschte Erwartungen und dem sich daraus  entwickelnden unberechtigten Anspruchsdenken, welche in Hass münden können, zu führen – also einen wiederholten Diskurs über des Menschen offensichtliche eingeschränkte Fähigkeit unabweisliche und tägliche Kränkungen des Lebens zu tolerieren, zu jedem sich ergebenden Anlass anzuregen – das wäre eine pädagogische Aufgabe, die zwar niemals ein Ende nehmen, sich aber zweifellos lohnen würde. Und jeder könnte sich fragen: wen habe ich zu welchem Anlass schon einmal gehasst, wie habe ich meinen Hass ausgelebt, wann bin ich schon gehasst worden und wie habe ich mich dabei gefühlt. Die Gemeinsamkeit der Erfahrung könnte die dem Hass zugrundeliegende Trennung zumindest bewusst machen, das wäre ein erster Schritt hin zur Solidarität welche eine Klasse erst zu einer solchen macht, welche erst dann dem Wort „Klassengemeinschaft“ eine Berechtigung gibt.“ 

Erfahrung einer Lehrerin (BHS)

Letztes Jahr wurden mir durch Erziehungsberechtigte Klassenchats weitergeleitet, die hinter der Grenze der Legalität waren. Ich hatte das Glück, dass ich mich gleich an mehrere Fachexperten wenden konnte: einerseits an die Direktion, wo ich viel Unterstützung bekommen habe, andererseits an einen in Mediation, Mobbing- und Gewaltprävention sehr erfahrenen Kollegen und Coach, und auch an einen Freund, der in einer staatlichen Organisation arbeitet und Erfahrungen mit diesen Themen gehabt hat.

Die Intervention seitens der Direktion ging in mehrere Richtungen. Einerseits wurden Gespräche mit den betroffenen Schülerinnen und Schülern im Beisein ihrer Eltern geführt, die dazu geführt haben, dass mehrere Personen die Klasse bzw. die Schule verlassen haben. Andererseits wurden diese Personen an die Behörden gemeldet und die Fälle von den zuständigen staatlichen Stellen weiterbearbeitet.

Mit der Klasse wurde unmittelbar danach ein ganztägiger Workshop gemacht, in dem über das Gewicht des Geschehenen aufgeklärt wurde, über die gesetzliche Lage in Österreich sowie über die geschichtlichen Zusammenhänge und Hintergründe für diese Gesetze. Und es wurden danach mehrere Chancen genutzt, gruppendynamische Übungen zu machen. Dies war gut, denn die Situation am Anfang war schwierig, es herrschte Fassungslosigkeit, denn „das war ja nur Spaß“. Nach dem Workshop konnten die Schülerinnen und Schüler die Situation einordnen, auch wenn nicht alle mit den Konsequenzen für ihre MitschülerInnen einverstanden waren. Das Klassenklima hat sich aber sukzessive gebessert.

Für mich selbst waren diese 2 Wochen unheimlich schwierig, ich hatte aber viel Unterstützung im Kollegium und von der Schulleitung. Was es in der Prävention braucht? Aufklärung, echte Geschichten und Fälle, und vor Allem Sensibilisierung der SchülerInnen dafür, dass „Spaß“ kein Freibrief für ist.

Und was sagen die Schüler:innen?

Um die Sicht auf Klassenchats von den Schüler:innen zu erhalten, haben wir uns entschieden, sie anonym und schriftlich Fragen beantworten zu lassen. Dadurch hofften wir auf möglichst ehrliche und wahrheitsgetreue Antworten. Im Großen und Ganzen blieben die Antworten dennoch vage. Ein vertiefendes Gespräch wäre sicher noch aufschlussreicher, um hier auch einzelne Rollen der Schüler:innen in den Chats herausfiltern und analysieren sowie mit ihnen reflektieren zu können, wie und warum sie in dem Moment gehasst haben.

