Als Lehrerin und Klassenvorständin an einer Wiener Mittelschule bin ich regelmäßig mit den herausfordernden Lebensumständen der Schüler:innen konfrontiert. Viele Situationen lassen sich in einem oder mehreren Gespräch mit den Schüler:innen und Eltern klären. Allerdings gibt es auch Umstände, die eine sozialarbeiterische Expertise benötigen.
Maria, Elif, David und Antonio*
So zum Beispiel bei Maria. Sie fehlte oft in der Schule und war, wenn anwesend, sehr still. Kam sie nicht in die Schule, meldete sich der Vater bei mir. Die Gründe für das Fernbleiben waren vielfältig: Ein verstauchter Knöchel, die kaputte Brille, Bauchweh, Kopfweh odg. Die Fehlstunden häuften sich und es erfolgte eine Meldung beim Schulkooperationsteam. Als Antwort kam, dass die Familie (Tochter und Vater, die Mutter war verstorben) bereits seit längerem engmaschig vom Jugendamt betreut wird, was mir nicht bekannt war. Die Konstellation zwischen Maria und ihrem Vater war sehr speziell, sodass diese für einen längeren Zeitraum durch die Kinder- und Jugendpsychiatrie behandelt wurde. Schließlich übersiedelte Maria zu ihrer Tante und schloss erfolgreich die Mittelschule ab.
Bei Elif verständigte ich das Schulkooperationsteam, da der Vater sie beim Elterngespräch aufs wüste beschimpft hatte. Sie war in der 4. Klasse, sprachlich sehr gewandt, jedoch blieben ihre schulischen Leistungen aus. Der Vater war derart frustriert, dass er mit ihr nichts mehr zu tun haben wollte und sich so einer Verantwortung als Erziehender entziehen wollte. Da sein Bruder mit dem Jugendamt schlechte Erfahrungen gemacht hatte, war sein anfängliches Interesse für die Zusammenarbeit mit dem Schulkooperationsteam gering, konnten aber in einem Gespräch abgeschwächt werden. Elif und ihre Familie wurden ca. zwei Monate betreut und auch sie schloss erfolgreich die Schule ab.
Manchmal kam es zum Kontakt mit dem Jugendamt, obwohl ich selbst keine Meldung vorgenommen hatet. Im Fall von David war dessen Familie aufgrund seiner zwei Brüder in Betreuung. Hier wurde bei mir telefonisch nachgefragt, ob bei David alles passt, was ich bejahen konnte. Ebenso bei Antonio, der regelmäßig in therapeutische Behandlung ging, wurde ich telefonisch nach dessen Wohlergehen kontaktiert. Gegen Ender der 4. Klasse berichtete er mir, dass er nun sein Abschlussgespräch mit dem Jugendamt hatte, da dieses nun nicht mehr notwendig sei.
Erst vor kurzem habe ich erneut eine Meldung vorgenommen, da Dario, 11 Jahre, bereits mehrere Polizeikontakte hatte. Darios Mutter fühlt sich überfordert. Gemeinsam mit dem Schulkooperationsteam wird nun versucht, dass Dario eine sinnvolle Freizeitbeschäftigung findet.
Herausforderungen
Die geschilderten Fälle zeigen eine kleine Bandbreite an unterschiedlichen Situationen, mit denen ich als Lehrperson bisher konfrontiert wurde. Bevor eine externe Stelle kontaktiert wird, sollte aus meiner Sicht vorrangig mit der zuständigen bzw. dem zuständigen Schulsozialarbeiter am Standort Kontakt aufgenommen werden. Leider ist dieser Posten an meiner Schule schon seit längeren nicht besetzt, sodass eine wichtige Schnittstelle fehlt. Die Schüler:innen könnten so direkt an der Schule betreut werden und aus Lehrer:innen Sicht hätte ich vor Ort eine Person, die mich unterstützt. Denn öfters stehe ich vor der herausfordernden Frage, ob die Umstände derart gravierend sind, dass eine externe Stelle eingeschaltet werden soll oder nicht. Und wenn ja, ob ich gleich eine Meldung beim Jugendamt machen soll oder erstmals das Schulkooperationsteam einschalte.
Meiner Erfahrung nach ist es wichtig, dass die Eltern die Sozialarbeit nicht als Bestrafung sehen, sondern als Erleichterung bzw. Unterstützung. Sind diese von Anfang an dagegen, wird es schwer, sinnvoll zusammenzuarbeiten. Nützlich ist an dieser Stelle das Schulkooperationsteam, als vorgelagerte Stelle vom Jugendamt. Viele Eltern haben durch diverse Erzählungen große Vorbehalte gegenüber dem Jugendamt (beispielsweise der Vater von Elif) und glauben, dass ihnen sofort ihr Kind weggenommen wird.
Herausfordernd ist, dass vergangene bzw. bestehende Kontakte mit dem Jugendamt bzw. Schulkooperationsteam mir als Lehrperson nicht immer bekannt sind, wie etwa in dem oben geschilderten Fall von Maria. Hier wäre es wünschenswert, wenn es zwischen den verschiedenen schulischen Institutionen einen besseren Austausch bzw. eine bessere Info-Weitergabe gäbe. Hätte ich bei Maria von Anfang an eine Ansprechperson gehabt, hätte ich diese viel früher kontaktiert und mir die Arbeit einer neuen Meldung sparen können. Aus Lehrer:innensicht wäre es auch hilfreich zu wissen, wie engmaschig die Betreuung ausfällt.
Vor der Arbeit des Jugendamtes bzw. des Schulkooperationsteams habe ich großen Respekt. Viele Fälle bringen einem zum Nachdenken und es ist nicht immer einfach, mit einem freien Kopf zum Unterrichtsalltag zurückzukehren. So gesehen ist es für mich eine enorme Erleichterung, wenn ich eine Meldung beim Jugendamt vornehme bzw. den Kontakt zum Schulkooperationsteam aufnehme und den Fall an Sozialarbeiter*innen übergeben kann. Es wächst damit die Hoffnung, dass sich die Situation zum Guten wendet und es entlastet im besten Fall auch den Alltag, sodass man sich wieder mehr aufs Unterrichten, aber auch auf andere Schüler*innen und deren Themen konzentrieren kann.
*die Kinder heißen eigentlich anders
Die Autorin ist Lehrerin an einer Wiener Mittelschule.