Wenig überraschend sehen die Schüler:innen den Klassenchats als einen wichtigen Austauschkanal an, um vor allem schulische Fragen zu klären. Viele befürworten eine Klassengruppe zum Austausch über Verpasstes, ausgefallene Stunden oder Unterstützung bei der Hausübung. Interessant bei letzterem ist, dass hier besonders fertige HÜs angefragt werden, dass in einer Klasse bei einigen für Unmut sorgen dürfte.

Unerwünscht sind Personen, die den Chat zum Spamm

en verwenden; die also tagtäglich unaufgefordert Sticker, Videos und Memes teilen. Bei Mitschüler:innen, die beleidigen, Gerüchte verbreiten, jemanden absichtlich verletzen und schlecht über andere schreiben, durchzog sich der Tenor des Blockieren-Wollens laut und deutlich. Weil zum „Scheiße schreiben“, sei der Chat nun mal nicht da. Ebenso beschwerten sich einige, dass manche viel zu viel „Unnötiges“ in den Chats schrieben, private Konflikte hintrügen und sie als Bühne nützten bzw. andere heruntermachten, wenn nicht geantwortet würde.

Interessant waren auch die verschiedenen Antworten hinsichtlich der Reflexion der eigenen Rolle im Chat. Viele nehmen sich als helfend wahr. Andere beobachten lieber, um am Laufenden zu bleiben. So manch eineR hat den Chat bereits wieder verlassen und fragt lieber privat nach. Stumm gestellt ist er bei den meisten. Spannend ist hier die Veränderung zu Unterstufe.

Die deutliche Mehrheit meinte, in der Unterstufe sei es lustiger zugegangen und sie hätten sich produktiver ausgetauscht; auch weil sie sich schon besser gekannt hätten. Viele führten die fehlende Klassengemeinschaft als Grund für die oftmals schlechte Stimmung in den Chats an. Das traf besonders auf die Befragten in ersten Jahrgängen zu.

Zum Ende lassen sich zwei Umgangsmöglichkeiten mit dem Klassenchat aus den Antworten der Schüler:innen herauslesen:

1) Sie ziehen sich zurück; das kann heißen, sie werden zu Leser:innen und vermeiden das aktive Schreiben, Antworten und Interagieren oder sie verlassen den Chat ganz und kontaktieren einzelne Mitschüler:innen oder gründen kleinere Privatgruppen.

2) Sie befürworten den Chat weiterhin, weil für sie die positiven Eigenschaften des Austausches, des Dazugehörens und der Hilfemöglichkeiten überwiegen.

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Ein gekürztes Kapitel aus dem Buch “Emanzipatorische Bildung: Wege aus der sozialen Ungleichheit”, Günther Sandner und Boris Ginner (Hg.), erschienen 2021 im Mandelbaum Verlag

Der Status Quo – Wo stehen wir?

„Sag mir welche Bildung deine Eltern haben, und ich sage dir, wie deine Schullaufbahn aussehen wird“, könnte man einem Kindergartenkind in Österreich sagen. Mit einer großen Wahrscheinlichkeit würde diese Prognose auch stimmen, denn Bildung wird vererbt. Schon seit Jahren zeigen nationale und internationale Studien, dass Intelligenz, Talent und Fleiß in Österreich nicht unbedingt zu einer erfolgreichen Schullaufbahn führen. Vielmehr ist der Bildungsgrad der Eltern für die eigene Zukunft entscheidend. Soziale Ungleichheit im Klassenzimmer beginnt demnach schon bei der Geburt.

Insgesamt 66% der Schüler*innen, deren Eltern als höchste Schulbildung einen Pflichtschulabschluss erreicht oder eine Berufsausbildung (Lehre, BMS) absolviert haben, gehen nach der Volksschule weiter in eine Mittelschule (Bildungsbericht 2018, Band 1: 145). Im Gegensatz dazu entschließen sich 71% der Schüler*innen, deren Eltern Matura oder einen tertiären Bildungsabschluss haben, nach der Volksschule für das Gymnasium. Schon im Alter von 10 Jahren werden Schüler*innen in Österreich also nach dem Bildungsabschluss der Eltern segregiert. Diese soziale Segregation in der Sekundarstufe I ist im städtischen Raum noch wesentlich deutlicher zu sehen als in ländlichen Gebieten (ebd.: 115).

Wo müssen wir hin? 

Das Bildungssystem ist nur einer von vielen Bereichen, der zu einer sozial gerechteren Gesellschaft beitragen kann. Bildung allein kann keine sozial gerechte Gesellschaft herstellen. Dazu braucht es neben einem gerechteren Bildungssystem immer noch Sozial-, Wirtschafts- und Wohnungspolitiken, die soziale Ungerechtigkeiten reduzieren. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob ein gerechtes Bildungssystem, das soziale und ökonomische Mobilität forciert, in einer Gesellschaft und einem Sozialstaat, die genau dies nicht tun, überhaupt möglich ist. Braucht es nicht zuerst eine gerechtere Gesellschaft, die ein gerechtes Bildungssystem erst ermöglicht? 

Es gibt jedoch Maßnahmen im Schul- und Bildungssystem, sowohl auf pädagogischer Ebene im Klassenzimmer als auch auf bildungspolitischer Ebene, die umsetzbar und dringend notwendig wären.

1.  Kleine Schritte – Pädagogische Veränderungen im Klassenzimmer

Differenzierung und Potenzialfokussierung. Soziale Ungerechtigkeiten können im Unterricht ausgeglichen werden, indem jedes Kind als Individuum gesehen wird. Das bedeutet, dass nicht alle immer gleichzeitig das Gleiche lernen, sondern dass im Unterricht auf die Stärken und Schwächen, aber auch auf unterschiedliche Lerntypen, Lerngeschwindigkeiten und Interessen eingegangen wird. Das bedarf freilich einer starken Differenzierung des Unterrichts auf mehreren Ebenen. Erstens sollte der Unterricht nach dem Vorwissen der Schüler*innen differenziert werden. Damit jedes Kind gesehen wird und die Chance bekommt zu lernen, muss auf die verschiedenen Startbedingungen eingegangen werden. Zweitens sollte der Unterricht den Interessen entsprechend differenziert sein, damit jedes Kind in jenen Feldern am meisten lernen kann, die es am meisten interessieren. Drittens bedarf es einer Differenzierung nach Leistung bzw. Leistungsmotivation. Nicht jede*r Schüler*in muss in Mathematik die gleichen Aufgaben machen. Manche wollen und können schwierigere Aufgaben machen, andere nicht. 

Mitsprachemöglichkeiten schaffen. Eine weitere Möglichkeit soziale Ungerechtigkeiten im alltäglichen Schulalltag auszugleichen bietet das Schaffen von Mitsprachemöglichkeiten und -rechten für die Schüler*innen. Das kann ein Klassenrat in jeder Klasse sein, der mitbestimmt, was in der Klasse passiert. Das kann aber auch eine Schulvollversammlung sein, also eine Art Parlament, in dem Schüler*innen über Gestaltungsmöglichkeiten ihrer Schule diskutieren und Entscheidungen treffen können. Vor allem Kinder aus ärmeren Milieus können so auf ihre Anliegen aufmerksam machen, ihre Stimme erheben und den Unterricht und ihre Schule gerechter gestalten. 

Thematisieren im Unterricht. Um soziale Ungerechtigkeiten in der Schule ausgleichen zu können, müssen Aspekte wie Vielfalt, Herkunft, Armut und Gerechtigkeit im Unterricht thematisiert werden. Viele Schulen zeigen vor, wie man sowohl im Unterricht als auch mit Workshops diese Themen besprechen, diskutieren und bearbeiten kann. So können Workshops oder Projekte über Menschenrechte und Vielfalt dabei helfen, dass die Thematik den Schüler*innen bewusster wird und in der Klassen wertgeschätzt werden.

2. Große Schritte – Bildungspolitische Veränderungen 

Gemeinsame Schule.Auf bildungspolitischer Ebene existieren eine Vielzahl von Strukturen, die soziale Ungleichheiten festigen. Das größte Problem ist in diesem Zusammenhang die Segregation. Unglücklicherweise findet man trennende Maßnahmen im österreichischen Schulsystem auf vielen verschiedenen Ebenen. Die wohl auffälligste dieser Trennungen erfolgt bereits mit 10 Jahren durch die Aufteilung in Gymnasium und Mittelschule. Übertrittsentscheidungen nach der Volksschule basieren nur zu einem kleinen Teil auf tatsächlichen Leistungen und dem Potential eines Kindes. Entscheidend ist vielmehr die soziale Herkunft. 

Geld. Da es aber auch nach der Einführung einer gemeinsamen Schule Standorte geben wird, die größere Herausforderungen zu bewältigen haben als andere, muss die Finanzierung des gesamten Bildungssystem neu aufgestellt werden. Jene Standorte, die größere Herausforderungen und Probleme haben, sollten mehr Geld und mehr Ressourcen in Form von Personal bekommen. Dieser oft genannte Chancenindex würde vor allem Kindern aus ökonomisch schwächeren Familien zugutekommen. 

Darüber hinaus wäre es sinnvoll, mehr Geld in die Kindergärten und Volksschulbildung zu investieren. Derzeit fließt das meiste Geld in die Altersgruppe der 10- bis 14-jährigen. Je mehr in frühkindliche und elementare Bildung investiert wird, desto besser können Herkunftseffekte von sozialen Ungerechtigkeiten ausgeglichen werden. 

Benotung.Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass Kinder mit Migrationshintergrund strenger beurteilt werden als autochthone Kinder (El-Mafaalani, 2020, S.81). Ganz generell ist die Vergleichbarkeit von Ziffernnoten stark zu hinterfragen, da sich Lehrkräfte bei der Beurteilung an klasseninterne Bezugsrahmen orientieren (Südkamp & Möller, 2009, S.161 ff) . Dieselbe Leistung kann demnach in einer leistungsschwachen Klasse zu einem „Gut” führen, während sie in einer leistungsstarken Klasse nur für ein „Genügend” reicht. Damit verlieren Ziffernnoten ihre ohnehin beschränkte Aussagekraft. Im Gegensatz dazu kann eine lernzielorientierte differenzierte Leistungsrückmeldung einen positiven Einfluss auf den Lernprozess nehmen. 

Ausbildung und Auswahl von Pädagog*innen. Eine weitere notwendige systemische Veränderung ist eine Reform der Lehrer*innenausbildung. Diese muss nicht nur mehr Praxiserfahrung und einen stärkeren Fokus auf Pädagogik bzw. Didaktik beinhalten, sondern auch auf die Arbeit in einem diversen Klassenzimmer vorbereiten. Divers im Sinne von Sprache und Migrationsbiographien, aber auch im Sinne von ökonomischen Schichten und Klassen. Derzeit findet die Vorbereitung auf das Unterrichten von Kindern aus sozioökonomisch ärmeren oder auch Migrantenfamilien viel zu wenig Raum in der Lehrer*innenausbildung. 

Ein faires Bildungssystem, in dem pädagogisch, aber auch systemisch daran gearbeitet wird, soziale Ungleichheiten zu reduzieren, kann zu einer gerechteren Gesellschaft beitragen. Wir müssen die Ungerechtigkeiten des Systems weiterhin ansprechen und auf allen Ebenen daran arbeiten diese zu überwinden, um eine gerechtere Gesellschaft zu ermöglichen! 

Verena Hohengasser, Simone Peschek und Felix Stadler 

Literatur

Nationaler Bildungsbericht  Österreich 2018 (2019). Das Schulsystem im Spiegel von Daten und Indikatoren. Band 1. Konrad Oberwimmer, Stefan Vogtenhuber, Lorenz Lassnigg und Claudia Schreiner (Hrsg.). Graz: Leykam

https://www.bifie.at/wp-content/uploads/2019/03/NBB_2018_Band1_v2_final.pdf

Nationaler Bildungsbericht  Österreich 2018 (2019). Fokussierte Analysen und Zukunftsperspektiven für das Bildungswesen. Simone Breit, Ferdinand Eder, Konrad Krainer, Claudia Schreiner, Andrea Seel und Christiane Spiel (Hrsg.) Graz: Leykam

https://www.bifie.at/wp-content/uploads/2019/03/NBB_2018_Band2_final.pdf

Mafaalani, A. (2020). Mythos Bildung: Die ungerechte Gesellschaft, ihr Bildungssystem und seine Zukunft. (1). Kiepenheuer und Witsch.

Südkamp, A. & Möller, J. (2009). Referenzgruppeneffekte im Simulierten Klassenraum: Direkte und indirekte Einschätzungen von Schülerleistungen. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 23, pp. 161-174.  https://doi.org/10.1024/1010-0652.23.34.161

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Schüler:innen und Lehrer:innen feiern gerne. Ganz ohne Aufforderung bringen viele Kinder und Jugendliche zu ihrem Geburtstag Torte, Kekse, Saft und Schokolade. Sie teilen ihre Freude mit allen. Achten darauf, dass alle etwas am Teller haben. Ertragen, die manchmal sehr schräg gesungenen Geburtsständchen. Und versprechen fürs nächste Jahr mehr Torte, Chips und Saft, damit tatsächlich alle satt werden.

Kinder und Jugendliche brauchen Feste. Das Ritual des Geburtstagsfeiern bringen sie meistens aus der Volksschule mit. Dass es in der Adventzeit einen Kalender gibt, finden sie perfekt. Sie malen hingebungsvoll Weihnachtskarten, und auch zu Ostern basteln alle an der Osterdeko. Neu in diesem Schuljahr ist, dass endlich eine Klasse an den Ramadan gedacht hat. Ramadan kareem und wunderschöne Laternen schmücken die Pinnwand vor der Klasse.

Ramadan

Leider wirbelt der Beginn des Fastenmonats schon Wochen davor Staub auf. Ich versuche das auszublenden und freue mich über die Gesichter meiner Schüler:innen, die in Bälde fasten werden. Sie sind aufgeregt und voller Vorfreude. Die Mutter einer ehemaligen Schülerin läuft mir über den Weg. Wie so oft würden wir gerne auf einen Kaffee gehen. Wenn der Ramadan vorbei ist, dann aber wirklich, sagt sie. Eigentlich klingt das so, wie wenn ich sage, wenn Weihnachten vorbei ist.

Dennoch, der Ramadan polarisiert. Plötzlich beginnt die Sorge um jene Kinder und Jugendlichen, die von Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang fasten müssen. Das ist der erste Irrtum. Es muss niemand fasten, aber die Kinder und Jugendlichen wollen es. Kinder sind ausgenommen vom Fasten, aber sie wollen ein Teil der Gemeinschaft sein. In manchen Familien wird daher zum Beispiel das Kinderfasten etabliert. Kinder essen zwischen den Mahlzeiten nicht. Und, Ramadan ist viel mehr als eben eine Zeit lang nicht zu essen und zu trinken. Aber, das wird alles beiseitegeschoben. 

Eine andere Variante ist, Ramadan bewusst nicht zum Thema zu machen. Ausgehend davon, dass Religion Privatsache ist, und die Schule nichts angeht. Mit dieser Haltung verbunden ist, dass der Austausch über den Fastenmonat abgewürgt wird. Wer Durst hat und nichts trinkt, ist selbst schuld. Wer im Sport nicht ordentlich mitmacht, weil es schon später ist, und der Hunger größer wird, bekommt ein Mitarbeits-Minus. Dann sollen sie eben essen und trinken, verbietet ihnen ja niemand.


Beide Zugangsweisen finde ich nicht akzeptabel. Welches Licht werfen Sorgen um ihre Kinder auf muslimische Eltern? Es wird bei genauerer Betrachtung Müttern und Vätern unterstellt, sie würden ihre Kinder bewusst vernachlässigen oder quälen. Wie oft werden im Zusammenhang mit der Leistungsbeurteilung die wahren Ursachen eines Versagens ausgeblendet. Wie oft hört man, es ist mir egal, was die Leistungen der Schüler:innen maßgeblich beeinflusst? Einmal im Jahr ist dann alles anders. Diese vermeintlichen Sorgen haben nicht das Kind zum Thema, sondern sind einer beinharten Wertung geschuldet. Ramadan ist kein Fest „von hier“, von „unserer“ Kultur. Wenn Religion tatsächlich Privatsache sein soll, warum wird dann das Schulhaus weihnachtlich geschmückt, ein Adventkalender gebastelt oder ein Ostergedicht gelernt? Warum werden Weihnachtslieder gesungen und die Eltern informiert, weil sich Büsra* weigert mitzusingen? Ihr Argument, sie würde nicht Weihnachten feiern, regt auf. Nein, ich erzähle nicht von einer konfessionellen Schule. Es handelt sich um eine öffentliche Mittelschule in Wien.

Der Kinobesuch

Eine Kollegin hat für die Woche vor der Osterferien einen Kinobesuch festgelegt. Jene Schüler:innen, die fasten, sind enttäuscht. Es ist Ramadan, sie dürfen im Kino nichts essen und trinken.

Die Kollegin ist verunsichert, was durchaus verständlich ist. Während des Lehramtstudiums werden kaum Kompetenzen in dieser Richtung vermittelt. Die Tatsache, dass wir in den Mittelschulen in der Stadt wenig autochthone Schüler:innen haben, wird schlichtweg unter den Tisch gekehrt.

Ich hole mir Rat bei dem Bekannten, der mir so viel Positives über den Fastenmonat vermittelt hat.

„Soll ich den Kinobesuch verschieben? Immerhin betrifft das doch einige Schüler:innen?“

„Was wollen du und deine Kollegin mit dem Kinobesuch bezwecken?“

„Sie sollen Spaß im Kino haben. Keine pädagogischen Hintergedanken, ausnahmsweise.“

„Hmm? Ins Kino gehen ist für die Kinder viel mehr als nur rein ins Kino, Film schauen, und dann wieder rausgehen. Kino ist auch Nachos mit scharfer Sauce essen. Kino ist, Hey Bruder koste mal die gelbe Sauce. Kino ist, wenn es Freude machen soll, ein Gesamtpacket. Also, würde ich es verschieben.“

Dos und Don’ts während des Ramadans

Auf der Plattform Instagram habe ich einen wunderbaren Podcast entdeckt, der ganz unaufgeregt die Dos und Don’ts während des Ramadans vermittelt. An oberster Stelle steht, der sensible Umgang mit der Materie. Niemand ist gezwungen alles zu verstehen. Unterschiedliche Menschen haben unterschiedliche Zugänge zum Thema Religion. Aber es kann hilfreich sein, sich damit auseinanderzusetzen. Im Mittelpunkt sollten immer die Kinder und Jugendlichen stehen, mit denen wir sehr viel Zeit verbringen.

Es könnte alles so einfach sein

Die Sache mit dem Kino habe ich mit meiner Kollegin thematisiert. Wir haben die Schüler:innen gefragt, ob wir den Termin verschieben sollen. Nein, wäre nicht notwendig, haben sie uns nahezu einstimmig erklärt. Manchen würden für einen Tag das Fasten brechen, andere würden dann eben nichts essen. Wichtig war uns in diesem Zusammenhang, die Schüler:innen wahrzunehmen und anzuhören.

Ähnlich könnte es theoretisch im Sportunterricht ablaufen. Es geht um 30 Tage, nicht um ein Schuljahr. Muss es tatsächlich sein, dass in genau dieser Zeit der härteste Sportunterricht ever gemacht wird? Nein! Wenn Schüler:innen merken, dass ihnen die Energien ausgehen, dann können sie Pause machen. Alle dürfen das ohne Ausnahme.

Wir könnten auch die Notwendigkeit einer Schularbeit oder eines großen Tests überdenken.

Wir könnten neben Weihnachts- und Osterwünschen, Ramadanwünsche auf die Homepage der Schule stellen. Oder im Schaukasten ein schönes Plakat passend zum Ramadan hängen.

Es könnte alles so einfach sein!

In diesem Sinne Ramadan Kareem

Maria Lodjn, MS Staudingergasse Wien